Freitag, 22. November 2013
In der SZ las ich heute "Haut ab". Über eingesessene Berliner oder nicht so eingesessene, die Fremde vertreiben möchten. Für mich wären Häutungen eine Spur zu brutal, dachte ich eine Textspalte lang, bis ich merkte, dass die Fremden zum Abhauen aufgerufen werden. Schade, doch keine Splattereien auf offener Straße. Fremde vertreiben ist genauso zweideutig wie Haut ab – Vertrieb von Fremden und anderen Häuten.

Auch Berlin bleibt für mich zweideutig. Vor ein paar Jahren reiste ich zwecks Beziehungspflege regelmäßig in die Stadt. Wie sich herausstellte, war unser Zusammenkommen (lieber Leser, Sie können daraus jetzt gern zusammen Kommen machen, das macht mir nichts) für die Gegenseite hautpsächlich körperlich, obwohl ich selbst all diese Reisen aus anderen Erwägungen unternahm. Mir war nämlich durchaus ernst. Ich bildete mir sogar ein, unsterblich zu lieben, und dass dies was ganz Großes sei. Naja. Ich glaube das noch immer, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Jedenfalls ist die Stadt unauslöschlich mit den körperlichen Freuden verbunden, die der Mann und ich uns gegenseitig bescherten. Entweder wir kamen gerade aus dem Bett und liefen, noch durchströmt von verschiedensten Gefühlen, durch die Kulissen oder wir liefen durch die Kulissen zurück ins Bett, um uns weiteren Gefallen anzutun. So ging das viele Monate, wenn nicht Jahre und machte Berlin für alles andere untauglich. Heute noch erinnert mich jede Hauswand, jede Sehenswürdigkeit, die Art der Bürgersteigbepflasterung, die Negativausschnitte des Himmels zwischen den Häusern, einfach alles immer noch daran und meist bin ich darüber wütend und mache den Mann dafür verantwortlich. Es gibt vieles, das ich sehr mag, architektonisch oder auch vom Wetter her, gleich welchem, aber dauernd rutscht mir unser damaliges Treiben in das Gegenwartsempfinden wie äh, Treibsand. Ich war dünnhäutig, scheu und lief mit Verhaltensstörungen an der Seite des Mannes durch die Stadt, der sie mir präsentierte, als hätte er sie selbst gebaut. Ich könnte auch sagen, der sich mir präsentierte, als hätte er sich selbst gebaut. Was ja auch stimmt, denn der Geist erschafft den Körper.

Wo war ich? Jedenfalls. Heute mag ich die Menschengesichter. Es ist mir eine Freude, in sie zu blicken, als blickte ich gerade jetzt in all die Wahrheiten, die sonst versteckt sind. An diesem nebeligen Tag leuchten sie mich an. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie blieben.