Wie jedes Jahr. Die Zusammensetzung der Gäste wechselt gewöhnlich etwas, aber mittlerweile kennen sich alle, und so ist die Runde friedlich, wohlwollend und durchaus lustig. Die mitgebrachten Speisen erweisen sich als außerordentlich stimmig, als hätte uns eine unsichtbare Menükarte geleitet.

Meine Schwester Dudi ist auch mit dabei und überschreitet wie immer Grenzen zur Peinlichkeit, wir haben sie trotzdem lieb oder gerade deswegen, und lachen laut, die Bürokollegin, die Gartendamen und die inzwischen verheiratenen Lesbierinnen, die Buddhistin, die Busenfreundin und andere (die hier im Blog noch nicht aufgetaucht sind). Ein Gast aber lag mir besonders am Herzen, und sein Erscheinen bedeutet mir viel. Er war auch Grund für meine Aufgeregtheit, die Dudi im Vorfeld nicht so recht einzuordnen wusste, denn am unsicheren Wetter allein lag's nicht.

Ein Bildhauer, der Objekte aus Naturmaterialien macht. So ganz ohne doppelte Bedeutung oder verschwurbelte Konzeption lassen sie sich direkt gefühlsmäßig erfassen. Seine diesjährigen Gegenstände bestehen aus Pflanzen, die er gesammelt, zu Bündeln verpackt oder in Reagenzgläsern eingelegt hat – alle Objekte sind mit handbeschrifteten braunen Pappanhängern versehen. Manch gefundene Käuter und Blüten sind mit Schnaps und Gewürzen vermischt, in Kästchen versammelt und einiges baumelt im brüchigen Kokon an zart geschnitztem und bemaltem Gestänge, manches Behältnis zeigt sich in Rottönen, die ans Herz gehen, sein Ausstellungsort wirkt wie die Zuflucht eines kundigen Schamanen, stets rührt er in der Kohleschale, in der er Weihrauch oder Salbei verbrennt, die Düfte ziehen durch den Garten und der Betrachter darf alles berühren, beriechen und schmecken, sofern es nicht als giftig ausgewiesen ist und zu meinen Ehren gestern hat er ein Fläschchen angesetzt und bietet mir aus einem kleinen Glas das herbe Gebräu, das einem Tränen in die Augen treibt, süß und scharf mit Vanillenote, ich mag es sehr.

Zwischen uns ist eine natürliche Herzlichkeit und in seiner Nähe fühle ich mich gut. Wir beide bewegen uns in zeitlich ähnlichen Abständen im Kreis, um möglichst mit jedem zu plaudern und die Stimmungen in den Gesprächsgrüppchen zu erkunden. Mein Gast zeigt sich offen und interessiert und es gefällt mir, wie er bei sich ist und sich der jeweiligen Person konzentriert zuwendet. Ab und zu werfen wir uns Blicke zu und lächeln uns an. Manchmal treffen auch wir aufeinander und erzählen uns was. Mein Gefühl sagt mir, dass wir beide gleich voneinander beeindruckt sind. Und ich genieße die Leichtigkeit, mit der wir uns auf unserer Runde wieder voneinander entfernen. Da ist keine Spur von Besitzergreifen oder Eifersucht. Auch ich kann mich auf jeden meiner Gäste ausgiebig einlassen, ihn vergesse ich dabei. Und erinnere mich neu, wenn wir wieder beieinander sind.

Die Busenfreundin hat ihn als erste kennengelernt, sie stellt ja mit ihm zusammen im Park aus, und ihn mir schon als äußerst reizend beschrieben. Als ich ihn das erste Mal in seinem Zelt besuche, sehe ich einen ernsten, reifen Mann, und sofort fällt mir hier schon seine Konzentiertheit auf, mit der er seinen Besuchern die Objekte erklärt. Später erst das Lächeln, das sein Gesicht kaum mehr verlässt, ich bin tatsächlich ebenfalls sofort hingerissen und beobachte mich dabei, wie ich mich frei, fast sogar frech ins Gespräch mische, bin ich doch eher ein scheuer Mensch und verbringe schweigend meine Tage. Hier aber ist Lebendigkeit im Hort und auch Hitze, meine Beine werden von Bremsen zerstochen und an einem der nächsten Tage, die ich dort im Kunstpark verbringe, bietet mir der Bildhauer eine selbst angerührte Salbe gegen den Juckreiz, hilft eigentlich kaum, aber unsere Hände berühren sich, als ich ihm die fast flüssige Substanz von den Fingern streife, gerade noch hält er inne in der Bewegung zu meinem nackten Unterschenkel, um sie dann doch nicht aufzutragen, das wäre zu viel Intimität.

So, liebe/r Leser/in, spätestens hier merken Sie vielleicht, was ich bis dahin noch zu verheimlichen suchte – meine Gedanken liefen mir bereits fort und Bilder der Gemeinsamkeit ebenso. (Ich habe aber gelernt, meine Gedankenwellen zu kontrollieren, so bilde ich es mir jedenfalls ein, und es stimmt auch nicht – Yogash Chitta Vritti Nirodha [was das heißt, lesen Sie bitte selbst nach]. Nothing's gonna change my world, begriff auch John Lennon.) Ich hatte auch die Kunst ganz vergessen! Schöne Dinge herstellen, ohne Auftrag, ohne etwas davon zu erwarten, ohne bestimmten Sinn, einfach machen und im Tun vollständig versinken. So schön.

Die Picknickgesellschaft merkt wohl kaum etwas von alldem. Und so haben wir die nächste Runde gedreht, um uns dann wieder voneinander zu erzählen bis tief in die Nacht.