Samstag, 9. April 2022
Kürzlich hatte ich die Heimatstadt besucht. Die Gärtnerin, die auch von dort stammt, nahm mich mit dem Auto mit, Fahrrad hinten rein, Wetter schön. Das Lehrerehepaar wiederzusehen, war eine echte Freude. Allerdings ist die Gesundheit der beiden nicht sehr stabil, aber auch sie mochten dem Impfdiktat nicht Folge leisten. So redeten wir über aktuelles Geschehen im außen und spirituelle Entwicklung im innern, also über alles, gespickt mit Sorge, durchwachsen mit Spott. Dazu Gelächter, aber auch Ungläubigkeit an menschliche Doofheit. Auf Wunder hoffen tun sie jedoch nicht. Mittlerweile halte ich jede Verschwörungstheorie für möglich, sagt der Mann, den ich für einen der klarsten Denker halte, die ich kenne. Derweil die Frau in der rufnahen Küche herumklapperte und mit Kommentaren ebenfalls nicht sparte. Zum Mittag gab es sogar ein Glas Weißwein zum Lachs.

Bevor ich der Einladung der Elternhauskäuferin folgte, machte ich mich auf den Weg zum Friedhof. Es ist eine seltsam rottige Strecke, ein Stück hinaus aus der Stadt, über das ausladende Straßenkreuz, dessen Ampeln schon vor einem halben Jahr nicht funktionierten, dazu einige Abfahrten gesperrt, weil das Pflaster eingesunken war. Schon am Eingang des Friedhofes mit seinem großzügigen Hauptweg Richtung Kapelle lärmen mir Hunderte von Krähen entgegen. Die schaurige Klangkulisse beherrscht das gesamte Gelände und löst Unruhe in mir aus. Man möchte hier nicht weilen. Am Grab fege ich kleine Äste und etwas Laub beiseite, zupfe ein Sträußchen Scilla und lege es auf dem Stein zurecht. Hier ist niemand mehr. Nicht mal ein Gebet möchte ich sprechen, die beiden, denen es gelten sollte, haben sich verflüchtigt, hier ist Leere (von ihnen). Ich spüre, dass ich nicht mehr wiederkomme.

Im Elternhaus hat sich einiges getan. Die Käuferin begrüßt mich freundlich und zeigt mir in vollem Vertrauen das ganze Haus. Es sind Wände verschoben oder herausgenommen worden, derart, dass ich mich kaum mehr an den vorigen Zustand erinnern kann. Das Bad oben ist auf der anderen Seite, das große Wohnzimmer halbiert, jede Menge Dachschrägenfenster, dafür unten Wohn- und Kinderzimmer zusammengelegt, mittendrin ein schöner Holzofen. Gefährlich finde ich das Entfernen der mittleren Stützwand, da sehe ich schon Farbe abblättern vom Stützbalken, ui, aber den Raum, der dadurch entstanden ist, hatte ich mir immer so gewünscht. An meinem Gefallen ist der Käuferin anscheinend sehr gelegen, es ist ja aber nun ihr Haus. Schön finde ich die Thangkas, die an jeder Wand hängen und die Buddhastatuen, und sie erzählt ein bisschen von ihren Treckingreisen nach Nepal und Indien. Immerhin sei sie bis zum Basislager des Mount Everest gestiegen. Sie vermisse das Reisen, sie hoffe darauf, bald wieder loszukommen. Mein Beitrag zu dem sehr persönlichen Gespräch sind Kindheitserinnerungen rund ums Haus, ja, dieser und jener Nachbar, die Spielfreundinnen im Haus an der Ecke, ihr Mann wohnt nun dort, beide hatten sich getrennt, sind aber wieder zusammengekommen, vieles ist einfacher, wenn man nicht in einem Haus lebt.

Vergangenes hat einen Abschluss gefunden, das Haus, die Eltern, die Freundinnen, das Rollschuhfahren, das Versteckspielen unter der Hängebirke, die immer noch dort ist und auch ihr Lieblingsbaum geworden.




Freitag, 8. April 2022
Nachdem Leute wie ich das staatliche Angebot abgelehnt hatten, an einem Gen-Experiment unter Verwendung gänzlich unerforschter, nicht zugelassener Stoffe teilzunehmen und dafür eine Weile massiv beschimpft und ausgegrenzt wurden, erlaube ich mir heute wenigstens einmal, den Bioladen-Inhaber Johannes, der ziemlich unfreundlich auf weitere Maskenpflicht pocht, ganz offiziell als Nazi zu bezeichnen.

Mit Rachegelüsten oder Schadenfreude ist natürlich niemandem geholfen, aber die zwei Jahre Bedrängnis waren eigentlich schlimm. Wenn ich nicht die Fähigkeit hätte, mich mit guten Lebensmitteln, reizvollen Freuden, höheren Ideen und göttlichem Nektar zu füllen, wäre ich ziemlich am Arsch.

Dann wieder Unwohlsein/Düsternis, als der Vates des Schulkindes berichtet, er kenne einige Menschen mit Nebenwirkungen, die sich nicht trauten, dem Arzt davon zu berichten. Welcher dann wiederum die Meldepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt oder wem auch immer wahrnehmen sollte. Wofür er allerdings kein Honorar berechnen kann, es also aus Zeit- und Geldgründen lässt und somit die Statistiken nicht stimmen. Erschreckend ist, dass niemand haftet! Der Arzt nicht, die Pharmafirma nicht, und wenn der sogenannte Impfling stirbt, kommt leider auch die Lebensversicherung nicht für die Hinterbliebenen auf, weil derjenige freiweillig an einem medizinischen Experiment teilgenommen habe und erklärterweise auf eigene Verantwortung gestorben ist, gleichbedeutend mit Selbstmord.

Und, nur am Rande -- und wirklich ein allerletztes Mal -- sei erwähnt, dass FFP2-Masken nicht nur bescheuert aussehen, sondern ausgewiesene Staubmasken sind, die jene tragen sollten, die ihren Fußboden abschleifen möchten oder ein ähnlich staubiges Unterfangen äh, anfangen und dann höchstens einzwei Stunden und nur nach Absprache mit einem Arzt wg. Sauerstoffmangels. Einfach mal die Packungsbeilagen lesen.
Und dann auf einen gesunden Lebensstil einschwenken.

So, und jetzt lassen Sie uns auf die Absage der "Impf"-Pflicht trinken, Liebe machen in frischer Luft, Rollschuh fahren im Dunkeln oder was auch immer Ihnen so einfällt. дру́жба.




Mittwoch, 6. April 2022
Seit ich bei fb ein paar Häkelkanäle abonniert habe, bin ich wieder öfters dort. Dazwischen aber ttt und solche Sachen, nur kurz draufgeblickt und schon sehe ich zehn Gendersternchen. Auch erweist sich das Maskenfallen als äußerst zäh, weiterhin Schlangen vorm Bäcker, obwohl niemand mehr seine Fensterscheiben mit Verbots- und anderen Hinweisschildern plakatiert hat. Der Bioladen, mein Stammgeschäft, in dem ich praktisch alles kaufe, weil ich zu faul bin, wegen Klopapier zur Drogerie zu laufen, macht weiter mit Maskenpflicht. Bis zum bitteren Ende, möchte man rufen. Ich schaffe es nicht, einfach freundlich nachzufragen, sondern muffele meinen Weg zwischen den Regalen durch -- ich, die die ganzen zwei Jahre immer freundlich war nebst kleinerem Scherz auf den Lippen und vollstem Verständnis für derlei Zwangssituationen, breche praktisch mental ein, frage mich, was hier los ist und noch am gleichen Abend gehe ich ein paar Straßen weiter zum größeren Biomarkt, um zu sehen, wie man es dort hält: Man gönnt Freiwilligkeit, trotzdem bin ich auch hier die Einzige.

Die globale Berichterstattung empfinde ich als unsäglich. Deshalb habe ich mir Rollschuhe bestellt und erhoffe private Freuden mit der Erfüllung einiger Wünsche. Ich träume oft des nachts, dass ich perfekt Roll- oder Schlittschuhe fahren kann, alle Drehungen und Sprünge beherrsche und glatte Flächen und Bahnen entlangfliege. Wir werden sehen, ob ich das noch kann, 30 Jahre später. Dazu stricke ich mir gerade einen feschen Pullunder, der soll die Aufschrift Alexej in kyrillisch bekommen, Алексей, auf einem roten Streifen direkt über der Brust, so wie bei den olympischen Spielen. Hinten vielleicht eine 17 oder so. Das wird toll.

Auf der nahen Skaterbahn gibt es eine junge Frau, ebenfalls auf Rollschuhen, also zwei Räder vorn, zwei hinten, vielleicht frage ich sie nach Tricks. Die Gärtnerin wird ihr Skateboard rausholen, und dann gehen wir uns blamieren. Ich könnte auch апока́липсис draufsticken, fällt mir gerade ein. Über kurz oder lang werde ich brauchen kyrillische Tastatur.

Erstaunlich, dass es keine Artikel im Russischen gibt. Vorerst lerne ich Vokabeln, der Grammatik versperre ich mich noch, zumal die Lektionen so aufbereitet sind, dass ich wissen müsste, welche Fälle welche sind. Akkusativ? Von was kommt das? Accuse? Jemanden anklagen? Wen oder was?

Beim Lernen, es ist ein Superlearning-Online-Kurs, läuft eine Entspannungsmusik und es gibt Meditationen, um Körper und Geist aufnahmefähig zu machen. Jedem Wort weise ich eine Eselbrücke zu, es gibt wenige Begriffe, die sofort deutlich sind wie z. B. Televisor. Mit vielen tue ich mich äußerst schwer (die Zahl vier ist der reine Wahnsinn), sogar das Nachsprechen ist faselig, aber gerade diese Vokabeln bleiben. Eines der Wörter klingt wie abhyasa aus dem Sanskrit, für Übung, und heißt auf russisch sollen oder müssen. Gebongt. Während des Tages tauchen Begriffe in meinem Geist auf, und es ist beglückend, dass sie einfach so da sind und bleiben wie wertvolle kleine Sammlungsstücke, und ich spreche sie nach, manche kann ich dann schon übersetzen, manche noch nicht. Ich rede mit dem Bildhauer darüber, wie man sich so eine Zahl wie четы́ре bloß merken kann. Diese könnte ich auf meinen Pullunder sticken, fällt mir gerade ein.

Naja, so halt.




Donnerstag, 31. März 2022
Seit dem Frühherbst besucht mich jede Woche das Schulkind aus dem Vorderhaus. Wir machen Kunstunterricht. Das Kind ist offiziell bei der lokalen Schule angemeldet, wird aber als vulnerable bezeichnet und somit unfähig, dem normalen Schulbetrieb mit Maske und C-Test beizuwohnen. Es geht also nicht zur Schule, besucht aber von gleichgesinnten Eltern organisierte freie Lerngruppen, die sich um Lesen, Schreiben und Rechnen bemühen. Zweimal im Monat bringen die Eltern ausgefüllte Lernunterlagen in die Schule zum Klassen-Lehrer zur Durchsicht des bisherigen Lernerfolges. Darüber hinaus bekommt es Geigenunterricht bei einem anderen Nachbarn und Klavierunterricht vom Vater, einem Pianisten mit lyrischen Bühnenauftritten, während die Mutter sich hingebungsvoll dem homeschooling des Kindes widmet.

Das Kind ist zart (sagt es selbst). Auch schlau und weiß die Dinge einzuordnen. Wie oft bringt es mich zum Staunen, während ich versuche, es für schöpferische Tätigkeiten zu interessieren. Meist lassen wir uns durch den Vormittag treiben und nehmen Ideen auf, die uns zufliegen. Ganz nebenbei erkläre ich die Welt, Bruchrechnen, das Wunder des Zeugungsvorganges, Rechtschreibung, gewaltfreie Kommunikation, Kochen, Farblehre, das Geldsystem, Sticken und perspektivisches Zeichnen mit Licht und Schatten.

Wir sind Künstler und können machen, was wir wollen, schlage ich vor. Berührend, wenn es vom Streit mit Freunden berichtet, über Haare oder Klamotten, und sich durchzusetzen vermag mit einem knappen na und, ich bin Künstler. Ich nehme seine Kleiderwahl zur Kenntnis, heute war es ein glitzerndes blauviolettes Abendkleid (von Oma), dazu eine blaue Leggins mit rotem Herzmuster und Kniebeulen, darüber ein grün-gelber Pullover und unsägliche Socken. Allerliebst! Die Ansichten der Freunde kommen oft zur Sprache, die das Kind aber keineswegs verunsichern können, sondern abgewogen werden mit eigenen Erfahrungen.

Da nun ab Anfang April Masken- und Testpflicht entfallen und das Kind zur Schule gehen kann, hatten wir heute unseren letzten Tag vor den Ferien. Danach wird es eine Freie Schule im Umland besuchen, und wir haben darüber geredet, was das bedeutet. Neue Anregungen, vielleicht neue Freunde, vielleicht aber auch ein wenig Trauer um den möglichen Verlust unseres gemeinsamen Tuns. Wir stopfen uns mit selbstgemachten Chapatis voll, reden über Zuckerkonsum und gestalten ein Etikett für ein kleines Glas mit Zitronenschalen-Abrieb (in Zucker) -- Z&Z

Das zarte Geschenk. Wie schön das ist, die Vertraute eines Kindes zu sein.




Samstag, 5. März 2022
Und trotz alldem entwerfen der Bildhauer und ich (für) die Zukunft. Nach vorn. Ich habe keine Angst. Weder vorm Sterben, noch vorm Misslingen des Plans. Wir sind von Unendlichkeit umgeben, wir sind unsrer Zeh'n nämlich, ein kleines Spiel mit den Zehen, dazu die Stimmlage zwei Oktaven höher. Und die eins, die im Russischen übrigens оди́н ist, Odin, bin ich die einzige, die sich darüber wundert? Odin ist das Eine; ohne ein Zweites.

Wir saßen zu sechst beim Geburtstagsfrühstück des Lehrers, der Bildhauer, die Busenfreundin, der Ex-Kumpel, die (vom Krebs) Genesene, sie zeigt uns ihr haarleeres Haupt, und es ist berührend, wie ihr alle zusprechen, sich nun ohne Haarteil in die Öffentlichkeit zu trauen. Über andere Dinge lachen wir viel, aus Spaß benutzen/zensieren wir Wörter wie Sputnik oder Erdgasverknappung, der Ex-Kumpel referiert wie vor 30 Jahren schon über die richtige Atmung, die ja kaum möglich ist hinter der Maske, haha, es gibt Champagner, der nach fast nichts schmeckt, eine launige Endzeitstimmung, mein Bildhauer krebsrot vor Gekichere und dadurch ausgelöste Schnappatmung, er ist immer noch der beste alle Männer, seit siebeneinhalb Jahren sind wir beieinander.

Seit einigen Wochen bin ich unabwechselnd bei ihm zu Gast, sitze, während er das Mahl zubereitet, auf dem kleinen Schemel in der Küche an der Heizung, stricke, häkele oder knüpfe, dazu bekomme ich Anis-Schnäpse gereicht, die Unterhaltung ist äußerst rege und verrührt auf abenteuerliche Weise Schurbel- mit Realpolitik, Kunst mit Spirituellem, da gibt es kaum Grenzen.

Es gibt aber eine Grenze des Denkens mit mir allein. Ich hatte sie bereits überschritten, oder mich ihr soweit angenähert, dass es weh tat. Ich kann vieles davon begreifen, ich begreife die Gemeinschaft, die dahinter steht, die dem eine Art schrecklicher Geborgenheit verspricht, der ihr angehört, ob freiwillig oder gezwungenermaßen. Anscheinend erinnere ich mich, wohl aber aus einem anderen Leben her. Michael Jacksons We Are The World wurde anlässlich der Haiti-Katastrophe vor Jahren neu aufgenommen, und es sind alle diese Leute dabei. Ihre Beweggründe mitzumachen, sind seltsam unemotional, die meisten benutzen eine Wendung mit to have to.

Michael wie ein Engel, fast enthebt er sich der Schwerkraft, es ist eine Freude, ihm zuzusehen.




Freitag, 4. März 2022
Es ist aufregend zu beobachten, in welch rasender Geschwindigkeit die Feindbilder gewechselt haben. War ich selbst bis vor gut einer Woche noch Minderheit und als solche Ziel unschöner Beschimpfungen, sind es diesmal die Russen bzw. deren Freunde bzw. der Ivan. Nicht, dass es mich, im Gegensatz zu meiner peergroup, sonderlich berührt hat, als N-zi bezeichnet zu werden -- meiner eigenen Einschätzung nach bin ich das nicht -- dass nun aber der Zupfkuchen nicht mehr russisch genannt werden darf, Bahlsen kein russisch Brot mehr für uns backen wird (und was sonst noch für Solidaritäsbekundungen en vogue sind) sehe ich als ungeheuerliche Volksdoofheit, für die ich tiefe Scham und Beleidigung empfinde, ganz zu schweigen von der allgemeinen Geschichtsvergessenheit, oder wie man sowas nennt, wenn jemand völlig desinformiert in der Welt herumlatscht, -quatscht und Profilbilder anpasst.
(...geht ab und wendet sich wieder dem Russisch-Sprachkurs zu.)




Donnerstag, 27. Januar 2022
Die Schlagzeugerin und ich brüten über unseren jeweiligen Handarbeiten. Während sie Pailletten auf ihre selbstgestrickte Mütze näht, beschäftige ich mit dem Säumen von Dudis Jacke, schlechthin ein unerkanntes Meisterwerk, dessen Schwierigkeitsgrad noch nicht zu erahnen war, als sie nach einem einfachen Pulli aus Quadraten fragte. Der nun eine Jacke ist. Und einen Rand benötigt. Und Knöpfe. Evtl. mit einer Leiste. Ach ja, Bündchen auch noch.

Die Schlagzeugerin und ich hatten uns aus den Augen verloren. In der Band war ich nicht mehr, geplante oder zufällige Treffen gab es nur noch im Bioladen, in dem sie damals arbeitete. Ich hätte gerne Brötchen. Im Herbst lud sie mich, seit dem vorletzten Dekadenwechsel das erste Mal, zu ihrer Geburtstagsfeier. Ich wollte keinen Test machen und auch nicht beim Tortenessen oder Tanzen über das Thema reden müssen, so sagte ich ab, schlug aber ein baldiges Zweiertreffen vor. Und jetzt haben wir unser drittes Handarbeitsgruppenpaartreffen und nennen uns Mottenkäfer.

Ein berührender Moment, als sie zur Gitarre greift und mir eines ihrer berühmten Zwei-Akkorde-Lieder vorspielt. Mit lebendiger Stimme singt. Sie ist ein seltsamer Mensch. Sagt offen, sie sei eine Säuferin und näht sich blinkende Pailletten auf die Mütze. Wegen ihr hatte ich begonnen, Songs zu schreiben. Sie hat mir die ausgefallensten Bands vorgestellt. Ich fühle mich von ihr vollständig angenommen und auch ich habe sie ohne Wenn und Aber in mein Herz gelassen. Ihr Refugium unterm Giebel nennt sie Nähstübchen. Sie gibt jeder Gruppe, der sie angehört, einen Namen. Sie will nicht mit dem Saufen aufhören, sagt sie, denn es gäbe keinen Grund.




Mittwoch, 26. Januar 2022
Jetzt sind die Kopfschmerzen endlich verflogen und ich habe mir Musik angemacht. Seit Freitag beschäftige ich mich mit Kryptowährung, habe einen Browser installiert, der mich fürs Surfen und Werbeanzeigen ansehen mit BAT (basic attention token) bezahlt und dabei umgerechnet 0,41 US$ verdient. Seit Freitag. Ich möchte gar nicht wissen, was das für ein Stundenlohn ist. Kryptowährungen, z. B. bitcoin stehen zur Zeit recht niedrig, und ich bin im Begriff, 1 Ether (ETH) zu kaufen, das sind heute so ungefähr 2250 EUR. Dazu muss man eine wallet installieren -- die ist in diesem neuen Browser mit drin -- und kann dann irgendwie loslegen mit der Kreditkarte. Ging gestern nicht. Später nochmal versuchen.

Ethereum ist eine Kryptowelt, die mir gefällt. Sie fußt auf drei Bereichen: DeFi, NFTs und DAOs. Mich interessieren die NFTs, das sind Non-Fungible-Token, nichtaustauschbare Gutscheine/Wertmarken/Spielsteine. Mittlerweile gibt es digitale Kunst und Musik, die als NFTs gehandelt und mit ETH bezahlt werden. Bilder und Musikstücke können kostenlos angesehen und -gehört werden, aber durch den Kauf ist man Besitzer dieses Stücks Kunst. Das macht bei rein digitalen Daten eigentlich keinen Sinn, aber es reizt meine kleine Zockerseele, ein JPG nicht nur anzusehen oder ein screenshot in meinen Bilderordner zu packen, sondern ein NFT zu besitzen. Der Grund, so etwas zu kaufen wird hauptsächlich mit damit bei Freunden angeben begründet. Genau mein Humor. Man klickt sich so durch Webseiten mit Galerien und Albensammlungen, sieht und hört und trifft eine Auswahl. Oder auch nicht.

Viele Musikstücke oder Bilder (Fotografien oder Collagen beispielsweise) haben mehrere layers mit Varianten, die sich im Tagesverlauf verändern, nachts dunkel, tagsüber hell, oder Musikstücke, die an einem anderen Tag anders klingen. Wie dieses, das ich jetzt gerade höre. (Es ist ein indisch gefärbtes Musikstück; ich mochte die gestrige klassische Version lieber als diese Ambient-Sache.)

Die unsinnige Schönheit von Ethereum weckt einen Strom an Ideen, denen ich gar nicht so schnell folgen kann -- Kunstprojekte, die einzig entstehen, weil das Konzept sie möglich macht; dazu Schaffensfreude ohne Erwartungsdruck. Eintauchen in einen mind ähnlich Verrückter, die 3 ETH für ein GIF mit ein paar MB bezahlen, oder wie auch immer die Formate heißen. Ich sehe mich 2022 als Krypto-Künstlerin, deren Begeisterung übers Jahr nicht nachlässt.




Mittwoch, 19. Januar 2022
Und wieder ist Januar. Am 17. jährte sich der Sterbetag des Mütterleins; der des Vaters am 15., elf Jahre zuvor. Beide Zahlen zeigen ihre gegenseitigen Geburtstage. Im letzten Jahr habe ich von (nicht unbedingt zeitlich nahen) Todesfällen von liebgewonnenen und oft bedachten Menschen erfahren. Meine allererste heimliche Affäre, die ich mit 20 unterhielt. Die Betreiberin des B&B in Cornwall, bei der ich einen wunderbaren Sommer im Todesjahr meines Vaters verbrachte. Und der Mann, mit dem ich die gesamten 90er Jahre treu und liebend verbunden war.

Eigentlich fühlte ich mich immer mit ihm verbunden, obwohl wir uns viele Jahr nicht gesehen und gehört haben. Es gibt ein kleines Video von ihm mit einem Reisesegen für mich für Indien 2012. Und irgendwann hatte er mit erzählt, dass er wieder mit einer frühen Freundin zusammengekommen ist. Und glücklich sei. Das fand ich schön. Ich stieß neulich beim Suchen auf seine Trauerseite im Netz. Er ist morgen zwei Jahre tot und ich bin viel zu spät. Ich hinterließ mein Namenskürzel, nachdem ich eine Weile aufgeregt darüber war, dass mich seine Kinder nicht informiert hatten. Ich hätte es einfach gern gewusst. So trifft mich die Trauer zu spät, das üppige Gefühl, alleingelassen worden zu sein und das Bedauern, ihm meinen Reisesegen verwehrt zu haben.

Sonst gibt es keine Toten und noch nicht einmal Kranke. Wir sind einfach alle gesund geblieben in diesen zwei Jahren, gewachsen an einer Krise, die mich nichts anzugehen scheint, mit der ich nicht viel anfangen kann. Gesundheit? Mach ich selber. Sport? Yoga auf dem großen Wollteppich. Lustbarkeiten? Freude kommt von innen bzw. passiert in Innenräumen mit Freunden. Es gibt nur zwei Ausstellungen, deren Zugangsverwehrung ich minimal bedauere -- die in der städtischen Galerie mit jungen, eventuell sogar aufregenden Künstlern und jene im Handwerksforum mit der Verleihung eines Designpreises.

Es ist viel gedacht, gesagt, belacht und beweint worden. In diesem Sinne eine erkenntnisreiche Zeit, die zwei C-Jahre, eine Art Krieg mit Attacken, Schuldzuweisungen, falschen Flaggen und freundlichem Feuer. Ich habe standgehalten.




Freitag, 19. November 2021
So geht die Zeit dahin -- gestern wusste ich beim besten Willen nicht, ob Mittwoch oder Donnerstag ist. Der Blick in das Kalenderbüchlein brachte keine Erhellung, da stand nichts, was diesen Tag von den vorhergehenden unterscheiden könnte.

Obwohl es grau ist draußen, bin ich voller Farben, gestalte Vier-Reihen-Muster fürs Weben, wühle in den Wollvorräten herum und stelle immer neue Kombinationen zusammen. Im Wald entzückt mich das Hellgrau der zarten, langstengeligen Pilze, die der Bildhauer auf ein gelbgrünes Ahornblatt legt. Atemberaubend die graugrünen Stämme der Buchen, hinter denen seltenes Lichtblau scheint oder, wieder am Boden eine orangegetönte Laubdecke, auf die spirrelige, noch grüne Eschenblätter geweht werden.

Die Webarbeit regt meine Sinne auf angenehme Weise an. Die Muster, die sich drillend durch eine Anzahl quadratischer Brettchen, durch die vier Fäden geführt werden, ergeben, müssen dermaßen stark abstrahiert werden, dass aus Rippen Gräten oder Äste werden, aus Linien Schichten, und wieder andere Anmutungen des gleichen Musters mit anderen Farbzusammenstellungen. Manchmal kann ich darüber nachts nicht schlafen, schalte das Licht wieder ein, skizziere kurz eine Idee, Licht gelöscht, neue Muster erscheinen vor dem inneren Auge und so geht es über Stunden.

Es ist alles besser und tausendmal schöner als an die Situation zu denken, in die wir global seit vielen Monaten immer tiefer und tiefer hinein--, was ist das Wort dafür, -gleiten, streben, manövriert werden? Im bunten Wald gedenken wir der Ahnen und erbitten Klärung, Führung und Durchhaltevermögen, während der rauchende Beifuß eine weitere Farbschattierung durch den Raum schickt, wir hören Stimmen und suchen herumblickend die dazugehörenden Menschen, bis wir erkennen, dass die feuchten Bäume selbst das Raunen verursachen, deren hohe Stämme sich im leichten Wind reiben.