Dienstag, 6. Mai 2014
Ist ja immer etwas peinlich, wenn man verlautbart, man habe den berühmten Künstler bereits in seinen frühen Jahren gekannt und von Anfang an beobachten können, welch großes Talent in ihm schlummert. Vielleicht ist es aber noch etwas peinlicher, wenn man solch eine großartige Karriere selbst nicht vorweisen kann. Und diese Peinlichkeit ist es wohl auch, die mich so aufgeregt macht, als ich an den Tisch trete, um zwei Exemplare seines aktuellen Buches signieren zu lassen.

Das eine ist für die Frau Montez, sage ich, und er lacht, er hätte ja schon eewig nichts mehr von ihr gehört. Schreib was Schönes, soll ich ausrichten, sag ich, sowas wie in ewiger unvergessener Liebe oder so. Ich erzähl ein bisschen von ihr, dass sie am See wohnt und weil er ein begeisterungsfähiger junger Mann ist, ist er begeistert. Und das andere ist für mich, die Frau Krabke. Ach du bist das, lacht er wieder, er lacht sowieso sehr viel, auch beim Vorlesen, wie schön, mal jemanden von damals in echt zu sehen. Wir reden über diesen und jenen, G. schreibt dort immer noch, sag ich, er, der hört wohl niemals auf, und ob ich denn noch schriebe, ja, und zwar hier, gib mir doch mal die Adresse. Und weil ich auch begeisterungsfähig bin, lobe ich ihn dann, hier hoch oben im Hochhaus bei diesem wahnsinnigen Blick über meine Stadt, über den grünen Klee.

Wie der seine Texte liest!, regelrecht vorträgt, ich frage mich, ob er auch so schreibt, ich bilde mir ein, ich spürte in jeder Zeile und in jeder der Gesten, die seine Sätze begleiten genug südosteuropäisches Temperament für zwei, trotz des Deutschen, nicht nur das, die Texte sind sehr witzig, auch die dramatischen Episoden um Tod und so. Die Zuhörer bekommen Einblick in den Schaffensprozess, die Persönlichkeiten des Buches und des Autoren. Aus dem Publikum kommen ein paar schlaue Fragen, auf die schlau geantwortet wird. Es ist ebenso begeistert und schenkt viel Applaus zwischen den einzelnen Leseabschnitten.

Selten hat mich derartiges so interessiert, sicherlich auch, weil ich selbst schreibe und auch gern. Aber mit seiner Wort- und Grammatikraserei kann ich mich in keinster Weise vergleichen! Was für eine Lust, jedes Wort zu wiegen, zu prüfen, zu verwerfen – vier Jahre hat er am Buch geschrieben – wie er Bilder ausformuliert, die der Landschaft, der Räume und Gegenstände, der Gesichter, ich bin restlos begeistert. Und das sag ich auch. Danke, bitte, danke, für den schönen Abend!




Sonntag, 4. Mai 2014
Stille. So müsste jeder neue Text beginnen. Aber ich habe die Nachbarin auf dem Kieker meiner Aufmerksamkeit. Neuerdings lärmt sie, knallt durchschnittlich jede Minute mit Fenster oder Türen und oben bei mir wackeln die Wände. Nachts werde ich wach, weil wieder eine Erschütterung durch den Boden läuft, auf dem direkt der Futon liegt, der mitschwingt und kaum dämmt. Das geht jetzt seit Tagen so, sie scheint zudem einen neuen Freund zu haben, dem ich letzte Woche im Hof begegnet bin, ein wenig trunken warf er eine Kusshand zu ihrem Fenster rauf, klein, mit wildem Haar auf Haupt und im Gesicht. Der passt doch gar nicht zu ihr, denke ich tantenhaft.

Bevor meine Genervtheit überhandnimmt, hefte ich nachts eine nette Postkarte mit ein paar bemüht neutralen freundlichen Zeilen an ihre Tür, sie war gerade herausgegangen zum Ausgehen, es war unüberhörbar.

Nachts schlief ich mal durch, bis vier, allerdings mit seltsamen Träumen gegen morgen. Als ich heute zum Spaziergang raus und an ihrer Tür vorbeikomme, sehe ich die Postkarte noch kleben. Entweder lässt sie sie jetzt einfach dort, damit alle Hausbewohner sehen, was ich für eine piefige Kuh bin oder sie ist noch gar nicht wieder zurück. Ich frage mich allerdings, wer jetzt gerade unter mir herumrumpelt.

Ob ich empfindlicher werde? Gegenüber basslastigen Geräuschen und die hohen gleich nicht mehr höre? Oder ich bin eifersüchtig auf junge Menschen, denen frisch verliebt alle Türen und Fenster aus den Händen gleiten, egal, ob bei anderen die Tassen aus den Regalen fallen. War das denn früher auch so?

Unbeabsichtigt beschließe ich wieder mitzulärmen, denn während ich auf das Kesselwasser warte, räume ich ein bisschen auf, den Eisenring will ich weghängen, der den Rost über der Gasflamme verkleinert. Vergesse, dass ich mir dort gerade den Grießbrei gekocht hatte, fasse an – und, scheiße ist das heiß! – lasse sofort wieder los, nicht nur das, ich werfe ihn seitlich fort, wo er klöternd vom Herd abprallt und in die Lücke zur Spüle fällt. Mir zischt regelrecht die Haut weg, ein Schrei und ein Fluch lassen sich nicht unterdrücken – tatsächlich, tut verdammt weh heiße Eisen anzufasssen! Drei Finger und der Daumen sind hinüber.

Konsequenz: Lärm hat mir jetzt egal zu sein. Isses zwischen eins und drei, tags oder nachts? Dann is' gut, reich mir den Werkzeugkasten und lass uns schauen, was es zu tun gibt!




Montag, 28. April 2014
Ich rufe Mamas Nachbarn an, ob er mal nach ihr schauen möge, sie geht nicht ans Telefon, wo statt ihrer eine fremde Stimme erklärt, dass der Anschluss zur Zeit nicht erreichbar sei. Aber ich bin sehr erreichbar während der Viertelstunde, in der ich auf den Rückruf des Nachbarn warte: für allerhand Szenarien, die Mutter liegt tot oder bewusstlos neben dem Telefon, das ihr aus der Hand gefallen und zerbrochen ist. Oder ein Blitz hat eingeschlagen, das Telefon zerstört und, ach, ich weiß auch nicht, die Bilder drehen sich um das Auffinden von toten Menschen, friedlich im Sessel oder verkrümmt und blutig am unteren Ende von steinernen Kellertreppen. Um Gespräche mit Bestattern, die Blumenauswahl und den letzten Blick ins Grab. Wo ist die gita, ich weiß immer noch nicht, was sie für einen Spruch möchte. Wäre ich dem jetzt gewachsen? Ich mach mich bereit, sofort in die Heimatstadt zu fahren und fühle nach, ob ich fühlen kann, ob sie lebt oder schon gen Himmel schwebt. Wieso kann man das nicht spüren, und wieso geht sie nicht in der Nachbarschaft telefonieren. Diese blöde Hilflosigkeit. Dazu noch ihre nur mühsam versteckte Feindseligkeit, ja, sie ist überzeugt davon, dass die Welt ihr Feind ist.

Exakt 15 Minuten später entwarnt mich Herr W., bloß das Telefon sei tot, die Mutter hingegen wohlauf, sie reagierte recht schnell auf sein Klingeln und Rappeln an der Briefkastenklappe und kam im Morgenmantel an die Tür. Ich bin sowas von erleichtert! Er bietet sogar an, die Störungsstelle anzurufen, nein, das mache ich, der arme Mann muss ja jetzt nicht noch stundenlang in Warteschleifen hängen.

Dudi und ich versuchen schon seit Papas Tod sie mit Herrn W. anzufreunden, allerdings belegt er eine höhere Richter-Kaste und sie sei bloß Handwerkerin und Lehrersgattin, sowas ginge ja nicht. Und überhaupt, alle Männer seien doof. Herr W. verspricht, am Nachmittag nochmal bei ihr vorbeizusehen und ich, ihn gegen Abend anzurufen.

Es folgt das übliche Telekom-Gedöns mit SMSen und muffeligen Technikern. Sie kommen übermorgen. Ha, bis dahin könnte sich der Nachbar etwas um Mama kümmern, vielleicht wird das ja noch was mit den beiden.




Sonntag, 27. April 2014
Ich hatte die Kamera nicht dabei, aber ich mag das Bild: eine Weide voll blühenden Bärlauchs inmitten von Buchen, noch licht und hellgrün. Am Waldrand grellfarbiger Raps und überm Horizont Quellwolken. Die Busenfreundin und ich wetten, wann das Gewitter kommt. (Gar nicht, erst Nachts ein einzelnes Donnern.) Jetzt steht sie klein und sammelt Blätter, das Jahr ist schon fast zu spät dafür. Weit und breit niemand und aus einem freien Gefühl heraus ziehe ich mir die Hose runter, hocke und pinkele dort, wo ich gerade bin.

Wir sammeln noch anderes, Gundermann, Brennessel, Wiesenschaumkraut, Knoblauchrauke, und später mische ich alle Kräuter in den Pfannkuchenteig.

Heute ruft sie mich mit noch kleinerer Stimme zwischen zwei Kotzanfällen an und sagt ab – wir wollten eigentlich mit Freunden im Park nochmal sammeln gehen und danach bei I. gemeinsam kochen. Ein bisschen bin ich froh, so habe ich den Tag für mich und kann lesen und was schreiben.




Mittwoch, 23. April 2014

Die Idee aufgeben, dass die Welt eine feindliche sei.




Freitag, 18. April 2014
Am Ende des durch und durch geredeten Freitags sitzen der Appetitliche und ich im Wagen der Bürokollegin, einem alten Mercedes mit Rost und reden noch mehr, sie holt mit W. die Pferde rein, es regnet laut aufs Blech bei uns, die anderen werden ordentlich durchnässt auf Feld und Weiden. Mit beiden Freunden lande ich am Tagesende fast immer in Regenschauern, die müden Wischblätter vor uns, auf dem Weg zurück.

Von zehn bis sechs zwischen einigen Frühstücken und Regenschauern, die sich mit Sonnenglanz abwechseln, am Esstisch der Kollegin ausgiebig: gesprochen, gesessen, gelacht, geatmet; über alles Wichtige, die Größe des Universums, das Ende des Kapitalismus, Niedlichkeit von Katzen am Beispiel jener, die mir auf den Beinen liegt, des weiteren über die Vergeblichkeit von G.s Bemühungen, die Welt zu retten und ob der Geist die Materie bewegt oder umgekehrt. Über Arbeiten und Nichtstun, über Geld und Armut und Glücklichsein. Glück. Ohne Ziel an diesem Tag.

Haben wir uns verändert? Zwischendrin im Bad ein erstaunter Blick auf mein eigenes Gesicht, wie jung ich aussehe, das Haar ist kurz und die Stirn frei, Licht fällt freundlich von schräg hinten. Das bin also ich, 25 Jahre später. Ich freue mich mich zu sehen. So wie ich bin.




Montag, 14. April 2014
Ich kenne keine Person, die so schnell hochgeht wie S.. In Kombination mit K., ihrem Exfreund, der fast immer dabei ist, gewinnt das Geschimpfe noch an Kraft. Eigentlich könnten wir friedlich im Garten graben, aber dauernd muss S. den K. maßregeln. "Stell dein Glas nicht auf die Kante, das fällt sonst runter!" Oder "Wie oft habe ich dir schon gesagt, ... " und dann folgt unweigerlich etwas, was sie sich eigentlich sparen könnte, denn sie wird es ja schon oft gesagt haben, oder. Das erste Bier des Tages nehmen K. und ich gemeinsam, die Damen buddeln noch weiter, trotzdem gibt es einen Spruch von S., nicht an mich gerichtet, aber an K.. Vorsichtig spreche ich ihn drauf an, es ist überdeutlich, dass die beiden sich gegenseitig auf die Palme bringen, er mit seinem Gejammere, sie mit ihren Revanchen.

R., die jetztige Freundin von S., es hat also einen Wandel von Hetero- zu Homosexualität stattgefunden, nimmt es mit großer Gelassenheit, die nicht mal ich habe, obwohl ich ja zu den dreien weitaus entfernter stehe, als sie untereinander. K. lächelt aus seiner reichhaltigen Peinlichkeit heraus – welcher Mann lässt sich öffentlich schon gerne bloßstellen. Später am Zaun, als ich schon gehen will, erzählt mir R., dass K. in Abhängigkeit zu S. steht, er als Künstler verdiene kaum Geld, und sie bezahle ihm seine Lebensmittel. Ich staune. Dass sich jemand überhaupt auf sowas einlässt? Wir besprechen das hohe Aggro-Potential des Ex-Pärchens, ich wische mir den Schweiß aus der Stirn, denn eine Hitzewelle hat mich erfasst, die nicht allein vom Sonnenstand kommt, sondern weil ich die gegenseitigen Abhängigkeiten durchschaue, und das stresst mich, verdammt.

S. hätte sich nach K. ordentlich die Hörner abgestoßen, bevor die beiden Frauen zusammenkamen, das hatte R. schon mal so gesagt und ich frag mich, welche Hörner, sagt man das nicht bei Männern, das Horn, aber wir sind ja hier im lesbischen Umfeld, und da kenne ich mich nicht so aus. Als einziges Zugeständnis an die Emanzipation benutze ich mit großer Konsequenz die weibliche Form, das machen noch nicht mal alle Lesben (Lesbierinnen). Wie und an wem sich S. die Hörnchen (Hörnerinnen) abgestoßen hat, weiß ich nur zu gut: Praktisch an der halben weiblichen Bewohnerschaft dieses Hauses (in dem auch ich lebe, ich schrieb schon mal darüber. Seitdem hat S. hier Hausverbot.).

Lustig ist auch, dass sie wegen des Hundes oft an meine Bürokollegin gerät, der laut Vermieterin im Hinterhofgarten der Kollegin, an dessem südlichen Teil wiederum K. sein Atelier hat, frei laufen darf und sofort und ungebremst auf die hübsche Terrasse der Bürokollegin läuft, die Katzen verscheucht und ihnen das Futter wegfrisst. So klein ist die Welt. Da wechseln lustige Argumente ihre Besitzerinnen: Die Vermieterin hat mir aber erlaubt ... du hast aber den Hund nicht unter Kontrolle ... ach, die Katzen haben doch keine Angst ... und (zu mir) wenn die noch einmal, dann ... undsoweiter.

Tja, ich habe also Freundinnen, sie sich untereinander nicht ausstehen können, was sagt das über mich? Das stimmt nicht, ruft die Busenfreundin, als ich ihr davon erzähle, zum Beispiel, äh, wie heißt sie noch, die Gärtnerin finde ich süß und die Leserin mag ich auch. Dass die Leserin die Busenfreundin nicht sonderlich leiden kann, lass ich lieber unerwähnt.




Montag, 7. April 2014

Das war schön. Im Angesicht der Weserkette mit der Schulfreundin über Vergangenes reden und lachen und den alten Herrn Kaiser besuchen. Erschreckend, wie die umliegenden Ausflugszielgebäude verfallen, verrottete Fensterrahmen und blinde Plastikstühle. Hawaiitoast trotzdem 8,50. Vielleicht sind das noch Mark. Selbst die Sandsteinstufen zum Denkmal scheinen mir wettergerundet und mürbe. Rechtsseitig gibt es eine neue Treppe. Die Erinnerungen an die Szenerie sind trügerisch und vermischen sich mit der jetzigen. Moltketurm, gut 13 Meter hoch. Ich lauf kurz rauf, die Freundin aber hat Höhenangst. Hier habe ich mit einem Liebhaber erstmals geknutscht. Auf der Wittekindsburg noch mehr Olles, die besagten Stühle stehen an Tische geklappt, deren Beine bis zum Knie verrostet sind, zerbrochene Steintreppen, was für ein schöner Saal das mal war. Die üblichen Neugierigen stehen um den Absprung für Drachenflieger, wir auch. Wie das wohl ist, wenn der Aufwind die Flügel hält und man über den hellgrünen Bäumen davongleitet. Von dieser Stelle hat der Liebhaber noch Fotos, ich sitze hinter langem Haar versteckt auf der Plattform, die mit Kunstrasen belegt ist, auch der mittlerweile 30 Jahre später.


Einzig gut erhalten die kleine Margaretenkapelle und oben auf dem Kamm eine Ausgrabungsstätte mit kreuzförmigen Ruinen aus dem 10. Jahrhundert, die von einem modernen Holzglasbau geschützt wird. Auf dem Weg entdecken wir Natürliches, früher Waldmeister, Buschwindröschen, Buchentriebe, die aus matschigem Laub hervorschauen, ebenso Gesichter aus vernarbten Baumstämmen.

Die Geschichten, die wir uns daheim bei ihr gegenseitig vortragen, sind alt und sehr lustig. Der Segen des Später-Seins: Die Ungereimtheiten der Jugend belachen können, die ersten Freunde, die unsäglichen ersten Male, all die bescheuerten Missverständnisse. Genauso verstehen wir uns in dem was Jetzt geschieht. Freude. Kreativität. Leben.




Donnerstag, 27. März 2014

Fleißig: Wildbiene

Es brummt im Insektenhotel auf der Fensterbank, das endlich von einigen Wildbienen als Brutstätte akzeptiert wurde. Zur Zeit werden sechs Kammern aktiv bearbeitet, eine ist schon verdeckelt. Solitärbienen bilden keine Schwärme, sondern nisten einzeln in Hohlräumen, in denen sie zuerst einen Vorrat an Pollen anlegen, der für die zukünftige Larve, die aus dem hineingelegten Ei heranwächst, Nahrung bietet, bis sie als fertige Biene ihrem Räumchen entschlüpft. Jede Biene legt pro Saison mehrere Eier. Es ist äußerst niedlich zu beobachten, wie sie sich in das Röhrchen zwängt, mal vorwärts, mal mit dem Po zuerst, im Inneren irgendwas macht und dann wieder rauskommt. Ich habe mich gefragt, wo sie Nachts schlafen, es ist ja noch kalt. Anscheinend verbringen sie eine schläfrige Zeit in den Hohlröhren, die sie gerade bearbeiten, heute früh konnte ich etwas Dunkles mit ein paar Fühlern, die rausschauen, erkennen.




Montag, 24. März 2014
Neuerdings beschäftige ich mich ja mit Gartensachen. Die Saat begießen und so, und warten bis sie sprießt, also mit dem Leben in seiner ursprünglichen Funktion, als äh, Lebensspender. Anscheinend geht damit einher, dass die kleinen Probleme des persönlichen Lebens, wenn nicht verschwinden, so doch wenigstens unwichtiger werden.

Zwecks Erkundung größerer Lebenszusammenhänge fuhren eine Gruppe Interessierter mit Bahn und Bus los, um den Niedernstöckener Friedenshof zu besuchen. Sieben Menschen leben dort auf einem Bauernhof mit jeder Menge Fachwerk und Lehm. Das Konzept der Gemeinschaft beruht auf dem der Arche, die in den 70ern aus der Friedensbewegung entstanden ist. Die Begründer, ein Ehepaar, sind demnach Alt-68er, ein weiteres Paar ist etwa so alt wie ich und die jüngsten Mitte 20. Zum Lebenserwerb bewirtet man den Hof, hält Schafe und baut Gemüse und Obst an. Des weiteren werden Seminare angeboten, die sich mit rechtem Menschsein beschäftigen, durchzogen von Achtsamkeit und Spiritualität, angesiedelt irgendwo in der Mitte aktueller Strömungen (Buddhismus, Christentum, Yoga, Kunst- und Stimmtherapie etc.).

Praktizierte Achtsamkeit. Speziell ich bin besonders achtsam, was subtile Anzeichen von Esoterik betrifft. Ich kann mich aber entspannen. Bis auf anthroposophisch gerundete Ecken an selbstgezimmerter Innenarchitektur und lieb gemeinten bunten Lehmfresken ist die Gestaltung der Häuser, Gärten und Felder erdverbunden und folgt praktischen Erwägungen. Es gibt Gästezimmer unterm Reetdach und in Bauwägen, gemeinsames Kochen, morgendliche Meditationen, abendliches Feuer im Garten und stündliches Glockengeläut, das zum Innehalten läd. Unsere Gruppe ist neugierig und wir schauen und fragen und prüfen die Möglichkeiten, die ein verbindliches Miteinanderleben bringen. Wäre das nicht auch was für uns?

Bevor wir einen Rundgang über das Gehöft unternehmen, schnippeln wir gemeinsam Kartoffeln, Rüben und Sellerie, von denen die Frauen des Hauses ein veganes Mittagsmahl bereiten, das in der großen Halle des über 400 Jahre alten Haupthauses eingenommen wird, einfach und sehr lecker, im Rücken Ofenwärme, obendrüber vom Alter und offenen Feuern aus vergangenen Zeiten geschwärzte Eichenbalken. Während der Begehung schauen wir in jede Ecke, die Holzwerkstatt wird gewürdigt, das Rundbeet für heimische und andere Wild- und Heilkräuter, das Zwei-Hektar-Feld mit Bauwagen weit hinten als Rückzugsmöglichkeit, romantische Sitzecken, ein uralter Brunnen, weitere Beigebäude auf plattem Land und die Scheune, in deren Nord-Ecke helle und dunkle runde Milchschafe stehen und sich sofort kraulen lassen, ihre Wolle so dick, dass die Finger kaum bis zur Haut durchkommem, während die frechen Hühner überall auf dem Gelände herumscharren. Auf laut krähende Hähne hat man auch hier keinen Bock, sobald sie geschlüpft sind, "gibt man sie weg", was auch immer das bedeutet.

Wir sehen und lernen viel. Eine grundsätzliche Frage nimmt in mir Gestalt am: Wo kommt das Geld her? Am Nachmittag ist Zeit, ausführlich darüber zu reden, wir treffen uns im Seminarraum unterm Dach des kürzlich erbauten Niedrigernergiehauses. Es gibt ein bisschen Eso-Alarm, als wir Morning Has Broken singen und etwas Rumtanzen. Ist dann aber doch ganz schön. Die Buddhistin, die auch dabei ist mit Freundin, zwinkert mir zu.

Jetzt sitzen wir alle in der Runde auf wohlgestopften Meditations-Kissen und jede/r, die Ausflugsgäste und die Bewohner erzählen von ihren Vorstellungen, Wünschen und Hoffnungen, die sich an ein Leben in Gemeinschaft knüpfen. Da wir mittlerweile einen Einblick bekommen haben, wie eng sowas sein kann, stelle ich fest, dass mir mein Leben in der Stadt, allein in einer lieben Wohnung, Freunde, die um die Ecke wohnen und einem guten Café, viel zu gut gefällt, als dass ich es gegen das hier eintauschen würde. Natürlich fehlt mir manchmal die Natur und eine geistige Gemeinschaft, all das könnte ich hier finden, in dem ich ab und an zu Besuch komme, ein bisschen im Garten buddele und in der Küche Selbstgeerntetes zubereiten helfe. So stelle ich mir das vor, und offensichtlich ist dafür auch Raum und Bedarf. Es gäbe immer viel zu tun, und gerade in den letzten Jahren, berichtet die Älteste, hätte sie weniger Freizeit denn je gehabt. Wer sich hier als Gast zurückziehen möchte, wird kaum Gelegenheit finden, sich mit einem guten Buch auf die schöne Bank dort unterm Baum zu setzen, weil jede helfende Hand vonnöten ist, das System aufrecht zu erhalten.

Da ich ausgeklügelte Finanzsysteme grundsätzlich erstmal nicht verstehe, kann ich nur grob wiedergeben, wie dieses hier funktioniert. Es gibt einen Verein, bei dem die Bewohner z. T. angestellt sind und der Geldmittel vom Staat abgreift, und eine andere Gruppe von Interessierten, denen der Hof gehört und ihn ohne Gewinninteresse an die Gemeinschaft vermietet. Die Seminare sind eine weitere Einnahmequelle und auch die Überschüsse aus der Landwirtschaft, ebenso Spenden. Es gibt eine gemeinsame Kasse, in der alles Geld verwaltet und Ausgaben getätigt werden. Wenn Arbeiten anfallen, die keiner der Bewohner ausführen kann, z. B. dieses Jahr das Reetdach neu decken, werden Fachkräfte dafür normal entlohnt werden müssen. Auf die Frage, wie das alles funktioniert, wird lachend erwidert, das wüsste man nicht ganz genau, aber es würde seit über 30 Jahren irgendwie gehen. Na, schön. Trotzdem entdecke ich den Zipfel Kapitalismus und würde gerne mal an ihm zupfen. Es gibt also Geldgeber, ohne die man den Hof nicht hätte erwerben können. Und auf die Gelder vom Staat lässt sich auf keinen Fall verzichten. Natürlich, den Versuch, vollkommen autonom zu leben, hätte man schnell als unrealistisch aufgeben müssen.

Fast schon am Ende der Runde schwebt ein weiteres Thema im Raum, die Altersvorsorge. Da die Arche-Projekte allesamt noch keine Erfahrungen damit haben, wird man es auf sich zukommen lassen. Es klingt aber schon an, dass der Friedenshof kein Gnadenhof sein kann, der seine alt gewordenen Menschen zu pflegen imstande ist. Die Älteste ist immerhin schon 74 Jahre alt, aber noch rüstig genug, um mitzuwirtschaften. Da alle Bewohner nur minimal in die Rente einzahlen konnten, wird das Wenige der Gemeinschaftskasse nicht für alle reichen, wenn jemand wegen Altersschwäche ausfällt.

Bedeutet alt oder krank sein den Auszug aus der Gemeinschaft, für die die beiden Ältesten sich ihr halbes Leben mit Leib und Seele eingesetzt haben? Um dann am Ende des Lebens verarmt in einem hässlichen Heim zu enden, wo der Pfleger nur drei Minuten Zeit für sie hat? Es macht mich traurig, dass es sich fast so anhört. Aber wer weiß, vielleicht wird auch diese Unmöglichkeit gemeistert werden.

Voller widersprüchlicher Eindrücke kehre ich zurück, kuschele mich in mein Bett und genieße Einsamkeit und Stille.