Dienstag, 8. Juni 2021
Dass ich mich auf Grund einer angeborenen (oder wie auch immer entstandenen) Neugier möglichst breit informiere, habe ich stets bejaht, dass ich mich zwecks Gründlichkeit dazu in Kanälen bewege, die bestenfalls als schwurbelig beäugt werden, im schlimmsten Fall als verboten gelten, habe ich nicht ausdrücklich betonen mögen. Heimlich habe ich mir so einen gewissen Informationsvorsprung erarbeitet, von dem ich nicht genau weiß, ob er von Vorteil ist. Wahrheitsfindung ist trügerisch: Wem kann man vertrauen, wie lernt man Unterscheidungsfähigkeit, was wissen wir überhaupt?

Ich bin überzeugt, dass es eine absolute Wahrheit gibt, die aus Dem Einen entspringt, mit Dem Einen gleichzusetzen ist und neben dem es kein Zweites gibt. Nennen wir es der Einfachheit Brahman, wir müssen ja die Welt nicht neu erfinden, Urgrund allen Seins, substanzlos, ohne Anfang und ohne Ende.

Daraus folgt, dass ein Teil oder ein einzelner Teil eben nicht das Ganze ist.

Wir begegnen der Welt in ihren aufgesprungenen Einzelteilen -- Partikel, die unendlich klein sein und sich wieder zu Konglomeraten zusammentun können, zu Entitäten, welche als etwas erscheinen, das wiederum wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Das ist jetzt recht grob umrissen, macht aber nichts.

Es ist uns beigebracht worden, sich jeweils als eine Entität zu empfinden, die sich von einem Außen umgeben fühlt. Darunter leidet der Eindruck, sich innerhalb des Ganzen zu befinden, gewissermaßen als ein unerlässlicher Mitschöpfer, als eine Voraussetzung der Gesamtheit, eine conditio sine qua non (als hätte ich jemals Latein studiert).

Hier bin ich nun an einer Stelle meines ungeplanten Textes gelandet, die bereits jetzt nicht mehr wahr ist, weil schon zu stark zerteilt. Swami hat gelehrt, dass jede Meditation dem Ziel dient, zurück zum bindu, zum Punkt, zu kommen, dort (als Zustand, nicht als Ort) sei der Ursprung allen Seins (also Brahman) zu finden, wobei das Wort finden ebenfalls schon wieder eine Trennung in sich trägt und zwar vom Gesuchten.

Alles Gehörte, Gelesene und Gesehene des letzten Jahres muss zwangsläufig durch Teilung und Trennung zu Unwahrheit werden: dies sei gut, jenes falsch, anderes eine Lüge, weiteres bloß Meinung, aber das jetzt wirklich wahr, oder doch wieder verdreht, oder was?

Ehrlich, ich geb auf. Ich habe keine Ahnung und bin bereit anzuerkennen, dass ich Intrigen, Lügen, Halbwahrheiten, Sarkasmus, Schmeicheleien, Fälschungen, die sich in angeblichen Informationen verstecken, nicht erkennen kann, oder vielleicht später, in ein paar Tagen oder Wochen oder erst nächstes Jahr.

Mein heutiger Beitrag sei allein dieser schlichten Erkenntnis gewidmet. Derweil erfreue ich mich an gewissen Begriffen, die hier und da im Text erscheinen, und dass z. B. der Schein (als Licht), der Schein (als Lug und Trug, auch Fluch) oder der Schein (als Zahlungsmittel) so völlig gegensätzliche Bedeutungen haben.




Mittwoch, 2. Juni 2021
Bis drei Uhr Filme geschaut, Sachen gelesen, Sprachnachrichten angehört. Ein Teil der Geschichte sein zu wollen, ist, in Rhythmen, begeisternd, dann wieder anstrengend. Viel zu müde zum Frühstück mit der Leserin. Vorm Café können wir sitzen, ohne unsere Gesundheit beweisen zu müssen. Ich versuche, der Leserin den Inhalt eines Vortrages wiederzugeben, der mich nachts beschäftigt gehalten lassen -- und auch im Zweifel. Dieser teilt sich stärker mit als meine guten Gefühle gegenüber dem Referenten. Die entstandene Unstimmigkeit hält mich wieder für ein paar Stunden auf.

Aufgehalten und abgelenkt. Ich beschließe endlich, am 19. nicht in die Hauptstadt zu reisen, um das System zu stürzen, was mich sehr entspannt. Ich muss kein Teil der Geschichte sein. Ein Wunsch, der wiederum aus einem Gefühl der Schuld entsteht. Und wieder fällt. In Rhythmen.

Wie sehr ich Geschichten mag und Texte. Nach dem Mittagschlaf (mir waren buchstäblich die Augen zugefallen) beginne ich einen sci-fi-Roman in Englisch. Ich bin mir bewusst, dass mir in der Fremdsprache feine Stimmungen und Farben möglicherweise entgehen, deshalb lese ich sorgsam, schlage unbekannte Wörter trotzdem nicht nach. Die Autorin hat in einem Vortrag ausgeführt, auf welche Weise sich weibliche science fiction von einer männlichen Erzählung unterscheidet: die weibliche läuft (eher) auf der Beziehungsebene ab, die männliche ist technokratisch(er) und hält irgendeine Maschine bereit als Lösung des Problems.

Der Referent, der mir die gestrige schlaflose Nacht beschert hat, streifte u. a. die besondere Qualität der deutschen Sprache, ihre starke Präzision, ihre Fähigkeit, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, ihre Klarheit. Als Muttersprachler (ich will auch nicht mehr gendern) bin ich mir darüber nicht so bewusst, habe kaum Vergleiche, kann mich aber wenigstens vom Englischen durch seine Knappheit begeistern lassen. Also ein Plan, mich wieder mehr mit Sprache zu beschäftigen, dazu sehe ich mich an einem Schreibtisch sitzen und arbeiten. Es gab im letzten Jahr wenige Autoren (oder nennen wir sie doch gleich Schwurbler), die über die Sprache meine Aufmerksamkeit erregen konnten. Allerdings hatte ich eine schöne Bewusstseinserweiterungserfahrung, als ich an einem Tag Sprachnachrichten in verschiedendsten Mundarten gelauscht hatte. Mir ist klar geworden, dass Dialekte oft benutzt (oder missbraucht) und der Lächerlichkeit preisgegeben werden, wenn Hochdeutschsprechende Komödianten diese nachahmen. Zu erfahren, dass schlaue Leute mit philosophischem, wissenschaftlichem oder politischem Weiblick diesen auf bayrisch, hessisch oder gar sächsisch kundtun, fand ich nicht nur charmant, sondern eigenartig schön, berührend und auf eine außerordentliche Weise bedeutsam.




Freitag, 7. Mai 2021
Die ohnehin als überschaubar zu wertende Liste mit anstehenden Aufgaben ist in der Woche noch kürzer geworden. Ich möchte mich zu einer Zeitspanne hinbewegen, an der einmal alles erledigt ist. In dieser Zeitspanne wird auch nicht mehr diskutiert oder anderweitig kommuniziert, auch ist die Wohnung geputzt, die Wäsche gewaschen und sind die Blumen gegossen oder stehen in einem Arrangement, das Pflege unnötig macht. Ebenso soll aller Wunsch nach Kunst und Kultur für eine Weile schweigen, wird doch ohnehin jede Aussage, jede Meinung, jeder Stil, sogar jede Farbnuance, auf die man sich soeben geeinigt hatte, verdreht und in Zweifel gezogen, soll es ein Rot aus 100m und 100y sein, oder mit nur 95 % Magenta? Oder 90 %? Ich denk' nochmal drüber nach.

Trotz allen Verkrampftseins deutet sich an, dass eine Kunst-Ausstellung, zu der L. und ich eine gemeinsame Arbeit beisteuern, stattfinden kann. Das Thema stand schon lange fest, ich wünschte mir schon lange, L. als Gast zu gewinnen, hatte eine Anfrage aber hinausgezögert, aus Scheu oder Lustlosigkeit, wer weiß das schon noch. Letzte Woche endlich kamen wir zusammen und im künstlerischen Nu hatten wir zwei Arbeiten in ein großartiges Absurdium hinein verknüpfen können. Ich bewundere ihre frische Unverblümtheit, ihre Offenheit, ihre Frechheit. So ein Mensch ist mir schon lange nicht mehr gegegnet! Einige andere Freundschaften hingegen empfinde ich zur Zeit eher besorgniserregend zäh, von unerklärlichen Launen bewegt und deshalb abwählenswert, und auf eine merkwürdige Art bin ich auf der Hut vor Schelte.

Solch eine Schelte kann ich nur erahnen. Meine Gedanken kreisen oft weit außerhalb des Geschehens, auf das sich diese Welt geeinigt hat. Gestern vorm Geldautomaten hatte ich den Eindruck, mir ein Spielgeld aus der Kinderpost ziehen zu wollen. Natürlich befindet sich in der Anlage eine gewaltige Woge von Idee und Technik, eine technokratische Schöpfung ohne Seele, die, wenn man sich ihr bewusst wird, Angst erzeugen kann.

Ich war an einem Sonntag mit dem Bildhauer in der Kiesgrube, einem riesigen, irren Gelände, dessen Schätze tief ausgebuddelt waren, anderes wieder hatte man in Hügeln stehenlassen, um die sich schmale Wege zogen, deren Verlauf uneinsehbar war. So stand ich, während der Bildhauer weiter weg im Sand nach Pflänzlein suchte, allein, als zwischen zwei Böschungen, 20?30 Meter entfernt, ein junger Wolf entlangstrollte, äußerst entspannt, völlig angstfrei, mit weichen Bewegungen und einer Natürlichkeit, die mich tief berührte. Er sah nicht zu mir, sondern hatte seinen Kopf stolz nach vorn gerichtet auf seinen Weg, der ihn dann aus meinem Blickfeld führte. Noch nicht einmal zehn Sekunden dauerte diese Begegnung.

Den ganzen Tag und immer wieder ließ ich diesen Wolf in meinem Geist vorbeischlendern. Ich nehme diesen Ort für mich, schien er zu bedeuten, ich bin Teil der Natur, hierhin gehöre ich!

Was habe ich für eine Sehnsucht, mich ebenso zu fühlen! Mit einer Selbstverständlichkeit hier zu sein, an diesem Ort, ohne mich zu rechtfertigen, ohne Fakten erst abwägen zu müssen. Ohne Aufgaben. Ohne ein besonderes Ziel auf Wegen entlanggehen mit schwingendem Körper, ganz ohne Bündel oder Angst, mit graubraunem Fell, das mir so gut steht.




Freitag, 30. April 2021
Allerorten wird sich jetzt bedankt für dies und das und auch ich möchte dankbar sein über alle, die mir in den letzten Monaten (neu & wieder) begegnet sind: Graham, Bodo, Georg, Leona, Gunnar, Jochen, Kai, Nicole, Nadine, Raphael, Catherine, Mark, Veikko, Viviane, Jacky, Sonja, Sunny, Reiner, Nancy, Blossom, Helga, Pia. Und nicht zuletzt Jonas und Tessje. Dudi. Der Bildhauer. Die Bestefreundin. Danke für schlaues Geschwurbel, Definitionen, frisches Verständnis von Zusammenhängen, für love & peace.
Musik: My Terracotta Heart, Blur




Samstag, 20. März 2021
Tja. Was machen wir nun mit dem angerichteten Schaden? Seien es Gesundheits-, Impf-, psychologische, gesellschaftspolitische, wirtschaftliche und andere Kollateralschäden--mir schwirrt der Kopf, wenn ich nur an all die Modedesigner denke, die tatsächlich pro Jahr 24 neue Kollektionen raushauen, die dieses Jahr nicht gekauft werden; und nun können sie die ganzen Klamotten in die Deponie schaffen und ein nettes Kunstfaserfeuer entfachen. Und dann die blauen Masken, die überall rumliegen, wir hatten doch gerade erst die Strohhalme abgeschafft. Wer immer noch glaubt, es ginge hier um rein mütterliche Gesundheitsvorsorge, der hat seit einem Jahr Augen und Ohren zugeklappt und's Hirn abgeschaltet. Ich möchte mir von keinem dahergelaufenen Tierarzt oder einem Pharmareferenten (die sich im Übrigen in schamloser Weise an genau diesen Masken bereichert haben) sagen lassen, wie ich Körper, Geist und Seele gesund erhalte. Und lass uns endlich aufhören, Kapitalismus zu spielen, der ist wirklich kein Spaß mehr. Keine Ahnung, wie schlimm es noch werden muss, bevor es besser wird. Ich warte auf ein Wunder, stricke meine Pullis und Socken selbst und halte ich mich aus dem Geschehen raus so gut es eben geht.
Und wer heute nichts vorhat, geht ein bissel in Kassel spazieren.




Freitag, 19. März 2021
  • der Kühlschrank ist gereinigt
  • aus dem Gewürzfach ist Abgelaufenes entfernt und Frisches neu geordnet
  • neben der Küche ist das Arbeitszimmer
  • daneben sind die anderen Räume
  • darunter hatte die Nachbarin ihre vierte Psychose
  • darüber in meiner Seele wurde ebenfalls Dunkles erkannt und aussortiert
  • es gab weitere Erkenntnisse
  • mein Gemüt ist nun wieder klar
  • ich lebe gesund und zurückgezogen
  • einige Menschen haben sich ebenfalls zurückgezogen
  • ich bin darüber nicht traurig, aber etwas erstaunt
  • ich könnte noch 100 Sätze schreiben, habe aber keine Lust
  • das eine ist die Geschichte und das andere die wirkliche Wahrheit
  • es ist müßig, darüber zu schreiben
  • mehr denken als sprechen
  • ich glaube an die wirkliche Wahrheit, wann ist es endlich so weit
  • aus den Räumen unter mir erklingt kein Ton, denn die Nachbarin ist in der Klapse
  • darf man Klapse sagen
  • was darf man eigentlich überhaupt noch sagen
  • die wirkliche Wahrheit jedenfalls im Moment nicht
  • der Plan, die Maske zu frisieren, führt zu nichts
  • dies ist ein weiterer Listenpunkt
  • in einem anderen Stadtteil wird soeben eine Bombe entschärft
  • ich habe vorhin Plätzchen gebacken
  • im Kühlschrank stehen Gläser mit selbst eingelegten Möhren, die ich noch nicht probiert habe
  • die Tulpen sind schön
  • jetzt noch einen kleinen Film über einen holzhandwerkenden chinesischen Opa
  • dann schlafen




Samstag, 30. Januar 2021
Aus Gewohnheit fühle ich hin zu den sonst wehen Bereichen der Seele – Sorge, Angst, Zwang – und jetzt ist da nichts. Eine leere Stelle, vielleicht noch eine Schale aus Papier, eine Einbuchtung, die welk im Nichts weht. Das tut mir nichts, es ist nur etwas befremdlich, tatsächlich eine Gewohnheit, die nun nicht mehr greift.

Es tat gut, die Freundinnen am Grab zu wissen, es gab keine falschen Fahnen mit Schreibfehlern, sondern ein Sei wunderbar geborgen von der Kusinenfamilie, Dudi und ich hatten uns Tulpen in pink und weiß auf den weißen Sarg gewünscht und die Busenfreundin sang so nimm denn meine Hände aus der Ecke hinter uns, der Pastor lächelte mir überrascht zu, mein bester Moment dieser Veranstaltung, es darf ja nicht gesungen werden, wie zwei Verschworene lächelten wir, in dieser Kapelle, die mir schon fast ein vertrauter Ort ist, mit Kuppel und Spruchband rings herum.

So erledige ich die Dinge, die getan werden müssen, langsam, aber getrost und ohne Zaudern. Mit jeder Erledigung steigt das Gefühl der Erleichterung, des ledig seins vom Mütterlein, das ich auf seiner allerschönsten Reise weiß, wunderbar geborgen von guten Kräften.




Samstag, 23. Januar 2021


Dieses Bild meiner Eltern macht mich froh. Dudi bemerkte, dass wir da noch gar nicht geboren waren, wie seltsam das sei. Ich sehe zwei Menschen, die praktisch erst vorhin den Krieg überstanden haben, sich jetzt ihrer Liebe und Zuneigung gewiss waren. Dieser Spaziergang in der Stadt hat nichts mit uns Schwestern zu tun, und deshalb ist es so schön.




Als ich sie am Sonntagmittag besuche, liegt sie mit starrem Blick, bewegungslos. Sie reagiert nicht auf mich, nicht als ich sie berühre, nicht als ich mein Gesicht in ihr Blickfeld halte. Die Pflegerin ist lieb und warmherzig und lässt mir alle Freiheiten. Bedankt sich, dass ich da bin. Natürlich nehme ich die Maske sofort ab, nicht mal einen Kittel wie am Freitag soll ich tragen.

Ich komme an. Finde Ruhe. Ihr Atem klingt angestrengt, das Abhusten des Schleimes gelingt ihr nicht mehr. Vorgestern noch hat sie wenigstens meine Hand gedrückt, und als ich ihren Mund erfrischt habe und nachfragte ist das gut? nickte sie. Am Samstag waren ihre Reaktionen kaum noch spürbar und nun sind ihre Augen auf die weiße Wand gerichtet ohne einmal zu blinzeln. Ich habe Angst, aber ich fühle mich ihr gewachsen. Ich fange an zu singen, bete alle Gebete, die uns gemeinsam etwas bedeutet haben, immer im Kreis, singen, beten, noch ein Gebet, dann wieder Gesang. Ich falle nicht ins Weinen, wundere mich, dass meine Stimme ohne Zittern ist. Trotzdem ist dies eine tieftraurige Situation. Meine Stimme, die Verse können jetzt langsamer, ruhiger werden.

Plötzlich, ich habe erst Sorge, dass es ihr zu viel ist, holt sie mit einer flinken, fast eleganten Bewegung ihren Arm unter der Bettdecke hervor und klappt diese zur Seite. Diese wunderbare Geste werde ich nicht vergessen. Nun kann ich ihre Hand nehmen, die sie aber auch heute nicht mehr drückt. Ich rede ihr zu, wie schön sie aussieht, wie gut sie es macht, es ist fast, als versuchte ich sie zu überreden loszulassen, wiederhole die Gebete, Gesang und meine Ermutigungen, es sich leicht zu machen, und den Engeln zu folgen, die ich allesamt als anwesend empfinde/erhoffe, und extra herbeigebetet habe, um uns durch diesen Tag zu führen.

Es dauert alles, alles hat bis hierher so lange gedauert. Ich bin müde und ich spüre, wie mich mein Mut verlässt. Die Pflegerin hatte ich nach geistlichem Beistand gefragt, es wurde verneint, die Pastoren kämen zu diesem Zweck nicht mehr raus.

So öle ich wie gewohnt meinem Mütterlein Gesicht und Hände (zum letzten Mal), teile ihr meinen Entschluss zu gehen ohne Zögern mit, küsse sie zum Abschied und flüstere ihr Gute Reise, Mama ins Ohr, verlasse das Zimmer, gehe durch den langen Flur, verlasse das Haus, verlasse ihr Leben.

Am Abend klingelt das Telefon – ich bin schon lange bereit.




So nimm denn meine Hände
und führe mich
bis an mein selig Ende
und ewiglich

Ich kann allein nicht gehen
nicht einen Schritt
Wo du wirst gehen und stehen
da nimm mich mit

In dein Erbarmen hülle
mein schwaches Herz
und mach es gänzlich stille
in Freud und Schmerz

Lass ruhn zu deinen Füßen
dein armes Kind
es will die Augen schließen
und glauben blind

Wenn ich auch gar nichts fühle
von deiner Macht
du führst mich doch zum Ziele
auch durch die Nacht

So nimm denn meine Hände
und führe mich
bis an mein selig Ende
und ewiglich




Samstag, 24. Oktober 2020
Der Leitspruch einer meiner Lieblingsphilosophen geht sich angesichts des aktuellen Klopapierengpasses gut an. Wie, Klopapier ist knapp? Hatten wir das nicht schon mal zu einem früheren Zeitpunkt des Jahres? Ja, so wiederholt sich alles. Trotzdem, weil ich immer noch andere Medien schaue, was mit einem anhaltenden Kopfschütteln seitens des Bildhauers quittiert wird, sehe ich die Dinge... ähm, anders. Ich kann nicht anders, entschuldigung. Wie soll ich kritisches Denken ändern, das sich schon in den frühen 70ern gebildet hat? Atomkraft, Aufrüstung und all die Themen, die uns ununterbrochen in Atem hielten, nun, jetzt sind es andere, noch bedrohlichere Szenarien, die uns entgehenwehen. Ich mach's wie im Aikido: die Angriffsenergie des Gegners umlenken zu seinem eigenen Fall. Das sieht oft lustig aus, wie er dann so käferartig auf dem Rücken liegt – das kann man auch ohne Häme oder Rachegefühle betrachten. Danach dreht man sich um und macht was Schönes.

Wie das Schöne und Gute der äußeren Welt abhanden gekommen scheint. Mein eigener Blick geht immer mehr zum Guten hin. Vom Bösen haben ich eine Ahnung bekommen, und es gab Tage, da war ich erschreckt, wie böse das Böse agiert und es zerriss mir beinahe das Herz. Und dann, nach und nach, kommt Gutes. Inspirierende Menschen gleichen Klanges, Arbeitsaufgaben, die mich morgens begeistert aus dem Bett springen lassen, Erfahrungen von Güte, Mitgefühl und Erleichterung, zusammen mit dem Humor, der alles Eisen ums Herz sprengt und Filmchen, die eine kleine, fröhlich kichernde Nachfahrin zeigen.

Bisher ein sehr gutes Jahr, möglicherweise das Beste überhaupt. Wir werden sehen.




Freitag, 14. August 2020
Ein paar hundert Kilometer entfernt hat ein kleines Wesen gestern Abend das Licht der Welt erblickt. Dass ich jetzt Großtante bin, will ich nur nebenbei erwähnen, denn dieses Menschlein hat sicher eigene Pläne, ohne mich. An diesem Tag wird verkündet, dass Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate Frieden geschlossen haben.

Ich bin hauptsächlich Beobachterin all dieser Dinge, dadurch treten gewisse Teile der Persönlichkeit, die fordernden und wollenden, in den Hintergrund. In diesem Moment empfinde ich eine Art Entspannung, trotz des steten Gefühls, Teil einer Jugendbewegung zu sein in einer unerhörten Epoche zu leben.