Freitag, 12. Juli 2019
Ich bin jederzeit für eine gute Geschichte zu haben, denn ich bin ein neugieriger Mensch. Vielleicht erzählt man mir deshalb gern etwas. Allerdings behalte ich wenig davon für längere Zeit. Vielleicht merkt man das ebenfalls und muss um so intensiver auf mich einreden. Es scheint sich etwas Vertracktes herauszubilden – ich leide nämlich mit. Jedenfalls für eine Weile, ein paar Tage, mit uferlosen Grübeleien, manchmal auch Schuldgefühlen, vielleicht weil ich gegen Probleme nichts auszurichten vermag. Ich hab’ aber halt Meinung. Und die sag’ ich. Ich bin parteilich, vornehmlich auf der Seite der Schwachen.

Inside des Vertrackten erreicht mich gerade die Erkenntnis, dass die Schwachen gar nicht so schwach sind wie sie tun oder selbst glauben zu sein. Sie drehen sich bloß um sich selbst, und weil Gedrehe eine Art Gravitation erzeugt, ziehen sie jede Menge Krempel an – Probleme, Ansichten, Abneigungen – der naturgemäß schwächen muss.

Seit dem Wachwerden heute morgen bin ich damit beschäftigt, Freunde einzusortieren. Grob gesagt in zwei Schubladen, das ist erstmal übersichtlicher und dient dem einzigen Zweck, meine Grübeleien abzustellen, die sich mit deren Problemen beschäftigen, von denen ich glaube, sie selbst seien zu schwach sie zu bewältigen. Ein großer Quatsch, ich schreibe hier jetzt ins Unreine. Die Schubladen sind egozentrisch und selbstlos. Super. Die Egozentrischen passen wegen der Drehung und die Selbstlosen haben keinen Mittelpunkt. Ob das stimmt?

Natürlich nicht. Der Mittelpunkt jeder Selbstlosigkeit muss bindu sein, der Punkt, an dem alles entsteht und wieder zurückgeht. Eigentlich ist dieser Punkt der einzige, der mich interessiert, nicht der Punkt der Meinung, nicht der Punkt, den jemand macht, um zu überzeugen, nicht die ausufernde Geschichte eines ertragenden Leides. Vielleicht vergesse ich deshalb alle Geschichten so schnell, weil ich deren Punkt nicht begreifen kann. All diese ausführlichsten Dauergeschichten, denen ich Gehör schenke… Was ist der Punkt der Gärtnerin, die jedes Jahr mehrmals ihren Garten umgestaltet und dazu alle Pflanzen umsetzt? Was ist der Punkt von Dudi, die nun nochmal unsägliche Wohngemeinschaft eingeht? Was ist der Punkt der Kollegin, die seit einem Jahr den Ex-Partner in die Narzisstenschublade steckt und steckt und erläutert und Gelder ausgibt, die sie nicht hat? Was kann der Punkt der Busenfreundin sein, die in ihrer Messiewohnung feststeckt? Und wieso muss die Lieblingsgestalterin sich dauernd besaufen?

Worum geht es da?
Ich sollte aufhören, es herausfinden zu wollen. Ist nicht meine Angelegenheit. Ich weiß ja nicht mal, warum ich seit Tagen wieder um die Besuchszeit fürs Mütterlein feilsche, nach fünf Tagen, nach sechs oder sieben, da ist der Sonntag dazwischen, der Montag wäre schon der achte Tag, ist das denn so schlimm, wo sie mir doch sowieso kaum mehr Beachtung schenkt. Wo ist da der Punkt?




Donnerstag, 4. Juli 2019
Wir haben schon mindestens 800mal herrlich gerufen, das Wasser ist herrlich, die Luft auch, und der Weg zum See und das Wetter mit seinen sonderbar kalten Nächten. Die künstlerischen Ideen sind’s, die Häkelarbeit, der Heimgarten, die Rosen, der Lavendel, die Kräuter, Himbeeren, Kirschen (man hat einen Kescher bereitgestellt, Sie können den auch ausfahren, dann kommen Sie oben besser ran), und die Mutter, die mich immer längere Weilen nicht erkennt, und ich naschen von allen Früchten, nehmen von jedem Kraut ein Blättchen und in jedes Knopfloch ein Lavendelstielchen, und dann lauschen wir dem grauen Plastikbrunnen, beobachten Bienen, die zur Tränke kommen oder sehen den Wolken nach und ich fühle mich das erste Mal seit vier (oder acht?) Jahren langanhaltend unbeschwert. Ich empfinde Dankbarkeit und Liebe, mir gehen vollständig die Gefühle über und ich bekomme eine Ahnung einer Zeit kindlicher Freude aus Vergangenheit und für die Zukunft.




Freitag, 28. Juni 2019
Ich hatte dies alles als mein persönliches Scheitern hingestellt. Es blieb nicht allein beim Schuldgefühl – das ja vielleicht so eine Art Schwelen bedeutet, an dem sich noch arbeiten lässt – nein, das Scheitern hat ganz andere Maße, es ist ein abgeschlossenes, endgültiges, unveränderliches. Für alle Zeit. Wie ich mir aneignete, das gar nicht meines ist. Wie die Mutter vor sich hinstarrt und ich denke, es hätte etwas mit meinem Fehlen zu tun. Wie ich versuche, es gut zu machen und wieder heil. Und wie ich nur langsam/langsam erkenne, dass das gar nicht geht. Möchte meinen, das sei klar, aber mir war das im tiefsten Herzen nicht klar.

Das Eigene. Das etymologische Wörterbuch zeigt dazu eine Reihe von verwandten Wörtern, von leibeigen, eignen über an- und enteignen. Ich möchte mich nun gerne enteignen. Ich eigne mich gut dazu.

Auf dem Balkon mit der Busenfreundin. Sie läuft hin und her, sobald ich was längeres sagen möchte, aus der Rufweite heraus, zum Kühlschrank, der im Arbeitszimmer steht, weil in der Küche kein Platz ist. Wieder versuche ich, ihrem Ansammelwunsch auf den Grund zu gehen. Man kann die Dinge noch benutzen, wieder- und weiterverwerten. Zu was, frage ich. Das Aufräumen des Elternhauses geht nicht voran, sie streitet sich mit ihren Brüdern, die ebenfalls undurchsichtige Leben führen mit unheilbaren Krankheiten oder Geldmangel bzw. gewissem Wohlstand, je nachdem. Ich versuche mich rauszuhalten so gut es geht. Es ist ja ihres. Zum Gefühl, zum ursprünglichen Bedürfnis des Sammelns gelangt sie nicht. Ich schon, es trägt zu meinem wilden Wunsch, mich zu enteignen, nur weiteres bei.




Sonntag, 16. Juni 2019
Der beliebte Tambour Phil Collins (Ex-Genesis) ist zur Zeit auf den Bühnen anzutreffen. Da ich bereits vor ca. 15 oder 20 Jahren auf einem seiner Konzerte war – das ist wirklich noch nicht sehr lange her – habe ich mir diesmal den Eintritt gespart, konnte ich ihn doch durch meine Wohnung wehen hören, so nah war er. Bei der Rückschau stellte ich mit wundem Herzen fest, dass das Musikerlebnis um Genesis bzw. Phil Collins – im Gegensatz zu den Beatles, die meine eigene Band sind – immer gefärbt war von obskuren Liebesgeschichten. Die schlimmste, an die ich mich erst gestern wieder erinnern konnte, fand im Länderaustausch D/NL statt; ich verknallte mich blindlings in einen guten Freund meiner Schwester. Es war Face Value, die Dudi über Stunden in Dauerschleife spielte, während ich auf das Ende des Abends/der Nacht wartete, in der ich G. ins Bett bekommen sollte. Es lief auf eine dieser qualvollen Dramen hinaus, die eine Weile typisch für mein Liebesleben sein sollten und hier nur kurz als hinter Männern herlaufen benannt werden kann. Then there were three wiederum bezeichnet jene unerquickliche, ähm Sache mit M., der sich sofort in die Bestefreundin verliebte, was ich aber erst später begriffen habe. Erst bei Duke wurde es besser, ich hatte die Platte (Jahre später) wegen des Covers gekauft, die Zeichnung gefiel mir. Bestes Stück Behind the lines.

Vieles wieder und neu gehört, Alben, clips und live-Auftritte bei utube – so verbrachte ich die kühle Mondnacht, die meine ganz eigene war.




Samstag, 15. Juni 2019
Meine Recherchen zum Thema wie leb’ ich ergaben Erkenntnisse. Festzustellen, dass dieser Planet von einer Horde Wilder bewohnt zu sein scheint, vertreibt mein Dauerschuldgefühl. Ich leb’ jetzt einfach. Dass man lügen kann durch Weglassen von Informationen bzw. keine Wörter finden für einen geahnten Zusammenhang, ist so als würde man mit dem blinden Fleck (im eigenen Auge) den Mond betrachten. Schon mal probiert? Sehr befremdlich. Man sieht das helle Strahlen, aber nicht den Mondkörper selbst. Das andere Auge hält man dabei geschlossen.

Ich habe nach Definitionen und ausführlichen Weltbildern schon immer gesucht. Die Yogaphilosophie hat feinst aufgefächert, was den Menschen in seiner Ganzheit von Körper und Geist ausmacht. Von vielen Dingen wissen wir nichts, wenn uns niemand davon erzählt. Als ich in jungen Jahren mit einem Buch der Krishna-Bewegung nach Hause kam, hat mein Vater mir verboten es zu lesen und es in seinem Bücherschrank versteckt. Vielleicht kann eine Fünfzehnjährige noch nicht begreifen, was die Erwachsene als das innere Wissen erkannte, das sie immer schon hatte. Das Studium der Gita und anderer Schriften hat mir eröffnet, wie universell ich bin. Ich bin ein Teil des Gesamten. Das allerdings äußerst komplex sich gestalten möchte.

Manchmal bleibe ich im Komplexen stecken, das regt mich dann sehr auf, doch irgendwann komme ich stets auf bindu zurück, den einen Punkt, auf den sich alles konzentriert und zurückläuft. Das ist schön. Das ist einfach. Es ist erholsam.
Und wahr.




Samstag, 8. Juni 2019
Ich hatte mich eingelesen. Wenn ich an einem Thema dran bin, dann richtig. Wird es nun wärmer oder nicht? Unerträglich fand ich ich die Hitzeperiode im letzten Jahr, die noch verschärft wurde durch die Hitzewellen, die mein eigener Körper hervorzubringen fähig war. So als würde die Sahara eine zusätzliche, um weitere 30 Grad erhöhte Böe durch die sowieso schon mehr als kuschelige Küche schicken.

Also menschengemachter Klimawandel. Was ist dran, was ist fakt? Über viele Tage hatte ich Informationen aus Print und Web angesehen und gelesen und landete unweigerlich bei Vertretern der Antithese. Ich wusste tatsächlich bisher nicht, aus welchen Argumenten, Theorien und Fakten diese bestehen könne und fand sie dann irritierend plausibel. Gestern spät Abends sah ich nach Lebensläufen der Protagonisten und entdeckte, dass diese von der Gegenseite des politischen Spektrums kommen, zu dem ich mich zählen würde.

Einer dieser Vorträge beginnt mit einer Definition von Unwahrheit, die aus Lüge und Illusion bestünde. Im weiteren Verlauf wird immer wieder dringlich aufgefordert, sich über die Aussagen selbst zu informieren, die Daten und Fakten seien ja überall zugänglich, und gerade dadurch gewinnt er mein (vorübergehendes) Vertrauen. Es folgen sechs Stunden, in denen Aussagen, Statistiken, historische Erkenntnisse, Schlüsse usw. präsentiert werden. Im Moment kann ich nichts davon veri- oder falsifizieren, denn ich bin ja nicht vom Fach. Ich nehme auf, ich nehme wahr, erstmal. –

Ich mag ja Definitionen. In den yoga sutras werden fünferlei Trübungen (vrittis) der Wahrnehmung beschrieben, manche leidvoll, andere angenehm.
  • Gegenständliche Wahrnehmung (Pramana) basiert auf dem, was vor den Sinnen erscheint (Pratyaksha), was aus dem Intellekt entsteht (Anumana) und auf der Überlieferung (Agama). ||7||
  • Fantasie (Viparyaya) basiert auf falschem Wissen (mithya jnana), das auf einer falschen Vorstellung (atadrupa) beruht (pratishtham). ||8||
  • Mentale Konstruktion (Vikalpa) basiert (anupati) auf Wort-Wissen (Shabda Jnana), ohne Bezug (shunya) zu einem realen Objekt (Vastu). ||9||
  • Dösen (Nidra) ist die Abwesenheit (abhava) aller Eindrücke (Pratyaya), basierend (alambana) auf einer trägen Trübung (tamo vritti). ||10||
  • Erinnerung (Smriti) entsteht aus der Vergangenheit (anubhuta), wenn die Erfahrung (vishaya) noch nicht verblasst ist (asampramosha). ||11||
Zurück zum Vortrag. Am irritierendsten finde ich nicht die Fakten/„Fakten“ selbst. Mich verstört es, dass es über diese hinaus keinerlei Möglichkeit gibt, die Wahrheit an sich zu erkennen. Mein spiritueller Lehrer hat immer wieder dazu angehalten, (auch ihm) nichts zu glauben, was man nicht selbst geprüft hat. Dazu lehrte er die tools zur Erkenntnis der Wahrheit. Die yoga sutras beschreiben den Weg dahin. (Diese bitte selbst lesen, haha.)

Ich nehme an, das gesamte Thema (sowie auch alle anderen, die zur Zeit populär diskutiert werden) ist von vrittis getränkt, und zwar bei allen Wissenschaftlern und Studenten, die dazu forschen, ferner bei allen, die den Wissenschaften vertrauen, ihren Erkenntnissen glauben und sie zur Basis ihres Handelns machen und weitere Unterkategorien von Leuten am Stammtisch oder auf Picknickdecken. Sehr verwurschtelt. Ich möchte nicht wissen, wie hoch der Glaubensanteil ist, man muss sich ja erstmal gläubig nähern, wenn man’s nicht selbst erforschen kann.

Was genau aber könnte das Wissen sein, das ich selbst (gewonnen) habe?

Alles ist ständigem Wandel unterworfen. Das kann ich in der Natur beobachten und an mir selbst, denn ich bin – wie wir alle – Teil der Natur. Prozesse des Entstehens und Vergehens sind natürlich. Ich kann weiter annehmen, dass es für den gesamten Planeten und sämtliche Vorgänge auf, in und über ihm gilt, für unser Sonnensystem und alle Galaxien.


Die yogasutras sind wahr. Ich habe sie studiert und ihre Stimmigkeit in/an mir selbst erfahren. Ich kenne alle vrittis. Ich nehme an, dass nicht nur ich an Trübungen im Geist leide oder mich erfreue, sondern alle Menschen, Wissenschaftler, Gläubige, Weise usw. ebenso.

Es gibt Hitzewellen. In meinem Körper seit fast zehn Jahren, haha. Sie kommen und gehen, ich habe Kälteperioden, Überschwemmungen, Trockenzeiten. Tag und Nacht wechseln sich in mir ab, Gutes und Böses taucht auf. Das ist jetzt ein bisschen albern, aber warum sollte ich es nicht zur Liste meiner selbst gewonnenen Erkenntnisse hinzufügen?

So. Was geht noch? G., die Sufi-Übende, empfiehlt, nach den Gefühlen zu schauen, die so eine Ansprache in einem selbst auslöst. Was mich letztlich abgestoßen hat, war, dass die in Aussicht gestellte Erwärmung und die daraus resultierenden Veränderungen, ob katastrophal oder angenehm, im Leben, Lieben, Wohnen und Arbeiten aller mit keinem mitfühlenden Wort Erwähnung fanden – die Arroganz eines Menschen, der nicht Tod noch Teufel scheut, stand im Gesicht dieses Redners.




Montag, 3. Juni 2019
Eine andere Persönlichkeit überstreifen, wie einen Anzug, vielleicht auch das Geschlecht wechseln. Natürlich virtuell, trotzdem so real wie möglich. Da entsteht eine ganz neue Kreativität, neue Bilder, eine andere Sprache.

Mit Reisen an eine kleine See, dort auch unterschiedliche Persönlichkeiten in der Nähe, ganz besonders Geliebte, vorher Gekannte, schon miteinander gespielt, durch Dudis Bauchdecke hindurch. Wenn ich ihn ansehe, ist da nichts anderes als Liebe, erwartungslos und rein, so war es immer.


Wieder anders reizvoll der flache, himmelwärts blau durchscheinende Nebel um die Leserin und mich, an einem östlichen Meer. Auch sie in naher Nähe, nachts schnarchend, ich daneben ohne Schlaf, dafür mit Zweifeln, ob Nähe überhaupt gut sei und lege Patiencen. Draußen jede Menge lautes Kopfsteinplaster.

Und die Bienen. Die ersten Keime der Kefe und anderer Pflanzen auf dem Fensterbrett. Dazu Sonne, oder feiner Regen, der mich völlig durchnässt auf dem Weg zum Garten der Damen S. + R., um nach den Möhren schauen, angeblich sind da aber fast nur Ringelblumen.

Online-Gesprächen zuhören. Viel Lachen und auch weinen. Die eine lacht und weint über eine Viertelstunde. Ich bin neugierig, was ihr in diesen Momenten so durch den Kopf geht. Viel lesen in der Sonne, Marget Atwoods Trilogie von der Flut. Der Bücherstapel auf dem kleinen Tisch wächst. Meditationen vorm Altar, kein Ziel mehr, schon erreicht.

*Diesen Text habe ich 2014-04-06 21:52 geschrieben, aber nicht online gestellt, ich weiß nicht mehr warum. Eigentlich wollte ich heute anderes erzählen mit der Überschrift 'Bei mir ist alles echt', über die Prinzessin, von der ich jahrelang geglaubt habe, sie sei ein Prinz, und dass ich sie trotzdem geliebt habe, nachdem wir uns endlich in den Armen hielten. Daran möchte ich mich heute (nur) erinnern.




Samstag, 1. Juni 2019
  • Erdbeeren mit Sahne zum zweiten Frühstück
  • Draußen schwimmen
  • Gespräche mit der Lieblingsdesignerin
  • Handwerkerfilme mit dem Bildhauer schauen.
  • Thai-Massagen, sehr aua und äußerst wohltuend
  • Die Nachbarin legt im Hof einen Kräutergarten an.
  • Entscheidungen zum kunsttätigen Handeln, erleichternd
  • Gute Arbeiten am Schreibtisch, nebst klingender Münze
  • Die neuen Barfußschuhe
  • Pünktlich erledigte Steuererklärungen für mich und die Greisin
  • Mit dem Cousin das Mütterlein besucht – Du bist ja nun auch groß geworden, ruft sie ihm zu.
  • Unnötige Sorgen wegpuffern – anhand dieser Liste.
Außerdem: Das im vorigen Bild gewegweiste weggewiesene Hemeln an der Weser beherbergt eine kleine Kirche mit anmutig gestalteten Altarfiguren.




Mittwoch, 29. Mai 2019




Komme mir neuerdings alt vor. Natürlich, als Teilnehmerin der babyboomer kann ich das auch. Ich könnte es auch lassen. Mich statt dessen einfach hinsetzen und so. Dem Gefühl, es ganz gewaltig verkackt zu haben, entfliehen. Und dann schauen, ob das wirklich eine Flucht ist oder was jetzt real ist und was maya. Jedenfalls, noch nehme ich teil und schaue Sendungen. Oder, wie soeben, dem Eichelhäher nach, der mit einem Gefährten durch die Hinterhöfe streift, fliegt und so guckt. Er soll aber nicht an meine Bienen, neulich musste ich schon wieder den Buntspecht vertreiben, von dem ich weiß, dass er gern die Deckel der Bienennester aufpickt. Sicherlich lecker, sind die Damen und Herren schon verpuppt? Dazu ein kleiner Vorrat an Pollen.

Ich treibe davon. In einer Talkshow, die ich bei utube sah, berichtet ein Mann über seine Nahtoderfahrung. Das war sehr schön. Er fühlte sich bedingungslos geliebt, was ja eher selten ist, gerade, wenn man dabei ist, zuviel CO2 auszustoßen und überhaupt die Umwelt durch bloßes am-Leben-sein unwiderruflich zu zerstören. Hoimar von Ditfurth behauptete schon vor 40 Jahren, dass es zu viele Menschen gibt. Ich bin erstaunt über die Radikalität seiner Forderung, nämlich einfach weniger Menschen zu sein. Sonst reicht es nicht.

Ich treibe davon und mag zur Zeit nicht meditieren, so als hielte mich eine große Kraft davon ab, mich an meinen Platz zu setzen und dann Ruhe. Sehnsucht nach Frieden und Bedingungslosigkeit, aber keine Erfüllung wegen all dieser drängenden Sachen (der maya).




Sonntag, 5. Mai 2019
Es ist das Denken an sich! Alle spirituellen Traditionen lehren Dinge über das Denken. Seit 15 Jahren mach ich das jetzt mit der Meditation und so. Yogash chitta vritti nirodha. Das ist die erste Yogasutra. (Der Zustand des ) Yoga ist (erreicht), wenn die Gedankenwellen zur Ruhe (ge)kommen (sind). Die vrittis sind die Wellen und chitta ist das Sammelsurium aller Gedanken, welche fortwährend aus ebendiesem (chitta) heraufblubbern. So, liebe Krabbe, das weißt du doch. Nirodha ist Stille, Ruhe und einiges mehr, ähm, weniger. Also; gar nichts.

Die meisten Gedanken haben keinen besonderen Wert, auch das sagen die Yogis, 95 % sind Müll. Da geht es um Wäsche waschen für die Reise, Zehennägel schneiden, um Fußbodenbalken, die brechen könnten (s. Dudi).

Wie immer sitzen Dudi und ich nach dem rituellen Abendmahl beim lokalen Griechen (acht Ouzo) in der neuen Bar (drei Jägermeister) (also insgesamt). Die Wände dort bestehen aus grob abgeschlagenem Putz bzw. freigelegten Backsteinen aus der Gründerzeit, mit hohen Decken und einer Art Käfigen für die dämmrigen Glühbirnen als Lampen. Uns gefällt die Ausstattung, zum Klo geht man durch eine Westernklapptür und dahinter sind gleich die Kabinen, wenn mal plötzlich die Musik ausfallen sollte, würden alle Gäste die Pinkel-, Pups- oder andere Geräusche hören können. Ähnlich seltsam wie bei der Weinbar, wo die Toiletten hinter einer matten Glaswand sind, durch geschickt gesetztes Licht können die Gäste am Waschtisch in die Kneipe blicken, aber nicht umgekehrt.

Spätestens an diesem Ort wenden sich unsere Gespräche ins Ernste, ins überwältigend Traurige gar – die beiden kommen hierher nur zum Weinen, denkt vielleicht der Barmann, der uns sicherlich wiedererkennt, denn das Lokal ist meist ziemlich leer.

Jedenfalls denken wir. Und reden. Es gibt Wörter, die Dudi nach 35 Jahren im niederen Nachbarland nur in Fremdsprache kennt. Und mir fällt nur der englische Begriff ein, unconditional love, es dauert eine Weile bis zur bedingungslosen Liebe. Ich gehe einem Gefühl nach, einem sehr kindlichen, tief ausgegrabenen, so ähnlich wie diese zerrüttenen Backsteinwände um uns, das Gefühl ist das der Ruhe und der absoluten Richtigkeit und Heileseins in Gegenwart unserer Mutter. (Auch Dudi kennt es. Sie hat gleiches mit ihrem Sohn.)

Wir finden Sprache dafür. Es gibt keinen besseren Ort als bei der Mutter. Nirgends ist es sicherer als bei Mama.

Diese Art von Wahrheit gilt bestimmt für Kleinkinder, vielleicht auch noch für Zwölfjährige. Aber in diesem Moment wird mir klar, es gilt immer noch für mich. Wir sind in einem Alter, wo andere Leute schon gestorben sind. Und immer noch ist es das Ziehen und Zerren meiner Gedanken an Mama, die mich schlaflos, hilflos, sorgenvoll – alles dies – zurücklassen.

Nirodha, so muss ich gestehen, war mir immer suspekt, obwohl ich die Notwendigkeit erkannt habe. In meiner Familie gab es kein nirodha, durfte es nicht geben, denn es hieße, für eine Weile mal nicht an die anderen zu denken, noch mehr, gar nicht zu denken. Das war anscheindend verboten. Ich floh allerdings vor dieser seltsamen Aufmerksamkeit, die nicht aufhören durfte, in meine Bücherwelten.

Auch Dudi kennt dieses zwanghafte Denken. Bei mir ist es seit ein paar Wochen wieder sehr stark (nach meinem wunderbaren Yogitraum schwebte ich zwei Wochen im Himmel), nun wieder bildreiche Sterbeszenarien, dramatische Dialoge und Liebesbekundungen. Man darf von Liebe nicht lassen, wie auch immer man sie definiert; die unangenehme Art von Liebe, die uns unsere Eltern vorgelebt haben, fand ich äußert anstrengend und so gar nicht unconditional.

Nun – meine Mutter ist lange nicht mehr sie selbst und erkennt mich nicht als ihre Tochter. Aber ich, ich halte fest, bleibe die Tochter, die zur Liebe aufgefordert, vielleicht sogar gezeugt wurde zum hab mich lieb. Denk an mich. Vergiss mich nicht. Sieh mich.

Ablenkungen gibt es. Die Arbeit, das tägliche Tun, Gespräche, Verabredungen, Spaziergänge, Schlafen. Solange es etwas zu tun gibt, hat man für diese Zeit mal frei. Aber Meditation? Der Schlüssel zum Nichtdenken, und dann noch als Methode? Zur Freiheit? Verdammt, hier hab ich dich, du verflixtes Dings. –

So, Krabbe, dafür gibt es keine Erlaubnis von der Mutter, von niemandem. –

Morgen fahren der Bildhauer und ich wieder für ein paar Tage ins Kloster Bursfelde. Die Weser wird wie immer vorbeifließen und ich werde wieder und wieder üben, meinen Gedanken Gleiches zu erlauben. Nirodha enthält auch, dass man die Gedanken nicht anhalten machen kann. Sie fließen vorbei und nichts sonst.