Montag, 3. November 2014
Stellvertretend suchen wir Steinbrüche und Tonkuhlen auf. Die Formationen sind beeindruckend und gehen tief, nicht nur geologisch. Der Bildhauer hatte während seines Studiums etwas in Stein gemeißelt, irgendwo im Weserbergland. Um dort hinzugelangen, nach seinen 25 Jahren, fahren wir fast meine komplette Lieblings-Motorradstrecke (mit dem Auto), über diverse Berghöhen und Pässe, zweimal hin- und zurück über die Weser, nur so, wir weilen an verschiedenen Stellen, die ich ihm unbedingt zeigen muss, um am Ende endlich seitwärts in einem schattigen Tal im kalt-rotbraunen Bruch anzukommen, der seit langem stillgelegt ist. Erst finden wir nicht das Gesuchte und laufen durch taubenetztes Gras und zwischen moosüberwachsenen Quadern herum und ich fotografiere die erodierten Wirtschaftsgebäude des Geländes. Dann dort hinten, früher musste die Stelle erst mühsam erklettert werden, jetzt scheint die Tiefe mit Material ausgefüllt und das Zeichen fast auf Augenhöhe, nur ein paar Felsen weiter. Wieder so ein Zeitsprung. Ich weiß, wie der Bildhauer die gealterte Szenerie empfindet. Als ob aber sein Alter bei den Steinen eine große Rolle spielte.





An einem anderen Tag betreten wir eine Tonkuhle nahe der Stadt, dort hatten die Studenten das grauschwarze Sediment geholt, um es zu Skulpturen zu formen. Der Ton fühlt sich rein und glatt an, man kann die weichen Schichten voneinander lösen, die manchmal durchsetzt sind von Ammoniten, Belemniten oder deren Negativformen. Die Grube geht tief und bildet einen grünen Teich. Am östlichen Teil, nahe der Einfahrt, wird roter zerschredderter Backstein zurückgeführt, wir stellen uns vor, dass einst die Senke wieder damit gefüllt sein wird.

Verwunschene Orte, die Bilder gehen Tage nicht aus dem Sinn. Als hätte ich im aufrissenen Erdreich etwas entdeckt, das nicht für mich bestimmt ist; so heimlich.




Dienstag, 30. September 2014
Neu anfangen. Ich möchte alles wegwerfen, was dem jetzigen Moment nicht dienlich ist. Dieses hier, eine vergessene Kiste mit Briefen vergangener Jahrzehnte. Erschreckend. Aufstörend. Zeilen Verflossener. Liebesschwüre. Euphorien. Viele Umschläge von St., deren teils bemalte Papierbögen ich erst noch herausziehe und lese, später aber unbeachtet auf den Stapel zu den anderen lege. Meine vertrauteste Seelenfreunding zu Studienzeiten. Erörterungen, Befindlichkeiten. Alles viel zu viel. Auch die Fahrerin schrieb regelmäßig nachdem wir uns wiedergefunden hatten, ihre Stimmungen sind schwankend, bei ihr hat ebenso fast alles mit Liebe zu tun, zu den Partnern, den Tieren, und mit ihrer größten, ihrem Halbbruder G.. Als er mit dem Krad starb, war nichts mehr wie vorher. Auch für mich nicht.

Stunde um Stunde sitze ich auf dem Boden vor dem Karton. Mir tut der Rücken weh.

Zeilen der Bestenfreundin, meistens Beiläufiges, das mit dem Zusammenwohnen zu tun hatte, auch recht Einsilbiges aus Urlauben. Die ersten Liebesbriefe von T., große Gefühle, zehn Jahre waren wir zusammen, wunderbar. Berührend die festlichen Grußkarten meiner Eltern, beide seit langem nicht mehr ans Handschriftliche gewöhnt. Zarte Hoffnungen, mit krakeligen Lettern auf blauem Briefpapier Vorgetragenes von J., aber ich liebte T., der mein Herz besaß für so lange Zeit. Papiere längst vergessener Bekannter, E., die ich erst für eine andere E. hielt und mich wunderte, dass wir so intensiv geschrieben hatten, oder X., dessen Name mir jetzt schon wieder entfallen ist. Karten von A., der ich morgens beim Zeitung Austragen immer eine Ausgabe unter dem Kotflügel ihres Autos versteckte. Jede Menge Geburtstagspost.

All das wirft ein Licht auf mich, ein bestimmtes: Ich wurde gemocht und sogar geliebt. Man vertraute mir Geheimes an. Aber ich selbst? Mochte ich mich? Ich habe Fotos gefunden von mir, schlank, fast hager und dunkel gebräunt in Griechenland mit P.. Auf Reisen mit T., Momente in der WG, fröhliche Augenblicke mit meinen Patenkindern und den Kindern der Freundinnen. Hunderte von Bildern gesichtet und nur ein paar wenige behalten. Die auf denen ich mich mag, jetzt, denn es scheint... nein – ich erinnere mich, dass ich mich selbst nicht mochte. Ich stand nicht zu mir. Ich sah jungenhaft aus und hatte herbe Gesichtszüge, die ich nicht hübsch fand. Ich war mir selbst fremder als die andern. Das ist eine seltsame Einsicht.

An diesem Punkt kann jetzt alles zusammenfließen. Hier bin ich, eine Frau, die ich nicht mehr misstrauisch beäuge. Die weiß, was sie will. Immer schon wusste, oder etwa nicht? Den Roten Faden seit jeher fest in der Hand.

Lass mich neu beginnen. Lass mich lieben.
Immer weiter.




Montag, 14. April 2014
Ich kenne keine Person, die so schnell hochgeht wie S.. In Kombination mit K., ihrem Exfreund, der fast immer dabei ist, gewinnt das Geschimpfe noch an Kraft. Eigentlich könnten wir friedlich im Garten graben, aber dauernd muss S. den K. maßregeln. "Stell dein Glas nicht auf die Kante, das fällt sonst runter!" Oder "Wie oft habe ich dir schon gesagt, ... " und dann folgt unweigerlich etwas, was sie sich eigentlich sparen könnte, denn sie wird es ja schon oft gesagt haben, oder. Das erste Bier des Tages nehmen K. und ich gemeinsam, die Damen buddeln noch weiter, trotzdem gibt es einen Spruch von S., nicht an mich gerichtet, aber an K.. Vorsichtig spreche ich ihn drauf an, es ist überdeutlich, dass die beiden sich gegenseitig auf die Palme bringen, er mit seinem Gejammere, sie mit ihren Revanchen.

R., die jetztige Freundin von S., es hat also einen Wandel von Hetero- zu Homosexualität stattgefunden, nimmt es mit großer Gelassenheit, die nicht mal ich habe, obwohl ich ja zu den dreien weitaus entfernter stehe, als sie untereinander. K. lächelt aus seiner reichhaltigen Peinlichkeit heraus – welcher Mann lässt sich öffentlich schon gerne bloßstellen. Später am Zaun, als ich schon gehen will, erzählt mir R., dass K. in Abhängigkeit zu S. steht, er als Künstler verdiene kaum Geld, und sie bezahle ihm seine Lebensmittel. Ich staune. Dass sich jemand überhaupt auf sowas einlässt? Wir besprechen das hohe Aggro-Potential des Ex-Pärchens, ich wische mir den Schweiß aus der Stirn, denn eine Hitzewelle hat mich erfasst, die nicht allein vom Sonnenstand kommt, sondern weil ich die gegenseitigen Abhängigkeiten durchschaue, und das stresst mich, verdammt.

S. hätte sich nach K. ordentlich die Hörner abgestoßen, bevor die beiden Frauen zusammenkamen, das hatte R. schon mal so gesagt und ich frag mich, welche Hörner, sagt man das nicht bei Männern, das Horn, aber wir sind ja hier im lesbischen Umfeld, und da kenne ich mich nicht so aus. Als einziges Zugeständnis an die Emanzipation benutze ich mit großer Konsequenz die weibliche Form, das machen noch nicht mal alle Lesben (Lesbierinnen). Wie und an wem sich S. die Hörnchen (Hörnerinnen) abgestoßen hat, weiß ich nur zu gut: Praktisch an der halben weiblichen Bewohnerschaft dieses Hauses (in dem auch ich lebe, ich schrieb schon mal darüber. Seitdem hat S. hier Hausverbot.).

Lustig ist auch, dass sie wegen des Hundes oft an meine Bürokollegin gerät, der laut Vermieterin im Hinterhofgarten der Kollegin, an dessem südlichen Teil wiederum K. sein Atelier hat, frei laufen darf und sofort und ungebremst auf die hübsche Terrasse der Bürokollegin läuft, die Katzen verscheucht und ihnen das Futter wegfrisst. So klein ist die Welt. Da wechseln lustige Argumente ihre Besitzerinnen: Die Vermieterin hat mir aber erlaubt ... du hast aber den Hund nicht unter Kontrolle ... ach, die Katzen haben doch keine Angst ... und (zu mir) wenn die noch einmal, dann ... undsoweiter.

Tja, ich habe also Freundinnen, sie sich untereinander nicht ausstehen können, was sagt das über mich? Das stimmt nicht, ruft die Busenfreundin, als ich ihr davon erzähle, zum Beispiel, äh, wie heißt sie noch, die Gärtnerin finde ich süß und die Leserin mag ich auch. Dass die Leserin die Busenfreundin nicht sonderlich leiden kann, lass ich lieber unerwähnt.




Mittwoch, 5. März 2014
Wieder so rasendes Interessiertsein; die ganze Woche damit verbracht, Filme über Verschwörungen zu schauen, und Material darüber, ob die Welt nicht ganz anders sei, als sie sich mir (uns) darstellt. Auch nochmal Matrix, und wie das WTC pulverisiert wurde, dann erstaunliche Maßzahlen über die Pyramiden in Gizeh, Bilder von Kornkreisen angeschaut und alternative Berichte über das weltweite Finanzsystem und die Großkonzerne, die nicht nur Kinder zu Sklaven machen, sondern auch die Kaufsüchtigen, über Chemtrails und all das irre Zeug dort draußen, die Kriege zwischen den Staaten und Europa als neue Weltmacht, alles gaanz schlimm, und wo bleibt die Wahrheit, und was können wir überhaupt wirklich wissen. Es war ein Rausch. Dann wieder ganz Wunderbares – mathematische Formeln, die natürlichen Formen zugrunde liegen und umgekehrt. Nada Brahma, alles ist Klang.

Kieselalgen in größer

Was ist die Wahrheit? Anscheinend kann man Menschengemachtem nicht vertrauen. Hingegen ist die Natur voller Ordnung und schierer Schönheit. Dazwischen, wie eine Rosskur, lese ich Jed McKennas A Theory Of Everything, es ist noch nicht übersetzt, lästig es als Ebook auf dem Rechner zu lesen, dauernd dieses Bildschirmgeglotze. Aber dieses I AM/CONSCIOUSNESS beleuchtet meine Umgebung in großartigster Weise. Nicht nur ich frage mich, ob ich das nicht selbst geschrieben haben könnte, eines der Reviews verweist noch auf Fight Club, und ich muss wieder lächeln über die immer gleichen Fragen meiner Kindheit, warum bin ich ich und nicht du. Bin ich nicht alles? Bin ich gar allein?

Angestoßen hatte mein emsiges Netzgestöbere die Bestefreundin, die hat übrigens jetzt einen neuen Mann, "da ist ein neuer Mann in meinem Leben", rief sie mich freudig an. Später postete sie auf fb einen dieser Verschwörungsfilme über genmanipulierten Mais und all das andere, was wir unbedingt wissen müssen. Ich hoffe nun nicht, dass beide gemeinsam schlimme Filme schauen und demnächst zur Revolution ausrufen, jedenfalls musste ich Derartiges mit was anderem kontern und schlug das Ansehen von Naturfilmen vor oder Ausprobieren von einfachen biologischen Gegebenheiten am eigenen (oder des anderen) Leib.

Am Ende jedenfalls bleibt nichts (übrig). Ich tendiere nun dazu, keiner Nachricht mehr zu trauen, die ich nicht selbst prüfen kann. Und was kann man schon prüfen? Ich werde nicht in die Ukraine fahren, um mir mein eigenes Bild zu machen. Oder nach Mali, um Kinderarbeiter in Nestle-Kakaoplantagen aufzuspüren. Wahrscheinlich wäre es lohnender, bei der Entstehung eines Kornkreises anwesend zu sein, oder die Pyramiden selbst auszumessen. All I want is the truth, sang schon John Lennon mit Inbrunst, und auch ich würde behaupten, Wahrheit kommt noch vor Liebe. Vielleicht ist aber auch beides eins, mal sehen.

Ich bleibe jedenfalls dran.




Montag, 6. Januar 2014


Mehrstündige Spaziergänge. Lichtfarben. Wilde Gedankengebilde. Unruhe. Angst vor, zusammen mit Lust auf – Endliches. Wie ein Moosbett im Geheimen, in das ich mich schmiege, voller Vertrauen, dennoch.

(Dennoch. Das bisher schönste Wort des Jahres.)




Mittwoch, 18. Dezember 2013
Nach all den Jahren frage ich mich noch, und jetzt wieder ganz frisch, was den massiven Selbstvertrauenseinbruch an der Seite des Geräuschemannes verursacht hatte. Gestern ein par Partyfotos auf der FB-timeline eines Freundes angeschaut, auf denen der Geräuschemann, fröhlich wie ein Kind, ebenfalls zu sehen war. Ich mochte seine Fröhlichkeit, vielleicht weil ich selbst nicht zu solcher Ausgelassenheit fähig bin, jedenfalls nicht in einer Runde Fremder, offensichtlich Angetrunkener.

Ich glaube, dass wir uns jeweils mit den Augen des anderen selbst sehen, vielleicht machen Liebende das sowieso, und auch prüfen. Das Bild von mir, wenn ich mit seinen Augen auf mich schaue, gefällt mir nicht sonderlich. Eine scheue, eher weinerliche Person, die seichte Freuden anhand der Großen Fragen der Menscheit stets kaputtdiskutieren möchte und diffuse Erkenntnisse daraus gewinnt, die vielleicht später, aber nicht jetzt, interessieren könnten.

Vielleicht später. Mein Gefühl war immer vielleicht später. Bis hin zu vielleicht lieben wir uns später, in der richtigen Weise. Vielleicht warte ich immer noch auf dieses vielleicht später. Vielleicht ist das das Drama, das ich brauche und nach dem ich süchtig bin.

Auf den Fotos betrachte ich diesen zarten, ausgelassenen Mann, der allerhand Grimassen schneidet und beim Tanzen mit den Händen in der Luft wedelt. Und immer noch spüre ich mein Herz beim Zusehen.

Allerdings – das Herz. Seit drei Tagen schlägt es plötzlich ruhig und kaum spürbar. Letztes Jahr im Winter fing es an zu stolpern, und jedes Aussetzen und rumpelnd wieder Einsetzen verursachte eine kurze, heftige körperliche Panik, eine Schrecksekunde, und so ging es das ganze Jahr, bei den Aktivitäten tagsüber weniger deutlich, aber dann abends im Bett, in der Ruhe, holperte und rüttelte es in seiner Höhle herum wie eingesperrt. Jede fünfte bis zehnte Systole ein Hammerschlag, der auf einer Art leeren angehaltenen Herzschlag folgt – seltsam, dieses Vorgehen angstfrei beobachten zu können.

Aber man stirbt ja nicht dran.

Die Ayurvedin, als ich sie auf die Rhythmusstörungen ansprach, hatte auf eine Herzenssache hingedeutet. Was könnte die sein? Der Geräuschemann lag Jahre zurück, der Esoteriker stiftete auch keine Verwirrung mehr. Vielleicht die Weissagung des indischen Astrologen eines very good man, a very good relationship, der ich unbewusst, so freudig erregt, entgegenwartete? Nun ist das Jahr seiner prophezeiten Erscheinung fast vorbei, und in den letzten zwei Wochen wird da wohl auch nichts mehr gewuppt werden können. Eine Art Einsicht.

Es ist so still, lege ich im Dunkeln meine Hand dorthin. Ich lausche lange, eine Stunde, zwei, bin hellwach. Es schlägt zart, das Herz, stark und ohne Angst. Seit Tagen schon finde ich nichts schöner, als allein diesem Herzen nachzuspüren.




Freitag, 15. November 2013
Bei mayhem gefunden, die hat's wieder wo anders gefunden und so weiter. Jetzt also ich:

Pick your Artist.
The Beatles

Are you male or female?
She's a woman

Describe yourself.
Mother Nature’s Son

How do you feel?
I Feel Fine

Describe where you currently live.
Across The Universe

If you could go anywhere, where would you go?
I'll Follow The Sun

Your favourite form of transportation:
Yellow Submarine

Your best friend is…
Her Majesty

You and your best friends are…
Getting Better

What’s the weather like?
Good Day Sunshine

If your life was a TV show, what would it be called?
Tell Me What You See

What is life to you?
Strawberry Fields Forever

Your last relationship:
Happiness Is a Warm Gun

Your fear:
Yesterday

What is the best advice you have to give?
Real love

How would you like to die?
While My Guitar Gently Weeps

Your soul’s present condition:
Here, There and Everywhere

Your Motto:
Let It Be




Sonntag, 3. November 2013
Jetzt habe ich hier mehrere Sachen gleichzeitig am machen, erstmal das Fenster schließen, die Wolken haben sich wieder verdichtet und das Sofa liegt im Schatten. Also – das Strickzeug (stricken, evtl. nachdenken), das MacBook (lesen, schreiben) und ein Buch (lesen), der Getreidekaffee ist schon getrunken. Ich könnte jetzt alles abwechselnd machen, ein paar Zeilen lesen, einige Runden stricken und an diesem Text schreiben. Und so mach ich's auch.

Mir geht vieles im Kopf herum. Nicht nur die nebenan heraufbeschworenen Bilder von aufgesägten Brustkörben, die ja eigentlich nur das Thema Vergänglichkeit evozieren. Vergänglich sein tut meistens weh, manchmal ist es aber auch schön, wenn zum Beispiel Liebeskummer vergangen ist oder ein bestimmtes zehrendes Verlangen sich erledigt hat.

Auf dem Bücherstapel im Flur, der eigentlich zum Antiquariat soll, finde ich Jed McKennas Trilogie wieder, über Erleuchtung und so. Und ich stricke an meinem zweiten Pullover in diesem Herbst, der erste hat noch einiges Unperfektes, die Ärmel hätten vielleicht einen Zentimeter länger sein können. Ich hatte nicht bedacht, dass Ärmel sich beugen und durchs Knautschen verkürzen, und jetzt schließen sie in der Ruhestellung genau am Handgelenk ab, aber es wäre schöner, wenn sie bis zum Daumenansatz reichten. Der neue Pullover ist aus naturgrauer Biowolle und wird eine großzügige Kapuze bekommen. Und längere Ärmel. Ich könnte mir jetzt als viertes noch ein paar Dinkelwaffeln mit Nussnougatcreme bereitstellen und alles schön vollschmieren. Vielleicht später.

Nach ein wenig Konzeptionsarbeit haben die Buddhistin und ich gestern einen Kneipenbummmel unternommen, durch sechs, sieben Kneipen. Komm, ruft die Buddhistin, mittlerweile bekannt für ihre Eilvorschläge, wir gehen rein, einmal durch und dann wieder raus, tun so als wären wir auf der Suche nach jemand, in Zeiten des mobilen Telefonats natürlich irgendwie unnötig, ich muss Pinkeln, sach ich, ja, dann gehen wir zusammen aufs Klo und fragen vorher. So machen wir's, auf unserem Spazierweg kehren wir kurz in jeder Kneipe ein, an der wir vorbeikommen, schnuppern Atmo, schauen uns suchend um und zack, sind wir wieder draußen. Die Luft ist hier frisch und nicht allzu kühl und beim weiterspazieren sprechen wir über unsere Eindrücke.

Jed McKenna ist einer dieser angeblich erleuchteten Menschen, mittlerweile ist nach seiner Trilogie ein viertes schmaleres Bändchen erhältlich, bisher aber nur in englisch. Ich hatte vorher noch nie Bambusstricknadeln, wie schön die gleiten und warm zwischen den Fingern liegen. Rechts, rechts, rechts, es ist wie eine Sucht, noch eine Masche, immer rechts herum, ich stricke gern ohne Nähte und mein Ehrgeiz ist es, die Kapuze in eins mit dran zu stricken, so wie ich mir das vorstelle, wird es gehen, die Kapuze ist dann wie ein riesiges Käppchen beim Sockenstricken.

Jed McKenna stresst den Leser mit seiner Darlegung der Sinnlosigkeit spirituellen Bemühens, denn diese findet nur innerhalb der Maya statt, und führt, anstatt sie zu schwächen, den Sucher eher in sie hinein, also in die Maya, die er als bloßen Traum beschreibt, so wie es die alten Schriften seit Jahrtausenden tun. Es gilt ihm, komplett aus diesem Traum zu erwachen, herauszutreten. Dann erst sei man wirklich befreit. Die spirituelle Übung hilft beim Aufwachen nicht, sie erleichtert und bereichert aber das Leben innerhalb der Maya.

McKennas Bücher sind nicht nur philosophische Ausführungen, sondern äußerst geistreich, scharfsinnig und brilliant erzählt. Ebenso wie Carlos Castaneda hält auch er sich versteckt. Im Netz gibt es nichts über ihn, keine Bilder, keine Biografien, keine persönlichen Webseiten. Aber man findet unzählige Texte, Foreneinträge und Diskussionsthreads, die sich mit seiner "Lehre" auseinandersetzen, sie auseinander nehmen, man findet Zustimmendes und Ablehnendes, aber niemals Gleichgültiges, denn dieser Autor rüttelt einen tatsächlich aus dem schönen Traum, als den sich unsere kleinen Leben herausstellen – in the end.

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts: Die Schleier der Maya

Seit jeher bin ich mit dem Begriff der Maya vertraut. In jungen Jahren habe ich damit gehadert, wie real sie sich anfühlt und es fiel mir schwer, ihrer Nicht-Realität zu vertrauen. Mittlerweile bin ich um Erfahrungen reicher, die mir erkennbar gemacht haben, auf welche Weise die absolute Wahrheit (um nichts anderes geht es hier) verschleiert wird. Trotzdem sind natürlich noch Schleier vorhanden, mal dichter, mal durchscheinender, je nachdem, aber ich kann ihre Existenz verstehen und somit durchschauen. Jed McKenna befindet sich (angeblich) außerhalb der Schleier der Maya, außerhalb heißt hier allerdings, dass es sie gar nicht (mehr) gibt. Die Lehren und Übungsanweisungen der meisten Lehrer behandeln das rechte Handeln innerhalb des Traums der Maya, und als solche haben sie auch Wirkung auf den Traum: Das Einhalten der Yamas und Niyamas hat zur Folge, dass Karma verbrannt wird und der (körperliche) Mensch in größtmöglicher Harmonie leben kann. Außerhalb der Maya, nach dem Aufwachen aus dem Traum ist Nichts mehr von all dem. Es ist vorbei, die Bindungen sind zerstört, die Aufgabe gelöst.

Und so sitze ich hier, lese, stricke und schreibe meine Gedanken auf. Die Wolken ziehen am Fenster vorbei und aus einem dicken grauen Wollfaden entsteht langsam ein Pullover, der diesen (vergänglichen) Körper im baldigen Winter warmhalten wird.




Sonntag, 25. August 2013
Was macht das Bein da in dem Bild, frag' ich die Busenfreundin, die mich zu Wein, Pasta und fachlichem Kommentar geladen hat. Sie will ihre Website mit noch zu besprechenden Fotoserien bestücken und sucht außerdem Bilder für eine Fotografieausstellung zum Andenken an unseren verstorbenen Professor. Der GG, sacht sie, hat gesagt, das Bein muss da mit rein, denn man sieht ja auch den Schatten der Bein-Person im Sand. Tja, für mich funktionierte das Bild auch ohne Bein, nur mit Hund, Strand und Kind im Hintergrund, aber GG ist ein renommierter Fotograf, bei dem die Busenfreundin Seminare belegt. Auch die Bilder mit den mega-muffelig dreinblickenden jungen Zwillingen (aus der Serie "Zwillinge") will mir nicht so recht runtergehen wie Dings, aber GG und der ganze Kurs hätten es gefeiert. In die Zwillinge von K. hingehen verliebe ich mich sofort und hoffnunglos, guck mal, sach ich, die sehen aus wie I.! I. ist jetzt mit K. zusammen, die Kinder hat er aber mit einer anderen. I. und K. waren vorher schon mal ein Paar. Vehement versuche ich das Thema auf die Ähnlichkeit der Kinder mit I. zu bringen, die ja gar nicht die Mutter ist. Wie war das noch – die Person, die man nach der Empfängnis als erstes sieht, oder deren Bild auf dem Nachtisch steht, werden das Aussehen des Kindes bestimmen. Das gilt eigentlich ja für die Frau, in diesem Fall war es aber K., der sicher noch immer an seine Exfreundin I. gedacht hat, naja, und so sehen jetzt halt die Kinder aus. Ich bin verblüfft, die Busenfreundin aber winkt freundlich ab.

GG also. Wer ist schon GG, rege ich mich weiter auf, ich verstehe die Bilderwelten nicht, in die er die Busenfreundin hineindrängt und fühle mich sofort minderwertig kunstgebildet. Das Foto mit den zwei Baggern, die hinter einer Horde Badegäste langfahren, finde ich blöd, aber der GG (!) hat es wohl als grandios bewertet. Ja, behauptet die Busenfreundin, meine Bilder seien ja auch anders, mein Blick sei grafischer, der GG würde künstlerische… "Künstlerische!", rufe ich dazwischen, wie so ein Bein im Bild, oder was, oder missgestimmte Teenager. Naja, der Busenfreundins Serie Dreck, die den Blick des Betrachters auf Haare auf Terrazzoboden, oft benutzte Putzschwämmchen oder ähnlich beinahe Ekeliges drängt, fand GG auch super … genau, brülle ich schon fast, die sind auch grafisch und nicht künsterlisch, ich kann das Wort schon gar nicht mehr aussprechen nach drei Gläsern Wein, ich finde, der GG sollte mal seine überhebliche Art lassen, die Busenfreundin aber findet meine Aufregung lustig, und ich gebe etwas nach, denn als sie mir GGs Portraitserien im Netz zeigt, muss ich zugeben: sehr-sehr schön, der kann was, der olle GG, dabei ist er zehn Jahre jünger. Aber, erhebe ich nochmal den letzten Zeigefinger, die Busenfreundin müsse ihm ja nun nicht nacheifern, sie habe ja ihre ganz eigene Art, auf die Dinge zu schauen, und die solle er ihr gefälligst nicht nehmen. Naja, das Bein lässt sie trotzdem dran.

Dann kehre ich bald heim, zu meinen grafischen (aber leider künstlerisch hohlen) Bildern, die am meisten wohl mich selbst freuen und zeige euch jetzt dieses

von heute in der Gärtnerin ihrm Garten.

Die Gärtnerin gräbt zum 800. Mal in dieser Saison ihren Garten komplett um, vielleicht habe ich mich auch verzählt, aber es ist schön bei ihr, die Sonne brennt mir in den Nacken, während ich auf der Bank sitze und sie im Gras davor und dabei weiter ein bisschen mit den Händen buddelt und wir reden über Gestaltung und so, dann kommt ihr Freund vorbei, um sich eine Zucchini mitzunehmen und wir reden über Rezepte, vegetarische, über Nusssoßen und gepoppte Senfsamen und so und es scheint mir, als hätte ich ihn niemals anders gesehen als in dieser Jeans, diesem dunklen Hemd und diesen halbhohen Stiefeln und ich quassele so viel wie sonst nur die Gärtnerin, die mittlerweile still ganze Stauden umsetzt, mitten in der Blüte und vorher hatte ich noch dieses Foto gemacht, ebenso ohne Aussage, aber schön:

Oder?

Ach, du Aussage, was willst du eigentlich dauernd? Wieso so ernst? Ich bin jetzt fest entschlossen, nie mehr Aussagen zu treffen, ja, falls man mich zwingte und zwänge, würde ich dummes Zeug faseln, das die Menschen verwirrte, von Lichtreflexen auf Seen, die eigentlich Teiche sind, von Beinen, die in Bilder ragen, würde meine Putzschwämmchen unter den Achseln hervorholen und ein bisschen auf dem nächstbesten Objekt herumschrubben, um alsbald GG, hehe singend von dannen zu ziehen.




Dienstag, 13. August 2013
1984 von George Orwell ist eines der Bücher bzw. Filme, die mich am meisten deprimieren. Das Buch hatte ich erstmals in meiner Teenagerzeit gelesen und es ging mir schrecklich nah. Wahrscheinlich hatte ich es nicht mal richtig verstanden, denn ich steckte immer noch zu sehr in meinen kindlichen Bücherwelten, um zu verstehen, wie politisch der Roman ist, wie aktuell – und auf eine sonderbare Art philosophisch, wie ich nun wieder entdecken konnte, als der Film letzte Woche im TV gezeigt wurde. Er ist nicht ganz so ausführlich wie das Buch, die Liebe zwischen Winston und Julia wirkt auf mich nicht ganz so tief, die gehirnwaschenden Folterungen nicht ganz so brutal und zerstörend wie in meiner Erinnerung des Buches, die ich lange mit mir herumgetragen hatte.

Senate House der University of London, Vorlage für das "Ministry of Love"

Das verdrehte Konzept der "Liebe" dort irritierte mich zutiefst und ich hatte keine Ahnung, was Macht bedeutet und warum ein Machthaber andere Menschen täuschen und manipulieren wollen sollten. Mein reines Herz hatte nicht damit gerechnet, auf etwas zu stoßen, das seiner Reinheit so sehr entgegengesetzt ist. Erschütterung ist ein zu kleines Wort für das, was ich empfunden haben mag.

Mittlerweile habe ich die Menschen näher kennengelernt. Gern behaupte ich gegenüber der Busenfreundin, wenn sie mir etwas sehr Geheimes oder gar Schreckliches mitzuteilen hat, dasss mir nichts Menschliches fern sei, nur zu, ermutige ich sie, mir Einblicke in ihre dunkelsten Bereiche zu geben. Meistens sind sie harmlos und insgeheim belächele ich sie. Aber auch ich habe, zumindest in diesem Leben, nichts Schlimmeres erfahren als einen schlagenden, wütenden Vater und eine hilflose Mutter. Später in Kambodscha, im Genozid-Museum Tuol-Sleng in Phnom Penh, sah ich 30 Jahre alte Blutspritzer von Gefolterten an Wänden und Decken (was genau passiert war, damit Blutmengen so hoch oben landen, kann man nur erahnen), Fotos der Hingerichteten, Zeichnungen der Foltermethoden, winzige Gefangenen-Zellen und auf den Killing Fields menschliche Knochen- und Kleidungsreste, die aus dem Boden ragten, mit dem Boden verwachsen waren, über den ich eher wankte als ging und mich gruselte. Dies war echter als echt, das war das Schockierende daran.

Gegenüber all dem führe ich ein äußerst harmloses Leben. Die Auseinandersetzung mit dem Yoga aber und das tiefe Eintauchen seine Philosphie haben mich gelehrt, das Wesen des menschlichen Geistes, seine Wünsche, seine Sehnsüchte, aber auch seine Ignoranz kennenzulernen, indem ich mich selbst als Objekt in den Mittelpunkt meiner (meditativen) Betrachtungen stelle. Was da an Dunkelheit auf mich wartet, ist erschreckend genug – letztlich ist alles Böse der Welt in jeder Person enthalten, ob man's nun toll findet oder nicht.

Während der Yoga beschreibt, wie der menschliche Geist und die Persönlichkeit beschaffen sind, weist er gleichzeitig einen Weg beide zu kontrollieren. – In 1948 kontrolliert O'Brian Winstons Geist und zerstört ihn durch manipulative Lüge, die zu durchschauen Winston am Ende nicht mehr fähig ist. Julia und Winston, die ihre Liebe noch als unzerstörbar beschwört haben, beide werden sie in der Folter verraten (müssen). Grandios, wie George Orwell selbst die größten geistigen Errungenschaften des Menschseins – Liebe, Hingabe, Mitgefühl, Freiheit – durch O'Brian verdrehen und am Ende den Großen Bruder Besitz ergreifen und gewinnen lässt und das in einer von jämmerlicher Armut und Hässlichkeit durchtränkten Szenerie, in der etwas Schönes und Liebes niemals entstehen könnte.

Im Film noch eindrucksvoller als im Buch, weil hörbar und nicht abschaltbar, das ständige Beschalltwerden mit Propaganda. Welche in der Werbepause ungehemmt weiter dudelt, so kommt es mir vor, zwar nicht mit politischen, aber dafür mit kommerziellen Slogans, die genau den gleichen Zwang ausüben auf mich, die ich hier sitze und kaum aus der bösen Welt von 1984 herauszukommen vermag.

Ein angsterregender Roman durch seine überdeutlichen Parallelen, nicht nur zur heutigen Medienwelt.