Montag, 11. Januar 2016
Nicht mal mein login weiß ich noch auswendig. So schwindet alles. Auch die Mutter. Was denn mit Papa sei, ob der mal vorbei käme? Der ist doch schon gestorben, sage ich letzte Woche freundlich. Und heute fragt sie nach Annemarie, meinst du deine Schwester, Mama, die ist lange tot, und deine anderen Geschwister auch. Aus einem verzweifelt verzerrten Mund ruft sie: das kann doch nicht sein! Ein bisschen weint sie. Ich versuche, ihr alles zu erklären. Ein update sozusagen. So als machte sie ab und zu ein paar Stippvisiten aus der Zeitlosigkeit in unser Kontinuum, in dem plötzlich nichts mehr stimmt. Dann, mit etwas schärferer Stimme: Was ist hier eigentlich los? Kannst du mir das mal erklären? Einen Moment falle ich drauf rein, und befürchte, dass sie wütend wird. Also noch mehr Geschichten aus dem damaligen Leben, denn sie befindet sich ich weiß nicht wo. Der hat doch ein kleines Haus gebaut. Ja, da habt ihr zusammen gelebt, da bin ich aufgewachsen. Ob sie schon einen frischen Körper in einem anderen Leben hat und hier noch ist, damit ich an ihrem Bett sitzen kann, oder mit ihr liegen kann und ihr Gesicht streicheln, ihre Hände massieren, ihr tausend mal sagen, wie süß sie ist, sie ist die allersüßeste Mama, die es verdammt nochmal überhaupt gibt.

Ich hätte gedacht, ein Sterben mitanzusehen, wäre schlimmer. Dass ich immer weinen müsste, so wie jetzt, weil ich schreibe. Wenn ich aber bei ihr bin, seit dem Schlaganfall jeden Tag, bin ich ganz ruhig und eine nicht geahnte Freude ist in mir und Kraft. Möglicherweise bin ich die einzige, die sie nicht festhält und am Wunder ihres Vergessens teilhaben darf. Sie blendet sich aus ihrem Leben aus, wie sie's sich gewünscht hat und ich darf dabei sein und alles wahr finden, was ich gelernt habe. So klein und unwissend kommt man ins Leben und muss alles Lernen, auch sie hat das, und nun sagt sie mir Sachen, ich wäre die Zärtlichste von allen. Ich weine ein bisschen und wische über die Tränen mit dem rauhen Wollpulli. Ihr Zeigefinger streicht um meine Augen herum. Als ich erzähle, was für dunkle Augenringe meine Nachbarin hat, so huuh, lachen wir beide. Ich kenne dich schon mein ganzes Leben, sag ich, und wir sind uns immer so nah gewesen, ein nahes Leben, sie schaut mit ihren großen graugrünen Augen direkt in mich rein, lange, und wie immer denke ich, jetzt ein letzter Atemzug, aber bisher hat sie immer weiter geatmet. (Und ich weiß nicht, ob ich bei jenem dabei sein möchte. Und immer noch kann ich mir nicht vorstellen, dass sie eines Tages wirklich aufhört.) Und noch eine Woche und noch ein Monat, was für ein Jahr das war! Was für ein Leben mit ihr! Was für ein langer Abschied. Aber auch ich vergesse – was war, wie schwierig beide Eltern, wie unglücklich ich mit ihnen – und habe nur noch Liebes für sie übrig.




Mittwoch, 27. August 2014
Mehr Analoges als Digitales (das digitale Leben hat eigentlich fast gar keinen Platz zur Zeit). Der Bildhauer bastelt Tröten aus Schilfgras und in meinem Heim hängen Binsenbündel, die er eigens angefertigt hat und die langsam von grün nach gelb trocknen. Wir finden einen riesigen Schwefelporling, der paniert und gebraten wird und wie Hühnchen schmeckt. Dazu Salat mit Brunnenkresse und Nudeln. Noch gibt es tausend Sachen zu erzählen, zu lesen und wahrzunehmen, und ich wünsche mir, dass das nie aufhört. Wir sind nah und lassen uns dann fern, da ist kein Weh in den Intervallen, schauen Filme, und lachen und weinen abwechselnd; bei Yentl bin ich nach all den Jahren immer noch textsicher und kann lippensynchron mitsingen.

Es gibt wieder mehr Arbeit, ich sitze am Rechner und entwerfe Spatzenvogelfuttertüten, während er umherstreift auf der Suche nach möglichst geraden Haselstecken. Oft sitze ich still neben ihm im Gras und meditiere über die Geräusche, die das Schnitzen macht, öffne ab und zu die Augen und betrachte seinen Mund, der sich dazu leise bewegt.




Dienstag, 22. Juli 2014
Wie jedes Jahr. Die Zusammensetzung der Gäste wechselt gewöhnlich etwas, aber mittlerweile kennen sich alle, und so ist die Runde friedlich, wohlwollend und durchaus lustig. Die mitgebrachten Speisen erweisen sich als außerordentlich stimmig, als hätte uns eine unsichtbare Menükarte geleitet.

Meine Schwester Dudi ist auch mit dabei und überschreitet wie immer Grenzen zur Peinlichkeit, wir haben sie trotzdem lieb oder gerade deswegen, und lachen laut, die Bürokollegin, die Gartendamen und die inzwischen verheiratenen Lesbierinnen, die Buddhistin, die Busenfreundin und andere (die hier im Blog noch nicht aufgetaucht sind). Ein Gast aber lag mir besonders am Herzen, und sein Erscheinen bedeutet mir viel. Er war auch Grund für meine Aufgeregtheit, die Dudi im Vorfeld nicht so recht einzuordnen wusste, denn am unsicheren Wetter allein lag's nicht.

Ein Bildhauer, der Objekte aus Naturmaterialien macht. So ganz ohne doppelte Bedeutung oder verschwurbelte Konzeption lassen sie sich direkt gefühlsmäßig erfassen. Seine diesjährigen Gegenstände bestehen aus Pflanzen, die er gesammelt, zu Bündeln verpackt oder in Reagenzgläsern eingelegt hat – alle Objekte sind mit handbeschrifteten braunen Pappanhängern versehen. Manch gefundene Käuter und Blüten sind mit Schnaps und Gewürzen vermischt, in Kästchen versammelt und einiges baumelt im brüchigen Kokon an zart geschnitztem und bemaltem Gestänge, manches Behältnis zeigt sich in Rottönen, die ans Herz gehen, sein Ausstellungsort wirkt wie die Zuflucht eines kundigen Schamanen, stets rührt er in der Kohleschale, in der er Weihrauch oder Salbei verbrennt, die Düfte ziehen durch den Garten und der Betrachter darf alles berühren, beriechen und schmecken, sofern es nicht als giftig ausgewiesen ist und zu meinen Ehren gestern hat er ein Fläschchen angesetzt und bietet mir aus einem kleinen Glas das herbe Gebräu, das einem Tränen in die Augen treibt, süß und scharf mit Vanillenote, ich mag es sehr.

Zwischen uns ist eine natürliche Herzlichkeit und in seiner Nähe fühle ich mich gut. Wir beide bewegen uns in zeitlich ähnlichen Abständen im Kreis, um möglichst mit jedem zu plaudern und die Stimmungen in den Gesprächsgrüppchen zu erkunden. Mein Gast zeigt sich offen und interessiert und es gefällt mir, wie er bei sich ist und sich der jeweiligen Person konzentriert zuwendet. Ab und zu werfen wir uns Blicke zu und lächeln uns an. Manchmal treffen auch wir aufeinander und erzählen uns was. Mein Gefühl sagt mir, dass wir beide gleich voneinander beeindruckt sind. Und ich genieße die Leichtigkeit, mit der wir uns auf unserer Runde wieder voneinander entfernen. Da ist keine Spur von Besitzergreifen oder Eifersucht. Auch ich kann mich auf jeden meiner Gäste ausgiebig einlassen, ihn vergesse ich dabei. Und erinnere mich neu, wenn wir wieder beieinander sind.

Die Busenfreundin hat ihn als erste kennengelernt, sie stellt ja mit ihm zusammen im Park aus, und ihn mir schon als äußerst reizend beschrieben. Als ich ihn das erste Mal in seinem Zelt besuche, sehe ich einen ernsten, reifen Mann, und sofort fällt mir hier schon seine Konzentiertheit auf, mit der er seinen Besuchern die Objekte erklärt. Später erst das Lächeln, das sein Gesicht kaum mehr verlässt, ich bin tatsächlich ebenfalls sofort hingerissen und beobachte mich dabei, wie ich mich frei, fast sogar frech ins Gespräch mische, bin ich doch eher ein scheuer Mensch und verbringe schweigend meine Tage. Hier aber ist Lebendigkeit im Hort und auch Hitze, meine Beine werden von Bremsen zerstochen und an einem der nächsten Tage, die ich dort im Kunstpark verbringe, bietet mir der Bildhauer eine selbst angerührte Salbe gegen den Juckreiz, hilft eigentlich kaum, aber unsere Hände berühren sich, als ich ihm die fast flüssige Substanz von den Fingern streife, gerade noch hält er inne in der Bewegung zu meinem nackten Unterschenkel, um sie dann doch nicht aufzutragen, das wäre zu viel Intimität.

So, liebe/r Leser/in, spätestens hier merken Sie vielleicht, was ich bis dahin noch zu verheimlichen suchte – meine Gedanken liefen mir bereits fort und Bilder der Gemeinsamkeit ebenso. (Ich habe aber gelernt, meine Gedankenwellen zu kontrollieren, so bilde ich es mir jedenfalls ein, und es stimmt auch nicht – Yogash Chitta Vritti Nirodha [was das heißt, lesen Sie bitte selbst nach]. Nothing's gonna change my world, begriff auch John Lennon.) Ich hatte auch die Kunst ganz vergessen! Schöne Dinge herstellen, ohne Auftrag, ohne etwas davon zu erwarten, ohne bestimmten Sinn, einfach machen und im Tun vollständig versinken. So schön.

Die Picknickgesellschaft merkt wohl kaum etwas von alldem. Und so haben wir die nächste Runde gedreht, um uns dann wieder voneinander zu erzählen bis tief in die Nacht.




Montag, 7. Juli 2014





Nah bei mir.




Sonntag, 4. Mai 2014
Stille. So müsste jeder neue Text beginnen. Aber ich habe die Nachbarin auf dem Kieker meiner Aufmerksamkeit. Neuerdings lärmt sie, knallt durchschnittlich jede Minute mit Fenster oder Türen und oben bei mir wackeln die Wände. Nachts werde ich wach, weil wieder eine Erschütterung durch den Boden läuft, auf dem direkt der Futon liegt, der mitschwingt und kaum dämmt. Das geht jetzt seit Tagen so, sie scheint zudem einen neuen Freund zu haben, dem ich letzte Woche im Hof begegnet bin, ein wenig trunken warf er eine Kusshand zu ihrem Fenster rauf, klein, mit wildem Haar auf Haupt und im Gesicht. Der passt doch gar nicht zu ihr, denke ich tantenhaft.

Bevor meine Genervtheit überhandnimmt, hefte ich nachts eine nette Postkarte mit ein paar bemüht neutralen freundlichen Zeilen an ihre Tür, sie war gerade herausgegangen zum Ausgehen, es war unüberhörbar.

Nachts schlief ich mal durch, bis vier, allerdings mit seltsamen Träumen gegen morgen. Als ich heute zum Spaziergang raus und an ihrer Tür vorbeikomme, sehe ich die Postkarte noch kleben. Entweder lässt sie sie jetzt einfach dort, damit alle Hausbewohner sehen, was ich für eine piefige Kuh bin oder sie ist noch gar nicht wieder zurück. Ich frage mich allerdings, wer jetzt gerade unter mir herumrumpelt.

Ob ich empfindlicher werde? Gegenüber basslastigen Geräuschen und die hohen gleich nicht mehr höre? Oder ich bin eifersüchtig auf junge Menschen, denen frisch verliebt alle Türen und Fenster aus den Händen gleiten, egal, ob bei anderen die Tassen aus den Regalen fallen. War das denn früher auch so?

Unbeabsichtigt beschließe ich wieder mitzulärmen, denn während ich auf das Kesselwasser warte, räume ich ein bisschen auf, den Eisenring will ich weghängen, der den Rost über der Gasflamme verkleinert. Vergesse, dass ich mir dort gerade den Grießbrei gekocht hatte, fasse an – und, scheiße ist das heiß! – lasse sofort wieder los, nicht nur das, ich werfe ihn seitlich fort, wo er klöternd vom Herd abprallt und in die Lücke zur Spüle fällt. Mir zischt regelrecht die Haut weg, ein Schrei und ein Fluch lassen sich nicht unterdrücken – tatsächlich, tut verdammt weh heiße Eisen anzufasssen! Drei Finger und der Daumen sind hinüber.

Konsequenz: Lärm hat mir jetzt egal zu sein. Isses zwischen eins und drei, tags oder nachts? Dann is' gut, reich mir den Werkzeugkasten und lass uns schauen, was es zu tun gibt!




Mittwoch, 23. April 2014

Die Idee aufgeben, dass die Welt eine feindliche sei.




Donnerstag, 27. März 2014

Fleißig: Wildbiene

Es brummt im Insektenhotel auf der Fensterbank, das endlich von einigen Wildbienen als Brutstätte akzeptiert wurde. Zur Zeit werden sechs Kammern aktiv bearbeitet, eine ist schon verdeckelt. Solitärbienen bilden keine Schwärme, sondern nisten einzeln in Hohlräumen, in denen sie zuerst einen Vorrat an Pollen anlegen, der für die zukünftige Larve, die aus dem hineingelegten Ei heranwächst, Nahrung bietet, bis sie als fertige Biene ihrem Räumchen entschlüpft. Jede Biene legt pro Saison mehrere Eier. Es ist äußerst niedlich zu beobachten, wie sie sich in das Röhrchen zwängt, mal vorwärts, mal mit dem Po zuerst, im Inneren irgendwas macht und dann wieder rauskommt. Ich habe mich gefragt, wo sie Nachts schlafen, es ist ja noch kalt. Anscheinend verbringen sie eine schläfrige Zeit in den Hohlröhren, die sie gerade bearbeiten, heute früh konnte ich etwas Dunkles mit ein paar Fühlern, die rausschauen, erkennen.




Samstag, 15. Februar 2014
Ich müsste wieder anders schreiben, derart, dass ich nicht versuche mich zu erklären, nicht erst erklären, worüber ich schreibe, damit auch der letzte Idiot versteht, was ich meine. So ist das mit der Yoga-Philosophie, ich kann nicht jedes Mal eine Rundum-Einführung geben. Was mich sowieso eher entkräftet. Also isses Quatsch.

Im übrigen bin ich mit der Theorie durch. Seit fast zehn Jahren bin ich nun Schülerin – hingebungsvoll, unaufsässig, transluzent; letztes passt grad in die Reihe, bedeutet aber nichts. Es war eher so, ich habe ein Ziel und ihr sagt mir, wie ich es erreichen kann. Ich mache alles, denn ihr müsst es ja wissen. Seit fünftausend Jahren. Ich vertraue euch. Autoriäten erwünscht.

Die Suche hat eine Wendung genommen. Ich nehme an, das musste so. Die Theorie ist mir eingepflanzt, auf eine sehr natürliche Art war mir alles sofort klar und wahr. Es wurde immer gesagt, dass es verschiedene Arten des Wissens gibt, das Angelesene bzw. von außen Gelernte und das selbst Erfahrene. Dass Letzteres das wertvollste sei, das einzige, das zählt. Glaube niemandem, auch mir nicht, bevor du es nicht selbst geprüft und erfahren hast, sagte Swami V. bei der allerersten Lecture, die ich bei ihm hörte und deren Profundheit mich in ein verändertes Bewusstsein katapultierte. Dieses, du weißt schon, Gewahrsein, als würde der Körper meilengroß sein. Ich kannte es schon von früher, seit der Kindheit gehört es zu meinem heimlichen Erfahrungsschatz. Niemand konnte mir darüber etwas sagen. Dass ich nun in dieser Lecture saß und Swamis Stimme direkt aus meiner Brust zu kommen schien, bedeutete mir, dass ich endlich am richtigen Ort angekommen war.

Es folgten die Jahre. Was las, hörte und lernte ich nicht alles. Über Chakren, das richtige Atmen und das rechte Handeln. Die feinstofflichen Körper, die Zeitalter und die siddhis. Geschichten über Rishis und Weise, die versuchten, was nicht gesagt werden kann, in Worte zu kleiden. Worte, die so komprimiert sind, dass der Verstand sie kaum begreifen kann. Von Kommentatoren, die über ihren jeweiligen Ausdeutungen der Schriften Heiligkeit erlangt haben.

Mein Wunsch blieb, und ich war sicher, eines Tages die Wahrheit zu kennen. Wenn nicht in diesem Leben, so in einem der nächsten. Welches nächste Leben? Das vorherige gibt es nicht (mehr) und das nächste gibt es (noch) nicht. Also gibt es keine anderen Leben (außer diesem). Es geht nirgendwo hin.

Die Idee, man könnte sich wohin bewegen, scheint mir heute die Krux zu sein. Als gäbe es ständig etwas zu tun, damit man überhaupt ankommen darf. Als müsse dauernd etwas in Ordnung zu bringen, zu optimieren, zu ändern und zu heilen sein. Für den Eindruck, das Ziel läge noch in weiter Ferne und sogar übermenschliche Anstrengung reiche nicht unbedingt aus, es zu erreichen, sind nicht zuletzt die spirituellen Lehrer verantwortlich.

Die Wendung, die geschehen ist, ist das Erkennen des Soseins. Es ist so (und nicht anders). Das Gleichgewicht ist vollkommen (in seinem Sosein) und es ist ganz wunderbar, sich darin einzurichten. Hier sitzen und dem Sosein zu lauschen und zusehen, wie es sich entfaltet und entfaltet, in jedem Moment neu, frisch und vollkommen.

Das ist so ganz anders als vorher. Vorher musste immer etwas erledigt werden, hier noch eine Mantra-Übung, um den Geist zu reinigen, da noch eine Unvollkommenheit, die geklärt, und wieder ein Problem, das durchschaut, eine lästige Gewohnheit, die geändert werden musste, und erst dann, irgendwann könne ein Mensch als erleuchtet gelten. Und ja, Kinder, niemand weiß, ob und wann und bla. Ich habe die große Mantra-Übung nach 80tausend Rezitationen abgebrochen. Es war, als stünde sie zwischen mir und dem Ziel, sie machte mich unruhig und unvollkommen.

Weil mich die Erkenntnis des spirituellen Hamsterradlebens erst gepackt und dann völlig deprimiert und erschöpft hat, habe ich nun aufgehört mich zu bewegen. Ich will nirgendwo mehr hin. Hier wo ich jetzt bin, ist es gut und ich erlaube mir, eine Weile zu bleiben. Dann sehe ich weiter.




Sonntag, 27. Oktober 2013
Es ist gut, im Titel einen Verleser zu führen, wenn sonst eher Stille und Seichtheit vorherrschen. Ja, seichte Gedanken, dachte ich vorhin – F. erkannte ich erst spät als Musiker der Band, die auf dem Markt spielte, danach bin ich schnell hin, kurz umarmt und innerhalb von Sekunden wusste ich Details seines Selbstmordversuchs vor drei Jahren.

Abenddämmerung um viertelnachfünf, und ich möchte nichts von Selbstmorden hören.

Die Band gefiel mir. Durch geänderte Texte bringt sie dem Stadtteil Gemeinschaftsgefühl. Ironische Auswahl an seltsamen Hits und Filmmusiken der 60er mit ordentlich groove, einiges zum Mitsingen, manches aus blassesten Erinnerungen auftauchend, ich fast die ganze Zeit lächelnd. Schöne Gitarren, kraftvoller Gesang, dazu Bläser, einer von ihnen eben F., mittlerweile mit neuer Freundin, neuer Schwangerschaft und alten Träumen vom Häuschen auf dem Lande.

Song of Almost gab es auch in K.s Küche zum Geburtstag. Ihre Freunde, die eigentlich indirekt, aber umso intensiver mit vier Jahren meiner Lebenszeit zu tun haben. Alle mit diesen Spitznamen, ich die einzige mit echtem. Die anwesenden Männer dünn wie Bohnen, die Gürtel stehen von ihren nach innen gekehrten Bäuchen ab, niemand isst von K.s leckererem Kartoffelsalat, ich bin die, die dauernd aufsteht und sich den Teller voll läd. Du hast doch Bass gespielt, oder, werde ich gefragt, und es entsteht ein Gespräch, das ich in diesem Jahr schon oft geführt habe, dass wir kaum noch Musik hören, nicht beim Arbeiten, nicht beim Putzen, nicht bei sonstwas, dass wir stiller geworden sind, dass wir empfindlicher werden.

Und noch ein Lied, das überraschte Gekreische der Kinder im Hof, als ein Platzregen sie unter die Bäume treibt, aber ihr Versteckspiel kaum beeinträchtigen kann. Song of Almost, almost Überschwemmung, almost Matsche, almost durchnässt. Ich im Bett mit der Sommerversion Kopfende, nach Westen, almost schlafend, vom Regengeknatter auf dem Dach beruhigt. Musik.




Freitag, 30. August 2013
  • Das war ja klar – auf dem frischen Zement, mit dem die neu gelegten Rohre im Hof wieder zugedeckt wurden, haben die Katzen Abdrücke hinterlassen. Für immer.
  • Jene Katzen sind es auch, die zu mir hochmaunzen, als ich zu ihnen herabrufe, na, ihr Niedlichen!
  • Dass die Busenfreundin und ich ihre Website fertigbekommen haben, ohne uns zu zanken.
  • "Was ist denn das für'n Auto?", rufe ich rüber zu dem Mann, der, gerade einem undefinierbar besonderen, kleinen und historischen roten Auto entstiegen, sich einen Kaffee an der Theke bestellt. "Ein Fiat, möchtest du mal mitfahren? Der ist viel älter als du, Baujahr '72!" Wahrscheinlich gucke ich ein wenig blöd, weil ich erst nachrechnen, dann aber lachen muss. Komplimente mit Autovergleich, haha.
  • Gemurmel, leises Gelächter und Geschirr- und Besteckklappern von draußen, bei dem ich drinnen sanft vor mich hindöse, bis es dunkel ist und die Geräusche still werden.
  • Eine Reihe Bücher von Louise Erdrich, die noch zu lesen sind.
  • Am Abend nochmal mit der Busenfreundin in den See (Teich) springen.
  • Sorglosigkeit.