Montag, 23. August 2021
Es hat sich einiges angesammelt. Identifikationen, Anhaftungen, Ungeklärtes, beinahe Erledigtes. Alles hat Substanz. Laut den Vedas besteht der Geist aus der feinsten Art von Stofflichkeit, er ist bereits Materie. Der Geist bewegt die Materie, nicht umgekehrt (die genaue Definition von Bewusstsein soll hier nicht Gegenstand der Betrachtung sein).

Es ist mir ein Bild zugefallen, eine Visualisierung des Bindu, des Punktes der Meditation.

/// Sich ein dreidimensionales Objekt vorstellen, irgendeine Art von Körper, ob Würfel, Kugel oder Kartoffel. Er hat Länge, Breite und Tiefe und ist stofflich.
// Reduziert auf zwei Dimensionen wird das Objekt zur Silhouette, wie ein Scherenschnitt oder ein Schatten auf einem Papier, hat Länge und Breite, aber keine messbare Tiefe.
/ Das imaginierte Stück Papier von der Seite betrachtet wird zur Linie, zum reinen Strich, es ist nun bloß noch in einer Dimension vorhanden, Breite oder Höhe.
. Die Linie wiederum derart gedreht, als würde man auf ihre Spitze schauen, stellt sich nun als Punkt dar.

Dies ist der Bindu. Der Bindu ist keine mikroskopische Verkleinerung eines Objektes, auch kein Atom, sondern die Reduktion eines Objektes auf Keine Dimension (im Raum).
Weil er dimensionslos ist, nimmt er keinen Raum ein.
Indem man ihn innerhalb des Körpers visualisiert, z. B. zwischen den Augen oder im Herzen, lässt sich der Bindu betreten und der Geist (oder das Empfinden) wird ebenso dimensionslos bzw. unendlich, und damit auch unbeschreiblich.

Aus dem Bindu wieder heraus in die Dimensionen einzugehen, ist auf eine großartige Weise enttäuschend, der rückgebildete Raum wirkt wie ein sehr schlichtes Dickicht aus Länge-Breite-Tiefe, in dem nichts Interessantes geschieht.
/////// Bis die Identifikationen, Anhaftungen, Vorlieben, Abneigungen und Spiele wieder Gewicht bekommen.
So entsteht die Welt im Geist.




Freitag, 23. Juli 2021
Der Abendspaziergang führt mich zu den nahen Auen. Hier ist alles irgendwie stadtnah, auch die Natur. Manchmal fühle ich mich wie in einem riesigen liebgemeinten Zoogelände für Menschen -- die vielen Kaninchen, die vor mir ins Gebüsch zurückhoppeln, zeigen mir aber, dass gesorgt ist für alle Wesen, die hier siedeln. Auf meinem Weg gibt es Brücken, Alleen, Wehre, Mündungen -- ich gehe hier oft, aber im Jahreslauf ergibt sich stets ein neuer Blick, jetzt, Ende Juli, steht das Gebüsch hoch, die Pfade sind zertreten und trocken, die vielen, damals frisch aufgebrochenen Maulwurfshügel flach und steinern unter meinen dünnen Sohlen. Je später ich losgehe, umso weniger Menschen treffe ich. Um sechs Uhr ist noch viel Lärm am Spielplatz, der auch für Erwachsene Übungsgeräte und Reckstangen bereitstellt, an der belebten Skaterbahn, und vorn sitzen zwei junge Frauen auf einer Decke und halten ihre Zigaretten so wie ich mir rauchende Frauen im Großreich Persien vorstelle, ich lächele breit und sage etwas zu ihnen, das sie nach einem Moment der Unsicherheit zurücklächeln lässt.

Jetzt, später am Tag, ist es stiller dort. Es ist noch so warm, dass ich sofort schwitze, ich mache aus dem Gang eine Übung im Gehen, Schritt für Schritt, den Rücken gerade, die Schultern zurück. In der Allee blickt man zur Rechten über einige Kiesteiche, ich sehe die Schwäne, noch liegen all die umgestürzten Baumriesen des Orkans vor einigen Jahren wie ausgestellt. In einem anderen Jahr gab es dieses Hochwasser, als mein Bildhauer auf dem Gelände des Rittergutes ein Objekt zeigen konnte, einen Nachbau des Laubenvogels, das komplett im Wasser versank. Der kleine Bach, über den ich jetzt gehe, hatte damals die gesamte Gegend überschwemmt, die Busenfreundin blies ihr Paddelbot auf und fuhr mit den Kindern der Adligen (des Rittergutes) über die Wiesen des Gutes, die grün und saftig unter der Wasseroberfläche schimmerten, bis am nächsten Tag alles oll und matschig wurde und nach weiteren Tagen einen üblen Gestank verbreitete. Erst später begriff ich, dass es der Geruch von Aas war, von ertrunkenen Tieren in ihren Erdhöhlen, die mit der schwärenden Pampe vermischt als unguter Odem um das Rittergut zogen und uns den Aufenthalt verekelten.

Das Wasser stand so hoch, dass sogar das kleine Deichtor geschlossen wurde, durch das ich mit meinem Mütterlein oft spazieren fuhr. Vom Deich aus wies ich ihr Richtung Wiese, Weg und Brücke, alles war nurmehr ein einziger See, wo wir vorher die Störche hatten klappern hören. Ob sie es damals schon nicht mehr begriff, wo wir waren, weiß ich nicht.

Mein Weg geht weiter zum Stadtsee, es gibt einen Kiosk, an dem ich manchmal ein Eis kaufe, über den See nach links der Blick zum Rathaus, Tretboote, die aussehen wie Autos, ich kann mit diesem Ort nicht viel anfangen, einmal bin ich mit dem Mütterlein ins Schiff gestiegen und fragte den Kapitän, wohin fahren Sie denn, er sah mich belustigt an und entgegnete, wohin soll's denn gehen, eigentlich wollte nur ich wissen, wo überall er hält, und ob ich mit dem Mütterlein und ihrem Rollstuhl hier wieder zurückkomme.

Auf dem zeitlichen Scheitelpunkt des Gangs befindet sich das Wehr. Soeben las ich, dass es 1928 gebaut wurde, und dann 2019 erneuert, das hatte ich verfolgt, jetzt sind die Flächen begrast, die Treppe für die Paddler installiert, auf der Schräge des Ablaufs picken Enten an wässrigem Grün, der Haufen angeschwemmten Holzes des damaligen Hochwassers hat sich gesetzt und ist mit langen Grashalmen bewachsen. Ich finde es schön, dass niemand es wegräumt, vielleicht eine zükünftige Landzunge, ich war bei ihrem Entstehen dabei.

Der Rest des Weges ist praktisch neu. Der Asphaltbelag ist neu, wunderbar glatt, ich bin dort als Erste gegangen, als er schwarz glänzte und die Absperrungen noch standen. Das Erdreich war frisch gefurcht, jetzt ist es bewachsen mit mannshohen Pflanzen und später gehe ich am neuen Statteil vorbei, die Architektur der Wohnanlagen gefällt mir, man sieht auf den Fluss von Balkonen herab, gegenüber alte Häuser aus der Gründerzeit, die Brücke, die in meinen Stadtteil führt, rechts davon das hohe alte Backsteingebäude, danach die schlimme Bausünde der 70er, vielleicht einen Kilometer nach Westen, alles zerfällt dort, Investoren streiten sich mit der Stadt, es sieht aus wie nach dem Krieg.

Fast bin ich Zuhause, muss nur noch vorbei an diversen Ristorantes, die auf Bürgersteigen rechts und links Essen bereitstellen, der Durchgang ist schmal, Servicepersonal mit Masken, ich quetsche mich ohne vorbei, es macht alles gar keinen Sinn.

Wenn man Geburtstag plant, aber keine Gäste einlädt, hat man Bier und Wein im Überfluss. Im Laufe dieses Textes habe ich zwei große Biobiere genossen und bin jetzt halbwegs betrunken. Gut, dass die Batterie des Rechners hält, so muss ich nicht aufstehen und evtl. torkeln. Die Nachbarn höre ich von hier aus der Küche, es ist ein entspanntes Lachen, das tut mir gut nach all dem Quatsch der Welt, den ich immer noch höchst aufmerksam verfolge.




Mittwoch, 21. Juli 2021
Ab und zu träume ich von Trump, was mir hierzulande wahrscheinlich als Geschmacklosigkeit ausgelegt würde. Es sind aber Träume voller Witz und Lebendigkeit mit (bereits im Traum) leicht zu deutenden Symbolen, und die Geschehnisse würdigen mich als souveränes Mitglied einer geheimen Freischar, die zum Wohle der Menschheit agiert.
Trotzdem habe ich meine Zweifel. An allem eigentlich.

Heute an meinem Geburtstag fühle ich mich des Offenseins müde und meide das Gerät, das ich nur nochmal angeworfen habe, um diesen Text zu schreiben. Ich könnte mir vorstellen, was diese Zweifel endgültig ausräumen könnte, aber solch eine Situation will noch nicht eintreten. Wieder lese ich das letzte Kapitel von Doris Lessings Shikasta, das vermag, apokalyptische Gedanken zu besänftigen. Kassim Sherban, der unterwegs ist, um seinen Platz in der Welt zu finden, schreibt an seine Familie: Ich habe begriffen, dass dieser vage, ausdruckslose Blick in die Vergangenheit gehört. Er passt nicht zu uns, wie wir jetzt sind. Haltet Ihr es für möglich, dass wir vielleicht nicht so sehr das Schreckliche vergessen, als vielmehr, dass wir nie geglaubt haben, dass es geschah?"

Eines noch würde ich mir heute wünschen: dass mein Muttelchen mich Liebchen nennt.




Donnerstag, 24. Juni 2021
Die Kuratorin bestätigt, sie hätte den Flyer über den städtischen Verteiler an 900 Menschen per Post geschickt und nochmal 100 digital über ihre eigene Emailadresse. Die Ausstellung eines jungen, wie ich finde, vielversprechenden Künstlers war eröffnet und -- niemand kam. Da waren nur wir, ein paar Freunde und Mitstudenten, die Eltern und etwa zwei oder drei andere. Ich weiß nicht, was los ist. Seit der Wiedereröffnung bleibt man einfach weg. Erschreckend der Gedanke, dass oder wie überhaupt dem Bildungsbürgertum jedes kulturelle Interesse abhanden gekommen ist, vielleicht finden sie die Kuratorin bloß doof (die sich tatsächlich gern mit allen anlegt) oder man traut sich wirklich nicht mehr aus dem Haus, na klar, die recht lasch formulierten Schutzhinweise deuten auf eine gewisse antiautoritäre Haltung des Ortes, meine Güte, vielleicht brauchen die Leute es doch härter? Von 1.000 Eingeladenen erscheinen nur drei Gäste?

Statt dessen quatscht des Künstlervaters Mäzen (ein angeberischer Mann mit Geld, der zur Chefriege der Firma gehört, die ich eine Zeitlang mit Grafik-Design versorgt hatte) die Umsitzenden wiedermal mit seinen Indienreiseerfahrungen vor 50 Jahren voll. Es ist ein Trauerspiel.

Und nochwas: Kloster Bursfelde. Ich sage ab:
... für uns ist Bursfelde immer ein Ort des Rückzugs gewesen, gleichzeitig ein Ort, an dem wir so sein konnten wie wir sind -- wir fühlten uns im besten Sinne beschützt (ich hatte auch zwei Gespräche mit der Pastorin, die mich sehr getröstet haben); Bursfelde ebenso ein Ort, an dem alles Weltliche zurücktreten und wir uns um unsere Heilung bemühen konnten.
Die Aussicht, dass wir bei Erscheinen und fortan jeden zweiten Tag unsere Gesundheit beweisen müssen, behagt uns nicht, denn damit ist ein Element des Misstrauens ins Haus gelangt, das wir nicht teilen möchten.
Wir finden es allgemein äußerst bedauernswert, dass die Christliche Kirche während der sogenannten Pandemie keinen Schutz, kein Refuguim für ihre "Schäflein" anbieten konnte, im Gegenteil, sie hat ihre Häuser geschlossen und sich den Vorgaben der Politik gebeugt.
Das tut uns wirklich weh, und weil wir uns nicht willkommen fühlen, kommen wir auch nicht.
Vielen herzlichen Dank für all Ihre Mühe, Frau R., und ein trauriges Lebewohl an die Pastoren.




Freitag, 18. Juni 2021
Nachdem ich die Dinge neu bewertet habe, ahne ich, ich muss allein weiter. So wie vorher auch. Meine gemütliche telegram-Familie ist gerade dabei, sich mit differenziertesten Argumenten gegenseitig zu zerfleischen. Es wird deutlich, wie wenig ich selbst sicher weiß und wieviel ich von der Gruppe "gelernt" habe. Bisher kannte ich mich kaum aus mit Politik oder Geschichte, und jetzt, nach dem Selbst-Studium des letzten Jahres weiß ich noch weniger. Wieviel davon wird sich noch als unhaltbar erweisen?

Ich neige dazu, meinen Lehrern zu folgen und ich hatte stets die besten. Swamijis Kosmologie hat sich tief in mein Herz eingegraben, jede seiner Beschreibungen empfand ich als wahr, jeder Zusammenhang erwies sich als schlüssig. Eine zeitlang, bevor er seinen Körper verließ, hielt er seine Schüler dazu an, nun die Gurukraft in sich selbst zu finden. In den Jahren danach konnte ich alles loslassen, das mich bisher abgelenkt hatte. Dann aber kam Neues dazu, so als wollte eine Leere gefüllt werden, die ich einst sehnsüchtig erwartet hatte.

Als sei die Leere nicht genug.

Die Yogis halten nicht viel von der Welt, sie versuchen, sie zu durchschauen und wenden sich dann ab, um von den Spielen der Maya nicht mehr belästigt zu werden. Sowieso sollte eine Wiederverkörperung vermieden werden.

Aber. Ich mag Geschichten so sehr. Ich bin neugierig. Ich will all ihre Details kennen, ihren Verlauf, ihre Protagonisten, die Herausforderungen, das Ende. Beim Lesen des science fiction-Romans merke ich, wie sehr ich bereit bin, mich begeistern und fesseln zu lassen von seinen Bildern, Dialogen, Einsichten und feinen Gedanken. Dieses Buch ist ein großes Geschenk. Und gleichzeitig weiß ich manchmal das Geschenk meiner eigenen Geschichte nicht zu würdigen.

Bereits als Mädchen habe ich mich über diese Quatsch-Welt gewundert und nach alternativen Wahrheiten gesucht, wie man heute wohl sagen würde, Erich von Däniken habe ich verschlungen und später alles andere auch. In Wirklichkeit wollte ich ganz woanders sein. Dort, wo man sich friedlich begegnet, wo man Sinvolles zu tun hat, sich den geistigen Dingen widmet und ansonsten in Ruhe lässt. Warum bloß war diese Welt nicht voller Schönheit und Freude? Ist die Sehnsucht danach in Wahrheit nicht eine Erinnerung daran? --

Ich habe eine bestimmte Vorstellung vom alleine weiter gehen. Zugrunde liegt eine Freiheit, die ich eigentlich schon habe, von hier aus bin ich tatsächlich ledig aller Wünsche, Sehnsüchte und Ängste. Trotzdem, die Geschichte, meine Geschichte ist immer noch da. Sie ist die Matrix, von der ich umgeben bin. Das mindfield, chitta.




Trotz der angekündigten Blaualgen ist das Wasser angenehm und erfrischend. Seit irgendwie fast zwei Jahren war ich nicht hier, letztes Jahr hatte anscheindend jemand Burgunderalgen in den See gekippt, ich weiß nicht wo die sonst herkommen, der See hatte sich in ein dreckiges rotbraun verwandelt, auf g**gle earth kann man sehen, dass er der einzige ist von all den Kiesteichen, die sich drumherum befinden.

Nachdem ich mich entkleidet habe, steht ebenfalls eine Frau, mit der ich mich gestern schon gegrüßt hatte, von ihrem Laken auf und folgt mir zum Steg. Sie schwämme nicht gern allein und so machen wir ein paar Bahnen zusammen. Aus einem Mitteilungsbedürfnis heraus erwähnt sie ihre baldige Reise nach Görlitz und als ich nachfrage, entspult sich ein herzliches Gespräch über unsere Mütter, ihre im Januar mit fast 90 Jahren gestorben, wie die meine, über die Jahre der Mutter-Pflege, für sie sie frühzeitig in Rente gegangen sei, immer zwischen Görlitz und hier pendelnd; die Mutter beim Sterben zu begleiten sei schmerzhaft gewesen -- ich merke, wie wir uns in unseren fast gleichen Erlebnissen und Gefühlen zueinander neigen, sind in einem Gleichklang der Schwimmbahnen und wenden stets gleichzeitig. Wir reden übers Sterben beim Leben, als gäbe es nichts Natürlicheres unter diesem schönen blauen Himmel.




Donnerstag, 10. Juni 2021
Als ich mit dem Internet anfing, war noch alles leicht. Ich erinnere mich an ein Projekt, von dem ich nicht weiß, wie ich es je wiederfinden kann. Kurze Beschreibung: Eine in html gehaltene Website mit dunkler Hintergrundfarbe fragt nach Einträgen von Wörtern, die der Nutzer frei auswählt und, persönlich gefärbt, erklärt. Möglichwerweise war es ein literarisches Unterfangen, ich habe mitgemacht, weil es mir gefallen hat. Leider kann ich mich nicht mehr an einzelne Texte erinnern, weder an die, die ich selbst verfasst habe, noch an jene von anderen Autoren. Die Begriffe sollten in wenigen knapp gehaltenen Sätzen emotional erläutert werden, nicht bloß eine Begriffsbestimmung, wie man sie in einem Lexikon nachlesen könnte, sondern mit lebendigen Erinnerungen und Erfahrungen versehene Aussagen. Zum Beispiel: Blumen sind schön, weil sie bunt sind und so mein Herz erfreuen.

Heute erscheint mir diese unauffindbare oder vielleicht gar nicht mehr vorhandene Sammlung wie eine Datenbank, mit der vielleicht eine künstliche Intelligenz gefüttert werden sollte. Diese könnte so neben objektiven Fakten auch Gefühle beschreiben, welche sich anhand der Stichwörter zusammenlesen lassen und so den Eindruck vermitteln, tatsächlich Gefühle zu haben. Es gibt da eine extrem echt aussehende "Musikerin", die beschreibt, welche Emotionen sie beim Komponieren hat, diese Musikerin gibt es aber nur als CGI-Persona, ihre Musik ist ebenfalls künstlich gerechnet, und natürlich ist auch ihre Stimme nicht natürlich. Es hat mich berührt, darüber nachzudenken, wer da spricht, und mir fiel dann das Schreibprojekt aus dem zu Ende gehenden Jahrtausend ein. Kennt es jemand von Ihnen?




Dienstag, 8. Juni 2021
Dass ich mich auf Grund einer angeborenen (oder wie auch immer entstandenen) Neugier möglichst breit informiere, habe ich stets bejaht, dass ich mich zwecks Gründlichkeit dazu in Kanälen bewege, die bestenfalls als schwurbelig beäugt werden, im schlimmsten Fall als verboten gelten, habe ich nicht ausdrücklich betonen mögen. Heimlich habe ich mir so einen gewissen Informationsvorsprung erarbeitet, von dem ich nicht genau weiß, ob er von Vorteil ist. Wahrheitsfindung ist trügerisch: Wem kann man vertrauen, wie lernt man Unterscheidungsfähigkeit, was wissen wir überhaupt?

Ich bin überzeugt, dass es eine absolute Wahrheit gibt, die aus Dem Einen entspringt, mit Dem Einen gleichzusetzen ist und neben dem es kein Zweites gibt. Nennen wir es der Einfachheit Brahman, wir müssen ja die Welt nicht neu erfinden, Urgrund allen Seins, substanzlos, ohne Anfang und ohne Ende.

Daraus folgt, dass ein Teil oder ein einzelner Teil eben nicht das Ganze ist.

Wir begegnen der Welt in ihren aufgesprungenen Einzelteilen -- Partikel, die unendlich klein sein und sich wieder zu Konglomeraten zusammentun können, zu Entitäten, welche als etwas erscheinen, das wiederum wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Das ist jetzt recht grob umrissen, macht aber nichts.

Es ist uns beigebracht worden, sich jeweils als eine Entität zu empfinden, die sich von einem Außen umgeben fühlt. Darunter leidet der Eindruck, sich innerhalb des Ganzen zu befinden, gewissermaßen als ein unerlässlicher Mitschöpfer, als eine Voraussetzung der Gesamtheit, eine conditio sine qua non (als hätte ich jemals Latein studiert).

Hier bin ich nun an einer Stelle meines ungeplanten Textes gelandet, die bereits jetzt nicht mehr wahr ist, weil schon zu stark zerteilt. Swami hat gelehrt, dass jede Meditation dem Ziel dient, zurück zum bindu, zum Punkt, zu kommen, dort (als Zustand, nicht als Ort) sei der Ursprung allen Seins (also Brahman) zu finden, wobei das Wort finden ebenfalls schon wieder eine Trennung in sich trägt und zwar vom Gesuchten.

Alles Gehörte, Gelesene und Gesehene des letzten Jahres muss zwangsläufig durch Teilung und Trennung zu Unwahrheit werden: dies sei gut, jenes falsch, anderes eine Lüge, weiteres bloß Meinung, aber das jetzt wirklich wahr, oder doch wieder verdreht, oder was?

Ehrlich, ich geb auf. Ich habe keine Ahnung und bin bereit anzuerkennen, dass ich Intrigen, Lügen, Halbwahrheiten, Sarkasmus, Schmeicheleien, Fälschungen, die sich in angeblichen Informationen verstecken, nicht erkennen kann, oder vielleicht später, in ein paar Tagen oder Wochen oder erst nächstes Jahr.

Mein heutiger Beitrag sei allein dieser schlichten Erkenntnis gewidmet. Derweil erfreue ich mich an gewissen Begriffen, die hier und da im Text erscheinen, und dass z. B. der Schein (als Licht), der Schein (als Lug und Trug, auch Fluch) oder der Schein (als Zahlungsmittel) so völlig gegensätzliche Bedeutungen haben.




Mittwoch, 2. Juni 2021
Bis drei Uhr Filme geschaut, Sachen gelesen, Sprachnachrichten angehört. Ein Teil der Geschichte sein zu wollen, ist, in Rhythmen, begeisternd, dann wieder anstrengend. Viel zu müde zum Frühstück mit der Leserin. Vorm Café können wir sitzen, ohne unsere Gesundheit beweisen zu müssen. Ich versuche, der Leserin den Inhalt eines Vortrages wiederzugeben, der mich nachts beschäftigt gehalten lassen -- und auch im Zweifel. Dieser teilt sich stärker mit als meine guten Gefühle gegenüber dem Referenten. Die entstandene Unstimmigkeit hält mich wieder für ein paar Stunden auf.

Aufgehalten und abgelenkt. Ich beschließe endlich, am 19. nicht in die Hauptstadt zu reisen, um das System zu stürzen, was mich sehr entspannt. Ich muss kein Teil der Geschichte sein. Ein Wunsch, der wiederum aus einem Gefühl der Schuld entsteht. Und wieder fällt. In Rhythmen.

Wie sehr ich Geschichten mag und Texte. Nach dem Mittagschlaf (mir waren buchstäblich die Augen zugefallen) beginne ich einen sci-fi-Roman in Englisch. Ich bin mir bewusst, dass mir in der Fremdsprache feine Stimmungen und Farben möglicherweise entgehen, deshalb lese ich sorgsam, schlage unbekannte Wörter trotzdem nicht nach. Die Autorin hat in einem Vortrag ausgeführt, auf welche Weise sich weibliche science fiction von einer männlichen Erzählung unterscheidet: die weibliche läuft (eher) auf der Beziehungsebene ab, die männliche ist technokratisch(er) und hält irgendeine Maschine bereit als Lösung des Problems.

Der Referent, der mir die gestrige schlaflose Nacht beschert hat, streifte u. a. die besondere Qualität der deutschen Sprache, ihre starke Präzision, ihre Fähigkeit, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, ihre Klarheit. Als Muttersprachler (ich will auch nicht mehr gendern) bin ich mir darüber nicht so bewusst, habe kaum Vergleiche, kann mich aber wenigstens vom Englischen durch seine Knappheit begeistern lassen. Also ein Plan, mich wieder mehr mit Sprache zu beschäftigen, dazu sehe ich mich an einem Schreibtisch sitzen und arbeiten. Es gab im letzten Jahr wenige Autoren (oder nennen wir sie doch gleich Schwurbler), die über die Sprache meine Aufmerksamkeit erregen konnten. Allerdings hatte ich eine schöne Bewusstseinserweiterungserfahrung, als ich an einem Tag Sprachnachrichten in verschiedendsten Mundarten gelauscht hatte. Mir ist klar geworden, dass Dialekte oft benutzt (oder missbraucht) und der Lächerlichkeit preisgegeben werden, wenn Hochdeutschsprechende Komödianten diese nachahmen. Zu erfahren, dass schlaue Leute mit philosophischem, wissenschaftlichem oder politischem Weiblick diesen auf bayrisch, hessisch oder gar sächsisch kundtun, fand ich nicht nur charmant, sondern eigenartig schön, berührend und auf eine außerordentliche Weise bedeutsam.




Freitag, 7. Mai 2021
Die ohnehin als überschaubar zu wertende Liste mit anstehenden Aufgaben ist in der Woche noch kürzer geworden. Ich möchte mich zu einer Zeitspanne hinbewegen, an der einmal alles erledigt ist. In dieser Zeitspanne wird auch nicht mehr diskutiert oder anderweitig kommuniziert, auch ist die Wohnung geputzt, die Wäsche gewaschen und sind die Blumen gegossen oder stehen in einem Arrangement, das Pflege unnötig macht. Ebenso soll aller Wunsch nach Kunst und Kultur für eine Weile schweigen, wird doch ohnehin jede Aussage, jede Meinung, jeder Stil, sogar jede Farbnuance, auf die man sich soeben geeinigt hatte, verdreht und in Zweifel gezogen, soll es ein Rot aus 100m und 100y sein, oder mit nur 95 % Magenta? Oder 90 %? Ich denk' nochmal drüber nach.

Trotz allen Verkrampftseins deutet sich an, dass eine Kunst-Ausstellung, zu der L. und ich eine gemeinsame Arbeit beisteuern, stattfinden kann. Das Thema stand schon lange fest, ich wünschte mir schon lange, L. als Gast zu gewinnen, hatte eine Anfrage aber hinausgezögert, aus Scheu oder Lustlosigkeit, wer weiß das schon noch. Letzte Woche endlich kamen wir zusammen und im künstlerischen Nu hatten wir zwei Arbeiten in ein großartiges Absurdium hinein verknüpfen können. Ich bewundere ihre frische Unverblümtheit, ihre Offenheit, ihre Frechheit. So ein Mensch ist mir schon lange nicht mehr gegegnet! Einige andere Freundschaften hingegen empfinde ich zur Zeit eher besorgniserregend zäh, von unerklärlichen Launen bewegt und deshalb abwählenswert, und auf eine merkwürdige Art bin ich auf der Hut vor Schelte.

Solch eine Schelte kann ich nur erahnen. Meine Gedanken kreisen oft weit außerhalb des Geschehens, auf das sich diese Welt geeinigt hat. Gestern vorm Geldautomaten hatte ich den Eindruck, mir ein Spielgeld aus der Kinderpost ziehen zu wollen. Natürlich befindet sich in der Anlage eine gewaltige Woge von Idee und Technik, eine technokratische Schöpfung ohne Seele, die, wenn man sich ihr bewusst wird, Angst erzeugen kann.

Ich war an einem Sonntag mit dem Bildhauer in der Kiesgrube, einem riesigen, irren Gelände, dessen Schätze tief ausgebuddelt waren, anderes wieder hatte man in Hügeln stehenlassen, um die sich schmale Wege zogen, deren Verlauf uneinsehbar war. So stand ich, während der Bildhauer weiter weg im Sand nach Pflänzlein suchte, allein, als zwischen zwei Böschungen, 20?30 Meter entfernt, ein junger Wolf entlangstrollte, äußerst entspannt, völlig angstfrei, mit weichen Bewegungen und einer Natürlichkeit, die mich tief berührte. Er sah nicht zu mir, sondern hatte seinen Kopf stolz nach vorn gerichtet auf seinen Weg, der ihn dann aus meinem Blickfeld führte. Noch nicht einmal zehn Sekunden dauerte diese Begegnung.

Den ganzen Tag und immer wieder ließ ich diesen Wolf in meinem Geist vorbeischlendern. Ich nehme diesen Ort für mich, schien er zu bedeuten, ich bin Teil der Natur, hierhin gehöre ich!

Was habe ich für eine Sehnsucht, mich ebenso zu fühlen! Mit einer Selbstverständlichkeit hier zu sein, an diesem Ort, ohne mich zu rechtfertigen, ohne Fakten erst abwägen zu müssen. Ohne Aufgaben. Ohne ein besonderes Ziel auf Wegen entlanggehen mit schwingendem Körper, ganz ohne Bündel oder Angst, mit graubraunem Fell, das mir so gut steht.




Freitag, 30. April 2021
Allerorten wird sich jetzt bedankt für dies und das und auch ich möchte dankbar sein über alle, die mir in den letzten Monaten (neu & wieder) begegnet sind: Graham, Bodo, Georg, Leona, Gunnar, Jochen, Kai, Nicole, Nadine, Raphael, Catherine, Mark, Veikko, Viviane, Jacky, Sonja, Sunny, Reiner, Nancy, Blossom, Helga, Pia. Und nicht zuletzt Jonas und Tessje. Dudi. Der Bildhauer. Die Bestefreundin. Danke für schlaues Geschwurbel, Definitionen, frisches Verständnis von Zusammenhängen, für love & peace.
Musik: My Terracotta Heart, Blur