Sonntag, 15. Dezember 2013
Also los, ich hab ja grad nichts anderes zu tun:

1. Winterdepression?
Dunkelheit ist nicht mein Schlimmstes, manchmal nachts mache ich alles im Dunkeln, aufstehen, mit Finger im Glas Wasser eingießen, etwas trinken, durch die Wohnung gehen und aus dem Fenster schauen, nach iPod und Kopfhörer suchen und etwas anhören, wenn ich nicht schlafen kann, für einen polaren Winter, sogar ohne Strom, dafür aber mit Sternhimmel wäre ich gewappnet. Aber der letzte Winter, tatsächlich, der hat mich zermürbt und die Knochen dazu, Schnappdaumen und verdrehter Rücken. Es war zuerst der Körper, der deprimierte, nach weiteren Monaten die Seele hinterher.

2. Barfuß oder Lackschuh?
Weder noch. Ich mag nicht mit nackten Füßen auf etwas Unbekanntes treten, da sind sie empfindlich. Der Lackschuh ist hoch oder flach? Egal, lieber etwas Robustes, damit kann man durch Dreck laufen und das wär nicht schlimm. Seit vorletzen Sommer trage ich keine Sneakers mehr.

3. Rotwein oder Weißwein?
Rot, bitte. Helle Getränke sind da, um den Durst zu stillen, wie Bier, das geht bei Wein nicht, wegen früher Trunkenheit. Rot sieht schön aus im Winter, rot macht warm und schmeckt nach fremden Ländern.

4. Flugzeug oder Bahn?
Bahnfahren finde ich immer noch aufregend, sogar wenn es kurz zur Mutter in die Kleinstadt geht, manchmal stehe ich am Gleis und habe Herzrasen bis ich einsteige. Beim Fliegen ist es schlimmer, der Ausblick, gewiss, ist toll, und die Wolkendecke von oben mit ihrer scheinbaren Festigkeit, trotzdem für mich zu aufregend. Wenn nicht jemand dabei ist, dem ich gehörig ins Bein kneifen kann, bin ich verloren. Einmal saß ein alleinreisendes Mädchen neben mir, von Helsinki nach Hause, es hat geweint, trotz Buntstiften und der Aufmerksamkeit der Stewardess, wahrscheinlich vermisste es seine Familie, die es auf solch eine Reise schickt. Eine gute Gelegenheit. Ich habe eine Stunde lang mitgeweint. Da saßen wir und weinten.

5. Feminismus?
Was weiß ich. Ich bin da raus. Ist mir zu theoretisch und hilft nicht gegen unglücklich verliebt sein.

6. Vorbilder?
Verdammt. Graham Coxon. Wegen der Musik, oder Billy Corgan. Swamiji, wegen allem. Gestern dachte ich, Swamiji ist die einzige wahrhaftige Person, an die es sich lohnt ausiebig zu denken. Das hat mir gefallen.

7. Ziele?
Die Frage hatten wir doch schon mal, oder? Befreiung. Moksha.

8. Reisen?
Ich habe nicht alles von der Welt gesehen, aber vieles, das ich sehen wollte. China, Hong Kong, Finnland, Indien. Als ich dann in Indien war, fiel mir auf, dass ich immer schon nach Indien wollte, mein allerfrühester Reisewunsch. Hatte ich vergessen, bis ich da war, 30 Jahre später. Island möchte ich noch sehen, oder Grönland, ganz besonders die Nordlichter.

9. Glaube?
Mein Glaube verdreht sich manchmal zu Zweifel, wenn ich verzweifelt bin. Was, frage ich mich dann, wenn Herr Mainstream recht hat, und das schon alles war? Ansonsten kenne ich Töne vom Hören, Farben vom Sehen, und weiß weit mehr, als andere bloß glauben.

10. Lieblingsfilm?
Also, heute isses GRAVITY (heute nachmittag gleich zweimal hintereinander gesehen). Beachtliches Gedöns. Sonst vielleicht Matrix. Oder Karate Kid mit Jackie Chan. Oder Das Haus am See, schlimm. So Filme, die die großen Fragen zum Thema machen. Oder welche mit besonders großer Kitschigkeit.

Zusatzfrage: Große Koalition?
Große Langweiligkeit, oder? Die Großen Fragen werden so nicht geklärt werden können.

Vielleicht würde ich morgen anders antworten. Was sagen Sie denn zu folgenden (blind gesammelten) Stichwörtern, Frau Trippmadam? Oder Herr Froschfilm? Oder wer sich sonst noch angesprochen fühlt?

1. Weltgewandt?
2. Verlangen?
3. Schmöker?
4. Zelten?
5. Lächeln?
6. Enthaltsamkeit?
7. Wissenschaft?
8. Grimm?
9. Betäuben?
10. Wandbehang?




Donnerstag, 28. November 2013
Die Frau Montez hat mich eingeladen.
Dankeschön, bitteschön.

1. Warum bloggst du? Könntest du deine Zeit nicht sinnvoller nutzen?
Natürlich, aber ich tu's nicht. Ich schreibe für mich und damit ich diese meine Welt verstehe; in Worte fassen, was mich Nachts nicht schlafen lässt; mir die Welt zusammenreimen. Vielleicht interessiert's ja wen.

1b. Wieviel Zeit geht täglich drauf fürs Bloggen? Und wann schreibst Du?
Meist abends oder Nachts, wenn ich Muße habe. Seltener Morgens, dann ganz früh, wenn mich eine Idee nicht schlafen lässt. Manche Texte benötigen Stunden, manche, kürzere, entstehen Wort für Wort im Kopf und dann brauche ich sie bloß abzutippen (so wie heute den vor diesem).

2. Welcher Artikel aus anderen Blogs ist dir spontan im Kopf geblieben? (nicht zu lange nachdenken)
Da muss ich aber lange nachdenken! Also keiner.

3. Dein absoluter Lieblings-Artikel in deinem Blog? (bitte mit Linkangabe)
Oh, mal schauen. Vielleicht dieser?
http://charlesbee.blogger.de/stories/2281189/
Weil ich beim Schreiben sehr gelacht habe.

4. Welchen Blog empfiehlst Du?
Neben den üblichen, die alle empfehlen, lese ich die Sturmfrau gern.
http://sturmfrau.blogger.de/
Und bei der Frau Montez schaue ich sowieso immer rein.
http://montez.twoday.net/

5. Welches Thema liegt Dir am meisten am Herzen?
Leben, Selbsterkenntnis, Sterben, äh... nur eines? Dann Selbsterkenntnis.

6. Freundschaft. Hast du mehr Freunde im Internet, oder da draußen?
Viertel:dreiviertel. Allesamt sind es sehr langlebige Freundschaften.

7. Ganz ehrlich und unter uns: wie oft checkst du die Statistik deines Blogs? (falls du eine hast)
Bis vor einer Woche hatte ich keine Statistik, und an dem Tag, an dem ich sie installiert habe, saß ich Stunden davor, das war sehr aufregend. Jetzt schau ich nicht mehr so oft. ("Unter uns", haha.)

8. Kennt Deine Familie (falls Du sowas hast) Dein Blog?
Ja, ich habe eine Familie, und die weiß, dass ich online schreibe, aber sie weiß nicht wo und was.

Und wie finden die deine Bloggerei?
Ich schrub 2002-03 ein Online-Reisetagebuch während eines Auslandshalbjahres, damit meine Familie und Freunde wissen, wie's mir in der Ferne ergeht. Besonders mein Vater mochte es sehr.

9. Verhältst du dich manchmal noch wie ein Kind? Wenn ja, in welcher Situation?
Ich bin ein Kind :P Ich nehme meistens nichts ernst, obwohl ich manchmal in einen ausdauernden Sorgemodus falle. Diese Gewohnheit versuche ich mir aber abzugewöhnen.

10. Was würdest du anders machen, wenn du mit den Erfahrungen von heute noch einmal neu im Alter von 14 Jahren beginnen dürftest?
Ich würde auf Sex verzichten.




Samstag, 23. November 2013
In der Küche gibt es nun ein neues Möbelstück, auf dem man gleichzeitig sitzen und darin Dinge verstauen kann, die immer so rumstehen. Die alte Bank ist für einen Spottpreis verkauft, vorgestern kamen zwei junge Frauen, um sie abzuholen, ein friemeliges Kind hatten sie in einem dieser Tragesitze dabei und nachdem sie ein paar Geldscheine dagelassen hatten, trugen sie gemeinsam die Bank runter und ich ihnen das Kind hinterher. Als wir unten waren vorm Auto, ich mein', ich wohne ja nicht in einem Hong Konger Hochhaus im 23. Stock, sondern bloß im dritten, war das Kind eingeschlafen. Ich wirke immer so auf Kinder, sie schlafen einfach ein. Neben mir, an mir dran, notfalls auf mir, wenn sie noch so klein wie Katzen sind. Katzen auch, ich will bei dir schlafen, sagen sie dann und ich gebe gewöhnlich nach.

In der Küche ist also wieder gut sitzen. Allein. Ohne Katzen, ohne Kinder. Ich tendiere zum Alleinsein, immer mehr. Hatte ein paar schwache Lichter angezündet und gesessen. Stunden. Ab und zu war ich aufgestanden, einmal, um die Gewürzgläser nachzufüllen, ein anderes Mal, um den Salbei von alten Blättern zu befreien und ihn schön zu zupfen, ein weiteres Mal, um etwas Geschirr zu waschen, dann nochmal, um das Schubladenschränkchen an eine andere Stelle zu ziehen. Für das Zurechtrücken der Gegenstände auf dem Tisch musste ich nur den Arm strecken. Die Kerze etwas mittiger, die Mala beseite, das Büchlein, in dem ich die Anzahl der rezitierten Mantras notiere, dorthin. Ein perfekter Tisch.

Ich dachte an Don Juans Erklärungen zum Tonal und Nagual. Das Tonal umfasst alles, was sich auf dem Tisch befindet, das Nagual ist alles was außerhalb ist. Das Tonal ist die Maya, das Nagual das Nichts. Der Tisch die Prakriti, der Nicht-Tisch der Purusha. Es ist schön, wenn die Begrifflichkeiten in ein Gleichgewicht fallen, und eigentlich verstehe ich erst seit ein paar Wochen, dass diese Begriffe gleiche Konzepte beschreiben.

Um das Nichts zu erfahren, müsste man aus der Maya erwachen, aus der Illusion. Außerhalb der Maya ist alles bedeutungslos, was innerhalb der Maya zu Freuden oder Sorgen und schlaflosen Nächten führen kann. Ich wollte heute mit der Buddhistin darüber reden, bei Galao und Törtchen, aber wir hielten uns zu lange mit anderen Themen auf und dann musste sie zurück an den Schreibtisch, sie studiert nebenbei was anderes, und ließ mich an den Tischen und Stühlen und dem, was außerhalb ist, sitzen. Allein, wandte ich mich wieder meinen Überlegungen zu. Alles Illusion.




Sonntag, 17. November 2013
Unter obigem Motto fahre ich heute zu weiteren Versuchszwecken am offenen Ich in die nächstgrößere Stadt. Eine weitere Person wird anwesend sein und die Ergebnisse sichtbar machen, eventuell beeinflussen, eventuell auch nicht. Aber so ist es ja immer. Das ganze Leben ist so ein Dings, ein Testballon. Am besten er platzt.

Nachtrag: Ein erstes Fazit: Wie beruhigt ich jetzt bin. Weil es sehr, sehr liebenswerte Män Menschen gibt. Das klingt beliebig oder gar simpel, ist es aber natürlich nicht.

Und hier noch ein Bild zur Versuchsanordnung:




Donnerstag, 17. Oktober 2013


Die Lieblingschefin weist mich zurecht. Dreimal hätte ich den gleichen Fehler übersehen, was denn mit mir los sei. Es macht mich fertig, wie sie diese Frage immer stellt: Was denn überhaupt los sei? Weiß ich doch nicht! Plumpe Unachtsamkeit? Überhaupt alles plump. In der Agentur, die gerade umbricht, herrscht eine seltsame Stimmung, die sogar die sonnenbeschienene Laubfärbung draußen trübt, ich weiß, dass sie einige Kolleginnen zurechtweisen musste, sie sagt nicht wen, aber ich kann es mir denken. Sicherlich ist alles sehr schwierig und am Ende unseres Treffens stehen ihr die Tränen in den Augen. Ich könnte mal gleich mitweinen, aber jetzt bin ich es, die tröstet.

Vielleicht geht mir einfach das dauernde Steinegesäge und das Pflastergerüttel auf dem Gelände auf den Wecker. Vielleicht sind es auch die Kunden, deren Art zu arbeiten und Sachen vorzubereiten ich nicht verstehe. Umständlich, unnütz, und wahrscheinlich bin ich eine Besserwisserin, die Rolle stresst sowieso. Explosive Mischung aus Perfektionismus und Konzentration auf gänzlich Anderes, Weniges, Wesentliches.

Beinahe sage ich der Lieblingschefin, dass ich gar nicht mehr möchte (Rückzieher sind meine große Stärke), ich habe auch keine Lust zu erklären, wie es zu den Fehlern kam (der Server ist voll mit Müll und ich habe mich im Ordner vertan und dann noch statt b g, liegen ja auch dicht beieinander, wenn man's nachts um elf eilig hat). Sie redet weiter und ich höre zu, beobachte mein Herz, das sich zusammenkrampft, sie müsse sich auf mich verlassen können, wenn alles drunter und drüber geht, sie wolle nicht jeden Pups kontrollieren müssen, und ob überhaupt …, aber eigentlich wolle sie ja … Und ganz am Ende wollen wir beide wieder, weil wir um unsere schöne Verbindung wissen, und dann eben die Beinahetränen, als sie berichtet, wie der Lieblingschef sie dauernd hängen lässt und überhaupt dessen doofe Gattin und so weiter – wahrlich, sie hat um ein Vielfaches mehr am Hacken, als ich mit meinem Wunsch nach einem minimalisierten Haushalt. (Habe gelesen, dass sich Minimalisten gegenseitig mit Listen übertrumpfen suchen, wie wenig Gegenstände sie besitzen, 100 Dinge sollten es höchstens sein. Ich frage mich, ob das Besteck, Socken, diverse Werkzeuge und Geschirr schon dazugehören, das wären bei mir schon knapp 200, also fail.)

Was denn gerade so wichtig sei, könnte sie fragen. Hier die kurze Liste mit Wichtigkeiten:
  • mit der Mutter eine möglichst harmonische Zeit verbringen, wann immer wir uns treffen oder telefonieren
  • die dunkle Dauerwolke, die über mir schwebt durchlichten
  • Gesundheit erhalten
Listen sind doof, oder. Schreiben tut gut, auch wenn es so wirr scheint wie die Blätter, die von warmen Sturmböen getragen – verwehen.




Donnerstag, 22. August 2013

Nachbars Katzen auf Tisch und Bank daheim.




Freitag, 21. Juni 2013
Werde ich empfindlicher? Werden die Kunden unerträglicher? In meinem Mailprogramm liegt ein Entwurf zu einer Art Endbrief an die ayurvedische Ärztin, die ihr life style-Buch ursprünglich mit mir zusammen machen wollte und jetzt Schritt für Schritt davon abrückt. Bloß die Titelgestaltung für das Manuskript? Wie sag ich ihr, dass ich ihren Text für Schlamperei halte? Wie viel eher wird ein zukünftiger Verleger das bemerken? Sagt man sowas überhaupt?

In dieser Freundschaft sind zu viele Komponenten wirksam. Sie ist meine Ärztin und hatte mich nach einem, na, es war wohl sowas wie ein burn out wieder aufgepäppelt. Wirksame Ernährungsvorschläge, wohltuende Ganzkörpermassagen mit Öl und Kräutern, und im Nu war ich wieder fit. Wir wurden während der Jahre auch spirituelle Freundinnnen und fühlten uns auf dem Weg verbunden.

Über sie habe ich B., die Gärtnerin, kennengelernt, die ja Webdesignerin ist und die Site der Ayurvedin gestaltet hat. B. und ich wiederum teilen verschiedenste Vorlieben, es stellte sich sogar heraus, dass wir aus der gleichen Heimatstadt kommen und sie befreundetes Kind im Nachbarhaus gegenüber meinen Eltern war. B. erzählte, dass sie über der Arbeit an der Website für die Ayurvedin oft verzweifelte, und die Eigentümlichkeiten (wahrscheinlich beider) dazu führten, dass sie sich lautlos verkrachten, jedenfalls wurden Konflikte nicht offen ausgetragen und B. ist einfach irgendwie entschwunden. Die Eigentümlichkeiten führen anscheinend bei mir und der Ayurvedin nun genau zum selben Ziel, nämlich dass ich mich ebenfalls mehr oder weniger verpisse. Ich stehe vor der Frage, wie wichtig oder sinnvoll eine eventuelle Auseinandersetzung wäre, die möglicherweise als streithaftes Hin- und Heradressieren von Vorwürfen über doofe Persönlichkeitsanteile enden würde. Zumal ich gerade eher undiplomatisch bin und unfähig, mich im Konflikt zusammenzunehmen.

Früher habe ich gern gestritten, mit den Freundinnen, damals im Studium, da gab es viel zu bemängeln, die eine warf sich vor den Augen der Anderen an den Mann, in den jene verliebt war zum Beispiel. Ich hingegen war verliebt in die andere, und die wiederum baggerte taktlos spielerisch an einer Kommilitonin herum, während mir durchaus ernst war mit meinen lesbischen Anwandlungenteilen. Kein Grund aber zum Weglaufen – Abend für Abend wurde in der Küche diskutiert, geweint, gestritten, keine Frage, wir waren alle gegenseitig eifersüchtig aufeinander, und weil wir uns lieb hatten und an eine Zukunft der Freundschaften glaubten, sind wir da durch. Die eine von beiden ist A., die Bestefreundin, immer noch.

So bin ich mit der Ayurvedin nicht. Es hört sich an wie eine Kosten-Nutzen-Rechnung – was habe ich davon, den Konflikt anzusprechen, den schon B. nicht lösen konnte? Hauptsächlich bin ich wohl enttäuscht darüber, dass die Ayurvedin meine persönlichen (spirituellen, globalen, was weiß ich) Vorgaben von Achtsamkeit, Freundlichkeit und Großzügigkeit nicht einhält. Das heißt nicht unbedingt, dass ich die beherrsche, aber sie, die sich gern als Lehrerin aufschwingt, sollte diese Attribute doch auch üben. Ja, vielleicht ist es wirklich hauptsächlich dies, dass auf eine seltsam versteckte Art alle Gegenattribute wirksam sind, was wiederum mich alarmiert, reizt und unangenehme Urteile aufstört.

Ich erinnere mich an den spirituellen Freund, St., mit dem ich damals in Indien war, um Swamiji (VB) zu besuchen und kennenzulernen. Er war ein versierter Yoga-Philosoph und ich war bedürftig und hielt ihn für weise. Tag und Nacht erläuterte er mir die Schriften, erstellte Horoskopanalysen und setzte sich wie ein Therapeut mit meinen Problemen auseinander, kurzum, er erklärte mir die Welt. Er selbst aber war mit nichts im reinen, nicht mit seiner Frau, nicht mit seiner gerade gestorbenen Lebensgefährtin, nicht mit seiner Mutter, letztendlich fand ich einen Haufen Mensch vor, der mich mit seinem Jammer völlig überforderte. Wie sollte ich einem System vertrauen lernen, dessen Vertreter derart sonderlich sich gebärden musste? Wie sollte ich shraddha erreichen, wenn der Lehrerfreund so komplett zusammenbricht angesichts von Verlust und Tod? Ich begriff nicht, dass seine bis dahin 18-jährige Übungspraxis anscheinend überhaupt nichts gebracht hatte, keine Klarheit, keine praktische Weisheit, keine Freiheit.

Am Ende lief ich weg. Für mich war der Weg der spirituellen Gefährtenschaft, die er immer beschwor, versandet und versackt. Er führte mit ihm nicht direkt zum Ziel, sondern nochmal um den gleichen Berg anstatt auf den Gipfel, mit den gleichen Hindernissen, immer wieder. Das Ziel des Yoga ist moksha, Befreiung und nicht Verdaddelung. Was sich diesem meinem Ziel in den Weg stellt, kommt weg. Sehr grob gesagt.

Und am Ende nun nochmal die Frage: Ist es mein Ziel, alles dafür zu tun, um den Kontakt mit der Ayurvedin zu erhalten? Soll ich Einigkeit mit ihrem Buch erreichen, hinter dem ich gar nicht mehr stehe, was ich ihr aber nicht sagen kann? Sie ist so offensichtlich von ihrem Elaborat überzeugt und wehrt meine Einmischung ab, warum sollte sie meine kleinliche Meinung zu Rechtschreibung, Grammatik und Typografie überhaupt interessieren? Warum sollte es mich interessieren, ob sie mit ihrem Buch Erfolg hat, wenn sie mich an seiner Entstehung gar nicht ernsthaft teilnehmen lässt?

Bloß die Titelgestaltung für das Manuskript. Als ich ihr meinen Stundensatz sage und die voraussichtliche Arbeitszeit, schaut sie mich groß an. Geht ok. Wenn ich sie jedesmal so angeschaut hätte, wenn sie mir ihre Behandlungen in Rechnung stellte.




Mittwoch, 15. Mai 2013
Jetzt habe ich endlich einen definierten Anker, der sich in meine unbenannten Aggressionen einhaken kann: Ein Missverständnis über einen Kostenvoranschlag, der meinerseits sicherlich etwas hoch angegangen war, aber äußerst tief von der Kollegin weitergegeben wurde und dann auch noch halbiert durch die Sprachkreise, die ich einzeln kalkuliert hatte. Dreieinhalb Stunden für die Aktualisierung einer Website incl. diverser Flashfilme, die ebenfalls geändert werden sollen – mittlerweile bin ich bei knapp sieben Stunden.


Von Ferne nur beobachte ich die Grabeslegung der Agentur, erheische ab und zu knappe Berichte der Busenfreundin über Vorgänge, die dort mit einer mir unverständlichen Unterwürfigkeit hingenommen werden, bei mir allerdings größte Streitlust auslösen. Ungerechtigkeit, Respektlosigkeit, Missachtung. Nach einem längeren Telefonat mit der Lieblingschefin gestern, die mich in Details einweiht, verstehe ich noch weniger, warum sie sich das antut.

Zeitgleich ist mein Arbeitspensum übersichtlich. Längerlaufende Projekte sind abgeschlossen, die kleineren Sachen, die regelmäßig gepflegt werden müssen, machen Pause. Es könnte also eine entspannte Zeit sein, die ich für Muße nutze, zum Ruhefinden, zum Gutsein zu mir. Statt dessen stresse ich mich selbst und grübele wie verrückt, lange Listen von immer wieder auftauchenden Gedanken erstelle ich im Geiste.

Die Lieblingschefin, so gern ich sie mag, hat einen großen Anteil an Schuldgefühlen zum Thema Arbeiten. Nicht nur seit ich mich vor gut einem Jahr aus der Firma zurückgezogen hatte, sondern schon vorher, 2009, als ich ins eigene Büro zog, weil mir die Fahrerei aufs Land und die Kollegennähe zu viel wurde – es war als hätte ich keine Erlaubnis dazu. Noch heute spricht die Busenfreundin davon, ich hätte sie im Stich gelassen. Tatsächlich hatten sich da Fronten aufgebaut, die eine deutliche Entscheidung forderten, entweder ich lasse sie (die Firma) im Stich oder mich selbst. Ich war (und bin) finanziell in der Lage, eine Art Neustart zu wagen, die Kollegen sich selbst zu überlassen und meinem Herzen zu folgen, wie man so schön sagt, auch wenn es bedeutete, eine Weile keine Arbeit zu haben.

Nicht zu arbeiten ist gewissermaßen anstrengend – eher noch das reine Nichtstun. Wie sehr unsere Gesellschaft davon geprägt ist, tätig zu sein. Und wenn es nur das Rumfriemeln am Mobiltelefon ist, das Rauchen, das Kaffeetrinken, und wieder sind zehn Minuten rum, wieder eine Stunde mit ein bisschen Hausputz oder Kochen verbracht, wer sitzt schon rum und macht gar nichts?

Zur Zeit versuche ich ebenfalls zu begreifen, welche Gruppe DIE Gruppe ist, jene auf die alles zuläuft, alles zugeschnitten ist, die mit den Vintage-Fahrrädern oder die mit den Kindern. Die, die Steuern hinterziehen oder Yachten besitzen, die ihr Wochenende glücklich mit Yoghurt beginnen oder die mit den Schals ihrer Mannschaft ums Handgelenk. Jene, die endlich den Deal oder das Ziel ihres Lebens erreicht haben oder die, die regelmäßig Sport machen? Sind es gar die, die sich aus alldem nichts machen und gar nicht auftauchen in Berichten, Statistiken und Kommentaren von Online-Magazinen? Was wenn es DIE Gruppe gar nicht gibt?

Und trotzdem. Er ist immer noch da, der Wunsch Teil einer Jugendbewegung zu sein. Oder irgendeiner Bewegung. Eine, die was ausmacht, die wichtig ist und Kraft hat, die Welt, wenn nicht zu verändern, so wenigstens zu bereichern. Auf der Welt sein, um dazuzugehören, zu meinen Leuten da draußen. Wo seid ihr? In den Monaten, die ich mit dem Esoteriker verbracht hatte, dachte ich, ich hätte sie gefunden. Genau betrachtet, war es eine der bescheuertsten Abschnitte meines Lebens und ich musste fliehen vor ihren geposteten Dauerherzchen und psychedelischen Bildlein, vor ihren irren Kommentaren in spirituellen Foren und den Drogenausdünstungen, die sie seit den 90ern immer noch umwehen.

Zu einem Kollegium zu gehören, das sich mit Gestaltung beschäftigt, war natürlich gut und machte großen Spaß. Die Lieblingschefin hat immer dafür gesorgt, das Gruppengefühl lebendig und stark zu halten, aber manchmal dachte ich, sie tut es nur ihretwegen. Als es darum ging, sich gemeinsam an der Firma zu beteiligen, dachte ich bei mir, mit der Busenfreundin möchte ich mein Geld nicht mischen, wo doch schon das Zusammenwohnen eine Katastrophe war und mit B. habe ich eigentlich so gar nichts zu schaffen, wieso sollte ich mich finanziell und somit langfristig an diese Menschen binden? Nicht mal würde ich sie als meine Freunde bezeichnen. Die Idee ging mangels Resonanz ein, und die Lieblingschefin, damals noch hierarchisch auf Augenhöhe, übernahm die Geschäftsleitung, um den angegrauten Lieblingschef zu unterstützen. Komplizierte Verträge wurden unterschrieben, alles mit dieser bedingungslosen Wichtigkeit, wenn es ums Geld geht. Jetzt versucht sie, die Krise abzuwenden oder wenigstens im Zaum zu halten und ich sehe, dass sich ihre Kraft und ihr Mut langsam verbrauchen und ihre sagenhafte Freundlichkeit einer Ängstlichkeit gewichen ist, die sie mit Hartnäckigkeit verteidigt. Und ich immer schön so, wie lange willst du das noch machen, wenn du tot (oder krank) wirst, kannst du ja auch nicht mehr weitermachen. Dahinter steht die Idee eines fast größenwahnsinnig zu nennenden sich selbst für unersetzlich Halten. Vielleicht ist das ein schönes Gefühl in jungen Jahren, beim ersten richtigen Job, mittlerweile bin ich aber froh ersetzbar zu sein, das befreit von überzogenen Forderungen und Erwartungen. Einfach mal behaupten, das könne man nicht – sicherlich ist es ein großes Problem der Lieblingschefin da loszulassen. Und ebenso sicherlich ist es ihr ganzer Stolz, sich aufzuopfern, und darin unterscheidet sie sich nicht von meiner Mutter und all den Müttern, die machen und tun und Anerkennung erwarten, ohne sie je zu bekommen.

Ich weiß nicht, wieso ich das so ausführlich beschreiben muss. Hinter die Vorgänge zu schauen, macht mich ratlos. Zu erkennen, was mit was anderem verknüpft ist, hilft gegen Ratlosigkeit. Tatkräftige Gruppenzugehörigkeit und Angst vor Nutzlosigkeit sind die Themen, die mich in diesen Wochen begleiten. Ich muss mal raus hier. Mit Fräulein Montez nach Lissabon zum Beispiel. Schöne Fotos, eigene Projekte, die ich mit Lust verfolgen kann und nicht mehr dieses blöde Hickhack mit der alten Firma. Loslassen.




Sonntag, 28. April 2013
Die Küche ist nicht sehr groß, es gibt dennoch einen vorderen und einen hinteren Bereich. Hinten ist der Platz an den zwei kleinen Fenstern, da gibt es die tiefe Bank mit Kissen, auf der man am praktischsten im Schneidersitz oder liegend sich lümmmelt und man schaut zurück in den vorderen Bereich durch den Türrahmen in den Flur. Das Türblatt ist ausgehängt und liegt auf dem Speicher. Wegen der Dachschräge konnte ich die Tür nicht vollständig öffnen und es hatte sich dahinter in der toten Ecke allerlei Krempel angesammelt. Jetzt steht an der kurzen Seite im vorderen Bereich ein niedriger Schrank mit Schubladen, in dem die Nahrungsmittel lagern, darauf Behältnisse mit Getreide, Kaffee und Tee, Ölflaschen, der Altar mit einem silbernen Buddha und einge Gläser. Darüber an die Wand geklebt, eine Postkarte mit Maria und dem Kinde aus dem Mindener Dom.

In den Flur

Auch im vorderen Bereich gibt es eine Bank, nicht so tief wie die andere in der Fensterecke, dafür aber länger. Ich habe den Tisch hierher gezogen und sitze nun unter der Schräge, rechts die kleinen Fenster, hinter denen Ausschnitte der Backsteinfassade des Vorderhauses zu sehen sind, und der Ahorn, der hellgrün noch leuchtet, später dann rotbraun. Weil ich hier vorn sitze, kann ich schräg links in den Flur sehen, da gibt es eine Sammlung perspektivischer Linien, die des alten Holzbretterbodens zum Beispiel, die Schwelle zur Schlafkammer, aus der vom Vorhangtuch gefiltertes Licht in den Flur fällt, die Zarge der Küche in einem schrägen Winkel dazu, die Senkrechten stützen, weiter hinten die Tür zur Wohnstube, zwischen beiden ein Gemälde, die erste Kunst, die ich gekauft hatte, 24 Felder mit Hamburgern in verschiedenen Farben, mit einem schönen lockeren Duktus mehr hingeworfen als gemalt von Stella Hagemann, der ich eine große Karriere vorausgesagt hatte – heute macht sie was anderes.

Direkt vor mir, wenn ich geradeaus sehe, befindet sich die Zeile mit Spüle, Herd und Kühlschrank, drei Einzelstücke, zwischen denen sich Heruntergefallenes sammelt und im besten Fall vertrocknet und ab und zu zusammengefegt werden kann. Darüber stehen auf einem schmalen Bord Gewürze aller Art und weitere Ölflaschen, alles, was ich zum Kochen benötige ist armweit erreichbar. An Saugkaken hängen Gerätschaften, Kochlöffel, Reibe, Gemüsebürsten, Topflappen, Schere, Flaschenöffner. Auf dem Herd Kessel und Kaffeemaschine, auf dem summenden Kühlschrank ein großes Holzbrett zum Schneiden. Weiter rechts an der rauhen Wand ein monocromes Gemälde mit einer Tasse in orange, darangehängt ein Strauß ge- oder eher vertrockneten Thymians.

Durchs Fenster

Auf der kurzen Seite rechts neben den Fenstern eine kleine Leinwand mit einer schnellen orange-roten Acryl-Skizze von T., die offentsichtlich unsere beiden Köpfe von der Seite zeigt, wir küssen, meine Hand an seiner Wange, er hält die Augen geschlossen. Auf dem Brett des rechten Fensters gedeihen Salbei und Johanniskraut, das schon im Winter geblüht hat, zwischen den Töpfen die nachgemacht-chinesische Schlaflampe aus T.s Kindheit. Das linke Fenster ist frei von Gegenständen und lässt sich jederzeit öffnen.

Und hier unter der Schräge sitze ich. Genieße den veränderten Blickwinkel und denke darüber nach, ob ich mich nun am Deutschen Literaturinstitut als Gasthörerin bewerben soll oder nicht. Dienstag ist Bewerbungsschluss.




Sonntag, 21. April 2013
Eigentlich genieße ich den Sonntag. Lange schlafen, ein halbes Stündchen Yoga, dann Frühstück und Internetrecherche und danach mit der Busenfreundin und ihrem Patenkind auf einen schnellen Kaffee beim Spanier mit Gesicht in der Sonne. Fotos machen im Park, rumkichern.

Wenn da nicht der nagende Gedanke wäre, dass die Festschrift, die ich für den Obdachlosentreff gestaltet habe, vielleicht nicht rechtzeitig zum Fest am Mittwoch fertig gedruckt und geliefert wird. Ein Fest ohne Festschrift wär das dann. Peinlich. Auch Nachfragen bei der ungeschlagen günstigen Online-Druckerei bezüglich einer ausnahmsweise bevorzugten Behandlung meines Objektes schallen ins Vergebliche. Das seien alles automatische Prozesse, auf die man keinen Einfluss hätte. Eine leblose Großdruckerei stelle ich mir sofort vor, ohne Menschen, wie in diesen Filmen auf N24 Zukunft ohne Menschen, wo die Druckaufträge noch wochenlang weiterlaufen solange es Strom gibt, nuten, heften, schneiden, verpacken, sich in der Halle stapeln, da ist auch niemand mehr, der das alles abholt und verteilt, denn automatisches UPS gibt es noch nicht.

Geduld üben. Den Sonntag genießen. Ich kann sowieso nichts machen. In der Zwischenzeit erfreue ich mich am durchaus künstlerischen Einsatz von Korrekturzeichen:

Jandl im Literaturarchiv

::: Nachtrag: Die Frau Montez hat mir verboten, bei Internet-Druckerien drucken zu lassen. Für dieses Mal ist es noch gut gegangen. Mein Dauergenösel im Callcenter – ich kann nicht sagen, ob es Früchte getragen hat, oder ob die "automatischen Prozesse" einfach zu meinen Gunsten abliefen. Die Festschrift wird jedenfalls heute, Dienstag, ausgeliefert, morgen ist das Fest, zu dem ich mich nun auch trauen darf. Ein Stein vom Herzen gefallen, dass kann ich wohl sagen. Folgeaufträge, ihr könnt kommen!

::: Noch'n Nachtrag: Ich sollte das gaaanzknapprechtzeitig Ankommen kultivieren. Als ich zum Fest (der Festschrift) fuhr und in der nahen Kleinstadt ankam, war weder Taxi zur Hand noch wusste man etwas über meinen Zielpunkt bei der Busauskunft, die mich wie einen unhöflichen Fremdkörper behandelte, als wäre ich zehn. Zehn Uhr ist zu spät, raunte ich dem Mann zu, der daraufhin unwirsch das Fensterchen vor meiner Nase schloss. Schon wieder alles viel zu spät. Ein einsames Taxi kam an in dieser Wüste, freundlicherweise wurde es mir von einem ebenfalls Taxiwartenden überlassen, ein Zeig des Himmels, allerdings hatte ich nur einen Fuffziger, das den Fahrer ebenso unwirsch zurück ließ, ja, Sie sind jetzt gerettet, ich aber nicht. Er solle mich zur Abtei fahren, wie, nach Loccum oder was? Doch nicht nach Loccum, das muss irgendwo hier im Ort sein. Lange Rede.

Um drei Minuten nach zehn erreichte ich dann doch die Eingangstür, traf auch sofort auf Herrn R., er ganz entspannt, ich aber nicht, trotzdem. Alle waren sehr lieb, es wurden erhebende Reden gehalten und sogar gesungen, somewhere over the rainbow, ich war gerührt, die Tränen jedoch kamen vom Heuschnupfen.