Ja, liebes Tagebuch. Du siehst mich hier in einer seltsamen Verfassung beim Vata-Tee. Ich hatte ja heute schon einen Kaffee mit der Leserin. Auf meinem Pfad der Entscheidungen bin ich nun an diesem Punkt angelangt, von dem ich dachte, ich würde ihn nie erreichen. In den letzten Monaten und Jahren habe ich vieles beendet. Nicht weil es nervt oder etwas daran falsch gewesen wäre, sondern weil es einfach zu Ende war. Aus einem intuitiven Verlangen heraus war ich ohne Zögern auf Züge aufgesprungen, die mich fort führten, bildlich gesprochen, und habe wieder andere Züge fahren lassen – mit einer Leichtigkeit, die mich selbst überraschte.

Eigentlich wollte ich ein bisschen über Woody Allen schreiben (ohne zu dem Drama nun auch noch mein Fett dazugeben zu wollen). In der zweiten Hälfte meiner 20er, als ich studierte, hegte ich eine äußerst romantische Liebe zu ihm. Während einiger Semester rund um das Vordiplom hatten die meisten meiner Arbeiten ihn zum Thema, ob Buchtitelgestaltung, Portraitzeichnen, Plakatillustration, Verpackungsdesign, alles was ging. Sehr auffallend wohl, aber mir wenig peinlich. Vielleicht belächelte die Lieblingsprofessorin auch meine Hingabe. Ich besaß alle Bücher und Magazine, die es von und über ihn gab, ich bestellte mir sogar Drehbücher aus New York. Einmal schrieb ich einen langen Brief an ihn, den ich aber nie abschickte. Der Altersunterschied war durch meine zeitversetzte Entdeckung der Filme bzw. seiner Person eher unwesentlich.

Irgendwann war das vorbei, wahrscheinlich im Verlauf des Trennungsdramas Farrow gegen Allen Ende der 80er. Da wusste ich nicht, wem ich Glauben schenken konnte. Ich fand auch Woodys Filme nicht mehr so interessant, vielleicht fehlte mir mehr und mehr das Metaphysische oder die Witze darüber, vielleicht wurden die Themen der doch viel älteren Protagonisten mir ferner, und die meisten Filme nach Hanna und ihre Schwestern habe ich nicht gesehen, schon gar nicht, als er selbst nicht mehr mitspielte.

Vor ein paar Tagen, als Dylan Farrow ihre Vorwürfe erneut erhob und Woody darauf mit seiner Sicht der Dinge reagierte, begann auch ich wieder, hinter ihm herzuforschen. Er ist alt geworden (bloß drei Jahre jünger als meine Mutter), meine Liebe war ja nun auch schon ein Vierteljahrhundert her. Ich schaute mir alte late-night shows an, und Manhattan und Annie Hall in OF, und habe sie sehr genossen. Die Hummerszene in Annie Hall scheint mir wie aus dem echten Leben, Diane und Woody lachen ausgelassen ob ihrer eigenen Scherze. Und Paul Simon ist toll, George Gershwins Musik in Manhattan, die Szene, als er auf dem Sofa liegend in den Cassettenrecorder spricht, was sein Leben lebenswert macht. Die Dialoge aus Manhattan kenne ich fast auswendig, und die Originalfassung hat mich umgehauen. Vor zwanzig Jahren hätte ich kein Wort verstanden. – Ach, und da fällt mir noch ein, dass ein damaliger Freund, den ich beinahe zwingen musste, sich den Film mit mir anzusehen, unglaublich eifersüchtig wurde, weil ich offensichtlich viel mehr in love mit Woody war als mit ihm, der neben mir saß und jedes Lächeln und jeden meiner sehnenden Blicke auf die Leinwand beleidigt registrierte.

Liebes Tagebuch, jetzt habe ich mich gerade in der Erzählung verloren. Ich denke, du weißt, was ich dir berichten möchte. Ja genau, es geht gar nicht um Woody Allen. Sondern um die Vorbilder, die männlichen, um das, was sie zu sagen haben, das was ich davon befolgt und gewonnen habe. Und dass ich sie alle nach und nach verlassen musste, in dem Moment als ihre Botschaft in mir keimte und dann aufblühte. Du weißt, die berühmte Anweisung, den Buddha zu töten, wenn man ihn trifft.

Was ich übrigens damals nicht verstanden habe. Aber jetzt. Es gehört mehr Mut dazu, als ich dachte und noch zögere ich eine Weile.