Sonntag, 7. Oktober 2018


Die lokale Presse berichtet leider unfachlich und äußerst langweilig über die Ausstellung im Garten. Trotzdem bin ich beglückt darüber, dass ich mitgemacht habe und mein Objekt nun öffentlich zu sehen ist. Das schönste Lob bekam ich von einer 83-jährigen Dame, die Jahrzehnte in Schottland als Kunstwissenschaftlerin und Archäologin tätig war, und die, mich umarmend, meine Arbeit freudig zur Kenntnis nahm – jene Figur, die ich darzustellen versucht habe, war ihr sehr vertraut. Vielen anderen ist sie nicht geläufig, und vielleicht ist es auch zu viel verlangt, sich die wenigen erklärenden Zeilen meines Konzeptes durchzulesen, um zu einem Verständnis zu kommen.

Es war ein hitziger Sommer voller kunsttheoretischer Diskussionen, neben der Blätterhäkelei, selbst mein Bildhauer stellte alles in Frage, Farbe, Form, Aussage – obwohl: das Konzept ließ er gelten. Auch die Freundschaft mit Ch. und die Auseinandersetzung mit seiner Kunst, die mich an einer Stelle meines Herzens, an der verwüsteten, sehr berührt, brachten mir unschätzbare Einsichten. Warum arbeiten wir, wieso möchten wir etwas zeigen, dessen Fertigung doch bereits das Ergebnis (die Kunst) ist, nicht das Zurschaustellen. Was macht die Arbeit wertvoll für mich (allein). Muss sie wertvoll für andere sein, oder möchten die vermeintlich Kunstinteressierten doch bloß wein- und sekttrinkend dabei sein und gesehen werden? Schaut man Fotos von Vernissagen an, sieht man die Honoratioren der Stadt/des Landes/des Flusses und nur manchmal einen Zipfel der Kunst dahinter.
Man muss schon genau hinsehen

Das alles soll mich nicht betrüben. Aus einem Reisebericht über den Hümmling um 1800, zitiert im Museumsführer des Museumsdorfes Cloppenburg: Die Wolle ist nicht sehr fein, aber lang und sehr brauchbar. Sie hat nun hinwiederum die Einwohner zum Spinnen und Stricken gereizt. Alle Hände, fast ohne Ausnahme, sind damit beschäftigt. Die Weiber jedoch mehr mit ersterem, die Männer und Kinder mit letzterem. Bauer und Bäuerin, Knecht und Magd, die Kinder vom fünften Jahr an – alles spinnt und strickt bis zum Grabe. So wie die Acker- und Hausarbeit einen freien Ausblick gewährt, gleich wird nach der Spindel, nach der Nadel gegriffen …“

Aus dieser Tradition erwächst meine Schaffensfreude. Notfalls stricke ich Socken für meine Freunde.




Donnerstag, 19. Juli 2018


Wir waren auf Wangerooge, der Bildhauer und ich. Seine Schwester S. arbeitet dort für zwei Wochen in der Gemeinde, um sie wieder auf Vordermann zu bringen, physisch mit Fensterputzen und so, und auch spirituell, durch ein paar gute Ideen, wie man die Menschen erreichen kann. Die Diakonin schickt ihr ab und zu unverständliche SMSse, weil sie sich mit dem Pfarrer gezankt hat, und es gibt ein großes Bullauge im Gemeindehaus, das auf keinen Fall im Sonnenschein geputzt werden darf wegen der Schlieren.

Sonst denken wir nicht viel. Das Meer ist schön und die Luft auch. Es gibt viel Sand. Wir erfahren vom Betreiber des Radverleihes, dass alle Nordseeinseln eigentlich wegwehen würden, wenn man sie nicht befestigte. Fortan betrachte ich jede Welle argwöhnisch, damit sie uns nicht zu viel des Sandes fortschwemme. Wenn ich allerdings Gott wäre, würde ich das so lassen. Der Radverleiher hat anscheinend einen Vortrag, den er ungefragt jedem Gast abspult, Sturmflut von 1961 und so, dazu tippt er auf eine kleine Landkarte. An der Stelle im Westen ist das Papier schon durchgerauht und schmutzig. Davon hätte ich gern ein Foto, aber die neue Kamera steckt in ihrer Tasche.

Eine Olympus habe ich erworben, die so retro aussieht, dass man ihr die Funktionen nicht glaubt, von denen ich mir noch keine Anwendung vorstellen kann. Die Busenfreundin, die ihre Riesen-Profi-Canon kaum hochheben kann, kommentierte das Gebilde: mit so einer Kamera brauchst du beim Fotoshooting gar nicht erst aufzutauchen. Ich gehe ja auch nicht zum Fotoshooting, sondern will Fotos machen. Dass ich mich für ein Foto-Stipendium beworben habe, verschweige ich ihr.

In Wangerooge tackeln die Rollkoffer auf dem schiefen Backsteinpflaster. Heutzutage reist wohl niemand mehr mit Rucksack wohin. Unser Domizil ist nett, ein bisschen wie zuhause mit Kissen und so, aber von der Inhaberin bekommen wir mehrere Rüffel, weil wir z. B. die Fahrräder falsch abstellen oder uns an den Vierertisch setzen wollen, obwohl wir bloß zu zweit sind. Am dritten Morgen, dem letzten, wache ich um fünf auf, weil ich Angst vor dem Frühstück habe, es ist wohl ausschließlich von Lidl, das ertrage ich nicht ein weiteres Mal. Ich wecke den Bildhauer, und kurz danach sind wir schon am Strand. Der beste Teil unseres Ausfluges. Ich mache ein paar Aufnahmen mit der Kamera, die ich vielleicht deshalb gekauft habe, weil sie Mark II als Namenszusatz hat – Mark Twain.


Man baut auch wieder Strandburgen, oder immer noch. Manche wirken wie Festungen aus Beton, auch die Fahnen fehlen nicht, und der Bildhauer schreibt FICKEN in die glattgeklopfte Wand der einen. Er muss immer ein bisschen revoltieren und läuft dazu in schwarzen Klamotten rum, aber er ist viel zu lieb und dann lache ich. Der Bäcker macht um sechs auf und dort sitzen wir lange und genießen richtigen Cappu und dreieckige Laugenbrötchen, deren Belag wir uns ausdenken konnten, u. a. mit Mayo. Sanddorn-Yoghurt-Schnitte danach. Noch so einen Kaffee.

An der Westseite gibt es einen Turm, dessen Dach ich zu spitz finde. Dort ist eine Jugendherberge untergebracht, und ich bin beeindruckt von den abgelatschten Stufen, die wir aufsteigen nach oben in das kleine Fensterzimmerchen. Blick auf Watt, Sand und Bewuchs. In der Ferne das Festland und die anderen Inseln. Spiekeroog. Wir tun die ganze Zeit so, als wären wir auf Baltrum, das finden wir ziemlich lustig.




Montag, 2. Juli 2018
Der Mutter schräg gegenüber am Tisch im Tagesraum sitzt eine weißhaarige Dame. Sie schaut stets etwas beiseite, und so dachte ich anfangs sie wäre blind. Tatsächlich nimmt sie jede vorbeigehende Person wahr, auch wenn sie sie nicht direkt anschaut, und fragt, wie immer — wie jede, alles gut? Und wie immer antworte ich großzügig, so als hätte ich die Welt in den Händen, ja klar, alles gut! Wenn es die Umstände erlauben, füge ich noch einen Grund des Gutseins hinzu, das schöne Wetter z. B..
Wie sehr ich mir wünsche, dass einmal mir jemand versicherte, alles sei gut.
Alles.
Ich müsste mich um nichts sorgen.




Dienstag, 26. Juni 2018
In Hörweite gibt es eine Amsel, die die ersten vier Töne von Whole Lotta Love singt, rhytmisch astrein, den fünften variiert sie – mal zieht sie ihn in die Länge, mal kommt er tirilierend, dann wieder so schräg, als hätte sie sich in der Skala vertan. Oft sitzt sie wohl auf dem Schornstein und dann höre ich ihre Melodie, durch Kamin und Badezimmer noch verstärkt, in allen Räumen und freue mich, und wundere mich immer wieder, auf welche Weise so kleine Vogelkörper derart durchdringende Stimmen erzeugen.

Anderes Schönes entfaltet sich ebenso. Der Bildhauer und ich nehmen jetzt definitiv an einer Ausstellung teil, die im Herbst im berühmten Garten der Stadt ausgetragen wird. Ein Studienfreund des Bildhauers bildet mit einer imaginären Geschichtsalternative, die sich nach 1945 zugetragen haben könnte, die Erzählung, innerhalb derer wir unsere Objekte ansiedeln. Plötzlich bekommen die Flugskizzen des Bildhauers eine stimmige Heimat und auch meine 1:4-Objekte erfahren eine Sinnhaftigkeit, als hätte ich seit einem halben Jahr allein darauf hingearbeitet. Meine Wohnung ist voll von Knäueln und Bündeln verschiedener Garne und Schnüre, die meine gesamte Vorstellungskraft wecken, wie Farben und Texturen zusammenkommen, wie Kleidung und Knöpfe, Haare und Mützen die Persönlichkeiten meiner Objekte bilden.

Es ist eine Zeit großer Gestaltungskraft – ich hätte nicht gedacht, dass das möglich sei. Erhellend auch die ausdauernden Gespräche darüber, was Kunst sei, wer Künstler, und was gute schlechte interessante Kunst ausmacht. Wir wollen eine Geschichte erzählen und bieten eine Art Raum, der unsere Objekte enthält, die außerhalb dieses Geschehens eine gänzlich andere Berechtigung haben. Auf diese Weise müssen sie nicht einzeln erklärt werden, sondern bestimmen sich von selbst durch die sie umgebende Erzählung.

Über alldem liegt die große Trauer über die Mutter und ihren langsamen Abschied aus dieser Welt. Ich folge ihr nicht mehr – das zu versuchen, hat mich Kraft gekostet. Wie sich sich im Innern fühlt und was sie denkt, in welchen Welten sie sich aufhält, bleibt mir verschlossen. Sie wirkt ruhig, und sie spricht nicht mehr viel. Sie sucht nach Worten und gibt schnell auf, ich stelle es mir vor als eine Art Aufleuchten des Wunsches etwas Bestimmtes zu sagen, aber das Leuchten verschwindet, bevor die Idee reif ist, und bald auch der Wunsch und dann ist wieder Ruhe. Es ist wichtig, darüber nicht in Verzeiflung zu versinken. Jede Unsicherheit meinerseits bedeutet der Mutter, dass etwas nicht in Ordnung sei, außer Kontrolle geraten. Mit dem, was ich von den spirituellen Traditionen gelernt habe, versuche ich wenigstens für mich, Ordnung, Verständnis, Güte und was weiß ich noch zu gewinnen.

Das geht ganz gut.




Dienstag, 29. Mai 2018
Manchmal gönne ich mir einen Besuch bei dem Mütterchen, bei dem ich keine besondere Rolle spiele. Weder die der tröstenden oder zurechtweisenden, noch die der traurigen Tochter oder der nach einem aufmunternden Gespräch suchenden. Dann gehe ich zur Gartengruppe ins Heim. Eine der Betreuerinnen, Mama nennt sie Lehrerin, hat im hinteren Teil des Grundstücks einen Garten angelegt, mit kleinen Wegen und einer Sitzgruppe inmitten von bereits üppig wachsenden und blühenden Pflanzen, in Erdreich und Hochbeeten, in Töpfen und Kästen. Auch gibt es einen kleinen Brunnen, der niedlich plätschert, sobald die Sonne scheint, denn er läuft auf Solar. Sogar das Mütterchen weißt das mit dem Solar.

Die sechseckigen Hochbeete sind praktisch. Man kann mit dem Rollstuhl ranfahren, sitzend die Arbeit verrichten und sich mit den Ellenbogen auf dem Rand abstützen. Ich bleibe im Hintergrund und beobachte, wie Mama mit kleinen Bewegungen der Anleitung folgt, die Erde aufzulockern und frische glattzuharken. Sie hält die Handharke fest, die Linke streicht ebenfalls über die Krumen, sie wirkt dabei konzentriert und lebendiger als sonst.

Ich sehe ihre Schultern und ihre weißen, dichten Haare, die sie recht lang und ungebändigt trägt, – und ein Gefühl von Geborgenheit kommt über mich: Da ist meine Mutter, die im Garten herumgräbt und ich bin wieder ihre Tochter, die sie sorglos beobachten darf, nachher geht sie bestimmt ins Haus und kommt mit einer Limonade oder einem Kräutertee zurück, und dann sitzen wir rum und schauen auf das Geschaffene.

Nachdem die Erde bereit ist, sät die Lehrerin Möhren, Radieschen, Pflücksalat und Gurken aus. Gestern, nach fünf Tagen, sieht man schon die ersten Sprießlinge.




Freitag, 18. Mai 2018
Voller Bilder an diesen Tagen. Eine Unruhe, das alles umzusetzen. Für manches bin ich wie immer zu spät, für einiges zur rechten Zeit. Es macht wieder etwas richtig Spaß. Ein Hin und Fort zum und vom Mütterlein. Immer mehr ein Fort. Immer mehr ein Hin zum schöpferischen Arbeiten. Zu mir. Reiche Träume, bunt und golden. Es fließt Geld zu den Kindern, die müde und traumatisiert in zärtliche Arme fallen. Welten in Welten. Übereinkunft mit dem Bildhauer über Lächerlichkeiten. Alles verstehen wollen. Vieles beiseite lassen. Und offen bleiben.




Sonntag, 1. April 2018
Natürlich war ich nicht die ganze Zeit krank, weshalb ich nichts geschrieben habe, sondern beschäftigt. Heute fällt Ostern auf den 1. April, also aus. Es ist eine gute Zeit, zwar gespickt mit kleinen, aber leicht zu umschiffenden Schwierigkeiten, wovon die eine ein schmerzhafter Arm von zu vielem Arbeiten in Größe 1:4 ist. Kleine Pause davon. Ja, das war’s auch schon von mir.




Dienstag, 27. Februar 2018
Hatte ich bisher gedacht, ich sei unsterblich, bekam ich jetzt eine Grippe. Bin also auch dabei. Mir ist öde. Traue mich nicht, die Fenster zu öffnen, um die Bronchien nicht zu sehr zu reizen und frage mich, ist jetzt Vata erhöht oder Pitta, wegen des Fiebers? Einer ayurvedischen Lebensweise zu folgen, heißt ja nicht, dass man sie von Grund auf begreift. Aus Langeweile habe ich einen twitter-Account eröffnet, wohl wissend, dass ich dort nichts zu sagen habe. Vielleicht kann ich mal mit dem britischen Gitarristen kommunizieren, ich sehe aber, dass er Fans kaum je antwortet. Was soll man auch sagen zu ich find’ dich toll oder ich besitze alle deine Platten oder ich trage meine Haare wie deine? Oder lieber doch siezen? Das geht ja im Englischen nicht so gut, Mr. C.

Die neuesten kreativen Arbeiten bewegen sich in Miniaturwelten von 1:4 oder so. Der Bildhauer hat mir einen Bogen gebastelt, dazu drei befiederte Pfeile in einem Köcher aus feinstem Fensterleder. Noch nie habe ich so ein schönes Geschenk erhalten!




Samstag, 17. Februar 2018
Einiges an Unruhe im Außen, innerlich beschäftige ich mich mit Häkelanleitungen und wie ich einen passablen Fuß hinbekomme, ohne im Detail zu verpeinlichen. Einige neue Ideen wabern herein, ich fühle mich schöpfungssicher und großherzig. Der Bildhauer macht eine Nahrungsumstellung wegen seines Rheumas. Interessant, wie der Geist mit Ungewohntem umgeht und sich am Falschen ab-krisisiert, gegen das unerkannt Richtige revoltiert, sich an seiner Revolte stärkt und gar nicht merkt, wie schicksalsergeben er eigentlich ist. Fast muss ich lachen, und ich bin froh, dass er fähig ist, sich nicht allzu ernst zu nehmen. Ein paar aufregende Monate stehen bevor, in denen auch ich mich neu messen kann an meinen Ideen. Alles geeignet, um aus der Grübelschleife wg. Mama zu gelangen, die erkanntermaßen zu nichts führt. Hier geht es jetzt weiter, es ist bunt und gehäkelt und hat tolle Haare. David Bowie wurde zitiert, es sei ihm wichtig, dass sich die Leute positiv an seine haircuts erinnern, nach seinem Tod. Finde ich auch.




Montag, 22. Januar 2018
Dieses Wochenende bin ich bei meinem Bildhauer. Wir wechseln uns ab; wer des anderen Gast ist, braucht sich um nichts zu kümmern. Bekommt Leckereien aus der Küche gereicht, in der geschnibbelt und gekocht wird. Ein Gläschen Wein? Wärmflasche? Jetzt sitze ich im Wohnzimmer auf dem Sofa mit Blick auf die neueren Gelben Objekte und den Schreibtisch mit Gegenständen, die teils benutzt, teils bewundert werden können, wie Schnitzmesser, Schnüre, Astgabeln oder besonders geformte Steine und Versteinerungen. Gestern hatte ich mein Telefon zu Hause vergessen, Panik, ich muss doch erreichbar sein, falls Mama stirbt. Am Vormittag hat sie mich wieder nicht gehen lassen, sie klebt so an mir, gesteht mir ihre Liebe und ist sehr weinerlich dabei, es ist nur sehr schwer auszuhalten, diese Liebe, von der ich nicht weiß, wem sie wirklich gilt. Mit dem Argumentieren sollte ich aufhören: Nächste Woche kommt Dudi dich besuchen. Dann macht ihr wieder was Schönes. Sie könne sich nicht erinnern, kontert sie, hoffentlich sei die nicht so spröde wie ich. Spröde, lache ich halbwegs verzweifelt. Das Wort hängt mir lange nach.

Ich rufe dann im Heim an und gebe des Bildhauers Nummer durch, ein lustiger Dialog, weil ich für einen Moment seinen Nachnamen vergessen habe. Den nutze ich naturgemäß selten, wir siezen uns schon lange nicht mehr. Gerade kommt er rein und dreht die Tulpen zurecht, macht den Globus an und guckt, als ob er wüsste, dass ich über ihn schreibe.

Am Morgen träumte ich: In der Agentur, die mittlerweile von der Lieblingschefin komplett übernommen ward, entdeckte ich in einer Truhe einen Stapel Schneidematten, sie waren ein einziges Mal benutzt worden, um mit Kunden zu basteln, eine schmeichelhafte Werbeaktion. Ich empfinde das als große Verschwendung, eine Schneideunterlage ist für mich ein besonderer Schatz, der einiges kostet. Der Arbeitstisch ist mit Materialien überfrachtet, regelrecht zugemüllt. Ich rege mich total auf wegen all dem Kram. Ich brauche ja bloß ein Stück der hellblau karierten Reinzeichenpappe, die ich nicht finden kann.

Indes melden sich die Enkel des Kaisers auf meinem Handy, sie wollen Mama eine Weile nehmen, damit ich mal wieder ausschlafen kann. Ich weiß nicht genau, ob ich ihnen trauen kann, immerhin sind sie nur die Enkel und nicht der Kaiser selbst.

Ich schaue bei mir zuhause vorbei. Dort war ich anscheinend eine Weile nicht. Das Schlafzimmerfenster ist vorgekippt, und auf dem Fensterbrett steht ein größerer Blumentopf, aus dem etwas Grün sprießt, das Krautbüschel steht schief und ich will es geraderücken, da ist noch etwas anderes, vertrocknetes im Topf. Mit dem Finger pule ich dran herum, etwas braungraues, zerzaustes, strohig – zum Vorschein kommt der Kopf meiner Katze! Sie ist tot, unwiderruflich, ihre Augen nur noch vertrocknete schwarze Schlitze. Was für ein schrecklicher Anblick! Wie konnte ich meine geliebte Katze vergessen? Sie muss vor Wochen in dieser Wohnung verhungert sein, in der Blumenerde zum Sterben eingegraben. Wie ich das vor den anderen Menschen, die zu Besuch sind, verheimlichen kann, überlege ich wirr. Ich könnte den Topf (mit Katze) in den Biomüll werfen ... nur langsam wache ich auf und werde mir erleichtert klar, nur ein Traum.

Ihn zu deuten, ist einfach. Sorgepflicht vernachlässigt, vergesslich geworden gegenüber der Verpflichtung. Einer meiner größten (wenn auch eingebildeteten) Fehler gegen mein Liebstes.

Was denn mein Liebstes sei? Das weiß ich ja.

Am Mittag fahre ich mein Handy holen. Im Hof ergeht sich die schwarze Katze. Seit Monaten habe ich sie nicht gesehen, wir laufen aufeinander zu, Freunde, Freude, bücke mich zu ihr, winterdick, mein Gesicht dann voller nasser Nasenstüber, ich wühle und rieche in ihrem kurzen, festen Fell, das einige weiße Haare bekommen hat, sie maunzt, gurrt und schnurrt, versichert, wie lebendig sie ist – und ich erzähle ihr auch alles.