Oder Ihr Essen? Nein? Ich auch nicht. Ich gebe zu, ich war mehrmals versucht, die Kamera über meinen Rote-Beete-Nudel-Eintopf mit Curry zu halten wegen des unglaublichen Orangetons, die sich durch die Mischung des Gemüses mit Gelbwurz ergibt, aber jedes Mal beschlug es die Linse und weil ich nicht wollte, dass mir das Essen kalt würde, ließ ich es. Tatsächlich gibt es einige unterbelichtete Fotos, die mich vor meiner Bücherwand zeigen, zerwühlte Haare (auf meinem Kopf) und allgemeine Unschärfe (auf den Buchrücken).

So weit war es also schon gekommen.

Am Donnerstag war ein besonderer Tag. Die Gemeinschaft der himalaya'schen Weisen und Yoga-Schüler, zu denen ich mich zugehörig fühle, hatte den Steinbock-Neumond als silence day ausgemacht, der gleiche mit dem die Chinesen ihr Neujahr einleiten, das des Pferdes übrigens. Ich verbrachte den Tag in größtmöglicher Schweigsamkeit. Auf dem Gelände mussten ein paar drucktechnische Details besprochen werden, und die Bürokollegin zeigte mir ein Filmchen, wie ihr junges Pferd das erste Mal an der Longe geht – das konnte ich wegen Niedlichkeit nicht unkommentiert lassen.

Was mir in den letzten Wochen, wenn nicht Monaten, gefehlt hatte, war shradda, Vertrauen, eine der fünf Tugenden des spirituellen Aspiranten. Alles war mir abhanden gekommen. Und während dieser zweifelnden Zeit wusste ich nicht mehr, was richtig und falsch war. Ich fand die Welt grundsätzlich schlecht. Was, wenn der Mainstream recht hat, wenn es nur das Offensichtliche gibt und sonst nichts. Dass Menschen einfach so Krankheiten bekommen, dass Kriege geschehen, das Schicksale passieren, ohne dass wir irgendeine Macht darüber haben. Es waren öde Monate, in denen ich, so wird es mir im Nachhinein klar, im Netz Antworten nachjagte. Mein vieles Gelese hatte was extrem Suchtartiges, und nichts konnte mich zufrieden stellen. Hier noch einen Blog lesen, dort noch einen Kommentar checken, im Außen etwas suchen, suchen – suchen. Vielleicht gibt es doch jemanden, der die ultimative Wahrheit schreibt und sich nicht dauernd darüber mokiert wie scheiße das virtuelle Leben (und das Leben überhaupt) ist und wie doof die Leute, die pubertäre poetry-slam-Beiträge liken. Achgottchen.

Das besondere an diesem Donnerstag ist die Stimmung, die mich umfängt als ich aufwache. Da ist Stille. Ich hatte ja die Lizenz zum Schweigen und nehme mir ausreichend Zeit, meine bös vernachlässigten Übungen wieder zu vertiefen, lasse den Rechner zum Frühstück aus und setze mich mit meiner Schale Grießbrei vor den Altar. Dort sitze ich einfach weiter und lauschte, ribbele ab und zu an einen fast fertigen Pulli herum, nehme ab und zu die Mala und mache eine Runde, während das Sonnenlicht sich langsam im Raum dreht – und ich endlich ankomme.

Wie sehr ich sie vermisst habe, die Abgeschiedenheit. Wie sehr ich mich vermisst hatte, ich konnte nichts mehr mit mir anfangen vor lauter Ablenkung. Bereits vor zwei Wochen hatte ich mir deshalb striktes Internet-Verbot erteilt, und zu meiner eigenen Überraschung fühlte ich mich damit sehr frei. Keine Erwartungen, keine Verpflichtungen. Im Netz war alles voll mit Meinungen, Meinungen und noch mehr Meinungen, fast schon war ich selbst zur Meinung geworden, eine Meinung, die notfalls angepasst werden musste, wegen der Schmerzlichkeit der Wahrheit. Meine bookmarks stecken jetzt in Unterordnern, die nur mit umständlichem Geklicke erreichbar sind, und wenn ich manchmal in die vertraute Liste schaue, schrecke ich davor zurück, sie zu öffnen, damit der sinnlose Trubel nicht wieder losgeht.

Die Buddhistin, die abends zur Meditation kommt, und ich sind uns einig über die Auswirkungen unseres hemmungslosen Netzlebens. Auch sie klagt über Unruhe im Geist und beschreibt den Rausch als Bedürfnis nach Verbundenheit, aber die Meinungen und Kommentare, die wir im virtuellen Außen aufnehmen oder abgeben, alles, was wir dort lesen und sehen, täuschen das Ersehnte bloß vor! Sie selbst sei in diese Falle getappt, war sie offline, fühlte sie sich seltsam allein, so als wäre sie vom Leben abgeschnitten, das Zuhause eine Art Grab ohne WLan. Wie absurd dieses Gefühl sei, schließen wir, denn wir sind ja ständig Teil von etwas, wir haben Körper, die Teil der Erde sind und teilen mit anderen Raum, Gedanken und Gefühle. Wir wollen Verbundenheit spüren und können es nicht, obwohl sie nur ein Fingerschnipsen entfernt ist.

Eine knappe Stunde sitzen wir in Stille auf der Matte im Kerzenlicht. Ich erinnere mich an die Morgenmeditationen in Swamis Ashram. Es ist noch dunkel draußen und in der Halle brennt einzig am Altar eine Kerze. Man sieht Umrisse regloser Gestalten, die in der Halle verteilt sitzen und sich zum Schutz gegen Mücken vollständig in ihre Tücher gehüllt haben. Während der halben Stunde wird es draußen hell, und noch später geht die Sonne hinter den Vorbergen des Himalaya auf. Diese geheimnisvolle Zeit habe ich besonders geliebt.

Ich möchte mehr von dieser Zeit! Ich bin bereit und dabei, mich wieder einmal vollkommen zu drehen.