Da sitzt man dann da und schaut sich Satellitenbilder von zerstörten philippinischen Inseln an. Auch hier geht das Auseinandernehmen weiter.

Als ich ungefähr 16 war, schnitt sich meine damalige Schulfreundin (die hier im Blog als Die Fahrerin auftaucht) das Haar kurz. Es war die Zeit der Punker und alle hatten diese Stachelfrisuren. Natürlich war das Punkerdasein in der Provinz kein sonderlich rebellisches, sondern bezog sich hauptsächlich auf Kleidung und Haare. Die Freundin blieb weiterhin fleißig und lieb. Ich selbst hatte langes Haar, bis weit in die 80er, liebäugelte aber immer mit ihrem burschikosen Gehabe, natürlich trug sie auch Lederkluft, was mich ganz besonders reizte, und fuhr Motorrad. Wie kühn ich sie fand. Kurze Haare und Motorrad waren meine wahren Ziele, aber ich traute mich nicht.

Dieses Nichttrauen empfinde ich heute als seltam. Es war ja nichts dabei, kurze Haare zu haben, aber es war fast so, als dürfte gerade ich das nicht, eher noch, als wäre es speziell mir verboten, meine geheimen Wünsche erfüllt zu bekommen. Meine Eltern hätten wohl nichts dagegen gehabt, aber es war eine Art Eigenverbot glücklich zu sein. Was das Motorradfahren betraf, hatte ich schlicht kein Geld für Führerschein oder gar ein Krad.

Während des Studiums machte ich es endlich. Ich wohnte noch zu Hause, fuhr morgens in die FH der Landeshauptstadt und abends zurück ins Heimatnest. Haare bitte ganz kurz, wies ich die Friseurin an, wir diskutierten ein bisschen herum und irgendwann war das lange Haar ab. Der Kopf fühlte sich großartig an. Beim Drüberstreichen bürstig, die Stirn frei für neue Gedanken, so hatte ich mir das lange gewünscht. Vom Wunsch zur Ausführung waren immerhin zehn Jahre vergangen!

In den jungen Jahren fing auch das Philosophieren an, die große Suche, erst mit langen Haaren, dann weiter mit kurzen. Ich probierte alles aus, kam über die Esoterik und wieder Abwenden davon der Wahrheit näher, fiel ab und zu wieder der Esoterik anheim und kroch, durch sie benebelt, wie ein waidwundes Reh durch den Wald und sah nichts vor lauter Bäumen. Mein Wunsch war groß, mittlerweile kannte ich mich mit den Konzepten des Ziels aus, moksha, Befreiung (vom Rad der Wiedergeburt), Nirvana und das große Nichts, und die anderen Begriffe, die dieses Konzept sonst noch tragen mag, die samadhis, Einheitsgefühle, ohne Dualität, ohne ein Zweites. In meinen Zwanzigern konnte ich astral reisen, was jetzt nicht mehr geht, im Gesamten war das Feinstoffliche mir eindeutig, ein Wissen aus Erfahrung.

Auf meiner Reise gewann ich den Eindruck, dass vollständige Befreiung ein schwieriges Unterfangen sei, das kühnste überhaupt. (Was man so liest, das ganze Gefasel der spirituellen Lehrer und so.) Es bedeutet, maya zu durchschauen und in einer Welt zu leben, von der das Selbst nicht berührt wird. Ich führe das jetzt nicht genauer aus, immerhin hat die Suche mich den größten Teil meines Lebens beschäftigt, ich kann das nicht mal so eben beschreiben. Ich will nur andeuten, dass ich, was die Erleuchtung betrifft, genau wie bei den Haaren und dem Motorradfahren, sie mir anscheinend die ganzen Jahre ebenso versagt habe, so als wäre ich nicht würdig, nicht fleißig genug, nicht der Typ dazu, und wieso ich überhaupt, wo doch andere viel größere Übende sind als ich, viel länger dabei, mit viel größerem Verlangen, incl. der sadhus, die (halb-)nackt durch Indien laufen.

War ich mir denn über das genaue Ziel klar? Wie würde es sich anfühlen, vollkommen befreit zu sein? Müsste ich mich dafür entkleiden? Würde es den Tod bedeuten? Wäre ich wirklich bereit, dafür zu sterben? Das hatte ich mich damals nicht gefragt, dazu hatte ich viel zu viel Schiss. Genauso wie vor kurzen Haaren und Motorrad fahren, was würden die anderen sagen, ist die jetzt plemplem, jetzt fährt die auch noch Motorrad, tatsächlich fragte mich der Theorieprüfer, "wieso will denn eine kleine Person wie Sie überhaupt Motorrad fahren?"

Eine ähnliche Frage zu meinem großen Ziel könnte gelautet haben, wie und wozu will eine so kleine (hier: unbedeutende) Person wie ich überhaupt Befreiung erlangen? Wieso eigentlich immer das Beste, wenn das Zweite oder Dritte doch reichen würde? Also mittellanges Haar oder Pagenkopf oder so, dazu 50 Kubik. Es scheint so, als hätte ich mich mit dieser unbewusst vor sich hinröchelnden Frage selbst torpediert.

Jetzt hält mich nichts mehr. Ich weiß, wo ich hin will und ich weiß, dass ich es erreiche. Ich bin auf dem Weg, torlose Tore sind bereits durchschritten, und das Rad des Karma läuft langsam aus. So fühlt es sich hier an. Es ist schön. Es ist grandios. Es ist wie endlich über eigenes stoppelkurzes Haar streichen, nur besser.

Und was das Sterben betrifft – darüber reden wir dann wann anders.





Die kurzen Haare habe ich mit 15 ausprobiert und bis ungefähr 22 behalten. Raspelkurz, rasiert im Nacken. Motorrad hat bis heute nicht geklappt, ist aber einer der großen noch zu realisierenden Wünsche.

"wieso will denn eine kleine Person wie Sie überhaupt Motorrad fahren?" - als würden zierliche Menschen per se nicht den Wunsch dazu in sich tragen können...

Warum immer das Beste? Vielleicht, weil es Ihr Leben ist und nicht das von jemand anderem.

Der Prüfer meinte es nicht bös, und ich hab mir verkniffen zu sagen, dass ich ja Chopper fahren könnte. Was ich nicht gemacht habe.

Ja los, lassen Sie uns alle immer nur das Beste bekommen!

Für andere sind halt vielleicht 50 Kubik das Beste. Zumindest finde ich, wir sollten versuchen zu finden, was uns entspricht und uns gerecht wird.

Oder 80 Kubik?
350?
Davon aber nur die allerbesten ;)

Sie kriegen auch den Hals nicht voll! Echt jetzt! ;D

Naja, gut, andererseits, wenn Sie Chopper fahren wollen, sind Sie ja noch nicht am Ende der Fahnenstange.

Chopper, ohgott!

Ehrlich jetzt, hier geht's doch gar nicht um Motorräder, oder? ;))

Ging es nie.

haha