Turbulenzen in zehn Kilometer Höhe, gefolgt von freiem Fall und hartem Aufprall. So kann Weihnachten sein. Allerdings war es bis auf wenige Ausnahmen nie anders, zweimal mit dem Geräuschemann an diversen südeuropäischen Stränden, einmal mit dem Bassisten und seiner Familie. Und einmal mit der Prinzessin und ihren Freundinnen in HK bei grüner Limonade und chinesischer Pizza. Unvergessen auf ewig.

Ich dachte, dann hat man jemanden, antwortet sie auf meine Frage, wieso sie Kinder, also uns, bekommen hat. Das funktioniert ja nicht, das Jemand Haben, zische ich zurück, wofür, und ernte einen gehässigen Blick. Warum so feindselig? Niemand ist ihr recht, nicht mal wir Schwestern, die eine wird gegen die andere ausgespielt, natürlich wissen wir beide davon. Es sind harte, aber hauptsächlich wahre Gesprächsteile, die dieser kleinen Weihnachtsgesellschaft zu Ohren kommen. Satya, die Wahrheit wird befolgt, aber Ahimsa, Harmlosigkeit, nicht. Metta, Liebende Güte, ebenfalls null Punkte.

Am zweiten Weihnachtstag drehe ich dann endgültig durch. Ich sage ihr alles. Dass sie nicht uns liebt, sondern die Funktion, die sie für uns vorgesehen haben, Wohlwollen bei Erfüllung der Aufgaben, oder Ablehnung, wenn nicht. Dass ich mit ihr, seit ich einigermaßen klar denken kann, zwölf, 13 oder 14 Jahre alt, diese Gespräche geführt habe, sie klagt ihr Leid, und ich versuche, ihr zu helfen. Sie glücklich zu machen. Verschwendete Energie. Natürlich nimmt sie nichts an, das liegt in der Natur dieser Gespräche von Kind zu Mutter, das Gefälle, die Richtung, stimmt nicht, sie müsste eigentlich mich umsorgen. Immer nur ist sie die Leidende. Das alles kotze ich ihr vor die Füße und bin außer mir. Sie schaut mich unberührt an und rechtfertigt sich mit Gründen, die ein verletztes Kind nicht trösten können. Die Ehe, in die beide gezwungen wurden, der Mann, die Schwiegermutter, das Haus, bla-bla, die ganzen Geschichten nochmal. Ich erkenne, dass sie nur sich sieht, immer nur sich gesehen hat, und was ich ihr antue, indem ich so mit ihr rede. Ich weine bitterlich, Dudi kommt dazu und nimmt mich in den Arm.

Wieso tröstest du sie denn jetzt? ruft sie ihr harsch entgegen, ihr Blick wie eisiges Feuer. Und ich wundere mich nicht mal darüber, erwarte gar nichts anderes. Dass nichts Liebes von ihr ausgehen kann in diesem Moment, dass sie nicht mitfühlen kann, wie ich mich fühle. Dass sie es gar nicht kann.

Hinterher sag ich zu Dudi, dass es mir fast schon wieder leid tut. Ja, bestätigt sie, wie seltsam das ist, wir entschuldigen uns dauernd, dabei hätten wir mal ein es tut mir leid oder eine Entschuldigung für die verkorksten Jahre verdient.

How von John Lennon fällt mir ein. Lauter wie-Fragen, die auch ich heute nicht beantworten kann. Was ist das für eine Liebe, die erwartet wurde, von der gesprochen wurde, die aber nicht fühlbar war. Weihnachten, ein Fest der Liebe, die fehlt.





Hier Johns How:


How can I go forward when I don't know which way I'm facing?
How can I go forward when I don't know which way to turn?
How can I go forward into something I'm not sure of?
Oh no, oh no

How can I have feeling when I don't know if it's a feeling?
How can I feel something if I just don't know how to feel?
How can I have feelings when my feelings have always been denied?
Oh no, oh no

You know life can be long
And you got to be so strong
And the world is so tough
Sometimes I feel I've had enough

How can I give love when I don't know what it is I'm giving?
How can I give love when I just don't know how to give?
How can I give love when love is something I ain't never had?
Oh no, oh no

You know life can be long
You've got to be so strong
And the world she is tough
Sometimes I feel I've had enough

How can we go forward when we don't know which way we're facing?
How can we go forward when we don't know which way to turn?
How can we go forward into something we're not sure of?
Oh no, oh no

Und wieder so ein Text, bei dem mir auffällt, dass es doch möglich ist - andere Menschen erleben genau dasselbe wie ich.

So ein Gespräch mit (m)einer Eismutter, die in der Sofaecke saß und unberührt zuhörte, was ich zu sagen hatte, nur um anschließend gesagt zu bekommen, was in ihrem Leben alles schwierig war. Sie haben Recht, da ist kein Mitgefühl, kein Blick für die eigenen Kinder, kein Perspektivenwechsel. Es wäre wohl zu gefährlich für sie.

Es dauert eine Weile, bis man die Hoffnung auf Liebe beerdigt, und es kostet Schmerz und Trauer. Vielleicht stirbt sie auch nie völlig.

Man hofft ja immer noch, die Liebe woanders zu bekommen, von jemand anderem, als Ersatz sozusagen. Aber wie geht geben? Ich bin froh, dass mir Möglichkeiten des Glücks in inneren Welten offenstehen, zu denen sie keinen Zugang finden mag. Trotzdem fühle ich mich aktuell sehr leer. Nicht einsam, aber unendlich müde und verlassen. Es ist jetzt Gewissheit, was ich früher nur geahnt und befürchtet hatte.

Dieses Gefühl des Verlassenseins kenne ich gut. Es ist irgendwie so bodenlos. Überkommt mich auch manchmal, selbst, wenn der Gatte abends neben mir liegt.

Ich habe den Verdacht, dass es aus diesem Verlassenheitsgefühl der Kindheit resultiert und auch nicht wieder gut zu machen ist. Die Vergangenheit ist vergangen, und als erwachsener Mensch steht man plötzlich vor der Erkenntnis und Aufgabe, sich um sich selbst kümmern zu müssen. Aber auch, zu können.

Das fatal Verdrehte ist, dass der Erziehungsmission insgeheim zugrunde liegt, sich nicht um sich selbst kümmern zu dürfen, ein unausgesprochenes Verbot: Du darfst nicht glücklich sein, wenn ich es nicht bin! Wie ein Zauberbann, den nur die Person lösen kann, die ihn ausgesprochen hat.
Echt verhext.

Von der Seite her habe ich das noch nie betrachtet, und es erschreckt mich, wie schlüssig das ist. Darüber möchte ich gern ein bisschen nachdenken und vielleicht auch selbst drüben bei mir schreiben. Ich bin gespannt, wohin dieser Gedanke führt.

Kann man da nicht einfach gehen? Also ich meine, ist das nicht total sinnlos? Sind das nicht Erwartungen, die niemals erfüllt werden?

Diese Gespräche habe ich in jüngeren Jahren mehrmals geführt, aber sie haben nichts geholfen. Ich versuche heute, nachsichtiger zu sein und hoffe auf Nachsicht mir gegenüber, aber mitunter hoffe ich doch umsonst. Weihnachten in der Familie ist für mich auch schwierig. Dieses Jahr habe ich ernsthaft überlegt, irgendwohin zu fahren, wo mich keiner kennt. Aber schlimmer als Weihnachten in der Familie schien mir die Notwendigkeit, mir eine Geschichte für Fremde ausdenken zu müssen, warum ich Weihnachten allein und weit weg von den "Lieben" verbringe.

Herr Kid, warum man nicht gehen kann? Weil man dennoch liebt? Weil man dennoch an dieser irren Vorstellung festhält, die Eltern glücklich machen zu können? Weil man die Sinnlosigkeit (noch) nicht erkannt hat?

Madame Tripp, ja, es hilft nicht. So sehr man es sich auch wünscht.

@Sturmfrau: Sie wissen aber schon, daß Hoffnung die letzte Plage war, die Pandora aus der Büchse ließ?

Das war mir nicht klar, Kid. Aber mir persönlich geht es besser, seit ich sie hab' fahren lassen. So viel ist mal sicher.

Vielleicht bin auch ich schon auf dem besten Weg, so desillusioniert fühlte ich mich jedenfalls selten.