Freitag, 8. April 2022
Nachdem Leute wie ich das staatliche Angebot abgelehnt hatten, an einem Gen-Experiment unter Verwendung gänzlich unerforschter, nicht zugelassener Stoffe teilzunehmen und dafür eine Weile massiv beschimpft und ausgegrenzt wurden, erlaube ich mir heute wenigstens einmal, den Bioladen-Inhaber Johannes, der ziemlich unfreundlich auf weitere Maskenpflicht pocht, ganz offiziell als Nazi zu bezeichnen.

Mit Rachegelüsten oder Schadenfreude ist natürlich niemandem geholfen, aber die zwei Jahre Bedrängnis waren eigentlich schlimm. Wenn ich nicht die Fähigkeit hätte, mich mit guten Lebensmitteln, reizvollen Freuden, höheren Ideen und göttlichem Nektar zu füllen, wäre ich ziemlich am Arsch.

Dann wieder Unwohlsein/Düsternis, als der Vates des Schulkindes berichtet, er kenne einige Menschen mit Nebenwirkungen, die sich nicht trauten, dem Arzt davon zu berichten. Welcher dann wiederum die Meldepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt oder wem auch immer wahrnehmen sollte. Wofür er allerdings kein Honorar berechnen kann, es also aus Zeit- und Geldgründen lässt und somit die Statistiken nicht stimmen. Erschreckend ist, dass niemand haftet! Der Arzt nicht, die Pharmafirma nicht, und wenn der sogenannte Impfling stirbt, kommt leider auch die Lebensversicherung nicht für die Hinterbliebenen auf, weil derjenige freiweillig an einem medizinischen Experiment teilgenommen habe und erklärterweise auf eigene Verantwortung gestorben ist, gleichbedeutend mit Selbstmord.

Und, nur am Rande -- und wirklich ein allerletztes Mal -- sei erwähnt, dass FFP2-Masken nicht nur bescheuert aussehen, sondern ausgewiesene Staubmasken sind, die jene tragen sollten, die ihren Fußboden abschleifen möchten oder ein ähnlich staubiges Unterfangen äh, anfangen und dann höchstens einzwei Stunden und nur nach Absprache mit einem Arzt wg. Sauerstoffmangels. Einfach mal die Packungsbeilagen lesen.
Und dann auf einen gesunden Lebensstil einschwenken.

So, und jetzt lassen Sie uns auf die Absage der "Impf"-Pflicht trinken, Liebe machen in frischer Luft, Rollschuh fahren im Dunkeln oder was auch immer Ihnen so einfällt. дру́жба.




Freitag, 4. März 2022
Es ist aufregend zu beobachten, in welch rasender Geschwindigkeit die Feindbilder gewechselt haben. War ich selbst bis vor gut einer Woche noch Minderheit und als solche Ziel unschöner Beschimpfungen, sind es diesmal die Russen bzw. deren Freunde bzw. der Ivan. Nicht, dass es mich, im Gegensatz zu meiner peergroup, sonderlich berührt hat, als N-zi bezeichnet zu werden -- meiner eigenen Einschätzung nach bin ich das nicht -- dass nun aber der Zupfkuchen nicht mehr russisch genannt werden darf, Bahlsen kein russisch Brot mehr für uns backen wird (und was sonst noch für Solidaritäsbekundungen en vogue sind) sehe ich als ungeheuerliche Volksdoofheit, für die ich tiefe Scham und Beleidigung empfinde, ganz zu schweigen von der allgemeinen Geschichtsvergessenheit, oder wie man sowas nennt, wenn jemand völlig desinformiert in der Welt herumlatscht, -quatscht und Profilbilder anpasst.
(...geht ab und wendet sich wieder dem Russisch-Sprachkurs zu.)




Freitag, 10. September 2021
Morgen jährt sich zum 20. Mal Das Ereignis. An jenem Tag befand ich mich bei den Schwiegereltern der Bestenfreundin in China. Hier war es bereits Nacht, ich chattete gerade auf dem Musikforum mit Begeisterten aus der ganzen Welt, da begannen Mitstreiter, Beiträge von den Vorgängen zu posten. Ich wollte gerade schlafen gehen, eine weitere Chatrunde zu einem neuen Thema hatte mich nicht wachhalten mögen. Ich ging ins Wohnzimmer und da saß schon Gègè, der (Groß-)Vater und die anderen und sahen fern. Die Türme stürzten gerade ein, diese Bilder brachten uns dennoch nicht dazu, die Bestefreundin aufzuwecken. All das hätte bis morgen Zeit. Vielmehr herrschte ein schadenfrohes Gegrinse und Gekichere, soso, jetzt kriegen die Amis ihr Fett weg, was ich nicht verstand.

Nun ist heute, und noch immer bediene ich mich eher alternativer (sozialer) Medien, um Wissensgebiete zu erschließen. Ich betätige mich nicht mehr aktiv mit Meinung und eigenen Artikeln, aber recherchiere hier an vorderster Front und bin gewohnt, mit Möglichkeiten aka Voraussagen bzw. Gerüchten umzugehen. Zum morgigen Jahrestag gibt es großartigste Ankündigungen (und auch Befürchtungen) -- von einer Wiederholung des Ereignisses wird gesprochen, oder der Apokalypse gar, die von Johannes ausgerufen ward/wird (die des jetzigen Johannes allerdings bereits im letzten Monat).

Wir werden sehen. In meiner Seele herrscht eine Müdigkeit über all diese Dinge, ein plötzliches Desinteresse am politischen Geschehen, welches sich bisher wie ein äußerst spannender Roman gelesen hat; an den Schwurbelfreunden, die mich eineinhalb Jahre begleitet haben, sie alle entlarven sich zur Zeit und ich weiß nicht, wem noch zu trauen ist. Als einzige Richtung scheint mir das Zurück zur Lehre meines geliebten Swamis. Was hätte er gesagt -- welche lecture würde er heute abend geben? Swami hat sich stets zu weltpolitischen Themen geäußert, hat Bücher geschrieben und Staatshäupter beraten und dabei war seine Aufmerksamkeit ungebrochen auf das Gute gerichtet. Würde er sagen, kümmert euch nicht um das Spiel der Maya? Fragt nicht lange, woher der Fleck im Gewand kommt, sondern reinigt es? Konzentriert euch auf das Gute und versammelt all diese Kraft -- die im Übrigen nur aus dem Innern kommen kann?

Falls der Strom ausfällt oder das Internet kaputt geht -- ich bin hier in meiner mit Walnussbäumen umstandenen kleinen sonnigen Dachwohnung mit einem übersichtlichen Vorrat an nahrhaften Lebensmitteln, bleibe konzentriert auf Schönheit und Freude. Und vielleicht bekomme ich meine Socken zuendegestrickt.

PS Sehen Sie Fragezeichen statt Gedankenstriche? Ich auch. Hab ich jetzt geändert.




Montag, 4. November 2019
Im Heim werden vier Jahre Betreutes Malen gefeiert und die entstandenen Aquarelle und Zeichnungen mit einer Ausstellung gewürdigt. Von meinem Mütterlein, erst widerwillige aber dann doch eifrige Teilnehmerin der ersten Stunde, sind zwei Aquarelle dabei, eines eine Landschaft, unten mit umbra, oben so lichtblau und zartgelb und seelenvoll, dass mir die mit der Betrachtung einhergehende Wahrnehmung ihres wahrscheinlichen Seelenzustandes das Herz rührt. Ich drücke und küsse sie und nenne sie unentwegt meine süße Künstlerin, sie bekommt die Besprechungen des Vortrages, auch ihr Name wird genannt, haargenau mit und ist sehr bewegt, ich glaube auch, dass sie begreift, dass sie eine der erwähnten demenziell Erkrankten ist, die mit Malen angesprochen werden sollen, und macht dazu diesen weinerlichen Mund, aber im nächsten Augenblick ist dieses Gefühl auch wieder entschwunden und dann gehen wir herum und sehen uns alles an, Frau K. hat mit kleinen grafischen Grundformen größere Formen gefüllt und, guck mal, Mama, dort sieht man graublauen Wind dürrbraunes Geäst niederdrücken, und hier die Blütenpracht des Herrn S., im vorletzten Monat gestorben und da eine schön aufbereitete Kalligrafie. Dazu gibt es Kaffee, Sekt und Zuckerkuchen. Ich spreche eine Weile mit M., dem Leiter der Malgruppe, selbst bildender Künstler, wie bezaubernd er Mamas Bilder findet und ihre vorsichtige Art, Farbe aufzutragen, so als würde sie sich nur tastend der Vorstellung des fertigen Bildes nähern.

In einer anderen Kammer meines Herzens wünsche ich mich weit weg und entwerfe ein meditatives Leben in der Nähe vom Kloster Bursfelde, in Hemeln oder Oberweser, vielleicht arbeite ich dort bei Edeka und quatsche den ganzen Tag sorglos mit den Kunden, die allesamt viel Zeit haben, ich besitze vielleicht einen Garten mit Wildkräutern, der jährlich vom Hochwasser überflutet wird oder von Trockenheit zerstört und bin weit weg vom Generve der Stadt und dem Gefühl, stets erreichbar sein zu müssen. Ein Zwang, der zudem von Zwangsgedanken begleitet wird. Den möglichen Arbeitgeberinnen habe ich, jetzt in echt, abgesagt, und entgehe so dem immer deutlicher zutage getretenen Kompetenzgerangel und dem eigenen Übereifer, krass gutes Grafik-Design zu erschaffen, für ein Objekt, hinter dem ich nicht bedingungslos stehen kann. Dazu habe ich vorhin eine abschließende Mail geschrieben, die die technische und grafische Katastrophe schildert, die eine der Kundinnen mit ihrem unverständigen Alleingang angerichtet hat. Meines Erachtens. Sie selbst merkt es sicher nicht mal. Umso schlimmer.

Dudis Sohn hat sich endlich dem Vater offenbart, der weint Tränen, weil sein Kind kriminell geworden ist, Dudi weint, weil sie sich endlich von der Last des Mitwissens befreit fühlt und ich weiß wieder nicht, zu wem ich halten soll. Eigentlich zu Dudi, aber ich kenne die Geschichte natürlich so gut, dass ich Ursache und Wirkung unterscheiden kann. Dann vielleicht doch zum Neffen, den ich aber zur Zeit als so wenig zurechnungsfähig empfinde, dass sich die Auseinandersetzung nicht lohnt. Ich hatte geglaubt, dass mein Einfluss auf ihn stärker sei.

Wahrscheinlich denke ich allgemein, dass mein Einfluss stärker sei. Dies ist auch Teil meiner Zwangsgedanken, was ich hätte machen sollen, können, müssen, dürfen, es dreht sich alles dauernd herum, es ist ja auch nur ein Größenwahn, Dinge in der Hand halten zu können. Deshalb empfinde ich mein Losmachen von den Kundinnen als richtig, und auch die Trennung von der Busenfreundin, an die ich kaum mehr denke, und wenn, dann mit einem Groll, der sie nicht treffen soll, ich nehme an, sie hat genug eigenen Groll auszuhalten.

Zuvor noch, vor einzwei Wochen, hatte ich Kummer, weil das Mütterlein mich gar nicht mehr wahrgenommen hat, Die kreisenden Gedanken waren voller Vorwurf und Selbstmitleid, so als wäre ich ein Niemand, den man einfach so vergisst. Und dann wieder ihr Strahlen, wenn sie mich erkennt, mich mit kuchenverklebten Zähnen anlacht und mein Schätzchen nennt. Dann soll alles so für immer bleiben, ihr Tod eine völlig absurde Idee von mir.

Die Gruppenausstellung, bei der ich ein textiles Objekt zeige, ist etwas schräg angelaufen. Die Kuratorin hatte mich mit der Gestaltung der Einladungskarte beauftragt, das Thema war mehr oder weniger gender, vielleicht auch eine Spur androgyn oder bi dazu, angedeutete Spielarten von Sexualität bzw. mann/frau, und weil das Stichwort viel zu allgemein war, hatte keiner der anderen aufgerufenen Künstler das Thema auch nur annähernd gestreift, sondern irgendwas aus dem Archiv geholt, passt schon. Die Vernissage rückte heran, die Kuratorin war enttäuscht, die Grafik meiner Einladung machte keinen Sinn und der Redner hatte sich in der Jungschen Psychologie verhaspelt. Ich stand herum, den Beginn einer Erkältung ausschwitzend und fühlte mich so deplatziert als wäre ich unsichtbar. Ich hegte einen Groll über das Kunstvolk, dass sich besaufen kommt und Quatsch redet. Am Wochenende ist die Ausstellung vorbei, ich nehme mein Objekt wieder mit, stelle es daheim auf und erfreue mich an weiteren Plänen.

Vorhin habe ich Plätzchen gebacken. Einfache Tätigkeiten. Mein Arbeitszimmer aufgeräumt, Fäden vernäht, eine Schrift gekauft, Tee aufgegossen. Etwas schreiben und hochladen.




Freitag, 13. September 2019
Es kommt etwas Leben in die Bezugssache Busenfreundin. Mit kleiner Stimme spricht sie mir aufs Band, sie wolle sich erklären, es ginge ihr jetzt besser. Nun doch per Mail antworte ich spontan, dass ich keine Gründe hören will, die es ihr erlauben, so herablassend mit ihren Freunden umzugehen, und dass ich die Freundschaft auf Eis legen möchte, bis es mir wieder besser ginge. Ich füge noch hinzu, dass mir ihr Verhalten weh getan hat und ich todtraurig über den Zustand unserer Freundschaft bin. Was der Wahrheit entspricht.

Dabei erinnere ich mich -- an anderes, frühes Leid, und dass ich es gegenüber den Verursachern vermieden habe, zum Ausdruck zu bringen, wie sehr es mich kränkt. Ja, ich glaube nicht einmal, jemals irgendwem gestanden zu haben, dass ich darüber todtraurig sei, so von du zu du. Das wäre ein Eingeständnis von Schwäche, hingegen ein Zeichen von Stärke, sich völlig unbeeindruckt zu zeigen, z. B. von dem Getöse der Eltern (oder den Lehrern oder anderen Autoritätspersonen). Eine Art weises Grinsen aufzusetzen schien mir als angemessene Reaktion gegenüber diesen minderbemittelten Personen.

Es ist fast so, als würde ich auch die Busenfreundin für minderbemittelt halten. Als wäre sie ein armes Hascherl, dem man nicht die Wahrheit sagen darf, weil es sonst darunter zerbräche. Fast so, als würde ich sie beschützen vor der Realtität der Welt, nämlich, dass sie kein Prinzesschen ist, und dass da draußen niemand ist, der sie nachhaltig zu trösten im Stande ist und ihre besessene Suche im Außen völlig vergeblich.

Sie schreibt zurück und erklärt sich trotzdem, mein Verbot missachtend. Da ist nichts, was ich nicht schon gehört habe, aber wenistens klingt eine Entschuldigung an. Trotzdem haue ich ihr ungebändigt ein paar Sachen zurück, über ihr sogenanntes Heiligtum, Kindheit und toter Mutter zu Ehren, und dass sie selbst es ja zu Markte getragen, zur Schau gestellt hat, dazu gehört ihr der Hintern versohlt, in diesem Park und dem ganzen Gutshofquatsch, wo nicht einer dieser dünkelhaften Adligen dazu bereit war, sich mit unseren künstlerischen Arbeiten/Aussagen auseinanderzusetzen, geschweige denn irgendeine Gemütsbewegung zu zeigen, außer einem kleinbürgerlichen Missfallen.




Sonntag, 5. Mai 2019
Es ist das Denken an sich! Alle spirituellen Traditionen lehren Dinge über das Denken. Seit 15 Jahren mach ich das jetzt mit der Meditation und so. Yogash chitta vritti nirodha. Das ist die erste Yogasutra. (Der Zustand des ) Yoga ist (erreicht), wenn die Gedankenwellen zur Ruhe (ge)kommen (sind). Die vrittis sind die Wellen und chitta ist das Sammelsurium aller Gedanken, welche fortwährend aus ebendiesem (chitta) heraufblubbern. So, liebe Krabbe, das weißt du doch. Nirodha ist Stille, Ruhe und einiges mehr, ähm, weniger. Also; gar nichts.

Die meisten Gedanken haben keinen besonderen Wert, auch das sagen die Yogis, 95 % sind Müll. Da geht es um Wäsche waschen für die Reise, Zehennägel schneiden, um Fußbodenbalken, die brechen könnten (s. Dudi).

Wie immer sitzen Dudi und ich nach dem rituellen Abendmahl beim lokalen Griechen (acht Ouzo) in der neuen Bar (drei Jägermeister) (also insgesamt). Die Wände dort bestehen aus grob abgeschlagenem Putz bzw. freigelegten Backsteinen aus der Gründerzeit, mit hohen Decken und einer Art Käfigen für die dämmrigen Glühbirnen als Lampen. Uns gefällt die Ausstattung, zum Klo geht man durch eine Westernklapptür und dahinter sind gleich die Kabinen, wenn mal plötzlich die Musik ausfallen sollte, würden alle Gäste die Pinkel-, Pups- oder andere Geräusche hören können. Ähnlich seltsam wie bei der Weinbar, wo die Toiletten hinter einer matten Glaswand sind, durch geschickt gesetztes Licht können die Gäste am Waschtisch in die Kneipe blicken, aber nicht umgekehrt.

Spätestens an diesem Ort wenden sich unsere Gespräche ins Ernste, ins überwältigend Traurige gar – die beiden kommen hierher nur zum Weinen, denkt vielleicht der Barmann, der uns sicherlich wiedererkennt, denn das Lokal ist meist ziemlich leer.

Jedenfalls denken wir. Und reden. Es gibt Wörter, die Dudi nach 35 Jahren im niederen Nachbarland nur in Fremdsprache kennt. Und mir fällt nur der englische Begriff ein, unconditional love, es dauert eine Weile bis zur bedingungslosen Liebe. Ich gehe einem Gefühl nach, einem sehr kindlichen, tief ausgegrabenen, so ähnlich wie diese zerrüttenen Backsteinwände um uns, das Gefühl ist das der Ruhe und der absoluten Richtigkeit und Heileseins in Gegenwart unserer Mutter. (Auch Dudi kennt es. Sie hat gleiches mit ihrem Sohn.)

Wir finden Sprache dafür. Es gibt keinen besseren Ort als bei der Mutter. Nirgends ist es sicherer als bei Mama.

Diese Art von Wahrheit gilt bestimmt für Kleinkinder, vielleicht auch noch für Zwölfjährige. Aber in diesem Moment wird mir klar, es gilt immer noch für mich. Wir sind in einem Alter, wo andere Leute schon gestorben sind. Und immer noch ist es das Ziehen und Zerren meiner Gedanken an Mama, die mich schlaflos, hilflos, sorgenvoll – alles dies – zurücklassen.

Nirodha, so muss ich gestehen, war mir immer suspekt, obwohl ich die Notwendigkeit erkannt habe. In meiner Familie gab es kein nirodha, durfte es nicht geben, denn es hieße, für eine Weile mal nicht an die anderen zu denken, noch mehr, gar nicht zu denken. Das war anscheindend verboten. Ich floh allerdings vor dieser seltsamen Aufmerksamkeit, die nicht aufhören durfte, in meine Bücherwelten.

Auch Dudi kennt dieses zwanghafte Denken. Bei mir ist es seit ein paar Wochen wieder sehr stark (nach meinem wunderbaren Yogitraum schwebte ich zwei Wochen im Himmel), nun wieder bildreiche Sterbeszenarien, dramatische Dialoge und Liebesbekundungen. Man darf von Liebe nicht lassen, wie auch immer man sie definiert; die unangenehme Art von Liebe, die uns unsere Eltern vorgelebt haben, fand ich äußert anstrengend und so gar nicht unconditional.

Nun – meine Mutter ist lange nicht mehr sie selbst und erkennt mich nicht als ihre Tochter. Aber ich, ich halte fest, bleibe die Tochter, die zur Liebe aufgefordert, vielleicht sogar gezeugt wurde zum hab mich lieb. Denk an mich. Vergiss mich nicht. Sieh mich.

Ablenkungen gibt es. Die Arbeit, das tägliche Tun, Gespräche, Verabredungen, Spaziergänge, Schlafen. Solange es etwas zu tun gibt, hat man für diese Zeit mal frei. Aber Meditation? Der Schlüssel zum Nichtdenken, und dann noch als Methode? Zur Freiheit? Verdammt, hier hab ich dich, du verflixtes Dings. –

So, Krabbe, dafür gibt es keine Erlaubnis von der Mutter, von niemandem. –

Morgen fahren der Bildhauer und ich wieder für ein paar Tage ins Kloster Bursfelde. Die Weser wird wie immer vorbeifließen und ich werde wieder und wieder üben, meinen Gedanken Gleiches zu erlauben. Nirodha enthält auch, dass man die Gedanken nicht anhalten machen kann. Sie fließen vorbei und nichts sonst.




Mittwoch, 3. April 2019
Als ich die Mutter an ihrem Platz im Tagesraum aufsuche, erkennt sie mich nicht. Erst nach meinem mittlerweile üblichen hallo Mama, ich bin’s, Krabbe öffnet sich ihr Blick. Lass uns raus in den Garten, sag ich, das Wetter ist schön. Sie wirkt verwirrt, sie müsse doch bleiben, es sei Kindergeburtstag, jemand müsse doch für alle sorgen, nämlich sie. Ich schaffe es, sie aus dem Raum zu diskutieren, sie ist heute ausnehmend sprachgewandt, mit mehrgliedrigen Sätzen bedenkt sie das Gespräch, das sich allerdings weiter um den Kindergeburtstag dreht, die säßen da alle wie die Ölgötzen, man könne sie doch nicht allein lassen, sie hält wirklich alle Mitbewohner für Kinder. Und, weinerlich, jemand hätte sie barfuß aus dem Schlaf gerissen, und ich gehe auf jedes Wort ein und versuche zu entdramatisieren, aber sie ist argumentativ stark heute, die Syntax stimmt, denke ich, Syntax, und bin fast ein bisschen Stolz auf sie.

Dann schaffe ich die Wendung, nachdem ich sie von aller Verantwortung für wen auch immer, ebenso für Vergangenes und Zukünftiges freigesprochen habe, die Kinder können auch mal allein spielen, ja, ich wäre ja immer auf der Seite der Kinder, das würde sie nochmal überdenken, meine Güte, ist das anstrengend, die Wendung jedenfalls kommt, als ich auf ihren Geburtstag hinweise, am 15. April, und ich brächte dann Zitronenkuchen mit, und den äßen wir ganz allein! Sie lacht.

Darüber musste ich lachen, sagt sie, irgendwie erstaunt über sich selbst. Wir warten, bis die Wolke weg ist, und die Sonne warm auf uns scheinen kann. Das ist schön.




Dienstag, 2. April 2019

Aus meiner Foto-Serie Typografie zur Trauer




Montag, 2. Juli 2018
Der Mutter schräg gegenüber am Tisch im Tagesraum sitzt eine weißhaarige Dame. Sie schaut stets etwas beiseite, und so dachte ich anfangs sie wäre blind. Tatsächlich nimmt sie jede vorbeigehende Person wahr, auch wenn sie sie nicht direkt anschaut, und fragt, wie immer — wie jede, alles gut? Und wie immer antworte ich großzügig, so als hätte ich die Welt in den Händen, ja klar, alles gut! Wenn es die Umstände erlauben, füge ich noch einen Grund des Gutseins hinzu, das schöne Wetter z. B..
Wie sehr ich mir wünsche, dass einmal mir jemand versicherte, alles sei gut.
Alles.
Ich müsste mich um nichts sorgen.




Samstag, 6. Januar 2018
...ja, der gestrige Rückblick ist etwas im Weihnachtsgeschehen versackt. Das ist nicht schlimm, denn wir wollen ja aufarbeiten, was geht.

Manchmal fühlt es sich an, als wäre meine eigene Persönlichkeit kaum vorhanden, das meint die eigene Färbung des, äh –
Das Mütterlein klagt über etwas Ähnliches, ich hoffe, wir haben nicht die gleiche Schacke. Sie weiß jetzt definitiv nicht mehr, wer ich bin, sie ruft mich zwar freudig beim Namen, wenn ich auftauche, dabei hält sie mich gleich für mehrere Personen. Es gibt da diesen Jungen, der sie beim Tanz auf eine Weise geführt hat, wie ein Junge das mit einem Mädchen macht. Außerdem sei er immer sehr lieb. Ich frage nach Namen und Herkunft, die kennt sie aber nicht, er sei vielleicht mein Sohn? Als ich meine orangefarbene Winterjacke anziehe, bemerkt sie, ihre Mama hätte die gleiche. Das sind schon mal zwei Leute. Ihr Papa hätte sie hier ins Heim gebracht, drei, und dann natürlich noch ihre älteste Schwester Ch., die sich sehr nah standen (vier). Darüber hinaus meint sie manches Mal ich zu sein, so als säße sie vor einem Spiegel, und redete mich als ihr Bild an. Aus eins mach fünf.

Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll, validieren, wie es die Gesprächstechnik für Demente vorschlägt, kann ich das nicht, für mich käme es einer Lüge gleich. Und so spielen wir oft das Heitere Personenraten, mich amüsiert es, ihr macht es wahrscheinlich Angst, weil sie merkt, wie wenig ihrer Wahrnehmung noch stimmig ist.

Ich allerdings verbringe manchmal Tage damit, meinem favorisierten Gitarrenspieler nachzuforschen. Dann betrachte ich Bilder im Netz und sehe Videos an. Seine Gestalt und sein Gesicht rühren Tiefes in mir an, peinlich einzugestehen, dass er aussieht wie eine junge Version meines Vaters und somit meine ich auch für mich Ähnlichkeiten zu erkennen. Hat er nicht Hände wie ich? Augen, Nase. Und die Haare! Ich neige dazu, meine Friseurgänge mit seinen abzustimmen, zur Zeit, wie man es in aktuellen Auftritten sehen kann, trägt er sein Haar länger. So auch ich. Eigentlich englischer Herkunft, ist jener Musiker aber in der Nähe meiner Heimatstadt geboren, was eine außereheliche Affäre meines Vaters möglich machte. Das wäre doch toll, ich hätte einen Halbbruder, der so aussieht wie ich.

Kurzum. Ich erinnere mich, dass ich mindestens seit der Jahrtausendwende dem Laster anheimfalle, mir unsere gemeinsame Familiengeschichte auszumalen. Alle paar Monate, aber wenigstens einmal im Jahr begebe ich mich in das geliebte Gedankengebäude und merke, wie wenig ansprechbar für anderes ich in der Zeit bin. Gestern habe ich sogar die Gitarre zur Hand genommen, um ein aktuelles Stück nachzuspielen, aber verdammt, die Finger sind nicht gemacht für Barrégriffe. Es ärgert mich, dass er so gut ist, und so drehe ich wieder und wieder die Runde durch Konkurrenz, Rechtfertigung und Heilsversprechen. –

Das laugt mich aus, es ist ein bisschen wie eine Sucht, ich habe das Gefühl, ich hätte kein eigenes Leben und müsste, wie ein Zwang, das des Musikers tracken. Was natürlich nicht geht. Spätestens nach dieser Erkenntnis fange ich an, zu mir und meinem eigenen Leben zurückzukehren, langsam, mit Blicken zurück, erst kann ich nur wenig damit anfangen, später sehe ich den Wert und die Fülle wieder, die das Meine ausmachen.

Was mich anfällt, ist schwer für mich zu verstehen. In der Phase der Ahnenforschung im letzten Herbst merkte ich, wie gut es tut, dass da noch jemand anderes ist bzw. war, eine Art Halt und Stärke vielleicht von der Urgroßmutter mit ihren neun Kindern kommend. Auch dort eine Freude, wenn ich meine biologische Herkunft sichten konnte, ah, diese Großtante sieht mir ähnlich, die braunen Augen, sieh her. Das war für mich ein großer Trost. Die jungen Jahre meines Vaters, mit Nicki und Bollerhose, mit gestreiftem Pulli und diesen schönen Haaren, auf den Fotos stets bereit zu einer Grimasse oder sich im Gesicht herumfriemelnd. So wie ich das mache, und so macht es auch der Musiker. Friemeln. –

Genug dessen. Meine echte Beziehung zum Bildhauer indes ist von gelassener Einfachheit und Freude. Wir treffen uns regelmäßig und machen was. Er bringt mich zum Lachen, und auch ich kann sein dunkles Lachen herausfordern, wir reden über das meiste, was es gibt und uns begeistern praktisch die gleichen Interessensgebiete, anzunehmen ist, dass er auch solche Gedankenburgen belebt, und das sehe ich an seiner Kunst. Zur Zeit ist sie gelb, Zitrone, indisch, Kurkuma, ein bisschen mehr rot, da wird alles angemalt und steht zur Betrachtung herum. Ich lass dann meinen Blick schweifen und finde es schön. Was kümmern mich dann noch Barréakkorde wie F, Gm oder A#.