Dienstag, 11. März 2014
Der Tagesplan ist bisher unerledigt (Badezimmer und Fenster putzen, Phase Zwei auf dem Gemüsebeet, Konzept für die Geschäftsidee von A. und V.). Es passierte selten, dass ich das Rumsitzen vollständig genießen konnte, wo hingegen das meditative Sitzen ja erlaubt war. Wie alles flüssig in einen anderen Blickwinkel gerät, vorher das Regelwerk, und nun kein Regelwerk. Wieder etwas, von dem ich entfernt bin. Vieles lese ich mit anderem Verständnis. Vorher hatten die in Absätze gebrachten Worte etwas Festes, fast wie Mauern, wo doch Freiheit das Ziel ward, jetzt lösen sich die gleichen Worte auf wie Schönwetterwolken, jetzt stimmt alles (wieder) und Fragen verschwinden als hätte es sie niemals gegeben.

Ich würde gern mit einer bestimmten Person darüber reden und imaginäre Dispute fluten regelmäßig meinen Geist. Aber jedes meiner manchmal hitzigen Argumente erkenne ich als falsch aufgefasste Prämisse, und jedesmal ruft mir die Person, die ich selbst bin, zu, so war das doch gar nicht gemeint! Die Beschränkung erkenne ich in diesem Prozess als selbst auferlegt und ich fühle mich nun dem philosophisch entwappnet, was mir einst Form gegeben hat. Das größte Geschenk an mich ist die Selbstermächtigung, und jenes einst ist dabei noch gar nicht lange her.

Ich liebe die Nächte, in denen ich ablenkungs- und schlaflos unter der warmen Decke liege, dabei rufe ich mir den letzten Satz des Lieblingsbuches in Erinnerung und ich weiß jetzt, alles ist möglich innerhalb dieser Traumzustände, von denen einer nur unwesentlich realer ist als die anderen, just switch the labels.




Montag, 10. März 2014
Den Beutel mit Erde aus dem Kabuff geholt und schon mal überall was verteilt. Dabei entdecke ich, dass die Eichel, die das Rieseneichhörnchen im Olivenbaum-Topf versteckt hatte, einen kleinen Trieb trägt und als ich versuche sie auszugraben, um sie einzutopfen, fühle ich eine lange Wurzel, die weit bis unten in den Topf reicht. Vorsichtig friemele ich dran rum und bette sie um, und jetzt hat die zukünftige Eiche ihren eigenen Tontopf. Auch habe ich mich im Schrebergarten von R. und S. nützlich gemacht und das Gemüsebeet umgegraben. Dort kann ich ein paar der Sämereien ausbringen, die ich von einer Kampagne gegen GMO-Saatgut übrig habe, weiß nicht, ob das noch keimt, ist schon her. Früher Heinrich, Möhren, Salat, Kürbis und verschiedenste Bohnensorten, ging ja um Bio-Diversität damals. Sogar Getreide ist dabei, Ur-Dinkel, Emmer, Roggen und Mais.

Das Wachsen und Gedeihen um mich rum gefällt mir. Frühling gefällt mir. Die Erde riecht gut. Auch die vielen Sozialkontakte tun gut, muss nur ein bisschen aufpassen, dass ich's nicht übertreibe und mir genügend Alleinsein gönne.

Dieses Jahr fühlen sich die ersten warmen Tage an wie neu und noch nie vorher erlebt.




Mittwoch, 5. März 2014
Wieder so rasendes Interessiertsein; die ganze Woche damit verbracht, Filme über Verschwörungen zu schauen, und Material darüber, ob die Welt nicht ganz anders sei, als sie sich mir (uns) darstellt. Auch nochmal Matrix, und wie das WTC pulverisiert wurde, dann erstaunliche Maßzahlen über die Pyramiden in Gizeh, Bilder von Kornkreisen angeschaut und alternative Berichte über das weltweite Finanzsystem und die Großkonzerne, die nicht nur Kinder zu Sklaven machen, sondern auch die Kaufsüchtigen, über Chemtrails und all das irre Zeug dort draußen, die Kriege zwischen den Staaten und Europa als neue Weltmacht, alles gaanz schlimm, und wo bleibt die Wahrheit, und was können wir überhaupt wirklich wissen. Es war ein Rausch. Dann wieder ganz Wunderbares – mathematische Formeln, die natürlichen Formen zugrunde liegen und umgekehrt. Nada Brahma, alles ist Klang.

Kieselalgen in größer

Was ist die Wahrheit? Anscheinend kann man Menschengemachtem nicht vertrauen. Hingegen ist die Natur voller Ordnung und schierer Schönheit. Dazwischen, wie eine Rosskur, lese ich Jed McKennas A Theory Of Everything, es ist noch nicht übersetzt, lästig es als Ebook auf dem Rechner zu lesen, dauernd dieses Bildschirmgeglotze. Aber dieses I AM/CONSCIOUSNESS beleuchtet meine Umgebung in großartigster Weise. Nicht nur ich frage mich, ob ich das nicht selbst geschrieben haben könnte, eines der Reviews verweist noch auf Fight Club, und ich muss wieder lächeln über die immer gleichen Fragen meiner Kindheit, warum bin ich ich und nicht du. Bin ich nicht alles? Bin ich gar allein?

Angestoßen hatte mein emsiges Netzgestöbere die Bestefreundin, die hat übrigens jetzt einen neuen Mann, "da ist ein neuer Mann in meinem Leben", rief sie mich freudig an. Später postete sie auf fb einen dieser Verschwörungsfilme über genmanipulierten Mais und all das andere, was wir unbedingt wissen müssen. Ich hoffe nun nicht, dass beide gemeinsam schlimme Filme schauen und demnächst zur Revolution ausrufen, jedenfalls musste ich Derartiges mit was anderem kontern und schlug das Ansehen von Naturfilmen vor oder Ausprobieren von einfachen biologischen Gegebenheiten am eigenen (oder des anderen) Leib.

Am Ende jedenfalls bleibt nichts (übrig). Ich tendiere nun dazu, keiner Nachricht mehr zu trauen, die ich nicht selbst prüfen kann. Und was kann man schon prüfen? Ich werde nicht in die Ukraine fahren, um mir mein eigenes Bild zu machen. Oder nach Mali, um Kinderarbeiter in Nestle-Kakaoplantagen aufzuspüren. Wahrscheinlich wäre es lohnender, bei der Entstehung eines Kornkreises anwesend zu sein, oder die Pyramiden selbst auszumessen. All I want is the truth, sang schon John Lennon mit Inbrunst, und auch ich würde behaupten, Wahrheit kommt noch vor Liebe. Vielleicht ist aber auch beides eins, mal sehen.

Ich bleibe jedenfalls dran.




Samstag, 22. Februar 2014
Dudi ist die beste Schwester, die ich mir vorstellen kann. Wir reden über dies und das, am Telefon, für lange Gespräche in die NL habe ich eine Flatrate. Uns plagt gerade der gleiche Selbstzweifel: Wieso sind wir eigentlich auf diesem Kackplaneten gelandet? Während ich mich schon halbwegs damit abgefunden habe, unter Irren zu leben, trifft sie noch die volle Wucht des Unsinns. Überall nur schlimme Nachrichten, bejammern wir den aktuellen Status unserer kleinen Blauen Kugel. Es ist ja nur unter den Menschen ein Drama, in der Natur ist alles großartig harmonisch, erkläre ich weise. Obwohl sie die ältere und größere von uns beiden ist, empfinde ich sie als viel zarter. Sie hat mich beschützt als wir Kinder waren und angeblich war sie in einem anderen Leben meine Mutter.

Ihre Mutter-Rolle betrachten wir wieder einmal neu. Sie als die sich stets Sorgende. Zum 800. Mal versuche ich zu erklären, dass Sorgen und schlaflose Nächte niemandem helfen, keinem ist gedient damit, sie neben sich in der Scheiße sitzen zu haben, mitjammernd. Da hätt' ich ja noch Schuldgefühle, sie eingeladen zu haben. Komm, setz dich doch zu mir, mit so'ner Geste, und dabei ist es bloß 'ne Wanne voll scheißiger Matsche. Es gibt darüber jede Menge schlauer Gleichnisse, wie Lotuspflanzen, die im Schlamm gedeihen und die schönsten Blüten- ... und so weiter. Mit Metaphern aber brauche ich Dudi nicht zu kommen. Sie ist eine Frau der Fakten.

Darauf hinzuweisen, dass sie die Fakten manchmal nicht richtig erkennt, ist meine Aufgabe. Und genauso manchmal umgekehrt. Also ihre, und ich die Nullcheckerin. Das ist überhaupt nicht schlimm. Allerdings bin ich nah dran, einen Vorwurf mitschwingen zu lassen, als wir über ihr Kind sprechen (das in einem anderen Leben angeblich mein Kind war). Dass das Kind mittlerweile kein Kind mehr ist, sondern sein Leben selbstbestimmt leben möchte, dass es sich durch aktuelle Umstände unangenehm an seine katastrophale Mutter erinnert fühlt und mit zwölf schon die Aufgabe übernommen hatte, sie zu retten, z. B. blöde Männer aus der Wohnung zu werfen, die sie betrunken ausgenutzt hatten und andere Dramen. Als das Kind mir kürzlich davon erzählte, war mir nach Weinen. Wie kommt ein Kind dazu, die Verantwortung für seine Eltern zu übernehmen, fragt sie mich. Aus dem gleichen Grund, warum wir (als Kinder) die Verantwortung für unsere Eltern übernommen haben: Weil wir glaubten, sie seien nicht überlebensfähig.

Eine Stille. Verdrehte Welt. Ich möchte platzen. Sie reagiert ruhig auf meinen Vorwurf, als hätte sie nichts gehört und ich bin froh darüber. Wie oft habe ich auf der Seite des Kindes gestanden und ihre leidvollen Eskapaden mit größter Ablehnung beobachtet. Ihre bescheuerten Männergeschichten, die anstrengende Trennung vom Kindsvater, die viel Gemeinsames mit der unserer Eltern hatte. Die Szenerie tat mir allein beim Zuschauen furchtbar weh. Dabei rief sie mir in meinen eigenen Trennungsphasen immer wieder zu – ich möchte nicht, dass du so leidest!

Wir leiden allein. Natürlich tut eine Umarmung gut, ein liebes Wort, ein offenes Ohr, aber der Schmerz ist hier und nicht teilbar. Die Erfahrung von Leid ist die ... äh, Grundbedingung, wollte ich schreiben, aber ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Wie Buddha (angeblich) gesagt hat, ist Leben Leiden. Als wäre das so. Und wahrscheinlich isses auch so. Er fügte aber noch hinzu, dass es eine Möglichkeit gäbe, Leiden zu beenden. Dudi möchte es gern beenden, für alle, und deshalb ist sie süß wie Mandelkuchen.

Als ich ihr berichte, dass ich meine spirituellen Übungen aufgegeben habe, meinen Weg allein weitergehen will und fortan die Wahrheit in mir selbst zu finden beabsichtige, horcht sie auf. Das wäre ja 'ne ganz große Sache für mich! Sie ist fast etwas aus dem Häuschen, und obwohl sie das ganze Guru-Dings nie so richtig verstanden hatte, begreift sie die Dimension, die diese Abkehr für mich bedeutet. Ja, sage ich, du weißt schon, nicht mehr den Autoritäten folgen, die stehen dann bloß im Wege rum, wenn man an ihnen vorbei eilt, eilen muss, weil neti, neti, nicht dies, nicht dies.





Meine neueste Kreation und diese Woche schon dreimal bereitet: Dhal-Gemüse-Bratlinge mit Dings. Sehr lecker!




Mittwoch, 19. Februar 2014
Also, ich hab die Fragen von der Frau Trippmadam bekommen.

1. Wer kennt Dich am besten (keine Namen, nur so etwas wie: meine Freundin aus der 12. Klasse, mein Cousin o.ä.)
Die Bestefreundin

2. Welches Lied trällerst, singst, summst oder pfeifst Du, wenn Du allein bist?
Ändert sich, je nachdem, was ich irgendwo aufschnappe. Zur Zeit: Smashing Pumpkins - Tales of Dusty and Pistol Pete und Rhapsody in Blue – George Gershwin

3. Fluss oder Meer?
Meer, je größer umso besser. Wellen, Farben, Töne, all das.

4. Welche drei Gegenstände würdest Du mitnehmen, wenn Du von heute auf morgen Deine Heimat verlassen müsstest?
Außer dem MacBook, der Brille und den guten Schuhen? Ehrlich, ich wüsste mich nicht zu beschränken. Vielleicht wäre das MacBook auch 'ne blöde Idee, wer weiß, ob's da, wo ich hinginge überhaupt Strom/Wlan gäbe? Also den Leatherman. Ein paar hochwertige Lebensmittel.

5. Gibt es ein Buch oder ein Gedicht, nach dem Du in harten Zeiten greifst oder aus dem Du in solchen Zeiten zitierst?
Blauvogel von Anna Jürgens. Die Trilogie von Jed McKenna. Sacred Journey von Swami R.

6. Lieblingswetter?
Sonne und Wärme.

7. Was würdest Du eher auf Deinem Blog posten, selfie oder shelfie?
Naja, vielleicht ein leeres Bücherregal. Oder etwas Gekochtes in einem leeren Regal.

8. Hast Du einen unerfüllbaren Traum?
Unerfüllbares gehört nicht zu meinen Träumen.

9. Wann hast Du zuletzt geweint?
Tränen der Rührung, als ich nach langen Monaten meinen Neffen wiedergesehen habe.

10. Gehst Du gern auf Friedhöfen spazieren?
Oh ja. Sie sollten alt sein und die Steine schief stehen und verrottet, sodass man die Namen kaum lesen kann. Wegen der Vergänglichkeit.

11. Kaffee oder Tee?
Kaffee, wenn auch sehr wenig. Früher aber viel Tee. Sonst Wasser.

***

Jetzt kommen meine Fragen, die ich gerne folgenden BloggerInnen stellen möchte (11 schaffe ich leider auch nicht):

http://montez.twoday.net/
http://wunderkarte.blogger.de/
http://pactumvitae.blogger.de/
http://shhhhh.twoday.net/
http://schneck.twoday.net/

Also los:
1. Welche Gerüche verbindest du mit deiner Kindheit?
2. Welche ist deine Lieblingsfarbe?
3. Besitzt du Kleidungsstücke in deiner Lieblingsfarbe?
4. An was glaubst du?
5. Würdest du für deinen Glauben sterben?
6. Hättest du genügend Rezepte in petto, um eine/n Veganer/in bekochen zu können?
7. Hast du schon mal einen Pandabären gesehen?
8. Wie viele Nicknames repräsentieren dich im Netz?
9. Färbst du deine Haare?
10. Warum?
11. Deine selbstgemachte Lieblingssüßigkeit




Dienstag, 18. Februar 2014
Als ich ein Kind war, war das Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Porta Westfalica für mich die höchste erreichbare Erhebung in der Nähe. Mit dem alten, von meinem Vater gesteuerten DKW ging es die Serpentinen hinauf, ab einer bestimmten Kurve lichteten sich Häuser und Bäume und ich bekam einen ersten Blick in die Ferne. Oben am Gasthaus angekommen, wurde das kleine Auto geparkt, und den Rest bis zur Aussichtsterrasse gingen wir zu Fuß. Das kam mir weit vor und meine Ungeduld war groß. In der Erinnerung ist alles groß und weit, der Blick rüber zum Fernsehturm, oder rauf zu Wilhelms Knie oder runter auf die Weser, die hier durch die Bergkette ihren Weg nimmt. Die Aussicht nach Norden liebte ich mehr als die nach Süden, wo die Sonne hügeligem Land folgte. Zur anderen Seite war der Blick plan und frei – bis nach Grönland, wie ich mir einbildete, wenn das Wetter klar war oder mindestens bis zur Nordsee. Sowas wie die Erdkrümmung kannte ich damals nicht.

Wie stets plagten mich beim Anblick von Ferne und Höhe äußerst tiefe existenzielle Gedanken. Warum bin ich Ich und nicht Du, war eine meiner Standards; heruntergebrochen auf Wer Bin Ich ließ mich diese Frage dort oben eine Einsamkeit spüren, die ich mit niemandem teilen konnte. Dazu sind Einsamkeiten ja auch nicht da, wüsste ich mich heute zu trösten. Damals aber war ich hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, mich meinen Eltern gegenüber verständlich zu machen und dem heimlichen Wissen, wie die Welt in Wahrheit beschaffen ist: Mit blauem Himmel gefüllte Stille, von einem sanften Wind durchzogen.

Meine Welt war magisch. Und das ganz ohne Kobolde oder unsichtbare Freunde, die mir hätten zur Seite stehen können. Heute frage ich mich, wie es zum Verlust der Magie kommen konnte. War es die Aneignung der Weltsicht meiner Eltern (oder ähnlicher Autoritäten), weil die meine permanent von jenen geleugnet wurde und ich nicht standhaft genug war, sie zu verteidigen? Es war mir unmöglich, mich durchzusetzen. Natürlich hatte ich Welten, in die ich zeitweise entschwinden konnte, die der Bücher und des kindlichen Spiels, aber die sogenannte Realität der Erwachsenen war brutal in ihrer Penetranz und hatte eine zerstörerische Auswirkung auf jede zarte Erkenntnis.




Samstag, 15. Februar 2014
Ich müsste wieder anders schreiben, derart, dass ich nicht versuche mich zu erklären, nicht erst erklären, worüber ich schreibe, damit auch der letzte Idiot versteht, was ich meine. So ist das mit der Yoga-Philosophie, ich kann nicht jedes Mal eine Rundum-Einführung geben. Was mich sowieso eher entkräftet. Also isses Quatsch.

Im übrigen bin ich mit der Theorie durch. Seit fast zehn Jahren bin ich nun Schülerin – hingebungsvoll, unaufsässig, transluzent; letztes passt grad in die Reihe, bedeutet aber nichts. Es war eher so, ich habe ein Ziel und ihr sagt mir, wie ich es erreichen kann. Ich mache alles, denn ihr müsst es ja wissen. Seit fünftausend Jahren. Ich vertraue euch. Autoriäten erwünscht.

Die Suche hat eine Wendung genommen. Ich nehme an, das musste so. Die Theorie ist mir eingepflanzt, auf eine sehr natürliche Art war mir alles sofort klar und wahr. Es wurde immer gesagt, dass es verschiedene Arten des Wissens gibt, das Angelesene bzw. von außen Gelernte und das selbst Erfahrene. Dass Letzteres das wertvollste sei, das einzige, das zählt. Glaube niemandem, auch mir nicht, bevor du es nicht selbst geprüft und erfahren hast, sagte Swami V. bei der allerersten Lecture, die ich bei ihm hörte und deren Profundheit mich in ein verändertes Bewusstsein katapultierte. Dieses, du weißt schon, Gewahrsein, als würde der Körper meilengroß sein. Ich kannte es schon von früher, seit der Kindheit gehört es zu meinem heimlichen Erfahrungsschatz. Niemand konnte mir darüber etwas sagen. Dass ich nun in dieser Lecture saß und Swamis Stimme direkt aus meiner Brust zu kommen schien, bedeutete mir, dass ich endlich am richtigen Ort angekommen war.

Es folgten die Jahre. Was las, hörte und lernte ich nicht alles. Über Chakren, das richtige Atmen und das rechte Handeln. Die feinstofflichen Körper, die Zeitalter und die siddhis. Geschichten über Rishis und Weise, die versuchten, was nicht gesagt werden kann, in Worte zu kleiden. Worte, die so komprimiert sind, dass der Verstand sie kaum begreifen kann. Von Kommentatoren, die über ihren jeweiligen Ausdeutungen der Schriften Heiligkeit erlangt haben.

Mein Wunsch blieb, und ich war sicher, eines Tages die Wahrheit zu kennen. Wenn nicht in diesem Leben, so in einem der nächsten. Welches nächste Leben? Das vorherige gibt es nicht (mehr) und das nächste gibt es (noch) nicht. Also gibt es keine anderen Leben (außer diesem). Es geht nirgendwo hin.

Die Idee, man könnte sich wohin bewegen, scheint mir heute die Krux zu sein. Als gäbe es ständig etwas zu tun, damit man überhaupt ankommen darf. Als müsse dauernd etwas in Ordnung zu bringen, zu optimieren, zu ändern und zu heilen sein. Für den Eindruck, das Ziel läge noch in weiter Ferne und sogar übermenschliche Anstrengung reiche nicht unbedingt aus, es zu erreichen, sind nicht zuletzt die spirituellen Lehrer verantwortlich.

Die Wendung, die geschehen ist, ist das Erkennen des Soseins. Es ist so (und nicht anders). Das Gleichgewicht ist vollkommen (in seinem Sosein) und es ist ganz wunderbar, sich darin einzurichten. Hier sitzen und dem Sosein zu lauschen und zusehen, wie es sich entfaltet und entfaltet, in jedem Moment neu, frisch und vollkommen.

Das ist so ganz anders als vorher. Vorher musste immer etwas erledigt werden, hier noch eine Mantra-Übung, um den Geist zu reinigen, da noch eine Unvollkommenheit, die geklärt, und wieder ein Problem, das durchschaut, eine lästige Gewohnheit, die geändert werden musste, und erst dann, irgendwann könne ein Mensch als erleuchtet gelten. Und ja, Kinder, niemand weiß, ob und wann und bla. Ich habe die große Mantra-Übung nach 80tausend Rezitationen abgebrochen. Es war, als stünde sie zwischen mir und dem Ziel, sie machte mich unruhig und unvollkommen.

Weil mich die Erkenntnis des spirituellen Hamsterradlebens erst gepackt und dann völlig deprimiert und erschöpft hat, habe ich nun aufgehört mich zu bewegen. Ich will nirgendwo mehr hin. Hier wo ich jetzt bin, ist es gut und ich erlaube mir, eine Weile zu bleiben. Dann sehe ich weiter.




Dienstag, 11. Februar 2014
Ja, liebes Tagebuch. Du siehst mich hier in einer seltsamen Verfassung beim Vata-Tee. Ich hatte ja heute schon einen Kaffee mit der Leserin. Auf meinem Pfad der Entscheidungen bin ich nun an diesem Punkt angelangt, von dem ich dachte, ich würde ihn nie erreichen. In den letzten Monaten und Jahren habe ich vieles beendet. Nicht weil es nervt oder etwas daran falsch gewesen wäre, sondern weil es einfach zu Ende war. Aus einem intuitiven Verlangen heraus war ich ohne Zögern auf Züge aufgesprungen, die mich fort führten, bildlich gesprochen, und habe wieder andere Züge fahren lassen – mit einer Leichtigkeit, die mich selbst überraschte.

Eigentlich wollte ich ein bisschen über Woody Allen schreiben (ohne zu dem Drama nun auch noch mein Fett dazugeben zu wollen). In der zweiten Hälfte meiner 20er, als ich studierte, hegte ich eine äußerst romantische Liebe zu ihm. Während einiger Semester rund um das Vordiplom hatten die meisten meiner Arbeiten ihn zum Thema, ob Buchtitelgestaltung, Portraitzeichnen, Plakatillustration, Verpackungsdesign, alles was ging. Sehr auffallend wohl, aber mir wenig peinlich. Vielleicht belächelte die Lieblingsprofessorin auch meine Hingabe. Ich besaß alle Bücher und Magazine, die es von und über ihn gab, ich bestellte mir sogar Drehbücher aus New York. Einmal schrieb ich einen langen Brief an ihn, den ich aber nie abschickte. Der Altersunterschied war durch meine zeitversetzte Entdeckung der Filme bzw. seiner Person eher unwesentlich.

Irgendwann war das vorbei, wahrscheinlich im Verlauf des Trennungsdramas Farrow gegen Allen Ende der 80er. Da wusste ich nicht, wem ich Glauben schenken konnte. Ich fand auch Woodys Filme nicht mehr so interessant, vielleicht fehlte mir mehr und mehr das Metaphysische oder die Witze darüber, vielleicht wurden die Themen der doch viel älteren Protagonisten mir ferner, und die meisten Filme nach Hanna und ihre Schwestern habe ich nicht gesehen, schon gar nicht, als er selbst nicht mehr mitspielte.

Vor ein paar Tagen, als Dylan Farrow ihre Vorwürfe erneut erhob und Woody darauf mit seiner Sicht der Dinge reagierte, begann auch ich wieder, hinter ihm herzuforschen. Er ist alt geworden (bloß drei Jahre jünger als meine Mutter), meine Liebe war ja nun auch schon ein Vierteljahrhundert her. Ich schaute mir alte late-night shows an, und Manhattan und Annie Hall in OF, und habe sie sehr genossen. Die Hummerszene in Annie Hall scheint mir wie aus dem echten Leben, Diane und Woody lachen ausgelassen ob ihrer eigenen Scherze. Und Paul Simon ist toll, George Gershwins Musik in Manhattan, die Szene, als er auf dem Sofa liegend in den Cassettenrecorder spricht, was sein Leben lebenswert macht. Die Dialoge aus Manhattan kenne ich fast auswendig, und die Originalfassung hat mich umgehauen. Vor zwanzig Jahren hätte ich kein Wort verstanden. – Ach, und da fällt mir noch ein, dass ein damaliger Freund, den ich beinahe zwingen musste, sich den Film mit mir anzusehen, unglaublich eifersüchtig wurde, weil ich offensichtlich viel mehr in love mit Woody war als mit ihm, der neben mir saß und jedes Lächeln und jeden meiner sehnenden Blicke auf die Leinwand beleidigt registrierte.

Liebes Tagebuch, jetzt habe ich mich gerade in der Erzählung verloren. Ich denke, du weißt, was ich dir berichten möchte. Ja genau, es geht gar nicht um Woody Allen. Sondern um die Vorbilder, die männlichen, um das, was sie zu sagen haben, das was ich davon befolgt und gewonnen habe. Und dass ich sie alle nach und nach verlassen musste, in dem Moment als ihre Botschaft in mir keimte und dann aufblühte. Du weißt, die berühmte Anweisung, den Buddha zu töten, wenn man ihn trifft.

Was ich übrigens damals nicht verstanden habe. Aber jetzt. Es gehört mehr Mut dazu, als ich dachte und noch zögere ich eine Weile.




Samstag, 1. Februar 2014
Oder Ihr Essen? Nein? Ich auch nicht. Ich gebe zu, ich war mehrmals versucht, die Kamera über meinen Rote-Beete-Nudel-Eintopf mit Curry zu halten wegen des unglaublichen Orangetons, die sich durch die Mischung des Gemüses mit Gelbwurz ergibt, aber jedes Mal beschlug es die Linse und weil ich nicht wollte, dass mir das Essen kalt würde, ließ ich es. Tatsächlich gibt es einige unterbelichtete Fotos, die mich vor meiner Bücherwand zeigen, zerwühlte Haare (auf meinem Kopf) und allgemeine Unschärfe (auf den Buchrücken).

So weit war es also schon gekommen.

Am Donnerstag war ein besonderer Tag. Die Gemeinschaft der himalaya'schen Weisen und Yoga-Schüler, zu denen ich mich zugehörig fühle, hatte den Steinbock-Neumond als silence day ausgemacht, der gleiche mit dem die Chinesen ihr Neujahr einleiten, das des Pferdes übrigens. Ich verbrachte den Tag in größtmöglicher Schweigsamkeit. Auf dem Gelände mussten ein paar drucktechnische Details besprochen werden, und die Bürokollegin zeigte mir ein Filmchen, wie ihr junges Pferd das erste Mal an der Longe geht – das konnte ich wegen Niedlichkeit nicht unkommentiert lassen.

Was mir in den letzten Wochen, wenn nicht Monaten, gefehlt hatte, war shradda, Vertrauen, eine der fünf Tugenden des spirituellen Aspiranten. Alles war mir abhanden gekommen. Und während dieser zweifelnden Zeit wusste ich nicht mehr, was richtig und falsch war. Ich fand die Welt grundsätzlich schlecht. Was, wenn der Mainstream recht hat, wenn es nur das Offensichtliche gibt und sonst nichts. Dass Menschen einfach so Krankheiten bekommen, dass Kriege geschehen, das Schicksale passieren, ohne dass wir irgendeine Macht darüber haben. Es waren öde Monate, in denen ich, so wird es mir im Nachhinein klar, im Netz Antworten nachjagte. Mein vieles Gelese hatte was extrem Suchtartiges, und nichts konnte mich zufrieden stellen. Hier noch einen Blog lesen, dort noch einen Kommentar checken, im Außen etwas suchen, suchen – suchen. Vielleicht gibt es doch jemanden, der die ultimative Wahrheit schreibt und sich nicht dauernd darüber mokiert wie scheiße das virtuelle Leben (und das Leben überhaupt) ist und wie doof die Leute, die pubertäre poetry-slam-Beiträge liken. Achgottchen.

Das besondere an diesem Donnerstag ist die Stimmung, die mich umfängt als ich aufwache. Da ist Stille. Ich hatte ja die Lizenz zum Schweigen und nehme mir ausreichend Zeit, meine bös vernachlässigten Übungen wieder zu vertiefen, lasse den Rechner zum Frühstück aus und setze mich mit meiner Schale Grießbrei vor den Altar. Dort sitze ich einfach weiter und lauschte, ribbele ab und zu an einen fast fertigen Pulli herum, nehme ab und zu die Mala und mache eine Runde, während das Sonnenlicht sich langsam im Raum dreht – und ich endlich ankomme.

Wie sehr ich sie vermisst habe, die Abgeschiedenheit. Wie sehr ich mich vermisst hatte, ich konnte nichts mehr mit mir anfangen vor lauter Ablenkung. Bereits vor zwei Wochen hatte ich mir deshalb striktes Internet-Verbot erteilt, und zu meiner eigenen Überraschung fühlte ich mich damit sehr frei. Keine Erwartungen, keine Verpflichtungen. Im Netz war alles voll mit Meinungen, Meinungen und noch mehr Meinungen, fast schon war ich selbst zur Meinung geworden, eine Meinung, die notfalls angepasst werden musste, wegen der Schmerzlichkeit der Wahrheit. Meine bookmarks stecken jetzt in Unterordnern, die nur mit umständlichem Geklicke erreichbar sind, und wenn ich manchmal in die vertraute Liste schaue, schrecke ich davor zurück, sie zu öffnen, damit der sinnlose Trubel nicht wieder losgeht.

Die Buddhistin, die abends zur Meditation kommt, und ich sind uns einig über die Auswirkungen unseres hemmungslosen Netzlebens. Auch sie klagt über Unruhe im Geist und beschreibt den Rausch als Bedürfnis nach Verbundenheit, aber die Meinungen und Kommentare, die wir im virtuellen Außen aufnehmen oder abgeben, alles, was wir dort lesen und sehen, täuschen das Ersehnte bloß vor! Sie selbst sei in diese Falle getappt, war sie offline, fühlte sie sich seltsam allein, so als wäre sie vom Leben abgeschnitten, das Zuhause eine Art Grab ohne WLan. Wie absurd dieses Gefühl sei, schließen wir, denn wir sind ja ständig Teil von etwas, wir haben Körper, die Teil der Erde sind und teilen mit anderen Raum, Gedanken und Gefühle. Wir wollen Verbundenheit spüren und können es nicht, obwohl sie nur ein Fingerschnipsen entfernt ist.

Eine knappe Stunde sitzen wir in Stille auf der Matte im Kerzenlicht. Ich erinnere mich an die Morgenmeditationen in Swamis Ashram. Es ist noch dunkel draußen und in der Halle brennt einzig am Altar eine Kerze. Man sieht Umrisse regloser Gestalten, die in der Halle verteilt sitzen und sich zum Schutz gegen Mücken vollständig in ihre Tücher gehüllt haben. Während der halben Stunde wird es draußen hell, und noch später geht die Sonne hinter den Vorbergen des Himalaya auf. Diese geheimnisvolle Zeit habe ich besonders geliebt.

Ich möchte mehr von dieser Zeit! Ich bin bereit und dabei, mich wieder einmal vollkommen zu drehen.




Freitag, 17. Januar 2014
Es ist verlockend, mich selbst zu zitieren. Mit einer kleinen Abwandlung:
"Ich bin jetzt durch mit der Bloggerei."