Sonntag, 11. August 2019
Es ist ein Drama mit den Geräten, wieder einmal ist das Grafikboard durchgeschmort, eine Fehlkonstruktion des 11er-Jahrgangs, einfach zu heiß. Ersatzteil gibt es nicht mehr, die Reparatur dauert, das Suchtverhalten aber lässt sich nicht so einfach abstellen, das neun Jahre alte Netbook ist zu langsam fürs flotte Surfen (Ladezeit von wetteronline ca. fünf Minuten), und jetzt sitze ich an einer Art Kindergerät mit Windows 10, angenehmer Tastatur, Touchscreen, Fingerkuppenerkennung und langer Batterielaufzeit für 200 Euro. Irgendwie toll. Wenn der Mac zurückkommt, werde ich ihn ausschließlich fürs Arbeiten nutzen und mit dem Kleingerät hier daddeln. So kann ich vielleicht noch ein paar Jahre hinauszögern, was mich ansonsten tausende Euro an soft- und hardware kosten würde. Der Browser edge ist natürlich quatsch und das windows erlaubt keine Installation von Fremdprogrammen, zu Ihrer Sicherheit, es sei denn, man löste diesen blöden Modus auf, und das ließe sich aber nicht rückgängig machen, alles klar. Ich tendiere sowieso zu Linux, aber dann geht die Garantie flöten.
Dann frag ich mich, warum muss ich auch dauernd online sein und alle fünf Minuten nach dem Wetter schauen? Wieso lauf' ich nicht durch den Rest-Sommer, schaue in den Himmel, wahlweise von einer Hängematte aus oder durch hochgewachsenes Gras, aus dem Grillen zirpen und Tautropfen perlen … und so weiter mit romantischen Vorstellungen einer rein analogen Zeit, die erst wieder zurückkommt, wenn der Strom ausfällt. Übrigens eine meiner Lieblingsvorstellungen von einer richtigen Apokalypse: Stromausfall. Noch vor Vulkanausbruch, Erdbeben, Meteroiteneinschlag oder Hochwasser.




Dienstag, 2. April 2019
Unser Cousin M. („J., du musst noch schucken!“) war vorletzte Woche mit fast 70 gestorben. Sein Bruder J. war und ist immer noch unströstlich – ich habe schon lange niemanden so sehr weinen gesehen. Letzen Dienstag haben wir M. auf seinem letzten Weg begleitet, mit Blumen und noch mehr Tränen, auch meine liebe Base U. war gekommen und ihre Tochter S., die beide seit der Beerdigung unserer Tante vor vier Jahren die mir liebsten Verwandten wurden.

Wie schön es war, gemeinsam mit U. und S. unseren Vetter J. zu stützen! Meine Hand auf seiner Schulter, wärend er vor Weinen bebte, tröstete vielleicht mich am meisten, aber das Leben eines lieben Menschen und den Abschied von ihm, der sicherlich aus dem Himmel zuschaute, mit Trauer zu würdigen, empfand ich als mindestens voller Gnade.

Wir waren bereits eine halbe Stunde früher in der Kapelle, womöglich ein klassizistischer Bau mit gemaltem Mamor, saßen still und warteten. Man konnte den Raum erlauschen, oben eine Kuppel, die mit einem Schriftband zu den Mauern hin abschloss. Auf dem Band Bibelstellen, dass der Mensch zum Fleisch, also körperlich wird, und auch ein bisschen Erbsünde klang an. Natürlich. Dieses Schriftband nun bannte weitere typografische Kräfte – vorher nämlich sank mein Mut, als ich nach vorn zum Sarg ging. M. hatte einen großen, sehr bunten Kranz aus allen zur Verfügung stehenden Primeln anfertigen lassen, woran eine dieser Schleifen befestigt war, breit, seidig, mit schwarzer Borte. Ich las Mach´s gut mein Freund und schauderte. Genauso stand’s dort, ohne Punkt und Komma und dazu noch mit Deppenapostroph. Jeder pietätvolle Gedanke wich endgültig aus mir, als ich feststellte, dass diese kleine, freundlich und liebevoll gemeinte Zeile in Comic Sans gesetzt war!

So stand es um mich, lieber Leser (und ich muss mich wohl für diesen Text entschuldigen, der zudem noch mit Stilkritik betitelt ist). Während wir nun saßen und warteten, ging bestimmt mindestens die Hälfte meiner Trauerarbeit zu der imaginären Szene, in der der Bestatter oder einer seiner Lehrlinge solch eine Schleife erstellen, vielleicht wird das alles am Rechner gemacht, in Word, und dann auf die Schleife geplottet oder wie auch immer, jedenfalls hat jemand seine Arbeitszeit, einen Teil seiner Lebenszeit gegeben, um … hier versagen ihr die Worte und sie verschwindet schluchzend im off




Freitag, 18. Juli 2014
Schwierig, die Eindrücke der letzten Zeit in Wort zu fassen. Über das klare Wasser, zum Beispiel. Das Körperende unten ansehen, die Füße leicht grünlich, und dann nah am Ufer vorbei unter Wasser die Gewächse beobachten, ein bisschen unheimlich das weiche Braun um die starren Zweige, und dort ragt, wohl vom Blitz getroffen, ein riesiger Ast tief ins Wasser, deren kleine Blätter unten schon gelblich leuchten in den Sonnenstrahlen, die direkt über meinem Körper einfallen, der einen umkränzten Schatten ins Grün wirft. Die lange Gerade schwimme ich mit dem Blick in den Himmel, auf dem Rücken, immer unter den Bäumen entlang, das Wasser dort kälter, und direkt zu mir herunter fällt trudelnd ein Samenblatt, dreht sich um und um sich, ich halte still und warte bis es auf dem Wasser gelandet ist.

Über die vielen Gedanken um das rechte Leben, die unterschwellig weiter laufen, wie ein Tonband, die Rolle zurückgespult und wieder von vorn. Dass in Kategorien zu denken, die Krux ist, der Beginn der Abtrennung von allen, immer kleinere Ordnungen und noch kleiner bis alles zerlegt ist, und doch bin ich bloß Mensch und versuche das Glück.

Über die Gespräche mit Mama, über das Sterben, und sie sagt, ihr sollt nicht weinen, darüber muss ich lachen, noch bist du und genieß es da zu sein, ich zähle ihr die Vorzüge der Körperlichkeit auf und gestehe ihr die Freiheit, diese aufzugeben, wann immer sie will. Ich begreife, dass sie lieber Dudis und meine Freundin oder Schwester gewesen wäre und nicht unsere Mutter und manchmal fühlt es sich für mich auch so an und ich musste nachlesen, was besser ist, Altruismus oder Egoismus. Altruismus ist nur eine andere Form von Egoismus, sagen die Yogis. Eigentlich sagen sie von sich, sie seien die größten Egoisten. Denn wer Selbstlosigkeit übt, hat selbst den größten Nutzen. Oder andersrum verschafft sich der Glückseligkeit, der selbstlos handelt. Und so bin ich neben Mama, manchmal fällt sie beinahe vornüber, wenn wir gehen, die Beine wieder schwächer, und ich sag, wenn du fällst, fall ich auch, weil sie wie ein Reissack einfach fällt, von meinem Arm, den sie gegriffen hat, fast zu schwer für mich, am Abend schmerzt mir die ganze Schulter. Sie wäre gern mit uns alt geworden, aber es hat nicht sollen sein, nun ist sie immer noch die Älteste von uns, ich sehe sie an und bin froh, sie gekannt zu haben. Vieles war vielleicht bedauerlich, aber das ist jetzt alles egal geworden, von allein, ich bin mit ihr im Frieden. Ob Dudi das ist, bezweifle ich weiterhin.

Zugleich sind die Mütter und Väter der Freundinnen ähnlichen Alters und Situation, der Vater der Gärtnerin ist am Dienstag gestorben, sie fuhr in die Heimatstadt und schickt eine recht lakonisch formulierte Mail, sie sei zu spät gekommen, am nächsten Mittwoch sei die Beerdigung. Und die Leserin hat auch eine Mutter wie meine und nicht mal alle sieben Geschwister zusammen schaffen es, sich auf einen Pflegeplan für ihre Greisin zu einigen, sie zanken in eigens organisierten Diskussionsrunden und die Leserin ist komplett genervt von dem selbstsüchtigen Gerede der sechs anderen, derweil die Mutter Herzangst bekommt von dichten Adern.

Die Wochen vergehen mit Regelmäßigkeit, keine von ihnen fühlt sich länger an als die andere. Ich arbeite wenig, gebe Gespartes dazu und plane extra luxuriöse Neuanschaffungen, um meine Existenzängste beherrschen zu lernen, ein Fahrrad ohne alles, bloß Rahmen, Sattel, Räder, Bremsen, Kette und Ritzel, keine Schaltung, kein Gedöns. Nächste Woche treffe ich mich mit der Mechanikerin, es wird so eine Art Anamnese, welcher Sattel (da könnte man die Diskussion um empfindliche Vulven mit einbringen), welche Griffe, welche Übersetzung und Rahmengröße, gemufft natürlich. Mindestens tausend, sagt sie, und ich hatte gehofft, ich würde mit viel weniger davonkommen, wo doch nichts groß dran ist an so 'nem Rad.

Und eine neue Arbeitsfläche zu Hause, die Gärtnerin hat einen netten Tischler an der Hand, der soll mir was bauen. Denn die Bürokollegin und ich geben das Büro auf, hauptsächlich weil sie sparen muss, um ihre Pferde weiterhin finanzieren zu können, aber auch mir passt das gut auf meinem Weg zu viel viel weniger von allem. Also auch kein Büro mehr. Ach, wie viel Zeit ging dabei drauf, ihren Berichten über arschige Pferdefreundinnen zu folgen und die supi neuen Ställe, die nach spätestens einem Jahr nicht mehr so toll und praktisch sind, und die ermüdende Suche nach einem neuen Gestüt. Dass die Freude über die Pferde nur noch einen geringen Teil ausmacht gegenüber den Nervereien, merkt sie nicht. Aber ich. Ich habe schon aufgehört, meine Anmerkungen zu wiederholen.

Ich werde dann mit dem neuen Tausend-Euro-Rad täglich an den See fahren, meine tausend Meter schwimmen, und tausend Worte sparen, über Pferde zum Beispiel oder über Komisches aus aller Welt, dem Kapitalismus zum Beispiel, oder Flugzeuge, die vom Himmel fallen – und meinen kleinen Frieden genießen.




Dienstag, 6. Mai 2014
Ist ja immer etwas peinlich, wenn man verlautbart, man habe den berühmten Künstler bereits in seinen frühen Jahren gekannt und von Anfang an beobachten können, welch großes Talent in ihm schlummert. Vielleicht ist es aber noch etwas peinlicher, wenn man solch eine großartige Karriere selbst nicht vorweisen kann. Und diese Peinlichkeit ist es wohl auch, die mich so aufgeregt macht, als ich an den Tisch trete, um zwei Exemplare seines aktuellen Buches signieren zu lassen.

Das eine ist für die Frau Montez, sage ich, und er lacht, er hätte ja schon eewig nichts mehr von ihr gehört. Schreib was Schönes, soll ich ausrichten, sag ich, sowas wie in ewiger unvergessener Liebe oder so. Ich erzähl ein bisschen von ihr, dass sie am See wohnt und weil er ein begeisterungsfähiger junger Mann ist, ist er begeistert. Und das andere ist für mich, die Frau Krabke. Ach du bist das, lacht er wieder, er lacht sowieso sehr viel, auch beim Vorlesen, wie schön, mal jemanden von damals in echt zu sehen. Wir reden über diesen und jenen, G. schreibt dort immer noch, sag ich, er, der hört wohl niemals auf, und ob ich denn noch schriebe, ja, und zwar hier, gib mir doch mal die Adresse. Und weil ich auch begeisterungsfähig bin, lobe ich ihn dann, hier hoch oben im Hochhaus bei diesem wahnsinnigen Blick über meine Stadt, über den grünen Klee.

Wie der seine Texte liest!, regelrecht vorträgt, ich frage mich, ob er auch so schreibt, ich bilde mir ein, ich spürte in jeder Zeile und in jeder der Gesten, die seine Sätze begleiten genug südosteuropäisches Temperament für zwei, trotz des Deutschen, nicht nur das, die Texte sind sehr witzig, auch die dramatischen Episoden um Tod und so. Die Zuhörer bekommen Einblick in den Schaffensprozess, die Persönlichkeiten des Buches und des Autoren. Aus dem Publikum kommen ein paar schlaue Fragen, auf die schlau geantwortet wird. Es ist ebenso begeistert und schenkt viel Applaus zwischen den einzelnen Leseabschnitten.

Selten hat mich derartiges so interessiert, sicherlich auch, weil ich selbst schreibe und auch gern. Aber mit seiner Wort- und Grammatikraserei kann ich mich in keinster Weise vergleichen! Was für eine Lust, jedes Wort zu wiegen, zu prüfen, zu verwerfen – vier Jahre hat er am Buch geschrieben – wie er Bilder ausformuliert, die der Landschaft, der Räume und Gegenstände, der Gesichter, ich bin restlos begeistert. Und das sag ich auch. Danke, bitte, danke, für den schönen Abend!




Freitag, 13. September 2013
Nun ist es soweit: Heute hat auch dieser Blog einjähriges Bestehen. Zeit für einen Rückblick, der nicht allzu sentimental ausfallen wird, denn in einem Jahr kann nicht viel Schicksal geschehen sein. Oder doch?

Die Blumen sind für mich.

Vor einem Jahr also, da musste mehr Freiheit rein ins Leben. Gebeutelt von einer der seltsamsten Beziehungen, der ich je beiwohnte, beschloss ich jene aufzulösen und mich wieder anderen Dingen zu widmen, als stundenlang zu telefonieren und über verkorkste Esoterik zu lamentieren. Ein guter Neubeginn, wie stets mit Graham Coxon, den ich sechseinhalb Jahre zuvor in Köln gesehen hatte und nun wieder letztes Jahr. Danach zur Entspannung und Vertiefung der Trennung eine Reise an den See zu Frl. Montez, gemeinsam hatten wir das Blogschreiben ausgeheckt, geplant und erneuert, nachdem wir uns eine gute Dekade zuvor in einem Literaturforum kennengelernt hatten.

Eine Jugendfreundschaft wieder aufgenommen und altes Karma besprochen, der darin erwähnte very good man ist bisher aber noch nicht aufgetaucht. Ab und an über die Busenfreundin gelästert, mit der Buddhistin ins Innere der Seele und mit der Bestenfreundin an die Baltische See gereist, irgendwann vorher auch Weihnachten, Weltuntergang und Neujahr, und ein Bild von mir. Und immer mal wieder Liebeskummer. Erinnerungen an Cornwall stiegen ebenfalls auf, und Ende März zog ich von twoday.net zu blogger.de.

Schönes und Nerviges von der Familie, die zwischendurch Aufmerksamkeit begehrt, zarte Verliebtheiten von Ferne. Das ganze Bloggen mit Stromvergeuden und -bezahlen wäre nicht möglich, wenn ich nicht auch etwas arbeiten würde, und obwohl ich die Sinnhaftigkeit des und die Qualität meines Schreibens oft bezweifele, nimmt mich Marbach in sein Literaturarchiv auf. Das (und nicht nur das) feiern die Frau Montez und ich mit einer Reise nach Lissabon und schönem Wetter daselbst, und nach diesem Kackwinter rufe ich offiziell meinen spirituellen Sommer aus, denn ohne die Gewissheit, dass da noch mehr ist, wär mein Leben öd. Allerdings verkrache ich mich mit meiner spirituellen Freundin und Ärztin, was mir einiges Herzklopfen bereitet.

Wieder mehr lesen und noch mehr schwimmen und endlich ist auch der Rücken wieder heil, der seit Monaten meine Beweglichkeit eingeschränkt hatte.

Das erste Jahr des Schreibens endet nun mit einem kühlen Herbstgefühl mitten im September. Mögen wir immer genug zu erzählen haben, immer genug Zuhörer und Leser und Strom für's Internet.




Sonntag, 25. August 2013
Dieser Blog (oder dieses Blog? – na, wenn ich schon nicht weiß, welchen Geschlechts das hier ist und schon in der ersten Zeile hängenbleibe, wie soll das hier ein ernstzunehmender Text werden, der mal wieder Furore macht unter meinen zwei Leserinnen, ach ja – naja, das Logbuch, Blog kommt ja von Weblog und so weiter, aber im Deutschen [wem erzähl' ich das] ist das Buch sächlich, also, was jetzt, das ist ja kein Buch hier sondern ein Dings, na, ein Weblog halt mit höchst persönlichem Kram, tja, warum ich das mache, fragen Sie, und ich frage zurück, warum lesen Sie's denn, Sie beide, vielleicht sind's ja auch drei, eventuell ein Mann dabei, sicherlich, weil ich hier dauernd mein Herz ausschütte, damit ich im realen Leben nicht so viel quasseln und die Freundinnen überfordern muss, denn vieles ist mir selbst manchmal fremd, wenn ich's wiederlese und ich denke dann, na, dies und jenes ist aber gut beschrieben, dann fällt mir wieder ein, dass ich so manches Mal das Synonym-Lexikon konsultiere, es sind also in jedem Text ein oder zwei Wörter, die nicht zu meinem aktiven Wortschatz gehören, zum Beispiel, hm, jetzt mal … das Wort verblüffend benutze ich im Gespräch eigentlich nie, aber in einer der letzten Aufzeichnungen müsste es sein, Sie können ja mal danach suchen, ich bin mir selbst nicht sicher, und auch das Wort Aufzeichnung habe ich nachschlagen müsssen, weil mir statt Text grad nichts einfiel) wird bald ein Jahr bestehen, aber ich melde mich nochmal, wenn es so weit ist.
Hier nun ein Bild der Zucchini aus dem letzten Beitrag:

Zucchini mit grafisch einwandfreier Textur




Sonntag, 16. Juni 2013
So, jetzt kann ich wieder für mich schreiben. Leipzig wünscht mir alles Gute und ich soll auf jeden Fall literarisch weiterarbeiten, ein Formbrief, trotzdem tröstlich, es gibt Schlimmeres. Später nochmal bewerben? Wir werden sehen, was kommt. Mein Leben scheint eine Ansammlung noch zu erledigener Erfahrungen zu sein. Vieles hatte ich schon erlebt. Ein Buch schreiben? Wäre das ein Wunsch, wegen dem ich nochmal wiederkäme? Ich "lektoriere" gerade, ich muss das mal in Anführungszeichen setzen, das Manuskript der ayurvedischen Ärztin. Sie hat geschlampt, finde ich, auf jeder A4-Seite fünf bis zehn Rechtschreibfehler, falsche Fälle, falsche Gedankenstriche, zu viele Absätze, empfindlich bin ich auch gegenüber den umgangsprachlichen Wendungen, pupsen, und die Lebensmittellisten sind viel zu lang, um sie sich zu merken.

Und wieder die Frage, warum wir schreiben. Mitteilungsbedürfnis in die leere Welt. Da ist nicht mal mehr der Wunsch nach Auseinandersetzung. Sprache als Mittel zur Selbsterkenntnis, Worte finden, Systeme, Listen. Alles Zwänge, da muss mehr Freiheit rein. Was hätte ich den Leipzigern schon auf Fragen antworten können. Alles gleich.

Aber es ist schön, sich zu Hause aufzuhalten, lesen, kochen, basteln. Pupsen. Hoffentlich ist es nicht zu spät für die Kapuzinerkresse, die achte Generation von den Ashramsamen. Ringelblumen. Und vielleicht wird ja auch irgendwas aus der Christrose. Und das Mangobäumchen, braunblättert so rum, ich hatte über es ein Lied geschrieben, eigentlich ein Liebeskummerlied an den Geräuschemann, in dem Wolken vorkommen, die hinterm Mangobaum stehen, windstille Gefühlsstille, alles in Moll.

Jetzt nichts Rückläufiges. Kein Blick nach hinten, nicht heute. Ich bin ja hier.




Samstag, 11. Mai 2013
Allerdings habe ich vorhin etwas gekocht, auf das ich nach einigen Bissen überhaupt keine Lust mehr hatte, frischen Spinat mit Spiegelei. Waren falsche Gewürze drin, sonst nehme ich nur Salz, Pfeffer und Muskat, heute hatte ich vorher im ayurvedischen Kochbuch nach passenden Gewürzen geblättert, Kreuzkümmel, Asa Foetida, Zimt, etwas Zucker und noch einen Löffel Sahne, alles viel zu viel und zu aufdringlich, die Hälfte musste ich leider wegwerfen, das mache ich sonst nie.

Jedenfalls, Super Sad True Love Story von Gary Shteyngart. Ein Gesellschaftsstück aus einer möglichen, nicht allzu fernen Zukunft. Oberflächliche, konsum- und magersüchtige Gutverdienende, die den ganzen Tag an ihren "Äppäräten" hängen, die sie mit einem unaufhörlichen stream ökonomischer, gesellschaftlicher und persönlicher Daten versorgen, niemand liest mehr Bücher, die weltwirtschaftliche Lage, besonders die in Amerika ist kurz vorm Bersten, und in dieser außerordentlich detailliert, witzig, gefühlvoll und ideenreich beschriebenen Welt trifft der Ich-Erzähler, Angestellter in einer Firma, die das Sterben abschafft, auf eine junge Frau koreanischer Abstammung.

Ach ja und ach quatsch, ich muss ja jetzt nicht versuchen, eine echt tolle Buchbesprechung zu geben, zumal ich noch gar nicht durch bin. In der letzten Zeit ist mir immer mehr aufgefallen, wie viele Leute in verkrümmter Körperhaltung zu allen Tageszeiten auf ihren Telefonen rumwischen, in der Bahn, auf öffentlichen Plätzen, Parks und sonstwo. Im Buch gibt es eine Kneipenszene, in der die umfangreichen Datenprofile aller anwesenden Personen miteinander verglichen werden, es werden automatische Attraktivitätslisten erstellt und man kann z. B. einen Fickfaktor ablesen – und sich dann entsprechend peinlich fühlen.

Noch sind unsere Telefone für andere halbwegs abgeschirmt, aber immerhin können wir uns schon gegenseitig orten, wenigstens ein Anfang. Mein Geist ist heute aber zu lahm, um aus diesem Text einen zeitkritischen zu machen. Ich erfreue mich schlicht am Einfallsreichtum der Erzählung, überlege, ob ich kurz rausgehe, die dunklen Wolken sind verzogen und jetzt im deutlichen Abendlicht der tiefstehenden Sonne wirkt die Welt friedlich, während im Buch gerade eine Revolution ausbricht. Manchmal scheinen mir Lese- von echten Welten untrennbar und ich muss meine Aufmerksamkeit sehr stark ausrichten – auf das Hier und Jetzt, das gerade sehr löcherig erscheint, je …

Und noch ein nachgetragenes Ach Ja: Eigentlich geht's in der Erzählung um Jugend und Altern und Vergänglichkeit. Und eigentlich bin ich neidisch, dass ich nicht so schön schreiben kann wie Gary. Und weil mich das so platt macht, konnte ich heute auch nicht schreiben. So ist das.




Mittwoch, 8. Mai 2013
"Ach so," rief sie, während sie mit eiligen Schnitten das Steak zerteilte, das in einer hellroten Fettsoße auf dem Teller lag, "Lissabon! Wieso hast du mir nichts davon erzählt?"

***

In zweidrei Sätzen sollen der Städtename "Lissabon", eine Frau, ein Mann und ein Steak vorkommen. Meine etwas hysterisch klingenden sind mir heute früh beim Aufwachen eingefallen.

Und jetzt sind Sie dran, bitte.




Freitag, 19. April 2013

Landsberger Poesieautomat: "Und diese langatmigen Orgasmen: Alles umsonst! Freilich verhindern wir kaum noch etwas."

Neuerdings treffe ich zufällig Leute, manchmal sind das eher wahrscheinliche Zufälle, wie vorhin, als ich im Café bei der Pasta saß, aber das schlimme ist, ich habe den Namen der Person vergessen. Aber gestern auf der Rückfahrt von Marbach, in Ludwigsburg, traf ich doch tatsächlich mit einem unglaublichen Unwahrscheinlichkeitsquotienten von wasweißich vorm Bioladen einen schwäbisch-berlinerischen Satsanglehrer, der mich im letzten Jahr in eine neue Runde Esoterik geloopt und den ich damals in mein Heim geladen hatte, damit er seinen Ideen Ausdruck verleihen möge. Bekanntlich brach ich im Herbst komplett mit der Esoterik, löschte alle entsprechenden Kontakte nicht nur aus Facebook, sondern ebenso aus meinem Gedächtnis und grübele nun darüber, welche karmischen Verstrickungen mich direkt in seine Arme laufen ließen.

Zehn Stück Cigaretten "Von morgen an nie wieder."

Das Gefühl, mit Kurt Tucholsky karmisch verbunden, wenn nicht gar eine Wiederverkörperung zu sein, mögen viele Literaturbegeisterte teilen. Ich kann mich nicht entscheiden, welches mein Lieblingsexponat im Deutschen Literaturarchiv Marbach ist: Entweder die Seidensocken von Schiller himself oder das handgetippte Briefchen von Tucholsky an Ella, sie möge sich doch gegen 6.25 Uhr abends im Stadtpark am kleinen Eierhäuschen einfinden, um zu überlegen, wie sie ihren hartherzigen Vater (mit der goldenen Uhrkette) dazu brächten, in ihre Verbindung einzuwilligen. Wer so liebenswürdig seinen Tag plant, wird nicht mit Zufällen rechnen müssen.

Ein einsamer Arbeitsplatz zwischen Kästen, in denen Buchumschläge lagern.

Ganz ohne Zufälle geht es im gesamten Archiv zu. Der Herr Archivar W., der sich zuständig für das Sammeln und Aufbewahren von Netzliteratur zeigt, führt und erläutert uns durch die ober- und unterirdischen Heiligtümer deutscher Schreibkultur seit Beginn der Schillerlocke. Hier wird nach strengen Ordnungskriterien alles des Bewahrens Würdige in Regale, Schachteln, Schränke, Ordner und andere Hohlräume hineinsortiert. Um die digitalen Kladden kümmert sich Herr W., der uns in zweieinhalb Stunden Rede und Antwort steht und uns durchs Haus und die Keller führt. Die Leserin und ich sind begeistert und hängen sichtlich an seinen Lippen, es gibt viel bisher nicht Gewusstes zu bekakeln und die ganze Angelegenheit des Archivs nimmt sich aus wie ein mit einem gewissen Wahnsinn behaftetes Unternehmen, das niemals beendet sein wird und werden kann – und wenn, dann nur bei endzeitlichem Stromausfall.

Karteiisch

Im LiMo, dem Literaturmuseum der Moderne, zeigt eine Ausstellung die Zettelkästen diverser Schreibende, auch einzeln werden wild oder ordentlich beschriftete Kateikarten zwischen Plexiglasscheiben präsentiert und die schiere Menge und Vielfalt an Themen, Rubriken, Stichwörtern wirft unsere simplen Bewusstseine wie gefältetes Gebirge auf und lässt uns erfürchtig bloß kurze Blicke und Bemerkungen tauschen.

Murmelnd ab ...

Nachtrag: Aufgrund intensiver und mir insgeheim peinlicher Recherche habe ich mittlerweile auch den Namen der Person herausfinden (nicht erinnern) können. Es ist ein recht langweiliger Name, der nicht zu der Person passt – das muss erstmal als Ausrede genügen.