Mittwoch, 18. Dezember 2013
Nach all den Jahren frage ich mich noch, und jetzt wieder ganz frisch, was den massiven Selbstvertrauenseinbruch an der Seite des Geräuschemannes verursacht hatte. Gestern ein par Partyfotos auf der FB-timeline eines Freundes angeschaut, auf denen der Geräuschemann, fröhlich wie ein Kind, ebenfalls zu sehen war. Ich mochte seine Fröhlichkeit, vielleicht weil ich selbst nicht zu solcher Ausgelassenheit fähig bin, jedenfalls nicht in einer Runde Fremder, offensichtlich Angetrunkener.

Ich glaube, dass wir uns jeweils mit den Augen des anderen selbst sehen, vielleicht machen Liebende das sowieso, und auch prüfen. Das Bild von mir, wenn ich mit seinen Augen auf mich schaue, gefällt mir nicht sonderlich. Eine scheue, eher weinerliche Person, die seichte Freuden anhand der Großen Fragen der Menscheit stets kaputtdiskutieren möchte und diffuse Erkenntnisse daraus gewinnt, die vielleicht später, aber nicht jetzt, interessieren könnten.

Vielleicht später. Mein Gefühl war immer vielleicht später. Bis hin zu vielleicht lieben wir uns später, in der richtigen Weise. Vielleicht warte ich immer noch auf dieses vielleicht später. Vielleicht ist das das Drama, das ich brauche und nach dem ich süchtig bin.

Auf den Fotos betrachte ich diesen zarten, ausgelassenen Mann, der allerhand Grimassen schneidet und beim Tanzen mit den Händen in der Luft wedelt. Und immer noch spüre ich mein Herz beim Zusehen.

Allerdings – das Herz. Seit drei Tagen schlägt es plötzlich ruhig und kaum spürbar. Letztes Jahr im Winter fing es an zu stolpern, und jedes Aussetzen und rumpelnd wieder Einsetzen verursachte eine kurze, heftige körperliche Panik, eine Schrecksekunde, und so ging es das ganze Jahr, bei den Aktivitäten tagsüber weniger deutlich, aber dann abends im Bett, in der Ruhe, holperte und rüttelte es in seiner Höhle herum wie eingesperrt. Jede fünfte bis zehnte Systole ein Hammerschlag, der auf einer Art leeren angehaltenen Herzschlag folgt – seltsam, dieses Vorgehen angstfrei beobachten zu können.

Aber man stirbt ja nicht dran.

Die Ayurvedin, als ich sie auf die Rhythmusstörungen ansprach, hatte auf eine Herzenssache hingedeutet. Was könnte die sein? Der Geräuschemann lag Jahre zurück, der Esoteriker stiftete auch keine Verwirrung mehr. Vielleicht die Weissagung des indischen Astrologen eines very good man, a very good relationship, der ich unbewusst, so freudig erregt, entgegenwartete? Nun ist das Jahr seiner prophezeiten Erscheinung fast vorbei, und in den letzten zwei Wochen wird da wohl auch nichts mehr gewuppt werden können. Eine Art Einsicht.

Es ist so still, lege ich im Dunkeln meine Hand dorthin. Ich lausche lange, eine Stunde, zwei, bin hellwach. Es schlägt zart, das Herz, stark und ohne Angst. Seit Tagen schon finde ich nichts schöner, als allein diesem Herzen nachzuspüren.




Sonntag, 15. Dezember 2013
Also los, ich hab ja grad nichts anderes zu tun:

1. Winterdepression?
Dunkelheit ist nicht mein Schlimmstes, manchmal nachts mache ich alles im Dunkeln, aufstehen, mit Finger im Glas Wasser eingießen, etwas trinken, durch die Wohnung gehen und aus dem Fenster schauen, nach iPod und Kopfhörer suchen und etwas anhören, wenn ich nicht schlafen kann, für einen polaren Winter, sogar ohne Strom, dafür aber mit Sternhimmel wäre ich gewappnet. Aber der letzte Winter, tatsächlich, der hat mich zermürbt und die Knochen dazu, Schnappdaumen und verdrehter Rücken. Es war zuerst der Körper, der deprimierte, nach weiteren Monaten die Seele hinterher.

2. Barfuß oder Lackschuh?
Weder noch. Ich mag nicht mit nackten Füßen auf etwas Unbekanntes treten, da sind sie empfindlich. Der Lackschuh ist hoch oder flach? Egal, lieber etwas Robustes, damit kann man durch Dreck laufen und das wär nicht schlimm. Seit vorletzen Sommer trage ich keine Sneakers mehr.

3. Rotwein oder Weißwein?
Rot, bitte. Helle Getränke sind da, um den Durst zu stillen, wie Bier, das geht bei Wein nicht, wegen früher Trunkenheit. Rot sieht schön aus im Winter, rot macht warm und schmeckt nach fremden Ländern.

4. Flugzeug oder Bahn?
Bahnfahren finde ich immer noch aufregend, sogar wenn es kurz zur Mutter in die Kleinstadt geht, manchmal stehe ich am Gleis und habe Herzrasen bis ich einsteige. Beim Fliegen ist es schlimmer, der Ausblick, gewiss, ist toll, und die Wolkendecke von oben mit ihrer scheinbaren Festigkeit, trotzdem für mich zu aufregend. Wenn nicht jemand dabei ist, dem ich gehörig ins Bein kneifen kann, bin ich verloren. Einmal saß ein alleinreisendes Mädchen neben mir, von Helsinki nach Hause, es hat geweint, trotz Buntstiften und der Aufmerksamkeit der Stewardess, wahrscheinlich vermisste es seine Familie, die es auf solch eine Reise schickt. Eine gute Gelegenheit. Ich habe eine Stunde lang mitgeweint. Da saßen wir und weinten.

5. Feminismus?
Was weiß ich. Ich bin da raus. Ist mir zu theoretisch und hilft nicht gegen unglücklich verliebt sein.

6. Vorbilder?
Verdammt. Graham Coxon. Wegen der Musik, oder Billy Corgan. Swamiji, wegen allem. Gestern dachte ich, Swamiji ist die einzige wahrhaftige Person, an die es sich lohnt ausiebig zu denken. Das hat mir gefallen.

7. Ziele?
Die Frage hatten wir doch schon mal, oder? Befreiung. Moksha.

8. Reisen?
Ich habe nicht alles von der Welt gesehen, aber vieles, das ich sehen wollte. China, Hong Kong, Finnland, Indien. Als ich dann in Indien war, fiel mir auf, dass ich immer schon nach Indien wollte, mein allerfrühester Reisewunsch. Hatte ich vergessen, bis ich da war, 30 Jahre später. Island möchte ich noch sehen, oder Grönland, ganz besonders die Nordlichter.

9. Glaube?
Mein Glaube verdreht sich manchmal zu Zweifel, wenn ich verzweifelt bin. Was, frage ich mich dann, wenn Herr Mainstream recht hat, und das schon alles war? Ansonsten kenne ich Töne vom Hören, Farben vom Sehen, und weiß weit mehr, als andere bloß glauben.

10. Lieblingsfilm?
Also, heute isses GRAVITY (heute nachmittag gleich zweimal hintereinander gesehen). Beachtliches Gedöns. Sonst vielleicht Matrix. Oder Karate Kid mit Jackie Chan. Oder Das Haus am See, schlimm. So Filme, die die großen Fragen zum Thema machen. Oder welche mit besonders großer Kitschigkeit.

Zusatzfrage: Große Koalition?
Große Langweiligkeit, oder? Die Großen Fragen werden so nicht geklärt werden können.

Vielleicht würde ich morgen anders antworten. Was sagen Sie denn zu folgenden (blind gesammelten) Stichwörtern, Frau Trippmadam? Oder Herr Froschfilm? Oder wer sich sonst noch angesprochen fühlt?

1. Weltgewandt?
2. Verlangen?
3. Schmöker?
4. Zelten?
5. Lächeln?
6. Enthaltsamkeit?
7. Wissenschaft?
8. Grimm?
9. Betäuben?
10. Wandbehang?




Samstag, 14. Dezember 2013
Hier ist eins. Läuse auf den restlichen Ringelblumen, ein Trauerspiel.




Es ist so ein Ziehen und Zergeln, das von der Welt ausgeht. Ich kann gar nicht erfüllen, was die Gier verlangt. Lasst mich doch mal! Und wenn es dann doch wie ein langer ruhiger Fluss ist, das Leben, grenzt es an Langeweile. Vorhersehbare Hochzeiten, hohe Zeiten, mit einem langen o, die im ersten Moment viel versprechen, dann aber mach ich trotzdem nicht los, weil sie viel zu vorhersehbar sind.

Und so surfe ich auf Wellen, mal in ihren Tälern, die mit Weltlichem mir die Sicht nehmen, mal auf den Kämmen, in Höhen mit unendlichem Blick, der Weisheit feilbietet, als wäre das Ziel schon erreicht. Auch nur eine Ware, denn dann geht es wieder hinab in rasender Wut, und alles Proviant gleich mit, verschlungen. Dann frage ich mich auch, was ich eigentlich hier mache. Wozu der Körper, wozu ein environment, aus dem man nie herauskommt, man könnte verreisen, dort sieht es anders aus, blauer Himmel vielleicht, oder ein warmes Meer, aber der Rest ist gleich, handeln, konsumieren, in einem Körper sein, das gleiche Ziehen der Welt, das gleiche Verlangen. Es ist unmöglich, es zu vermeiden.

Aber, wenn es kaum noch zu ertragen ist – die Wende. Nach oben, auf einem meerfarbenen Sog. Wie dieser Moment mich zu beglücken vermag, nichts, was mich aufhält, und oben, oben

– ist es schön. Stille. Leichtigkeit.

Deshalb ist der Weg klar und das Ziel ebenso, weil beide eins sind, wirklich.




Donnerstag, 5. Dezember 2013
Bestimmten Themen kann ich mich nur gefühlsmäßig nähern. Da machen dann Argumente und Zahlen keinen Sinn, die ich dann sowieso nicht verstehe oder zum Beispiel derart, dass Gegenargumente zu Frau Schwarzers Texten für mich wie Pro-Argumente zum Körperverkauf klingen. Woraufhin ich sofort das Interesse an einer so geführten Auseinandersetzung verliere. Aber gären tut es trotzdem.

Dass Sex etwas Heiliges sei, wie die östlichen Lehren weise sagen, und die Körper die Tempel unserer Seelen. Dass körperliche Freude nicht käuflich sein kann, sondern ein Geschenk sei und eine Gnade. Wo allein schon der Besitz eines Körpers und ihn zu bewohnen Freude ist und Gnade.

Meine eigenen Erfahrungen bestehen aus Beidem, aus dem puren Glück, das Körperlichkeit bringen kann, aber auch aus jenem Austausch des erwarteten Gutes (denn Erwartungen haben wir immer, sonst würden wir gar nicht handeln) zwischen zwei Personen, der tatsächlich einem Handel gleichkommt – nicht mit Geld, aber trotzdem bezahlt. Aufmerksamkeit, Lust, Hingabe, Nähe, Geborgenheit sind schöne Attribute der Ware; Sorge, Begierde, Angst, Konfusion, Verzweiflung ihre unangenehmen Begleiter. Liebe is' was anderes.

"Darüber die schnöde Sexobjekthaftigkeit der ganzen verdammten Welt erkannt, und gestaunt." Hier zitiere ich mich selbst. Ich könnte das jetzt noch ausführen, aber lasse es damit gut sein. Ich weiß ja, was ich meine.




Montag, 2. Dezember 2013
Die Leserin und ich stehen an der Haltestelle Tannenstraße und warten auf die Straßenbahn, die uns zu unserem Domizil im Gewerbegebiet bringen wird. Wir sind erstaunlich betrunken für zweieinhalb Gläser Rotwein und faseln bereits. Wir vertragen ja nichts mehr. Ich hatte mir eine schöne Blog-Überschrift ausgedacht, aber schon bald restlos vergessen, worüber wir überhaupt so angeregt gesprochen haben, des Nachts dort in Dresdens Neustadt.

Mit der Leserin ist gut kurzreisen. Schon die ewig lange Bahnfahrt vergeht wie nichts, wir müssen nicht mal das Kartenspiel rausholen, um eine Patience zu legen, zack, sind wir in Leipzig zum Umstieg, essen Kuchen am Bahnhof und bald schon laufen wir durch die vielen Weihnachtsmärkte Dresdens. In jedem halbwegs geräumigen Winkel der Stadt befindet sich eine Ansammlung Glühweinhütten und Häuschen mit Billigkrempel und gebranntem Nusswerk. Welcher nun der berühmte Striezelmarkt ist, will sich mir nicht erschließen, wir sind hier auch nicht zum Striezeln, sondern zwecks einfachen Daseins. Und die Sixtinische Madonna müssen wir unbedingt ansehen, die hängt im Zwinger.

Vor ziemlich genau zehn Jahren war ich hier mit dem Jungen Mann, die Frauenkirche war noch nicht ganz wieder aufgebaut, und auch diesmal finden die Leserin und ich keinen Einlass, weil das ZDF ein Konzert vorbereitet. Ein eigenartiges Gefühl verursacht mir der Anblick einer ebenso großen wie tiefen Baulücke, vor zehn Jahren frisch ausgehoben wegen imposanter städtebaulicher Pläne, wie mir der Junge Mann erklärte – und jetzt, wie nach einer Zeitreise, starrt eben dieses leere Stück Stadt, gewaltig wie einhundert nicht gebaute Schwimmbäder voller Gestrüpp zu uns nach oben.

Wir laufen zwischen den bedeutungsvollen Gebäuden herum, durch Menschenmassen und Wogen dieses peinlichen Dialekts quetschen wir uns bis zur Elbe und erklären uns gegenseitig halb-, viertel- und noch weniger gebildet die Stadt, dort die mittlere Brücke, auch die Mittlere Brücke genannt, die anderen heißen Rechte und Linke Brücke, hier das Gebäude aus der Bierwerbung, der Zwinger müsste es sein, ja, die Madonna schauen wir morgen an, wieso hängt die eigentlich hier und nicht in Florenz? Ein Geschenk an die Stadt? Eine Auftragsarbeit? Geklaut gar? Das werden wir alles im Internet nachlesen, wenn wir wieder daheim sind, verprechen wir.

Mit beiläufig eingestreuter Kapitalismuskritik vertreiben wir uns die knappe Zeit, die beuten sich alle selbst aus, sage ich nicht nur einmal zur Leserin, kaufen fast nichts, jedenfalls kein Nippes, sondern Suppen, koreanische Reis- und Nudelgerichte zum Abend, Wein zur Nacht, Croissants zum Frühstück und finnischen Lachs zum anschließendem Mittagessen. Der Erwerb eines Rentierfells steht zur Debatte, das können wir aber ebenso gut auf dem heimischen Weihnachtsmarkt.

Jetzt schnell zur Madonna. Mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu Unendlich treffen wir den Exmitbewohner der Leserin nebst Liebhaber, ein freudiges Hallo entfacht sich dort im Treppenhaus, es ist einfach erstaunlich. Eine für 14 Uhr anberaumte gemeinsame Kaffeezeit (incl. Gespräch über alte Zeiten) ergibt den Verzehr von fünf Stücken Torte, die allerdings ausnahmslos in des Exmitbewohners Lovers Magen landen! Es gibt ein wenig Beziehungskritik.

Ja und endlich betrachten wir die Madonna, die Raffaelo Santi für den Hochaltar der Klosterkirche San Sisto in Piacenza 1512/1513 gemalt hat. Das Bild ist riesig und während wir davor stehen, verlieben wir uns unsterblich. Anhand von Vergleichen mit anderen Werken, die hier ausgestellt sind, erkennt auch der Ungeübte die herausragende Meisterschaft Raffaels. Die geometrische Bildkomposition ist mir beinahe hörbar: wie sich das Tuch der Madonna in einem imaginären Windstoß nach rechts bauscht, um die Mittelachse nicht zu gefährden, wie sich die Blicke der Personen kreuzen und zu anderen Bildelementen führen, wie die Farben der Kleider sich zueinander bekennen – und dann der Blick des Kindes, sein entspanntes Lehnen in den Armen Mariens, wie beider Augenpaare mit Sixtus' Augen eine Linie und ihre linke Brust zart gewölbt mit dem angezogenen Bein des Kindes eine Parallele dazu bildet, wie Sixtus' beschatteter Finger durch den hellen Ärmel kontrastiert zu uns hin zeigt, ach, und die hübschen Füße der Madonna und all die anderen unglaublichen Einzelheiten des Gemäldes – grandios! – Die erheiternden Putten unten am unteren Rand haben eigenständige Berühmtheit erlangt.

So, genug der Worte, damit ist die Reise auch schon fast erzählt. Wir kaufen mehrere Postkarten der Madonna, auf einer zeichnen wir während der Rückreise alle Linien, Kreise, Ovale, Quadrate, Dreiecke und Bögen nach, die wir erkennen können.




Donnerstag, 28. November 2013
Die Frau Montez hat mich eingeladen.
Dankeschön, bitteschön.

1. Warum bloggst du? Könntest du deine Zeit nicht sinnvoller nutzen?
Natürlich, aber ich tu's nicht. Ich schreibe für mich und damit ich diese meine Welt verstehe; in Worte fassen, was mich Nachts nicht schlafen lässt; mir die Welt zusammenreimen. Vielleicht interessiert's ja wen.

1b. Wieviel Zeit geht täglich drauf fürs Bloggen? Und wann schreibst Du?
Meist abends oder Nachts, wenn ich Muße habe. Seltener Morgens, dann ganz früh, wenn mich eine Idee nicht schlafen lässt. Manche Texte benötigen Stunden, manche, kürzere, entstehen Wort für Wort im Kopf und dann brauche ich sie bloß abzutippen (so wie heute den vor diesem).

2. Welcher Artikel aus anderen Blogs ist dir spontan im Kopf geblieben? (nicht zu lange nachdenken)
Da muss ich aber lange nachdenken! Also keiner.

3. Dein absoluter Lieblings-Artikel in deinem Blog? (bitte mit Linkangabe)
Oh, mal schauen. Vielleicht dieser?
http://charlesbee.blogger.de/stories/2281189/
Weil ich beim Schreiben sehr gelacht habe.

4. Welchen Blog empfiehlst Du?
Neben den üblichen, die alle empfehlen, lese ich die Sturmfrau gern.
http://sturmfrau.blogger.de/
Und bei der Frau Montez schaue ich sowieso immer rein.
http://montez.twoday.net/

5. Welches Thema liegt Dir am meisten am Herzen?
Leben, Selbsterkenntnis, Sterben, äh... nur eines? Dann Selbsterkenntnis.

6. Freundschaft. Hast du mehr Freunde im Internet, oder da draußen?
Viertel:dreiviertel. Allesamt sind es sehr langlebige Freundschaften.

7. Ganz ehrlich und unter uns: wie oft checkst du die Statistik deines Blogs? (falls du eine hast)
Bis vor einer Woche hatte ich keine Statistik, und an dem Tag, an dem ich sie installiert habe, saß ich Stunden davor, das war sehr aufregend. Jetzt schau ich nicht mehr so oft. ("Unter uns", haha.)

8. Kennt Deine Familie (falls Du sowas hast) Dein Blog?
Ja, ich habe eine Familie, und die weiß, dass ich online schreibe, aber sie weiß nicht wo und was.

Und wie finden die deine Bloggerei?
Ich schrub 2002-03 ein Online-Reisetagebuch während eines Auslandshalbjahres, damit meine Familie und Freunde wissen, wie's mir in der Ferne ergeht. Besonders mein Vater mochte es sehr.

9. Verhältst du dich manchmal noch wie ein Kind? Wenn ja, in welcher Situation?
Ich bin ein Kind :P Ich nehme meistens nichts ernst, obwohl ich manchmal in einen ausdauernden Sorgemodus falle. Diese Gewohnheit versuche ich mir aber abzugewöhnen.

10. Was würdest du anders machen, wenn du mit den Erfahrungen von heute noch einmal neu im Alter von 14 Jahren beginnen dürftest?
Ich würde auf Sex verzichten.




Seltsame Gespräche über den Geschmack von Schnäpsen geführt, ebenso eigenartige Emails über bemalte und enthaarte Körperbereiche verfasst und bekommen. Darüber die schnöde Sexobjekthaftigkeit der ganzen verdammten Welt erkannt, und gestaunt. Was Erwachsene so machen. Ich mag nicht mehr teilhaben, bin in Wahrheit noch nie Spielerin in dieser oberflächlichen Kulisse der Selbstdarstellung gewesen. Betteln nach Aufmerksamkeit, und alles nach außen, außen. Cool sein, bunt und bedeutsam mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Die einen die, die anderen Andere. Wie erschöpfend nur und sinnlos das ist.

Wieder andere haben ihre Musen; ich bevorzuge mein memento mori.




Samstag, 23. November 2013
In der Küche gibt es nun ein neues Möbelstück, auf dem man gleichzeitig sitzen und darin Dinge verstauen kann, die immer so rumstehen. Die alte Bank ist für einen Spottpreis verkauft, vorgestern kamen zwei junge Frauen, um sie abzuholen, ein friemeliges Kind hatten sie in einem dieser Tragesitze dabei und nachdem sie ein paar Geldscheine dagelassen hatten, trugen sie gemeinsam die Bank runter und ich ihnen das Kind hinterher. Als wir unten waren vorm Auto, ich mein', ich wohne ja nicht in einem Hong Konger Hochhaus im 23. Stock, sondern bloß im dritten, war das Kind eingeschlafen. Ich wirke immer so auf Kinder, sie schlafen einfach ein. Neben mir, an mir dran, notfalls auf mir, wenn sie noch so klein wie Katzen sind. Katzen auch, ich will bei dir schlafen, sagen sie dann und ich gebe gewöhnlich nach.

In der Küche ist also wieder gut sitzen. Allein. Ohne Katzen, ohne Kinder. Ich tendiere zum Alleinsein, immer mehr. Hatte ein paar schwache Lichter angezündet und gesessen. Stunden. Ab und zu war ich aufgestanden, einmal, um die Gewürzgläser nachzufüllen, ein anderes Mal, um den Salbei von alten Blättern zu befreien und ihn schön zu zupfen, ein weiteres Mal, um etwas Geschirr zu waschen, dann nochmal, um das Schubladenschränkchen an eine andere Stelle zu ziehen. Für das Zurechtrücken der Gegenstände auf dem Tisch musste ich nur den Arm strecken. Die Kerze etwas mittiger, die Mala beseite, das Büchlein, in dem ich die Anzahl der rezitierten Mantras notiere, dorthin. Ein perfekter Tisch.

Ich dachte an Don Juans Erklärungen zum Tonal und Nagual. Das Tonal umfasst alles, was sich auf dem Tisch befindet, das Nagual ist alles was außerhalb ist. Das Tonal ist die Maya, das Nagual das Nichts. Der Tisch die Prakriti, der Nicht-Tisch der Purusha. Es ist schön, wenn die Begrifflichkeiten in ein Gleichgewicht fallen, und eigentlich verstehe ich erst seit ein paar Wochen, dass diese Begriffe gleiche Konzepte beschreiben.

Um das Nichts zu erfahren, müsste man aus der Maya erwachen, aus der Illusion. Außerhalb der Maya ist alles bedeutungslos, was innerhalb der Maya zu Freuden oder Sorgen und schlaflosen Nächten führen kann. Ich wollte heute mit der Buddhistin darüber reden, bei Galao und Törtchen, aber wir hielten uns zu lange mit anderen Themen auf und dann musste sie zurück an den Schreibtisch, sie studiert nebenbei was anderes, und ließ mich an den Tischen und Stühlen und dem, was außerhalb ist, sitzen. Allein, wandte ich mich wieder meinen Überlegungen zu. Alles Illusion.




Freitag, 22. November 2013
In der SZ las ich heute "Haut ab". Über eingesessene Berliner oder nicht so eingesessene, die Fremde vertreiben möchten. Für mich wären Häutungen eine Spur zu brutal, dachte ich eine Textspalte lang, bis ich merkte, dass die Fremden zum Abhauen aufgerufen werden. Schade, doch keine Splattereien auf offener Straße. Fremde vertreiben ist genauso zweideutig wie Haut ab – Vertrieb von Fremden und anderen Häuten.

Auch Berlin bleibt für mich zweideutig. Vor ein paar Jahren reiste ich zwecks Beziehungspflege regelmäßig in die Stadt. Wie sich herausstellte, war unser Zusammenkommen (lieber Leser, Sie können daraus jetzt gern zusammen Kommen machen, das macht mir nichts) für die Gegenseite hautpsächlich körperlich, obwohl ich selbst all diese Reisen aus anderen Erwägungen unternahm. Mir war nämlich durchaus ernst. Ich bildete mir sogar ein, unsterblich zu lieben, und dass dies was ganz Großes sei. Naja. Ich glaube das noch immer, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Jedenfalls ist die Stadt unauslöschlich mit den körperlichen Freuden verbunden, die der Mann und ich uns gegenseitig bescherten. Entweder wir kamen gerade aus dem Bett und liefen, noch durchströmt von verschiedensten Gefühlen, durch die Kulissen oder wir liefen durch die Kulissen zurück ins Bett, um uns weiteren Gefallen anzutun. So ging das viele Monate, wenn nicht Jahre und machte Berlin für alles andere untauglich. Heute noch erinnert mich jede Hauswand, jede Sehenswürdigkeit, die Art der Bürgersteigbepflasterung, die Negativausschnitte des Himmels zwischen den Häusern, einfach alles immer noch daran und meist bin ich darüber wütend und mache den Mann dafür verantwortlich. Es gibt vieles, das ich sehr mag, architektonisch oder auch vom Wetter her, gleich welchem, aber dauernd rutscht mir unser damaliges Treiben in das Gegenwartsempfinden wie äh, Treibsand. Ich war dünnhäutig, scheu und lief mit Verhaltensstörungen an der Seite des Mannes durch die Stadt, der sie mir präsentierte, als hätte er sie selbst gebaut. Ich könnte auch sagen, der sich mir präsentierte, als hätte er sich selbst gebaut. Was ja auch stimmt, denn der Geist erschafft den Körper.

Wo war ich? Jedenfalls. Heute mag ich die Menschengesichter. Es ist mir eine Freude, in sie zu blicken, als blickte ich gerade jetzt in all die Wahrheiten, die sonst versteckt sind. An diesem nebeligen Tag leuchten sie mich an. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie blieben.




Dienstag, 19. November 2013
Auf Mamas Schreibtisch, an dem mein Vater früher Arbeiten korrigierte und Klassenbücher führte, d. h. nicht führte, weil er seinen Unterricht, der wenig mit den amtlich vorgegebenen Inhalten gemein hatte, aus dem Steggreif zu geben pflegte – jedenfalls liegt dort ein bereits von Mama geöffneter Trauerbriefumschlag, dessen Inhalt ich entnehme – G., der Mann einer Kusine meines Vater ist kürzlich gestorben. Ach, rufe ich durch den Haushalt, G. ist ja gestorben und Mama kommt herbei und berichtet, dass sie schon mit der Witwe telefoniert, die sich sehr gefreut hat, waren doch beide Paare früher ausgiebig befreundet und nicht nur lose verwandt, bis mein Vater dem G. den Stinkefinger gezeigt hatte, dazu macht Mama eine etwas verunglückte Handbewegung und hält einen Zeigefinger hoch. Ich komme nicht dazu, ihr zu erklären, dass es der Mittelfinger sein müsste, sondern frage halb entrüstet, halb belustigt nach dem Grund für Papas Grobheit.

Das war damals, als Papa die Andere Frau hatte, und Papa und G. sich über irgendeine Sache heftig gezankt, an die sich Mama aber nicht erinnern könne. Jedenfalls behauptete G. während einer väterlichen Klo-Abwesenheit, der Grund für Papas brüske Verstimmtheit sei wohl eine heimliche Freundin. Das hatte Papa aber durch die hellhörigen Wände des Hauses vernehmen können (die verdammte Hellhörigkeit meines Elternhauses verdiente mal einen eigenen Beitrag), woraufhin der Besuch der Verwandten frühzeitig endete, was von Papa mit eben jener obzönen Geste begleitet wurde. Danach trafen sie sich nie wieder, weil G. sich weigerte, obwohl seine Frau gern den Kontakt bewahrt hätte.

Ich bin ja immer begeistert über Katastrophen, dies schien eine solche zu sein und ich grinse in Mamas Richtung. Im weiteren Verlauf erzählt mir Mama noch andere Geschichten, die mir teils neu, teils entfallen sind. Alle haben im weitesten Sinn damit zu tun, dass meine Großmutter väterlicherseits der Ansicht war, über verschiedene Dinge dürfe nicht gesprochen werden. Meistens hatten diese Dinge mit den schwarzen Schafen der Familie zu tun, oder mit den Behinderten, die dieser Familie (ganz besonders ihr) derart zu schaffen machte, dass sie verheimlicht wurden. Die Großmutter war dabei strikt. Und so wurde mir erst als sie Ende der 80er starb und plötzlich alle ihre Geheimnisse ans Licht kamen klar, dass der stadtbekannte leutselige Behinderte M., den wir auf der Straße immer mieden, mein richtig echter Cousin war, und sein jüngerer Bruder, den ich nur vom Namen kannte, dann ja wohl auch.

Es war berührend zu erleben, wie liebevoll Mama mit ihm umging, als wir nach dem Tod des so rigoros schweigenden weiblichen Familienoberhauptes ihm endlich frei begegnen konnten, er hatte etwas sehr Charmantes und äußerst Warmherziges und natürlich sah man die Familienähnlichkeit, spätestens in seinen Augen konnte ich sie erkennen und mein eigenes Herz sprang vor Freude wie in einem Kitschfilm, wenn der verstoßene Sohn endlich sein rechtmäßiges Erbe antreten kann oder die nichtsahnende junge Deutsche entdeckt, dass sie eigentlich die Maharani von Sowiesostan ist. (Ein wie ich finde brillianter Kitschfilm übrigens, der von einer wichtigen Programmzeitschrift nur mit einem Zeigefinger, quatsch, mit einem rosa waagerechten Daumen beurteilt wurde.)

Die andere Kusine und der Cousin (meines Vaters) wurden ebenfalls durchgehechelt. F-G, evangelischer Pastor, dessen Frau vorher schon mal verheiratet war, fand ebenfalls vor den Augen der, äh, meine Großmutter war dann ja wohl auch deren, naja, jedenfalls war R., die Frau des Pastors, die ich immer irgendwie mochte, für die Matriarchin indiskutabel, während Mama berichten konnte, dass F-G, der Pastor, so offensichtlich kleine Mädchen mochte, dass sie es vorzog, ihrerseits den Kontakt zu meiden. Wie hast du das denn gemerkt, frage ich? Der mochte uns (Schwestern)? Irgendwie guckt sie schelmisch, ja, sagt sie, der mochte alle Mädchen, auch mich. Es freut mich, dass sie sich immer noch für ein Mädchen hält, so wie sie das sagt. So, und die dritte Kusine hatte schon mal gar keinen Mann, die war Lehrerin und so spitznasig, wie's nur geht.

Wir reden über das Gefühl, wenn die Inhalte halbgeahnter Heimlichkeiten aufgedeckt werden. Wie erschütternd und gleichzeitig aufregend und befreiend das ist, weil man dreißig Jahre lang ein Wissen verspürte, das als falsch dargestellt wurde oder nicht von Belang. Natürlich ist es von Belang, dass die echte Maharani von ihrer wahren Bestimmung abgehalten wurde. Genauso ist es von Belang, dass plötzlich Cousins verschwinden, die man in der frühen Kindheit gekannt und geliebt haben muss und die uns auf Fotos wohl wie Geister erschienen.

In der Nacht träumt mir, dass ich von einer älteren Frau verfolgt werde. Ich weiß, sie möchte mich gern töten. Oder sie muss. Und so fliehe ich natürlich vor ihr, was sonst. Es gelingt mir, sie in den Häusern meiner Kindheit abzuhängen, es sind auch die Häuser der Groß-Kusinen dabei, mit Birken bestandene Sträßchen, durch Gärten und Schulen und Mädchenklos, der ganze alte Mist wie's aussieht – es gelingt mir lange, sie abzuschütteln. Als ich aber nach Hause komme und die Tür aufschließe, schaue ich beiläufig auf meine Türklingel. Es ist mir bekannt, dass diese Frau die gleichen Initialen hat und nun stehen unsere jeweiligen drei Großbuchstaben im Blocksatz übereinander gedoppelt auf meinem Klingelschild. Mit Entsetzen erkenne ich, dass sie nicht nur bei mir wohnt, anscheinend schon immer, sie ist sogar ich.
Wir sind ein und dieselbe! Wie furchtbar. Dann wache ich auf.




Sonntag, 17. November 2013
Unter obigem Motto fahre ich heute zu weiteren Versuchszwecken am offenen Ich in die nächstgrößere Stadt. Eine weitere Person wird anwesend sein und die Ergebnisse sichtbar machen, eventuell beeinflussen, eventuell auch nicht. Aber so ist es ja immer. Das ganze Leben ist so ein Dings, ein Testballon. Am besten er platzt.

Nachtrag: Ein erstes Fazit: Wie beruhigt ich jetzt bin. Weil es sehr, sehr liebenswerte Män Menschen gibt. Das klingt beliebig oder gar simpel, ist es aber natürlich nicht.

Und hier noch ein Bild zur Versuchsanordnung: