Dienstag, 16. Juli 2013
Neben dem unangenehm holzigen Kohlrabigemüse zur Mittagszeit gibt es wenig Schlimmes zu berichten. Ein paar Gedanken beschäftigen mich, z. B. wie ich überzähliges Interieur geschickt in der Wohnung verteile, damit es nicht nervt – vielleicht sollte ich es einfach verschenken. Drei Tatamis, je 90 x 90 cm, sind übrig und irgendwie auch eine der Küchenbänke. Ich habe nie mehr so viel Besuch, dass ich dringend beide Bänke brauchte, meinen Geburtstag Ende der Woche werde ich im Park feiern und da wird auf Decken gesessen.

Die freudig wachsenden Kapuzinerkresse- und Ringelblumensprösslinge wären da noch. Oder die Aussicht auf eine weitere zweistündige Thai-Massage am Donnerstag. Von fachkundigen Händen massiert zu werden, ist neben der Meditation das schönste Nicht-Tun, das ich nun kenne. Die Thai-Massage ist angeblich für buddhistische Mönche erfunden worden, um ihre vom langen Sitzen versteiften Körper geschmeidig zu machen und Blockaden zu lösen. Die Masseure selbst üben derweil metta (liebende Güte) aus, um karma abzubauen. So haben alle was davon.

Die Dame bittet um Entkleidung, obenrum frei und für die untere Hälfte reicht sie mir eine dünne schwarze Baumwollhose, anziehen, sagt sie, und auch sonst sind ihre Anordnungen einwortig, hinlegen, umdrehen, anfassen, der Rest ist Stille, bis auf die raschelnden Geräusche, die sie macht, während sie ihre Positionen ändert. Der Raum ist angenehm, buddhistische Wandbilder, sanftes Licht und in der Mitte die genau richtig graduierte Matte auf dem Holzboden. Drücken pressen biegen kneten bis an die Schmerzgrenze, manchmal sogar darüber, die Seiten der Oberschenkel und der rechte Arm tun besonders weh. Hauptsächlich bin ich wegen des mich nicht verlassen wollenden Schmerzes im Kreuzlendenbereich hier, zwei Stunden für 69 Euro, ich komme mir ein bisschen ausbeuterisch vor, die Thailänderin schuftet ja ohn' Unterlass mit vollen Kräften an mir herum.

Die schmerzende Stelle im Rücken geht sie nicht direkt an, aber alles, was sie macht, reicht bis dahin und tut wahnsinnig gut. Außerdem biegt sie meinen Körper in diverse Yoga-Asanas hinein, die Kobra z. B., dazu steht sie breitbeinig über mir, die ich auf dem Bauch liege, bittet mich, ihre Handgelenke 'anfassen', sie hält meine und dann zieht sie meinen Oberkörper zu sich nach hinten. Wow. Oder die Drehbewegung der gesamten Wirbelsäule, sie drückt mein Becken bis zum Anschlag zur Seite, da knackt es ordentlich im KLB wie ich es gern hab. Dem gesamten Rücken widmet sie sich mit besonderem Eifer, aber eigentlich bekommt jedes Körperteil ihre Aufmerksamkeit, manchmal stöhne ich voller Wonne, damit sie weiß, wie schön das ist, was sie da tut und manchmal lächeln wir uns an, wenn ich für einen Moment die Augen öffne, um zu sehen, wie sie das eigentlich tut.

Nach der Behandlung bin ich 90 % weniger holzig als vorher. Aufstehen. Anziehen. Schwupps (etwas zu schwupps für die zwei Stunden körperliche Nähe) ist sie in den hinteren Räumen verschwunden, wahrscheinlich um ein bisschen zu auszuruhen. Mir bleibt nur noch, das bereitgestellte Glas Wasser zu leeren, meine Bezahlung zu leisten und ein paar Worte des Wohlgefallens mit dem freundlichen älteren Herrn zu wechseln, der offensichtlich der Zuhälter Vater Ehemann der einen ist, sicherlich Thailandfahrer erster Stunde, komm' mit mir nach Deutschland, heirate mich, wird er ihr gesagt haben, und wir werden reich ich mache dich reich – über ihre Familienverhältnisse möchte ich dann aber doch lieber nicht nachdenken.

Jedenfalls geht so Sommer. Schwimmen, lesen, essen, schlafen. Mehr muss nicht.




Mittwoch, 10. Juli 2013
Es war mir ernst. Beinahe hätte ich, wenn es möglich gewesen wäre, meine Seele verkauft, um nochmal 17 zu sein. Mein Patensohn I. war zurück von seinem einjährigen Austausch in den Staaten. Wie erwachsen er geworden ist, und Tante Krabbe so, meine Güte hast du dich verändert, und wir liegen uns in den Armen, er ungefähr einen Kopf größer und ich fühl mich wie ein Mädchen.

Na klar, da ist viel Selbstdarstellung, auch bei den Freunden, die nach und nach zum Grillabend eintrudeln, hey Alter, hey Digga, I. schon fast mit Ami-Akzent, später reden sie nur noch englisch mit ebenfalls gerade Zurückgekehrten aus ähnlichen Ländern. Die Bestefreundin und ich begaffen die Szene, mehr oder weniger sprachlos. I.s Begeisterung ist sowas von ansteckend, ich würde mich gerne auch begeistern, ich würde mich gern in einen schönen Jüngling mit Mandelaugen und brauner Haut verlieben und alberne Sachen machen. Aber wir sind ja 35 Jahre älter und haben nichts zu melden, dafür essen sie unsere Bratwürste, unser Currygemüse und genießen die bereitgestellte Atmo.

So sitze ich mit beängstigendem Neid auf der Bank und halte die Füße ans Feuer, der Abend hinter uns ist kühl, aber der Geist rast und versucht, das Sehnen im Zaum zu halten. Vielleicht ein Bier? Die Bestefreundin versucht, Geschichten zu erhaschen, die ihr Sohn noch nicht erzählt hat. I. hatte in Amerika eine Freundin gefunden, auf Facebook konnten die mittlerweile tausend Freunde Bilder ihrer Zweisamkeit betrachten, jetzt nennt er sie schon Exfreundin, natürlich wird das alles zu Erzählenswertem verwurstet und die jungen Freunde übertreffen sich gegenseitig in ihren Berichten über das letzte Jahr.

Und was habe ich im letzten Jahr erlebt? Ich spüre, wie Lebendigkeit mich verlässt, während die Lücke zwischen ihren und meinen Erfahrungen sich krasser und krasser darstellt. Obwohl ich weiß, dass es in einigen ihrer Familien nicht sonderlich einfach hergeht, beneide ich, wie sie ihr Leben und ihre Jugend feiern mit tollen Haaren, hübschen Körpern und angeberischer Attitüde, die ich ein bisschen peinlich finde. Mit 17 war bei mir alles schrecklich und ich hatte Selbstmordgedanken. Und diese Jungs aber hier machen ihr Ding, I. und R. verdienen ihr Taschengeld mit Straßenmusik, treffen ihre Kumpels, trinken – sie sind richtig cool und offensichtlich scheren sie sich um nichts, die Ferien sind noch lang und das Leben heißt sie sowas von Willkommen. Ich würde gerne mitmachen, die tolle Tante Krabbe sein, statt dessen bin ich sehr still und fühle mich unendlich einsam.

Meine Verrückung ebbt dann gottseidank langsam ab. Die Bestefreundin und ich reden jetzt doch flüsternd miteinander, ich schildere ihr meine verwirrenden Gefühle, sie schiebt sie wieder zurecht, setzt sie auf realen Boden, von dem ich vor Verblendung schon abheben wollte. Es sind einfach Leben. Dort ihres, dies meines.

Erfahrungen.




Freitag, 5. Juli 2013
Ich muss jetzt einschreiten! Den weinenden Vater in einem Artikel über historische Putzlappen zu erwähnen, war etwas unsensibel. Dafür gibt es den zweiten Teil des Textes hier und ein Bild vom Bild:


Das fast schönste Objekt aber, neben dem Birkenbild, ist eine Kalligrafie einer Großkusine, in Fraktur mit blumigem Initial, das Papier gebräunt vom Alter. Über dem Psalm (73), vertraute mir mein Vater an, hat er oft geweint. Seine eigenen Tiefen aber ließ er mich nur ahnen.

"Dennoch bleibe ich stets an dir;
denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,
du leitest mich nach deinem Rat
und nimmst mich am Ende mit Ehren an.
Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil …"




Donnerstag, 4. Juli 2013

Beim Aufräumen der oberen Wohnung meines Elternhauses haben meine Schwester Dudi und ich noch einige schöne Gegenstände gefunden, die nun meinen bescheidenen Haushalt bereichern:
  1. eine sehr kleine und zarte Teetasse mit Untertasse, beide mit magentafarbenem Band und Goldrand
  2. ein ca. A4 großes Ölbild auf Sperrholz mit Birken, Landschaft und sfumato in einem breiten schlichten Holzrahmen
  3. ein winziger Schemel aus den 60ern, die Fläche mit rotem Linoleum belegt
  4. ein Bündel nie benutzter Handtücher aus grobem blauem Drillich, sicher eigens für die Backstube genäht
  5. noch mit Preisschild versehene Putzlappen, die seit fast 50 Jahren oben in den Dachschrägen gelegen haben
  6. zwei richtig schöne Perserbrücken, die mein Vater sich regelmäßig von seinen Zigeunerkumpels hat andrehen lassen
Früher hat in der Wohnung meine Omi gewohnt, die Mutter meines Vaters, später zog mein Vater ein, nachdem er nach zehn Jahren wieder zu meiner Mutter zurückkehrte. Interessanterweise gab es nicht viel hübsches oder gut gestaltetes Interieur – obwohl einige Stücke sicherlich wertvoll sind. Die protzige Glasvitrine zum Beispiel, oder der bollerige Schreibtisch mit geschnitzen Borten und Rändern. Dann gab es aber eher billig nachgemachte Perser, an die noch nicht mal die Motten gehen, die es sich in den anderen dünnen Wollteppichen mittlerweile kommod gemacht hatten. Oder die Portraitgemälde von Opi, den ich nicht mehr kennengelernt habe, und Omi. Er mit diesem blöden Bärtchen und sie mit liebem Lächeln, das ich nie in echt gesehen habe. Viele Bilderrahmen umfassten Bildausschnitte aus Illustrierten, zum Beipiel hing die junge Königin Elisabeth jahrzehntelang überm Sofa von Omi. Und wo ist das Bild vom Reichstag geblieben?

Wir haben auch viel Kram – weggeworfen. Einige Mülltüten voll. Ebenso das alte Plastikbett, hässliche Lampen, doofe Tischchen usw. Das Silber liegt jetzt noch in den Schubladen, das Regal mit Papas Büchern haben wir gelassen, auch einen großen runden Tisch mit einigermaßen ansehnlichen Stühlen und o. g. Glasvitrine mit Gläsern und Geschirr, für die niemand von uns Platz hat.




Mittwoch, 3. Juli 2013
Herzrhythmusstörungen und geplatzte Ader im Auge. Augendruck ist normal, sagt die Augenärztin, der Sehnerv ist auch in Ordnung. Wenigstens der Sehnerv. Nächsten Monat noch den Augenhintergrund ansehen, sowieso mal wieder, dazu wird Atropa Belladonna gegeben, da weitet sich die grünbraune Iris und die Netzhaut fängt den Blick. Sie schaut hinein und ich heraus. Ich mag die neue Ärztin nicht, sie blickt fast die ganze Zeit in den Rechner und tippt was ein, während sie mit mir redet, das Gespräch ist ohnehin knapp. Man müsste mal den Blutdruck 24 Stunden messen, sagt sie, um zu sehen, ob es zu Spitzen kommt. Es bleibt mir nur kurz anzudeuten, dass ich sehr großen Stress hatte. Es können noch ganz andere Adern platzen, im Gehirn und dann –

Ich habe jetzt keine richtige Ärztin mehr, der ich vertraue, die Ayurvedin möchte ich nach dem Drama nicht mehr konsultieren, und das macht mir schreckliche Angst. Als könnte ich gleich dem Körper nicht mehr vertrauen. Mir selbst nicht. Als wäre ich jetzt vollkommen allein. Mit mir. Das ist seltsam. Und das Herzelein klopft unrhythmisch dazu.

Du liebes kleines Angsthäschen, du.




Montag, 1. Juli 2013
Juli ist ein schönes Wort. Mein Geburtsmonat. Es sollte Sommer sein. Statt dessen habe ich mit B., der Fahrerin, daheim in Decken gehüllt auf dem Sofa gesessen, bei Keksen und Tee. Die Fahrerin fährt allerdings nicht mehr Motorrad, seit sie vor zehn Jahren einen Unfall hatte, der ihr beinahe das Leben nahm. Trotzdem ist sie für mich die Fahrerin, ich habe sie praktisch in Lederklamotten kennengelernt, durch sie bin ich zum Motorradfahren gekommen und sie ist meine zweitlängste Freundin, seit der elften Klasse, die meine zweite Elfte war, weil ich sie wiederholen musste wg. Buchführung sechs.

Sie ist neben der Buddhistin (und mir und, naja, der Ayurvedin) eine der wenigen, die ich kenne, deren Weltsicht den Grundsatz der Reinkarnation beeinhaltet und ihr Handeln entsprechend ausrichtet – eine Übende. Innerhalb weniger Tage erklären mir beide Freundinnen, dass sie hoffen, dieses Leben möge ihr letztes sein. Sie hätten vieles gesehen und erlebt und nun erkannt, dass Wünsche nur zu weiteren Wünschen und somit zu Leid führen (das ist jetzt die absolute Kurzform von karma) und dass es kaum mehr Verlockungen für beide gibt, die eine möchte bloß etwas mehr Geld (Ich will mehr Geld, ruft die Buddhistin von der Bank, auf der wir sitzen, in den Park hinein), die andere einen guten Mann, mit dem Sie sich auseinandersetzen kann. Da ist noch die Bestefreundin, die gern Klavier spielen könnte, in diesem Leben stellen sich ihre Hände und Finger in Zusammenarbeit mit den Gehirnfunktionen derart ungeschickt an, dass sie es aufgegeben hat. Also wiederkommen.

Mich berührt das sehr. Ich weiß, dass sie nicht von depressiven Gedanken verfolgt werden oder suizidgefährdet sind, denn ich bin wie sie – wir haben einfach keinen Wunsch, das alles nochmal von vorn zu machen. Geboren werden, aufwachsen, die üblichen Probleme, das übliche Sehnen, das übliche Erreichte und das Glück darüber, die üblichen Ängste, alles zu verlieren, den tatsächlichen Verlust. Wir sehen in jedem Anfang bereits das unweigerliche Ende. Wir sehen Vergänglichkeit voraus. Jeder gescheite Mensch sollte das tun. Jeder gescheite Mensch sollte in großen Zeiträumen denken. Im Sinne des Reinkarnationsgedankens könnte man sagen, wir haben das alles schon gehabt und sind schlicht überdrüssig.

Swamiji spricht in seinen gita-lectures über die sechs prerequisites, die ein adhikarin vervollkommnet haben muss, bevor er den final body verlassen und direkt in Brahman aufgehen kann. Das Besitzen von Eigenschaften und Qualifikationen ist adhikara.

Krishna erklärt Arjuna, obwohl dieser ordentlich dagegenhält, dass und warum er diese Bedingungen für sanyasa (dem Entsagen der Welt) nicht erfüllt, und was noch zu tun ist, nämlich mit vollständig ausgerichtetem Geist entsprechend seines dharmas handeln, als Krieger kämpfen, und entweder sterbend den Himmel oder im Diesseits die Herrschaft über das Volk erlangen.

Six prerequisites of sanyasa: (lt. Swamiji)

  1. Dispassion to the fruits of worldly actions, also to next life
  2. the knowledge that the atman is something other than the gross body
  3. that the turbulences of the mind have been so pacified, that desires no longer arise
  4. that the desires arise but are controlled
  5. not having greed
  6. forbearance
Ob eine von uns diese Anforderungen erfüllt, lässt sich nicht sagen. Es gibt Gradationen, an einem Tag kochen die Wünsche hoch, an einem anderen Wut und Ungeduld. Und oft auch Verzagtheit. Wenn ich mir meine Freundinnen so anschaue, bin ich trotzdem guten Mutes, was unser Ziel betrifft.

Buchführung kann ich jetzt jedenfalls.




Mittwoch, 26. Juni 2013
Na, ich werd ins Kloster gehen und da werde ich dann die ganze Zeit rumkichern oder auch -lachen, weil ich die Welt endlich hinter mir gelassen habe. In seinen lectures zur bhagavad gita erläutert Swamiji, dass Arjuna nicht schnallt, dass er in den Krieg ziehen muss, lieber würde er jetzt schon der Welt entsagen und sich kampflos verpissen, natürlich sagt er das auf sanskrit, ich weiß jetzt nicht, was verpissen auf sanskrit heißt, aber Krishna ist der Ansicht, dass Verpissen für Arjuna noch nicht dran sei, er solle erstmal seine Pflicht als Krieger erfüllen, das wär' schließlich sein Beruf. Er sei einfach noch nicht so weit. Genauso wie Arjuna keinen Bock hat, gegen Familienangehörige und Freunde ins Feld zu ziehen, fiel mir die Entscheidung schwer, ob ich mich im Fall "Tolles Buch" zurückziehen oder kämpfen soll bzw. muss. Swamiji stellt auch fest, dass die Gita keine Alternative aufzeigt, es hätten die Gegner auch mal miteinander reden und sich dann liebevoll zurückziehen können, weil sie das Kämpfen allesamt bescheuert finden, auch wird nichts darüber erzählt, warum die Gruppen sich verfeindet hatten. Die Geschichte beginnt schlicht mit der Aufzählung der Leute, die sich gegenüberstehen (hier symbolisch als Ayurvedinnen und Grafik-Designerinnen dargestellt).

(Abb. unbezahlt geklaut)

Und so kämmpfen sie halt, bis (fast) alle tot sind. Vorher hat sich Krishna, der olle Wagenlenker, allerdings noch den Mund fusselig reden müssen, hat Arjuna sogar das Allerhöchste schauen lassen, was wohl derart eindrucksvoll ist, das der es sofort vergessen hat und nachhaken muss: wie war das nochmal im Mittelteil? und Krishna gibt noch 'ne zweite, etwas abgespeckte Version des Allerhöchsten zum Besten, und so vertrödelt man ziemlich viel Zeit, in der vielleicht geraucht oder in der Nase gepopelt wird, so, können wir jetzt endlich? drängen schon die ersten. Das Allerhöchste jedenfalls war toll und Arjuna wird wohl seine Lehre daraus gezogen haben. Aber so weit bin ich noch nicht mit der lecture.




Dienstag, 25. Juni 2013
  • Morgenübung und noch eine Mala länger sitzen bleiben.
  • Kaffee trinken, Zeitung lesen und sich ums Feuilleton rangeln.
  • Das Lächeln, das ich zurückbekomme, als ich den lieben Mann wiedersehe und ein sehr breites Lächeln nicht unterdrücken möchte kann.
  • Vorfreude auf die Arbeit – vorerst zwar eine rein technische Angelegenheit, aber sagte ich nicht, ich liebte das Frickeln?
  • Vor der Arbeit etwas schreiben.
  • Erleichterung wegen der Beendigung des Rührstücks "Lass uns ein Buch machen". Die Bürokollegin hat mir gestern beim Formulieren der Mail geholfen, damit ich nicht ins Jammerige abgleite.
  • Dass ich gesund bin, der Geist klar und das Herz viel lichter.




Sonntag, 23. Juni 2013
Ich schieb's auf die Übung. Soll alles rauskommen, soll mehr noch klarer werden. Ein Traum, in dem verschiedene Männer mitspielen, mit denen ich mal etwas hatte, – also keine ernstzunehmenden Partnerschaften – macht die Struktur deutlich, die ich aufgebaut habe, in der ich gelebt habe, ich könnte es Neugier nennen oder, im schlimmeren Fall, Selbstmissachtung. Etwas tun, was nicht gut tut. Was nirgendwohin führt. Vieles weiß man hinterher besser, es ist ja aber so'n Dings mit Erfahrungen machen. Wir müssen Erfahrungen machen, steht wohl irgendwo geschrieben. Erfahrungen definieren, wer man ist. Das ist leider großer Quatsch. Es gibt viele Erfahrungen, auf die ich gern verzichtet hätte und über die ich mich nicht mehr definieren möchte. Mit Stolz die Anzahl der Affären nennen, soundsoviele konnte ich für mich einnehmen – deshalb muss ich doch einen Wert haben und dieser Wert ist die Zahl. Verzweiflung.

Ich schieb's auf den Kapitalismus. Der geht mir zur Zeit sehr auf den Keks. Wie durchzogen wir sind von der Idee, (etwas) haben zu müssen. Als wäre sein ungenügend. Damit einher geht Verfügbarkeit. Wer verfügbar ist, gibt Preis und lässt sich etwas nehmen, was nutzbar ist. Zum Beispiel Sex. Es ist ein Kuhhandel. Ich gebe zu, dass ich lange drauf reingefallen bin: Frauen geben Sex, um Liebe zu bekommen, hat das nicht mal wer geschrieben? Ich bilde mir ein, dass ich immer freudvoll beigeschlafen habe, aber in der rückschauenden Erinnerung, die mich gerade flutet, erkenne ich übertriebene Freizügigkeit, die mich eher geschwächt hat. Auf das Wenige, was einige Männer zu geben fähig waren, habe ich draufgezahlt.

Das ist jetzt keine Abrechnung. Ich mag Männer. Weil ich Menschen mag. "Sie sind doch meine Spezies!" sagt Maude zu Harold. Mir wird nur immer klarer, dass Liebe als Sex verkauft wird und genauso eine Ware ist wie ein Auto oder ein Haus. Liebe ist kein Gefühl mehr von Nähe und Zuneigung, das in einem selbst entsteht und sich bewegt, sondern eine Art Anerkennung, die man bekommt, eine Auszeichnung, seht her, ich bin wer.

Vor einzwei Wochen bin ich am FKK-Teich angesprochen worden. Das Palaver ging einher mit freundlichen Komplimenten, die mir gut taten, aber die waren schon Teil des Kuhhandels, der hier unerwarteterweise seinen Lauf nahm. Mit ein paar Komplimenten eröffnen und dann gleich frontal weitermachen, ob ich einen Partner hätte – ich will hier jetzt nicht mit Details langweilen, denn alles was nun kam, war langweilig – ich machte deutlich, und mir war noch nie so ernst damit, dass ich keinen Partner suche und mein Ungebundensein sehr genieße. Naja, das Gespräch in dieser frühen Phase abzubrechen, wäre sicherlich das einzig Richtige gewesen, aber ich war tatsächlich neugierig, weil ich eine derart plumpe Anmache noch nie erlebt hatte. Irgendwas muss doch damit sein? Die Sonne brannte schon auf der Schulter und über kurz oder lang würde ich wieder ins Wasser springen, und so hörte ich mir eine Weile Zuckerrübentechniker-Berufsgeschichten und unglückliches Ehegeschehen mit vier Kindern an, ja und der Sechzehnjährige will Grafik-Design machen und kann Photoshop und er selbst fotografiere auch und so weiter, könne sich aber nicht vorstellen, allein zu sein. Na. Da gehen also Männer an den Nacktstrand und suchen sich Frauen aus, war das einzige, was ich so dachte. Wie im Supermarkt oder im Autohaus. Ich habe Sie (oder das Auto) gestern schon gesehen und wie Sie da so natürlich (oder ökologisch das Auto) sich bewegen, das hat mir Herzrasen verusacht. Seine Nassforschheit trifft auf meine Eitelkeit, hallo du bist also noch da.

Heiße Tage. Wie sehr ich die Abkühlung ersehnt hatte! Am Donnerstag hatte ich mir dafür frei genommen. Auf das Gewitter warten wie auf einen Schicksalsschlag, der das weitere Leben vollständig verändern würde. Auf der Matte vorm Altar sitzen, während die Kerze heller und heller wird und der Raum immer dunkler von Wolken da draußen. Eine Ruhe. Eine Übung, ein einfaches sein, warten und sich hingeben. Stunden. In die Flamme sehen, die Augen wieder schließen und das Mantra aufsteigen lassen. Es ist so einfach. Was die Welt von mir will, darauf werde ich immer weniger antworten können, weiß ich. Es wird Zeit.

Und so sahen dann die Wolken aus, die dem Gewitter vorangingen:




Freitag, 21. Juni 2013
Werde ich empfindlicher? Werden die Kunden unerträglicher? In meinem Mailprogramm liegt ein Entwurf zu einer Art Endbrief an die ayurvedische Ärztin, die ihr life style-Buch ursprünglich mit mir zusammen machen wollte und jetzt Schritt für Schritt davon abrückt. Bloß die Titelgestaltung für das Manuskript? Wie sag ich ihr, dass ich ihren Text für Schlamperei halte? Wie viel eher wird ein zukünftiger Verleger das bemerken? Sagt man sowas überhaupt?

In dieser Freundschaft sind zu viele Komponenten wirksam. Sie ist meine Ärztin und hatte mich nach einem, na, es war wohl sowas wie ein burn out wieder aufgepäppelt. Wirksame Ernährungsvorschläge, wohltuende Ganzkörpermassagen mit Öl und Kräutern, und im Nu war ich wieder fit. Wir wurden während der Jahre auch spirituelle Freundinnnen und fühlten uns auf dem Weg verbunden.

Über sie habe ich B., die Gärtnerin, kennengelernt, die ja Webdesignerin ist und die Site der Ayurvedin gestaltet hat. B. und ich wiederum teilen verschiedenste Vorlieben, es stellte sich sogar heraus, dass wir aus der gleichen Heimatstadt kommen und sie befreundetes Kind im Nachbarhaus gegenüber meinen Eltern war. B. erzählte, dass sie über der Arbeit an der Website für die Ayurvedin oft verzweifelte, und die Eigentümlichkeiten (wahrscheinlich beider) dazu führten, dass sie sich lautlos verkrachten, jedenfalls wurden Konflikte nicht offen ausgetragen und B. ist einfach irgendwie entschwunden. Die Eigentümlichkeiten führen anscheinend bei mir und der Ayurvedin nun genau zum selben Ziel, nämlich dass ich mich ebenfalls mehr oder weniger verpisse. Ich stehe vor der Frage, wie wichtig oder sinnvoll eine eventuelle Auseinandersetzung wäre, die möglicherweise als streithaftes Hin- und Heradressieren von Vorwürfen über doofe Persönlichkeitsanteile enden würde. Zumal ich gerade eher undiplomatisch bin und unfähig, mich im Konflikt zusammenzunehmen.

Früher habe ich gern gestritten, mit den Freundinnen, damals im Studium, da gab es viel zu bemängeln, die eine warf sich vor den Augen der Anderen an den Mann, in den jene verliebt war zum Beispiel. Ich hingegen war verliebt in die andere, und die wiederum baggerte taktlos spielerisch an einer Kommilitonin herum, während mir durchaus ernst war mit meinen lesbischen Anwandlungenteilen. Kein Grund aber zum Weglaufen – Abend für Abend wurde in der Küche diskutiert, geweint, gestritten, keine Frage, wir waren alle gegenseitig eifersüchtig aufeinander, und weil wir uns lieb hatten und an eine Zukunft der Freundschaften glaubten, sind wir da durch. Die eine von beiden ist A., die Bestefreundin, immer noch.

So bin ich mit der Ayurvedin nicht. Es hört sich an wie eine Kosten-Nutzen-Rechnung – was habe ich davon, den Konflikt anzusprechen, den schon B. nicht lösen konnte? Hauptsächlich bin ich wohl enttäuscht darüber, dass die Ayurvedin meine persönlichen (spirituellen, globalen, was weiß ich) Vorgaben von Achtsamkeit, Freundlichkeit und Großzügigkeit nicht einhält. Das heißt nicht unbedingt, dass ich die beherrsche, aber sie, die sich gern als Lehrerin aufschwingt, sollte diese Attribute doch auch üben. Ja, vielleicht ist es wirklich hauptsächlich dies, dass auf eine seltsam versteckte Art alle Gegenattribute wirksam sind, was wiederum mich alarmiert, reizt und unangenehme Urteile aufstört.

Ich erinnere mich an den spirituellen Freund, St., mit dem ich damals in Indien war, um Swamiji (VB) zu besuchen und kennenzulernen. Er war ein versierter Yoga-Philosoph und ich war bedürftig und hielt ihn für weise. Tag und Nacht erläuterte er mir die Schriften, erstellte Horoskopanalysen und setzte sich wie ein Therapeut mit meinen Problemen auseinander, kurzum, er erklärte mir die Welt. Er selbst aber war mit nichts im reinen, nicht mit seiner Frau, nicht mit seiner gerade gestorbenen Lebensgefährtin, nicht mit seiner Mutter, letztendlich fand ich einen Haufen Mensch vor, der mich mit seinem Jammer völlig überforderte. Wie sollte ich einem System vertrauen lernen, dessen Vertreter derart sonderlich sich gebärden musste? Wie sollte ich shraddha erreichen, wenn der Lehrerfreund so komplett zusammenbricht angesichts von Verlust und Tod? Ich begriff nicht, dass seine bis dahin 18-jährige Übungspraxis anscheinend überhaupt nichts gebracht hatte, keine Klarheit, keine praktische Weisheit, keine Freiheit.

Am Ende lief ich weg. Für mich war der Weg der spirituellen Gefährtenschaft, die er immer beschwor, versandet und versackt. Er führte mit ihm nicht direkt zum Ziel, sondern nochmal um den gleichen Berg anstatt auf den Gipfel, mit den gleichen Hindernissen, immer wieder. Das Ziel des Yoga ist moksha, Befreiung und nicht Verdaddelung. Was sich diesem meinem Ziel in den Weg stellt, kommt weg. Sehr grob gesagt.

Und am Ende nun nochmal die Frage: Ist es mein Ziel, alles dafür zu tun, um den Kontakt mit der Ayurvedin zu erhalten? Soll ich Einigkeit mit ihrem Buch erreichen, hinter dem ich gar nicht mehr stehe, was ich ihr aber nicht sagen kann? Sie ist so offensichtlich von ihrem Elaborat überzeugt und wehrt meine Einmischung ab, warum sollte sie meine kleinliche Meinung zu Rechtschreibung, Grammatik und Typografie überhaupt interessieren? Warum sollte es mich interessieren, ob sie mit ihrem Buch Erfolg hat, wenn sie mich an seiner Entstehung gar nicht ernsthaft teilnehmen lässt?

Bloß die Titelgestaltung für das Manuskript. Als ich ihr meinen Stundensatz sage und die voraussichtliche Arbeitszeit, schaut sie mich groß an. Geht ok. Wenn ich sie jedesmal so angeschaut hätte, wenn sie mir ihre Behandlungen in Rechnung stellte.