Seit dem Frühherbst besucht mich jede Woche das Schulkind aus dem Vorderhaus. Wir machen Kunstunterricht. Das Kind ist offiziell bei der lokalen Schule angemeldet, wird aber als vulnerable bezeichnet und somit unfähig, dem normalen Schulbetrieb mit Maske und C-Test beizuwohnen. Es geht also nicht zur Schule, besucht aber von gleichgesinnten Eltern organisierte freie Lerngruppen, die sich um Lesen, Schreiben und Rechnen bemühen. Zweimal im Monat bringen die Eltern ausgefüllte Lernunterlagen in die Schule zum Klassen-Lehrer zur Durchsicht des bisherigen Lernerfolges. Darüber hinaus bekommt es Geigenunterricht bei einem anderen Nachbarn und Klavierunterricht vom Vater, einem Pianisten mit lyrischen Bühnenauftritten, während die Mutter sich hingebungsvoll dem homeschooling des Kindes widmet.

Das Kind ist zart (sagt es selbst). Auch schlau und weiß die Dinge einzuordnen. Wie oft bringt es mich zum Staunen, während ich versuche, es für schöpferische Tätigkeiten zu interessieren. Meist lassen wir uns durch den Vormittag treiben und nehmen Ideen auf, die uns zufliegen. Ganz nebenbei erkläre ich die Welt, Bruchrechnen, das Wunder des Zeugungsvorganges, Rechtschreibung, gewaltfreie Kommunikation, Kochen, Farblehre, das Geldsystem, Sticken und perspektivisches Zeichnen mit Licht und Schatten.

Wir sind Künstler und können machen, was wir wollen, schlage ich vor. Berührend, wenn es vom Streit mit Freunden berichtet, über Haare oder Klamotten, und sich durchzusetzen vermag mit einem knappen na und, ich bin Künstler. Ich nehme seine Kleiderwahl zur Kenntnis, heute war es ein glitzerndes blauviolettes Abendkleid (von Oma), dazu eine blaue Leggins mit rotem Herzmuster und Kniebeulen, darüber ein grün-gelber Pullover und unsägliche Socken. Allerliebst! Die Ansichten der Freunde kommen oft zur Sprache, die das Kind aber keineswegs verunsichern können, sondern abgewogen werden mit eigenen Erfahrungen.

Da nun ab Anfang April Masken- und Testpflicht entfallen und das Kind zur Schule gehen kann, hatten wir heute unseren letzten Tag vor den Ferien. Danach wird es eine Freie Schule im Umland besuchen, und wir haben darüber geredet, was das bedeutet. Neue Anregungen, vielleicht neue Freunde, vielleicht aber auch ein wenig Trauer um den möglichen Verlust unseres gemeinsamen Tuns. Wir stopfen uns mit selbstgemachten Chapatis voll, reden über Zuckerkonsum und gestalten ein Etikett für ein kleines Glas mit Zitronenschalen-Abrieb (in Zucker) -- Z&Z

Das zarte Geschenk. Wie schön das ist, die Vertraute eines Kindes zu sein.