Topic: Auf Reisen
Der Besucherandrang – er lag wohl an den vielen interessanten Suchbegriffen, die sich hier finden ließen – hat nachgelassen und nun kann ich wieder schreiben, ohne dass es jemand merkt. Nach einer kurzen Reise an die See ins Rostocker Umland mit der lieben Freundin D. bin ich bei Walter Kempowski gelandet. D. und ich sind vor der Abreise ein paar Stunden in der Stadt herum und ich hätte gern das Kempowski-Archiv besucht, es war aber leider noch geschlossen. Auch mein Bildhauer war damals ein großer Anhänger des Schriftstellers und hatte einen kurzen Briefwechsel, in dem Notizen und Gegenstände seinen Besitzer wechselten.
D. und laufen viel an Warnemündes Stränden Richtung Ost und West, D. traut sich sogar in die kühlen, stürmischen Wogen; sie ist glücklich. Unser Domizil, ein reetgedecktes Ferienhäuschen, besticht durch die schiere Menge maritimer Abbildungen – praktisch jeder Gegenstand im Haus ist bedruckt mit Ankern, Leuchttürmen, Muscheln, Seesternen – wie eine überbordende Flut, die Badewannenvorlagen, Lampenschirme, Tischsets, Tassen, Bettwäsche, Sofakissen, Handtücher und Vorhänge erfasst hat. Wenn ich einen Kommentar ins Gästebuch schreiben würde, dann darüber. Nicht ohne Ironie. Nicht ohne einen Ankeranhänger oder so.
Ja, die See war rau und laut, dunkelgrau und himmelblau, dort Richtung Westen diese phantastische Steilküste und der Gespensterwald, jedes Jahr nimmt die See durch ansturmbedingte und Erosion 35 cm vom Ufer, einiges ist schon herabgefallen und diese Treppe zu nehmen ist eigentlich verboten, man sieht, wie ihre Ständer auf hinzugefügten Zickzack-Betonsteinen notdürftigen Halt finden, wir sind trotzdem hoch, um den gleichen Weg zurück zu vermeiden.
Im Hintergrund tue ich mich schwer mit den Briefen zwischen Rilke, Zwetajewa und Pasternak, die ziemlich genau vor 100 Jahren gewechselt wurden. Mir gefallen ihre gegenseitigen Liebesbekundungen, ihre großen, über die Ferne erlebten Gefühle füreinander, einzig aufgrund einer bestimmten Wortkunst, einer bestimmten Zeile und überhaupt – sie sind Dichter, aber ihren Ausschweifungen kann ich größtenteils nicht folgen, weniger wegen der Sprache oder fehlender Seelenverwandtschaft, eher vielleicht wegen mitschwingender politischer Gegebenheiten, die ich nicht verstehe und wechselnder Aufenthaltsorte hier und dort und bereits vorhandener Ehepartner. Marina Zwetajewa schreibt Rilke anscheinend in Deutsch und ich mag ihre Wortsuche, Wortspiele und -ableitungen, die sie schreibend entdeckt (so mache ich es ja auch). Rilke war nach seinen Reisen nach Russland hingerissen von Land und Kultur und lernte die Sprache schreib- und sprechbar in nur einem Jahr!
Mich hatte ebenfalls von Zeit zu Zeit die Fernliebe ergriffen und zu lyrischen Wortfolgen verleitet. Ebenso könnte ich mir vorstellen, eine Inkarnation von Marina zu sein, das dachte ich schon bei Paul Klee und sicherlich auch bei Huckleberry Finn, Tarzan und Robinson Crusoe. Um meine poetische Fassenskraft weiter zu üben, habe ich nun ein Buch von Arnim Risi bestellt, der sich als eine Inkarnation von Hölderlin meint. Auch er eine Inkarnation von mir, wenn ich nicht noch am Leben wäre. Wer weiß.
Das macht alles großen Spaß. Es ist, als könnte ich endlich all das studieren, wozu ich in den letzten 100 Jahren nicht gekommen bin, in meinem eigenen Tempo, meiner eigenen Zeit. Unprüfbar, ohne Leistungsnachweis – einfach für mich allein aus Freude am sammelnden Zusammenfügen der Einzelteile, die ich schon hab' und die ich noch bekomme. Lass' mich Dichter sein, Malerin und Forscher. Ich bin noch jung.
D. und laufen viel an Warnemündes Stränden Richtung Ost und West, D. traut sich sogar in die kühlen, stürmischen Wogen; sie ist glücklich. Unser Domizil, ein reetgedecktes Ferienhäuschen, besticht durch die schiere Menge maritimer Abbildungen – praktisch jeder Gegenstand im Haus ist bedruckt mit Ankern, Leuchttürmen, Muscheln, Seesternen – wie eine überbordende Flut, die Badewannenvorlagen, Lampenschirme, Tischsets, Tassen, Bettwäsche, Sofakissen, Handtücher und Vorhänge erfasst hat. Wenn ich einen Kommentar ins Gästebuch schreiben würde, dann darüber. Nicht ohne Ironie. Nicht ohne einen Ankeranhänger oder so.
Ja, die See war rau und laut, dunkelgrau und himmelblau, dort Richtung Westen diese phantastische Steilküste und der Gespensterwald, jedes Jahr nimmt die See durch ansturmbedingte und Erosion 35 cm vom Ufer, einiges ist schon herabgefallen und diese Treppe zu nehmen ist eigentlich verboten, man sieht, wie ihre Ständer auf hinzugefügten Zickzack-Betonsteinen notdürftigen Halt finden, wir sind trotzdem hoch, um den gleichen Weg zurück zu vermeiden.
Im Hintergrund tue ich mich schwer mit den Briefen zwischen Rilke, Zwetajewa und Pasternak, die ziemlich genau vor 100 Jahren gewechselt wurden. Mir gefallen ihre gegenseitigen Liebesbekundungen, ihre großen, über die Ferne erlebten Gefühle füreinander, einzig aufgrund einer bestimmten Wortkunst, einer bestimmten Zeile und überhaupt – sie sind Dichter, aber ihren Ausschweifungen kann ich größtenteils nicht folgen, weniger wegen der Sprache oder fehlender Seelenverwandtschaft, eher vielleicht wegen mitschwingender politischer Gegebenheiten, die ich nicht verstehe und wechselnder Aufenthaltsorte hier und dort und bereits vorhandener Ehepartner. Marina Zwetajewa schreibt Rilke anscheinend in Deutsch und ich mag ihre Wortsuche, Wortspiele und -ableitungen, die sie schreibend entdeckt (so mache ich es ja auch). Rilke war nach seinen Reisen nach Russland hingerissen von Land und Kultur und lernte die Sprache schreib- und sprechbar in nur einem Jahr!
Mich hatte ebenfalls von Zeit zu Zeit die Fernliebe ergriffen und zu lyrischen Wortfolgen verleitet. Ebenso könnte ich mir vorstellen, eine Inkarnation von Marina zu sein, das dachte ich schon bei Paul Klee und sicherlich auch bei Huckleberry Finn, Tarzan und Robinson Crusoe. Um meine poetische Fassenskraft weiter zu üben, habe ich nun ein Buch von Arnim Risi bestellt, der sich als eine Inkarnation von Hölderlin meint. Auch er eine Inkarnation von mir, wenn ich nicht noch am Leben wäre. Wer weiß.
Das macht alles großen Spaß. Es ist, als könnte ich endlich all das studieren, wozu ich in den letzten 100 Jahren nicht gekommen bin, in meinem eigenen Tempo, meiner eigenen Zeit. Unprüfbar, ohne Leistungsnachweis – einfach für mich allein aus Freude am sammelnden Zusammenfügen der Einzelteile, die ich schon hab' und die ich noch bekomme. Lass' mich Dichter sein, Malerin und Forscher. Ich bin noch jung.
akrabke | 14. Oktober 2025, 20:32 | 0 Kommentare
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Topic: Auf Reisen
Anfang Oktober reisten D. und ich Richtung Südost, um den Berg anzusehen. Statt meiner Eindrücke gibt es erstmal ein bisschen Gemaule, weil ich gerade entdecke, dass ich nicht weiß, wie Time-Machine funktioniert. In der Hoffnung, dass die Вфеут вфтт ыфсрщт шкпутвцщ huch, falsche Taste – dass die Daten dann schon irgendwo liegen, wenn ich sie wirklich brauchte, mache ich regelmäßige Backups. Jetzt suche ich ein Bild vom Berg. Die liegen alle in verschienenen Ordnern! Ich hatte darauf verzichtet, eine ordentliche Kamera mitzunehmen, nur das kleine Nokia 3310 (new) mit seinen erstaunlichen zwei Megapixels (um den Berg zurückzurufen). Und solche stimmungsvollen Bilder kommen dabei heraus:


Wir liefen im Regen durchs Wimbachgries, links der Berg Watzmann) und rechts der andere (Hochkalter). Es war wunderschön. Seelisch erhebend, obwohl wir so klein hier unten – der Berg wirkte viel mächtiger als in meiner Kindheitserinnerung, sonst ist es ja umgekehrt.


Wir liefen im Regen durchs Wimbachgries, links der Berg Watzmann) und rechts der andere (Hochkalter). Es war wunderschön. Seelisch erhebend, obwohl wir so klein hier unten – der Berg wirkte viel mächtiger als in meiner Kindheitserinnerung, sonst ist es ja umgekehrt.
akrabke | 28. April 2025, 20:11 | 0 Kommentare
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Topic: Auf Reisen
Lieber L., jetzt bist du nicht mehr hier bei uns. Du hast deine Reise angetreten, und während S. und ich mit dem Hund durch die Dämmerung liefen, über Felder im Taunus, über schotterige Wege in den dunkler werdenden Abend liefen und der Mond immer höher stieg und meine Gedanken bei dir waren – ich dachte, dass du diesen wunderbaren Vollmond als Abschiedslicht nehmen könntest, du tatest es auch, aber ich wusste noch nichts davon, erst als ich wieder zurück war und mich D.s Nachricht erreichte – S. und ich liefen mit dem Hund und ich dachte, allein würde ich mich vielleicht verlaufen, aber der Mond war still und hellgelb und S. und ich hatten ausgeredet, den ganzen Tag redeten wir, nicht ohne Missverständnis und ich fühlte mich unwohl, weil ich ihr dieses angeraten, jenem abgeraten, ihr Bemühen, sich zu erklären, nicht bestätigt hatte, weil ich es nicht verstand, noch nicht verstehen konnte, erst jetzt auf diesem Gang, es war mittlerweile dunkel, verstand ich es und ich entschuldigte mich dafür, und bei dir, lieber L., hatte ich das gleiche gemacht und mich selbst nicht verstanden. Ein paar Tage zuvor hatte ich begriffen – dass es nicht um mich geht, und wahrscheinlich ging es dir nicht mal um dich selbst, denn du warst damit beschäftigt, dich von dir zu lösen, von deinem schmerzenden Körper, und vor diesen paar Tagen, auf einmal, plötzlich, verstand ich, dass ich mich um dich nicht sorgen muss, es fiel alles ab und das war schön. Dies war ein egoistisches Gefühl von Leichtigkeit, das mir gegönnt wurde, und ich fühlte mich wieder ein bisschen eigen, aber dann nahm ich es so. Ich nahm Abschied von dir, ich nahm den Abschied an.
Der Bildhauer und ich sitzen im Garten und weinen. Lieber L., du bist der einzige Mann, mit dem mein Bildhauer nicht auf diese launische Art geredet hat, wie all diese Künstlerfreunde, in irgendeiner alten Konkurrenz gefangen und nicht fähig, ganz einfach, ohne Zynismus, ohne Abwehr, sich auszutauschen, sich anzufreunden und wie schön war es, wenn ihr beide in einer Ecke des Gartens verschwandet, über Kräuter und Pflanzen spracht, über Holz und Schnitzen und vielleicht auch ein bisschen über Männersachen, wer weiß, während ich mit deiner lieben Freundin D., die auch meine liebe Freundin geworden war, in einer anderen Ecke in der Sonne saß.
Ich erinnere mich... wir drei kannten uns noch nicht lange, wir wollten doch eine kleine Schule gründen, wir saßen in der Kirche bei einer Ausstellungseröffnung, M. begleitete die Veranstaltung auf dem Klavier, wir hockten in den Bankreihen und du sagtest, guck mal, der da hinten sieht aus wie der Bruder von Rainer Mausfeld. Es stimmte, aber die Idee, dass ich mit euch beiden in dieser Kirche die einzige sei, der Rainer Mausfeld ein Begriff war, war derart komisch, dass ich fünf Minuten Tränen gelacht habe – wer in dieser Quatsch-Stadt kennt schon den Herrn Mausfeld. Solcherart waren deine Witze und du hast mich oft zum Lachen gebracht. Auch du warst gern bereit, über meine kleinen Sachen zu lachen, selbst an diesem Abend, als es dir so schlecht ging, als du um deine Schmerzen geweint hast, selbst da hast du irgendeinem unwichtigen Detail meiner unwichtigen Erzählung gelauscht und gelacht.
Alles, was ich übers Leben und Sterben gelernt habe, von anderen oder selbst erfahren, steht mir nun zur Verfügung. Ich weiß, dass mein Mitempfinden deiner unendlichen Reise eine gewisse Genauigkeit besitzt. Ich weiß in etwa, wie es ist, Raum und Zeit zu verlassen und frei zu sein. Wie alles wird auch deine jetzige Erfahrung gefärbt sein von deinem Leben und deinen Erwartungen oder Befürchtungen an das Danach, vielleicht kannst du dich aber auch schnell lösen. Das weiß ich nun nicht.
Der Bildhauer und ich im Garten. Wir sagen fast gleichzeitig, und wir, machen wir weiter? Lieber L., es ist verlockend, dir jetzt zu folgen. Aber nein, wir bleiben, es gibt noch zu tun. Dieses kleine Land auf diesem verrückten Planeten; ich dachte, du würdest noch bleiben, um die Veränderungen mitzuerleben, auf die wir gehofft haben, noch immer hoffen. Ich hatte insgeheim auf ein Wunder gehofft. Deine Genesung, eine Erscheinung. Ich hätte an deinem Wunder teilgenommen, an deinem Glanz. Ich wäre mit dir gefestigt.
In der Nacht deines Abschieds träumte ich – ich sitze in der Straßenbahn und mache Dönekens mit einem Jungen, wir quatschen und lachen, die Bahn hält an deiner Haltestelle, der Junge springt heraus und ich sehe es kommen – er läuft direkt auf die Straße (hätte ich dich halten können, deine Schulter, dein Hemd greifen), aber ein Lastwagen ergreift ihn, fährt direkt in ihn hinein, mit diesem Geräusch, sehr laut, ich wende mich ab, ich will nichts sehen, die Leute starren aus den Fenstern, reglos, ich kniee auf dem Weg und weine. Dann drehe ich mich vorsichtig, um zu überprüfen, ob es wahr ist, ob ich wache oder träume. Vor dem LKW liegt allein – der LKW berührt sie mit den Vorderreifen – frische, dunkle Erde.
Der Bildhauer und ich sitzen im Garten und weinen. Lieber L., du bist der einzige Mann, mit dem mein Bildhauer nicht auf diese launische Art geredet hat, wie all diese Künstlerfreunde, in irgendeiner alten Konkurrenz gefangen und nicht fähig, ganz einfach, ohne Zynismus, ohne Abwehr, sich auszutauschen, sich anzufreunden und wie schön war es, wenn ihr beide in einer Ecke des Gartens verschwandet, über Kräuter und Pflanzen spracht, über Holz und Schnitzen und vielleicht auch ein bisschen über Männersachen, wer weiß, während ich mit deiner lieben Freundin D., die auch meine liebe Freundin geworden war, in einer anderen Ecke in der Sonne saß.
Ich erinnere mich... wir drei kannten uns noch nicht lange, wir wollten doch eine kleine Schule gründen, wir saßen in der Kirche bei einer Ausstellungseröffnung, M. begleitete die Veranstaltung auf dem Klavier, wir hockten in den Bankreihen und du sagtest, guck mal, der da hinten sieht aus wie der Bruder von Rainer Mausfeld. Es stimmte, aber die Idee, dass ich mit euch beiden in dieser Kirche die einzige sei, der Rainer Mausfeld ein Begriff war, war derart komisch, dass ich fünf Minuten Tränen gelacht habe – wer in dieser Quatsch-Stadt kennt schon den Herrn Mausfeld. Solcherart waren deine Witze und du hast mich oft zum Lachen gebracht. Auch du warst gern bereit, über meine kleinen Sachen zu lachen, selbst an diesem Abend, als es dir so schlecht ging, als du um deine Schmerzen geweint hast, selbst da hast du irgendeinem unwichtigen Detail meiner unwichtigen Erzählung gelauscht und gelacht.
Alles, was ich übers Leben und Sterben gelernt habe, von anderen oder selbst erfahren, steht mir nun zur Verfügung. Ich weiß, dass mein Mitempfinden deiner unendlichen Reise eine gewisse Genauigkeit besitzt. Ich weiß in etwa, wie es ist, Raum und Zeit zu verlassen und frei zu sein. Wie alles wird auch deine jetzige Erfahrung gefärbt sein von deinem Leben und deinen Erwartungen oder Befürchtungen an das Danach, vielleicht kannst du dich aber auch schnell lösen. Das weiß ich nun nicht.
Der Bildhauer und ich im Garten. Wir sagen fast gleichzeitig, und wir, machen wir weiter? Lieber L., es ist verlockend, dir jetzt zu folgen. Aber nein, wir bleiben, es gibt noch zu tun. Dieses kleine Land auf diesem verrückten Planeten; ich dachte, du würdest noch bleiben, um die Veränderungen mitzuerleben, auf die wir gehofft haben, noch immer hoffen. Ich hatte insgeheim auf ein Wunder gehofft. Deine Genesung, eine Erscheinung. Ich hätte an deinem Wunder teilgenommen, an deinem Glanz. Ich wäre mit dir gefestigt.
In der Nacht deines Abschieds träumte ich – ich sitze in der Straßenbahn und mache Dönekens mit einem Jungen, wir quatschen und lachen, die Bahn hält an deiner Haltestelle, der Junge springt heraus und ich sehe es kommen – er läuft direkt auf die Straße (hätte ich dich halten können, deine Schulter, dein Hemd greifen), aber ein Lastwagen ergreift ihn, fährt direkt in ihn hinein, mit diesem Geräusch, sehr laut, ich wende mich ab, ich will nichts sehen, die Leute starren aus den Fenstern, reglos, ich kniee auf dem Weg und weine. Dann drehe ich mich vorsichtig, um zu überprüfen, ob es wahr ist, ob ich wache oder träume. Vor dem LKW liegt allein – der LKW berührt sie mit den Vorderreifen – frische, dunkle Erde.
akrabke | 14. April 2025, 18:05 | 0 Kommentare
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Topic: Auf Reisen
Zwischen den alten Familienfotos befinden sich jede Menge 6x9-Negative. Zu groß für meinen Durchlichtscanner, aber eine viel einfachere Möglichkeit ist es, sie ans Fenster zu kleben und abzufotografieren und mit einem Kurzbefehl im Bildbearbeitungsprogramm ins Positive zu konvertieren. Dabei kommt so etwas zum Vorschein:

Die Großeltern trinken Kaffee im Angesicht des Watzmanns
Die Eltern meines Vaters waren mit ihm bereits dort, in der zweiten Hälfte der 30er Jahre. Vielleicht ein Reiseziel von Anhängern einer gewissen Partei, der Opa A. ja unzweifelhaft angehörte. Alle Bilder wirken fröhlich in Szene gesetzt, sicherlich war es für meinen sechs- oder siebenjährigen Vater eine unbeschwerte Zeit vor demGroßen Vaterländischen Krieg 2. Weltkrieg, die er später wieder einzufangen suchte mit seinen eigenen Kindern.

Die Großeltern trinken Kaffee im Angesicht des Watzmanns
Die Eltern meines Vaters waren mit ihm bereits dort, in der zweiten Hälfte der 30er Jahre. Vielleicht ein Reiseziel von Anhängern einer gewissen Partei, der Opa A. ja unzweifelhaft angehörte. Alle Bilder wirken fröhlich in Szene gesetzt, sicherlich war es für meinen sechs- oder siebenjährigen Vater eine unbeschwerte Zeit vor dem
akrabke | 13. Juli 2024, 09:46 | 0 Kommentare
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Topic: Auf Reisen
Ich musste das nachschlagen, das o, vielleicht hätte ich об benutzt. Jetzt, nach ungefähr zwei Jahren des Russischlernens kommen mir bereits ganze Sätze in den Sinn. Mama erzählte immer, dass ich mit drei Jahren noch nicht sprechen konnte, man hatte sich bereits Sorgen gemacht. Dann aber, endlich, sprach ich und zwar in vollständigen Sätzen. Was wir für ein seltsames Kind haben, sagten sie sich vielleicht am Abend.
Vor einer Weile fand der Bildhauer in einem alten Reisemagazin eine schöne Abbildung des Watzmanns im Herbst. Das ist dieser Berg, Sie wissen schon. Einmal war ich mit meinem Vater auf die Spitze geklettert, mit 12 oder so. Wir übernachteten im Watzmannhaus, damals ein einfaches Steinhaus, das mit Stahlbefestigungen dem Wetter trotzte. Es gab frische fettige Kuhmilch, von der wir beide uns übergeben mussten und am Morgen wuschen wir uns im eiskalten Bergwasser, das in einen Holztrog plätscherte.
Das Foto musste von einem Ort aufgenommen worden sein, den ich genau kenne, nämlich hinter einem kleinen Waldstück oberhalb des Lehens, in das wir uns während der Ferien eingemietet hatten. Ein herrliches Anwesen, das meine Kindheit auf beinahe mystische Weise geprägt hat. Der Anblick des äußerst detailreichen Bildes löste in mir den Wunsch aus, wieder einmal dort sein zu wollen, dort zu sitzen und den Blick zu genießen, den diese bestimmte Bank bietet.
Viele Jahre lang ist mein Vater weiterhin zu Ferienzeiten dort eingekehrt, ohne uns, hatte dort mehr Freundschaften als zu Hause und wenn er wieder zu Hause war, beschäftigte er sich mit Berichten und Zeitungen des Ortes, mit Bildbänden und Landkarten. Auch ich kenne immer noch die Namen der Erhebungen, Steige und Auen.
Auf einer Reisewebsite fand ich einen Eintrag des Lehens, wo es Fotos, Beschreibungen der Räumlichkeiten und Buchungsoptionen gibt. Endlich, nach einem Jahr des Zögerns klicke ich mich ein, buche gleich den ganzen Oktober und schreibe eine persönliche Nachricht an die Familie dazu. Nach einigen Minuten klingelt bei mir das Telefon, ah, eine Nummer mit 089, wer kann das sein. Eine tiefe, warme Stimme mit vertrautem Dialekt spricht mich mit meinem Namen an und mir hüpft das Herz aus reiner Freude, es ist der P., der Sohn des alten Herrn. Schnell sind wir im Gespräch über Vergangenes, kichernd, als wären wir immer noch 12 oder (er) 24, geben wir die aktuellen Alterszahlen an, unglaubliche 50 Jahre später, gleichen Erfahrungen ab, und ob es den alten Holztrog noch gibt, und wann unsere Eltern gestorben sind, und ja, damals hatte es noch Kühe und die Großmutter sorgte sich, dass das Gemuhe die Gäste stören könnte. Jetzt ist das Haus runderneuert und ich könne die Ferienwohnung haben, in der wir damals schon gewohnt haben.
Abgemacht.
Vor einer Weile fand der Bildhauer in einem alten Reisemagazin eine schöne Abbildung des Watzmanns im Herbst. Das ist dieser Berg, Sie wissen schon. Einmal war ich mit meinem Vater auf die Spitze geklettert, mit 12 oder so. Wir übernachteten im Watzmannhaus, damals ein einfaches Steinhaus, das mit Stahlbefestigungen dem Wetter trotzte. Es gab frische fettige Kuhmilch, von der wir beide uns übergeben mussten und am Morgen wuschen wir uns im eiskalten Bergwasser, das in einen Holztrog plätscherte.
Das Foto musste von einem Ort aufgenommen worden sein, den ich genau kenne, nämlich hinter einem kleinen Waldstück oberhalb des Lehens, in das wir uns während der Ferien eingemietet hatten. Ein herrliches Anwesen, das meine Kindheit auf beinahe mystische Weise geprägt hat. Der Anblick des äußerst detailreichen Bildes löste in mir den Wunsch aus, wieder einmal dort sein zu wollen, dort zu sitzen und den Blick zu genießen, den diese bestimmte Bank bietet.
Viele Jahre lang ist mein Vater weiterhin zu Ferienzeiten dort eingekehrt, ohne uns, hatte dort mehr Freundschaften als zu Hause und wenn er wieder zu Hause war, beschäftigte er sich mit Berichten und Zeitungen des Ortes, mit Bildbänden und Landkarten. Auch ich kenne immer noch die Namen der Erhebungen, Steige und Auen.
Auf einer Reisewebsite fand ich einen Eintrag des Lehens, wo es Fotos, Beschreibungen der Räumlichkeiten und Buchungsoptionen gibt. Endlich, nach einem Jahr des Zögerns klicke ich mich ein, buche gleich den ganzen Oktober und schreibe eine persönliche Nachricht an die Familie dazu. Nach einigen Minuten klingelt bei mir das Telefon, ah, eine Nummer mit 089, wer kann das sein. Eine tiefe, warme Stimme mit vertrautem Dialekt spricht mich mit meinem Namen an und mir hüpft das Herz aus reiner Freude, es ist der P., der Sohn des alten Herrn. Schnell sind wir im Gespräch über Vergangenes, kichernd, als wären wir immer noch 12 oder (er) 24, geben wir die aktuellen Alterszahlen an, unglaubliche 50 Jahre später, gleichen Erfahrungen ab, und ob es den alten Holztrog noch gibt, und wann unsere Eltern gestorben sind, und ja, damals hatte es noch Kühe und die Großmutter sorgte sich, dass das Gemuhe die Gäste stören könnte. Jetzt ist das Haus runderneuert und ich könne die Ferienwohnung haben, in der wir damals schon gewohnt haben.
Abgemacht.
Topic: Auf Reisen
Ein seltsames Unterfangen, irgendwie soetwas wie Kontrolle zu erlangen über das, was geschieht. Regler nach oben, links die Essigchips (angeblich original englische Art) und rechts ein kleines Glas Bier -- dabei ist erst Mittag. Diesmal werde ich meine Reise zu Dudi nicht absagen oder verschieben -- dabei ist einiges im Außen/im Argen. Das Verb haben wird im Russischen als bei mir ist umschrieben und das finde ich ganz wunderbar. Weder ich bin dieser Körper, auch nicht ich habe einen Körper, sondern Körper ist bei mir.
Also, in Kriegszeiten zu reisen, kommt mir falsch vor -- dabei ist stets irgendwo Krieg; hat nicht neulich die Türkei irgendwen angegriffen, im Norden, Süden, Osten oder Westen, und niemand hat es kommentiert oder gar bemerkt?
Jetzt oder nie, sagt die Schlagzeugerin, als wir an der Kirmes vorbeifahren und ich mich beklage, dass niemand mit mir Riesenrad fahren mag. Jetzt oder nie machen wir unsere Räder fest, betreten wir das Gelände und schauen wenig später zwischen Stahl-Tangenten und -radien auf unsere Stadt. In der gleichen Gondel sitzt ein Vater und sagt zu seinem Kind so etwas wie город, möglicherweise schau mal, wir können über die ganze Stadt blicken oder die Stadt von oben sehen. Was weiß ich, wie der Russe es umschreibt, wenn er sich hoch oben über der Stadt, город, befindet. Мы смотрим на город.
Сейчас или никогда. Es ist erstaunlich, was man mit einem Mikrowortschatz wie meinem schon alles heraushören oder -lesen kann.
Nun steht also die Reise ins Nachbarland an. Ich hatte mich vor Wochen schon um einen neuen Reisepass bemüht, habe aber erst Ende Juni einen Termin, zudem in einem anderen Stadtteil, weil in meinem Amt wohl nichts mehr geht. Fürs Nachbarland benötigt man natürlich keinen Reisepass, aber statt einer ID-Karte besaß ich stets (lieber) einen Reisepass. Nach meinem letzten Indienbesuch vor zehn Jahren ist dieser nun abgelaufen. Mein bereits erstelltes Foto zeigt eine Frau, also mich, mit einem geschlossenen Hemdkragen, hellerem Haar und einem sehr leisen Lächeln. Sie können ein klein wenig lächeln, sagt die Fotografin, und zeigt mir das erste Bild, auf dem ich erschreckt die Augen aufreiße, während ich sichtlich grimmig auf den Blitz warte.
Dudi und ich hatten uns das letzte Mal Ende Januar 2021 zur Beerdigung unseres Mütterleins gesehen, das ich eigentlich gar nicht mehr Mütterlein nennen möchte. Es klingt so viel Mitleid und Kleinheit mit -- dabei war sie eine erwachsene Frau, die ihr Schicksal angenommen und gelebt hat, so wie wir das alle tun (müssen). Niemand bemitleidet uns dafür. Ich möchte sie als liebevolle Mutter und, vielmehr noch, als lustige, kritische, eigensinnige, freigiebige Ahnin im Herzen wissen, die meinen größten Respekt verdient.
Das erste Mal nun werde ich unserer jüngsten Nachfahrin begegnen. Im Geheimen hatte ich stets darüber spekuliert, ob unsere Mutter in ihren Körper hinüberwechseln würde. Zeitlich (und reinkarnationstheoretisch) gesehen, wäre es nicht ganz unmöglich -- dabei ist die Mutter erst fünf Monate nach der Geburt der Großnichte ins Jenseits hinübergereist. Angeblich aber hat die frisch Inkarnierte ein Jahr Bedenkzeit, ob sie bleiben möchte, und tritt oftmals auch erst nach Monaten vollständig in den neuen Körper ein. Auf mir zugesendeten Bildern und Filmchen erkenne ich die Augenform und -farbe unseres Ur-Ur-Großvaters, mandelförmig, an den Außenseiten spitz nach unten zulaufend, die Iris grau, im Gegensatz zum Grün und Braun unserer Eltern. Und sicherlich sieht man auch die Anteile der holländischen Vorfahren.
Der Neffe und ich haben einen halbgeheimen Pakt über den Erwerb von Bitcoin, der gestern auf einem Tiefpunkt war. JETZT kaufen, weise ich den jungen Mann an, denn ich kann selbst nicht kaufen, weil ich mich selbst nicht registrieren kann, weil blabla mein Pass nicht mehr aktuell ist usw., aber das ehemalige Kind kann es. Dudi weiß darüber nicht alles -- dabei hat sie ihm neulich beim Kauf eines, wie ich finde, sehr hässlichen Krypto-Dings-JPG unterstützt. Angeblich ist es besonders wertvoll, weil es das zehntausendste ist. Achso.
Und so schleudern wir schön mit dem Geld rum, geben es für Benzin, Krypto-Kunst und Bio-Essen aus und sind guter Dinge. Wer weiß, wie's weitergeht, wenn alles egal ist bzw. wird bzw. war.
Also, in Kriegszeiten zu reisen, kommt mir falsch vor -- dabei ist stets irgendwo Krieg; hat nicht neulich die Türkei irgendwen angegriffen, im Norden, Süden, Osten oder Westen, und niemand hat es kommentiert oder gar bemerkt?
Jetzt oder nie, sagt die Schlagzeugerin, als wir an der Kirmes vorbeifahren und ich mich beklage, dass niemand mit mir Riesenrad fahren mag. Jetzt oder nie machen wir unsere Räder fest, betreten wir das Gelände und schauen wenig später zwischen Stahl-Tangenten und -radien auf unsere Stadt. In der gleichen Gondel sitzt ein Vater und sagt zu seinem Kind so etwas wie город, möglicherweise schau mal, wir können über die ganze Stadt blicken oder die Stadt von oben sehen. Was weiß ich, wie der Russe es umschreibt, wenn er sich hoch oben über der Stadt, город, befindet. Мы смотрим на город.
Сейчас или никогда. Es ist erstaunlich, was man mit einem Mikrowortschatz wie meinem schon alles heraushören oder -lesen kann.
Nun steht also die Reise ins Nachbarland an. Ich hatte mich vor Wochen schon um einen neuen Reisepass bemüht, habe aber erst Ende Juni einen Termin, zudem in einem anderen Stadtteil, weil in meinem Amt wohl nichts mehr geht. Fürs Nachbarland benötigt man natürlich keinen Reisepass, aber statt einer ID-Karte besaß ich stets (lieber) einen Reisepass. Nach meinem letzten Indienbesuch vor zehn Jahren ist dieser nun abgelaufen. Mein bereits erstelltes Foto zeigt eine Frau, also mich, mit einem geschlossenen Hemdkragen, hellerem Haar und einem sehr leisen Lächeln. Sie können ein klein wenig lächeln, sagt die Fotografin, und zeigt mir das erste Bild, auf dem ich erschreckt die Augen aufreiße, während ich sichtlich grimmig auf den Blitz warte.
Dudi und ich hatten uns das letzte Mal Ende Januar 2021 zur Beerdigung unseres Mütterleins gesehen, das ich eigentlich gar nicht mehr Mütterlein nennen möchte. Es klingt so viel Mitleid und Kleinheit mit -- dabei war sie eine erwachsene Frau, die ihr Schicksal angenommen und gelebt hat, so wie wir das alle tun (müssen). Niemand bemitleidet uns dafür. Ich möchte sie als liebevolle Mutter und, vielmehr noch, als lustige, kritische, eigensinnige, freigiebige Ahnin im Herzen wissen, die meinen größten Respekt verdient.
Das erste Mal nun werde ich unserer jüngsten Nachfahrin begegnen. Im Geheimen hatte ich stets darüber spekuliert, ob unsere Mutter in ihren Körper hinüberwechseln würde. Zeitlich (und reinkarnationstheoretisch) gesehen, wäre es nicht ganz unmöglich -- dabei ist die Mutter erst fünf Monate nach der Geburt der Großnichte ins Jenseits hinübergereist. Angeblich aber hat die frisch Inkarnierte ein Jahr Bedenkzeit, ob sie bleiben möchte, und tritt oftmals auch erst nach Monaten vollständig in den neuen Körper ein. Auf mir zugesendeten Bildern und Filmchen erkenne ich die Augenform und -farbe unseres Ur-Ur-Großvaters, mandelförmig, an den Außenseiten spitz nach unten zulaufend, die Iris grau, im Gegensatz zum Grün und Braun unserer Eltern. Und sicherlich sieht man auch die Anteile der holländischen Vorfahren.
Der Neffe und ich haben einen halbgeheimen Pakt über den Erwerb von Bitcoin, der gestern auf einem Tiefpunkt war. JETZT kaufen, weise ich den jungen Mann an, denn ich kann selbst nicht kaufen, weil ich mich selbst nicht registrieren kann, weil blabla mein Pass nicht mehr aktuell ist usw., aber das ehemalige Kind kann es. Dudi weiß darüber nicht alles -- dabei hat sie ihm neulich beim Kauf eines, wie ich finde, sehr hässlichen Krypto-Dings-JPG unterstützt. Angeblich ist es besonders wertvoll, weil es das zehntausendste ist. Achso.
Und so schleudern wir schön mit dem Geld rum, geben es für Benzin, Krypto-Kunst und Bio-Essen aus und sind guter Dinge. Wer weiß, wie's weitergeht, wenn alles egal ist bzw. wird bzw. war.
akrabke | 13. Mai 2022, 16:36 | 0 Kommentare
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Topic: Auf Reisen
Kürzlich hatte ich die Heimatstadt besucht. Die Gärtnerin, die auch von dort stammt, nahm mich mit dem Auto mit, Fahrrad hinten rein, Wetter schön. Das Lehrerehepaar wiederzusehen, war eine echte Freude. Allerdings ist die Gesundheit der beiden nicht sehr stabil, aber auch sie mochten dem Impfdiktat nicht Folge leisten. So redeten wir über aktuelles Geschehen im außen und spirituelle Entwicklung im innern, also über alles, gespickt mit Sorge, durchwachsen mit Spott. Dazu Gelächter, aber auch Ungläubigkeit an menschliche Doofheit. Auf Wunder hoffen tun sie jedoch nicht. Mittlerweile halte ich jede Verschwörungstheorie für möglich, sagt der Mann, den ich für einen der klarsten Denker halte, die ich kenne. Derweil die Frau in der rufnahen Küche herumklapperte und mit Kommentaren ebenfalls nicht sparte. Zum Mittag gab es sogar ein Glas Weißwein zum Lachs.
Bevor ich der Einladung der Elternhauskäuferin folgte, machte ich mich auf den Weg zum Friedhof. Es ist eine seltsam rottige Strecke, ein Stück hinaus aus der Stadt, über das ausladende Straßenkreuz, dessen Ampeln schon vor einem halben Jahr nicht funktionierten, dazu einige Abfahrten gesperrt, weil das Pflaster eingesunken war. Schon am Eingang des Friedhofes mit seinem großzügigen Hauptweg Richtung Kapelle lärmen mir Hunderte von Krähen entgegen. Die schaurige Klangkulisse beherrscht das gesamte Gelände und löst Unruhe in mir aus. Man möchte hier nicht weilen. Am Grab fege ich kleine Äste und etwas Laub beiseite, zupfe ein Sträußchen Scilla und lege es auf dem Stein zurecht. Hier ist niemand mehr. Nicht mal ein Gebet möchte ich sprechen, die beiden, denen es gelten sollte, haben sich verflüchtigt, hier ist Leere (von ihnen). Ich spüre, dass ich nicht mehr wiederkomme.
Im Elternhaus hat sich einiges getan. Die Käuferin begrüßt mich freundlich und zeigt mir in vollem Vertrauen das ganze Haus. Es sind Wände verschoben oder herausgenommen worden, derart, dass ich mich kaum mehr an den vorigen Zustand erinnern kann. Das Bad oben ist auf der anderen Seite, das große Wohnzimmer halbiert, jede Menge Dachschrägenfenster, dafür unten Wohn- und Kinderzimmer zusammengelegt, mittendrin ein schöner Holzofen. Gefährlich finde ich das Entfernen der mittleren Stützwand, da sehe ich schon Farbe abblättern vom Stützbalken, ui, aber den Raum, der dadurch entstanden ist, hatte ich mir immer so gewünscht. An meinem Gefallen ist der Käuferin anscheinend sehr gelegen, es ist ja aber nun ihr Haus. Schön finde ich die Thangkas, die an jeder Wand hängen und die Buddhastatuen, und sie erzählt ein bisschen von ihren Treckingreisen nach Nepal und Indien. Immerhin sei sie bis zum Basislager des Mount Everest gestiegen. Sie vermisse das Reisen, sie hoffe darauf, bald wieder loszukommen. Mein Beitrag zu dem sehr persönlichen Gespräch sind Kindheitserinnerungen rund ums Haus, ja, dieser und jener Nachbar, die Spielfreundinnen im Haus an der Ecke, ihr Mann wohnt nun dort, beide hatten sich getrennt, sind aber wieder zusammengekommen, vieles ist einfacher, wenn man nicht in einem Haus lebt.
Vergangenes hat einen Abschluss gefunden, das Haus, die Eltern, die Freundinnen, das Rollschuhfahren, das Versteckspielen unter der Hängebirke, die immer noch dort ist und auch ihr Lieblingsbaum geworden.
Bevor ich der Einladung der Elternhauskäuferin folgte, machte ich mich auf den Weg zum Friedhof. Es ist eine seltsam rottige Strecke, ein Stück hinaus aus der Stadt, über das ausladende Straßenkreuz, dessen Ampeln schon vor einem halben Jahr nicht funktionierten, dazu einige Abfahrten gesperrt, weil das Pflaster eingesunken war. Schon am Eingang des Friedhofes mit seinem großzügigen Hauptweg Richtung Kapelle lärmen mir Hunderte von Krähen entgegen. Die schaurige Klangkulisse beherrscht das gesamte Gelände und löst Unruhe in mir aus. Man möchte hier nicht weilen. Am Grab fege ich kleine Äste und etwas Laub beiseite, zupfe ein Sträußchen Scilla und lege es auf dem Stein zurecht. Hier ist niemand mehr. Nicht mal ein Gebet möchte ich sprechen, die beiden, denen es gelten sollte, haben sich verflüchtigt, hier ist Leere (von ihnen). Ich spüre, dass ich nicht mehr wiederkomme.
Im Elternhaus hat sich einiges getan. Die Käuferin begrüßt mich freundlich und zeigt mir in vollem Vertrauen das ganze Haus. Es sind Wände verschoben oder herausgenommen worden, derart, dass ich mich kaum mehr an den vorigen Zustand erinnern kann. Das Bad oben ist auf der anderen Seite, das große Wohnzimmer halbiert, jede Menge Dachschrägenfenster, dafür unten Wohn- und Kinderzimmer zusammengelegt, mittendrin ein schöner Holzofen. Gefährlich finde ich das Entfernen der mittleren Stützwand, da sehe ich schon Farbe abblättern vom Stützbalken, ui, aber den Raum, der dadurch entstanden ist, hatte ich mir immer so gewünscht. An meinem Gefallen ist der Käuferin anscheinend sehr gelegen, es ist ja aber nun ihr Haus. Schön finde ich die Thangkas, die an jeder Wand hängen und die Buddhastatuen, und sie erzählt ein bisschen von ihren Treckingreisen nach Nepal und Indien. Immerhin sei sie bis zum Basislager des Mount Everest gestiegen. Sie vermisse das Reisen, sie hoffe darauf, bald wieder loszukommen. Mein Beitrag zu dem sehr persönlichen Gespräch sind Kindheitserinnerungen rund ums Haus, ja, dieser und jener Nachbar, die Spielfreundinnen im Haus an der Ecke, ihr Mann wohnt nun dort, beide hatten sich getrennt, sind aber wieder zusammengekommen, vieles ist einfacher, wenn man nicht in einem Haus lebt.
Vergangenes hat einen Abschluss gefunden, das Haus, die Eltern, die Freundinnen, das Rollschuhfahren, das Versteckspielen unter der Hängebirke, die immer noch dort ist und auch ihr Lieblingsbaum geworden.
akrabke | 09. April 2022, 09:57 | 0 Kommentare
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Topic: Auf Reisen
Und wieder ist Januar. Am 17. jährte sich der Sterbetag des Mütterleins; der des Vaters am 15., elf Jahre zuvor. Beide Zahlen zeigen ihre gegenseitigen Geburtstage. Im letzten Jahr habe ich von (nicht unbedingt zeitlich nahen) Todesfällen von liebgewonnenen und oft bedachten Menschen erfahren. Meine allererste heimliche Affäre, die ich mit 20 unterhielt. Die Betreiberin des B&B in Cornwall, bei der ich einen wunderbaren Sommer im Todesjahr meines Vaters verbrachte. Und der Mann, mit dem ich die gesamten 90er Jahre treu und liebend verbunden war.
Eigentlich fühlte ich mich immer mit ihm verbunden, obwohl wir uns viele Jahr nicht gesehen und gehört haben. Es gibt ein kleines Video von ihm mit einem Reisesegen für mich für Indien 2012. Und irgendwann hatte er mit erzählt, dass er wieder mit einer frühen Freundin zusammengekommen ist. Und glücklich sei. Das fand ich schön. Ich stieß neulich beim Suchen auf seine Trauerseite im Netz. Er ist morgen zwei Jahre tot und ich bin viel zu spät. Ich hinterließ mein Namenskürzel, nachdem ich eine Weile aufgeregt darüber war, dass mich seine Kinder nicht informiert hatten. Ich hätte es einfach gern gewusst. So trifft mich die Trauer zu spät, das üppige Gefühl, alleingelassen worden zu sein und das Bedauern, ihm meinen Reisesegen verwehrt zu haben.
Sonst gibt es keine Toten und noch nicht einmal Kranke. Wir sind einfach alle gesund geblieben in diesen zwei Jahren, gewachsen an einer Krise, die mich nichts anzugehen scheint, mit der ich nicht viel anfangen kann. Gesundheit? Mach ich selber. Sport? Yoga auf dem großen Wollteppich. Lustbarkeiten? Freude kommt von innen bzw. passiert in Innenräumen mit Freunden. Es gibt nur zwei Ausstellungen, deren Zugangsverwehrung ich minimal bedauere -- die in der städtischen Galerie mit jungen, eventuell sogar aufregenden Künstlern und jene im Handwerksforum mit der Verleihung eines Designpreises.
Es ist viel gedacht, gesagt, belacht und beweint worden. In diesem Sinne eine erkenntnisreiche Zeit, die zwei C-Jahre, eine Art Krieg mit Attacken, Schuldzuweisungen, falschen Flaggen und freundlichem Feuer. Ich habe standgehalten.
Eigentlich fühlte ich mich immer mit ihm verbunden, obwohl wir uns viele Jahr nicht gesehen und gehört haben. Es gibt ein kleines Video von ihm mit einem Reisesegen für mich für Indien 2012. Und irgendwann hatte er mit erzählt, dass er wieder mit einer frühen Freundin zusammengekommen ist. Und glücklich sei. Das fand ich schön. Ich stieß neulich beim Suchen auf seine Trauerseite im Netz. Er ist morgen zwei Jahre tot und ich bin viel zu spät. Ich hinterließ mein Namenskürzel, nachdem ich eine Weile aufgeregt darüber war, dass mich seine Kinder nicht informiert hatten. Ich hätte es einfach gern gewusst. So trifft mich die Trauer zu spät, das üppige Gefühl, alleingelassen worden zu sein und das Bedauern, ihm meinen Reisesegen verwehrt zu haben.
Sonst gibt es keine Toten und noch nicht einmal Kranke. Wir sind einfach alle gesund geblieben in diesen zwei Jahren, gewachsen an einer Krise, die mich nichts anzugehen scheint, mit der ich nicht viel anfangen kann. Gesundheit? Mach ich selber. Sport? Yoga auf dem großen Wollteppich. Lustbarkeiten? Freude kommt von innen bzw. passiert in Innenräumen mit Freunden. Es gibt nur zwei Ausstellungen, deren Zugangsverwehrung ich minimal bedauere -- die in der städtischen Galerie mit jungen, eventuell sogar aufregenden Künstlern und jene im Handwerksforum mit der Verleihung eines Designpreises.
Es ist viel gedacht, gesagt, belacht und beweint worden. In diesem Sinne eine erkenntnisreiche Zeit, die zwei C-Jahre, eine Art Krieg mit Attacken, Schuldzuweisungen, falschen Flaggen und freundlichem Feuer. Ich habe standgehalten.
akrabke | 19. Januar 2022, 19:18 | 0 Kommentare
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Topic: Auf Reisen
Aus Gewohnheit fühle ich hin zu den sonst wehen Bereichen der Seele – Sorge, Angst, Zwang – und jetzt ist da nichts. Eine leere Stelle, vielleicht noch eine Schale aus Papier, eine Einbuchtung, die welk im Nichts weht. Das tut mir nichts, es ist nur etwas befremdlich, tatsächlich eine Gewohnheit, die nun nicht mehr greift.
Es tat gut, die Freundinnen am Grab zu wissen, es gab keine falschen Fahnen mit Schreibfehlern, sondern ein Sei wunderbar geborgen von der Kusinenfamilie, Dudi und ich hatten uns Tulpen in pink und weiß auf den weißen Sarg gewünscht und die Busenfreundin sang so nimm denn meine Hände aus der Ecke hinter uns, der Pastor lächelte mir überrascht zu, mein bester Moment dieser Veranstaltung, es darf ja nicht gesungen werden, wie zwei Verschworene lächelten wir, in dieser Kapelle, die mir schon fast ein vertrauter Ort ist, mit Kuppel und Spruchband rings herum.
So erledige ich die Dinge, die getan werden müssen, langsam, aber getrost und ohne Zaudern. Mit jeder Erledigung steigt das Gefühl der Erleichterung, des ledig seins vom Mütterlein, das ich auf seiner allerschönsten Reise weiß, wunderbar geborgen von guten Kräften.
Es tat gut, die Freundinnen am Grab zu wissen, es gab keine falschen Fahnen mit Schreibfehlern, sondern ein Sei wunderbar geborgen von der Kusinenfamilie, Dudi und ich hatten uns Tulpen in pink und weiß auf den weißen Sarg gewünscht und die Busenfreundin sang so nimm denn meine Hände aus der Ecke hinter uns, der Pastor lächelte mir überrascht zu, mein bester Moment dieser Veranstaltung, es darf ja nicht gesungen werden, wie zwei Verschworene lächelten wir, in dieser Kapelle, die mir schon fast ein vertrauter Ort ist, mit Kuppel und Spruchband rings herum.
So erledige ich die Dinge, die getan werden müssen, langsam, aber getrost und ohne Zaudern. Mit jeder Erledigung steigt das Gefühl der Erleichterung, des ledig seins vom Mütterlein, das ich auf seiner allerschönsten Reise weiß, wunderbar geborgen von guten Kräften.
Topic: Auf Reisen

Dieses Bild meiner Eltern macht mich froh. Dudi bemerkte, dass wir da noch gar nicht geboren waren, wie seltsam das sei. Ich sehe zwei Menschen, die praktisch erst vorhin den Krieg überstanden haben, sich jetzt ihrer Liebe und Zuneigung gewiss waren. Dieser Spaziergang in der Stadt hat nichts mit uns Schwestern zu tun, und deshalb ist es so schön.
akrabke | 23. Januar 2021, 21:15 | 0 Kommentare
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