Freitag, 18. Juni 2021
Nachdem ich die Dinge neu bewertet habe, ahne ich, ich muss allein weiter. So wie vorher auch. Meine gemütliche telegram-Familie ist gerade dabei, sich mit differenziertesten Argumenten gegenseitig zu zerfleischen. Es wird deutlich, wie wenig ich selbst sicher weiß und wieviel ich von der Gruppe "gelernt" habe. Bisher kannte ich mich kaum aus mit Politik oder Geschichte, und jetzt, nach dem Selbst-Studium des letzten Jahres weiß ich noch weniger. Wieviel davon wird sich noch als unhaltbar erweisen?

Ich neige dazu, meinen Lehrern zu folgen und ich hatte stets die besten. Swamijis Kosmologie hat sich tief in mein Herz eingegraben, jede seiner Beschreibungen empfand ich als wahr, jeder Zusammenhang erwies sich als schlüssig. Eine zeitlang, bevor er seinen Körper verließ, hielt er seine Schüler dazu an, nun die Gurukraft in sich selbst zu finden. In den Jahren danach konnte ich alles loslassen, das mich bisher abgelenkt hatte. Dann aber kam Neues dazu, so als wollte eine Leere gefüllt werden, die ich einst sehnsüchtig erwartet hatte.

Als sei die Leere nicht genug.

Die Yogis halten nicht viel von der Welt, sie versuchen, sie zu durchschauen und wenden sich dann ab, um von den Spielen der Maya nicht mehr belästigt zu werden. Sowieso sollte eine Wiederverkörperung vermieden werden.

Aber. Ich mag Geschichten so sehr. Ich bin neugierig. Ich will all ihre Details kennen, ihren Verlauf, ihre Protagonisten, die Herausforderungen, das Ende. Beim Lesen des science fiction-Romans merke ich, wie sehr ich bereit bin, mich begeistern und fesseln zu lassen von seinen Bildern, Dialogen, Einsichten und feinen Gedanken. Dieses Buch ist ein großes Geschenk. Und gleichzeitig weiß ich manchmal das Geschenk meiner eigenen Geschichte nicht zu würdigen.

Bereits als Mädchen habe ich mich über diese Quatsch-Welt gewundert und nach alternativen Wahrheiten gesucht, wie man heute wohl sagen würde, Erich von Däniken habe ich verschlungen und später alles andere auch. In Wirklichkeit wollte ich ganz woanders sein. Dort, wo man sich friedlich begegnet, wo man Sinvolles zu tun hat, sich den geistigen Dingen widmet und ansonsten in Ruhe lässt. Warum bloß war diese Welt nicht voller Schönheit und Freude? Ist die Sehnsucht danach in Wahrheit nicht eine Erinnerung daran? --

Ich habe eine bestimmte Vorstellung vom alleine weiter gehen. Zugrunde liegt eine Freiheit, die ich eigentlich schon habe, von hier aus bin ich tatsächlich ledig aller Wünsche, Sehnsüchte und Ängste. Trotzdem, die Geschichte, meine Geschichte ist immer noch da. Sie ist die Matrix, von der ich umgeben bin. Das mindfield, chitta.




Samstag, 24. Oktober 2020
Der Leitspruch einer meiner Lieblingsphilosophen geht sich angesichts des aktuellen Klopapierengpasses gut an. Wie, Klopapier ist knapp? Hatten wir das nicht schon mal zu einem früheren Zeitpunkt des Jahres? Ja, so wiederholt sich alles. Trotzdem, weil ich immer noch andere Medien schaue, was mit einem anhaltenden Kopfschütteln seitens des Bildhauers quittiert wird, sehe ich die Dinge... ähm, anders. Ich kann nicht anders, entschuldigung. Wie soll ich kritisches Denken ändern, das sich schon in den frühen 70ern gebildet hat? Atomkraft, Aufrüstung und all die Themen, die uns ununterbrochen in Atem hielten, nun, jetzt sind es andere, noch bedrohlichere Szenarien, die uns entgehenwehen. Ich mach's wie im Aikido: die Angriffsenergie des Gegners umlenken zu seinem eigenen Fall. Das sieht oft lustig aus, wie er dann so käferartig auf dem Rücken liegt – das kann man auch ohne Häme oder Rachegefühle betrachten. Danach dreht man sich um und macht was Schönes.

Wie das Schöne und Gute der äußeren Welt abhanden gekommen scheint. Mein eigener Blick geht immer mehr zum Guten hin. Vom Bösen haben ich eine Ahnung bekommen, und es gab Tage, da war ich erschreckt, wie böse das Böse agiert und es zerriss mir beinahe das Herz. Und dann, nach und nach, kommt Gutes. Inspirierende Menschen gleichen Klanges, Arbeitsaufgaben, die mich morgens begeistert aus dem Bett springen lassen, Erfahrungen von Güte, Mitgefühl und Erleichterung, zusammen mit dem Humor, der alles Eisen ums Herz sprengt und Filmchen, die eine kleine, fröhlich kichernde Nachfahrin zeigen.

Bisher ein sehr gutes Jahr, möglicherweise das Beste überhaupt. Wir werden sehen.




Samstag, 19. November 2016
"Ich weiß manchmal nicht mehr, wie viele Kinder ich eigentlich habe", sagt sie. Bei sowas zerspringt mir fast jedesmal das Herz. Na, sage ich, zwei Töchter – Dudi und mich. Noch immer lege ich jedes ihrer Worte auf die Goldwaage, und für mich ist sie beides, meine Mama und gleichzeitig eine völlig unbekannte Frau, die wirr vor sich hinredet. Ich suche nach Wahrem, zwischendrin, das hört nicht auf. Bist du traurig, wenn ich sterbe, fragt sie und schaut ein bisschen an mir vorbei, obwohl ich ihr beinah in der Nase sitze, um sie ganz nah zu haben.

Swami sagt, es gäbe keine dementen Yogis, als ich ihm meine Befürchtungen mitteile, die Krankheit erben zu können. Manchmal fallen mir Wörter nicht ein. Mir auch nicht, lacht er. Als visueller Mensch habe ich aber neben dem Abbild des Objektes das Schriftbild eines Wortes vor Augen, so lese ich es zur Not einfach ab. Trick 17.

In der letzten Zeit haben die Buddhistin und ich oft anstrengende Diskussionen, die sich wie kurz vor Streit anfühlen. Diese Entwicklung gefällt mir nicht. Wir versuchen einander noble Freunde zu sein, mit jederzeit abrufbaren philosophischen Empfehlungen für alle Notfälle, deren es genug gibt: meine kleine Mutter, ihre 20 Jahre jüngere Geliebte etc., da ich aber dem Vedantischen fröhne und sie dem Buddhistischen anhängt, gibt es weltanschauliche gaps. Mir ist aufgefallen, dass mich der Buddhismus mit Leben ist Leiden auf Dauer echt runterzieht. Jaja, ich weiß doch, Vergänglichkeit ist unschön, und jeder Wunsch zieht weitere Wünsche nach sich, und am Ende springt man irgendwo runter, damit das Ganze aufhören möge. Oder man beginnt zu meditieren und dann weiß man noch genauer, wie unschön eigentlich. Vedanta und Co. hingegen scheinen mir aus dem Schönen zu sprechen, vom Schönen, man ist sozusagen schon in Sicherheit und kann halbwegs gelassen auf das Leid schauen. Das genau scheint mir der Punkt in unseren verzweifelten Disputen zu sein, die Buddhistin erlaubt sich das Gelassensein (noch) nicht, während ich es schon bin. Jedenfalls des öfteren. Was ich mir aber nicht traue zu sagen, um ihr Leid nicht zu schmälern, oder ihr Ego – welches das Leid erst macht. Und so weiter. Das ist alles intellektuelle Kacke, während wir so reden, werden da Ebenen vermischt, die nicht zusammen gehen, und das erkennen wir im Gefecht nicht, erst hinterher liege ich die halbe Nacht wach und versuche, das Knäuel zu lösen; bin viel zu nah dran. Ich habe mir vorgenommen, mich nicht mehr drauf einzulassen, ich werde ihr weiterhin zuhören, die noble Freundin bleiben, aber meinen Kram behalte ich für mich. Es wäre am schönsten, wenn ich einfach gar keine Meinung mehr haben müsste. So direkt zur Synthese leiten, und dann nach mir die Sinntflut.