Diesmal, es ist die dritte Veranstaltung der Reihe für Angehörige, waren deutlich mehr Menschen anwesend. Man hatte explizit die Familie der Demenzklasse geladen. 16 Geschichten im Raum. Alle ähnlich, nur unterschiedlich in den Demenzgradationen des Elternteils. Drei Schwestern waren dazugekommen, betreut vom Sohn bzw. Neffen, es wirkte noch wie eine halbwegs lustige Geschichte über den Mann, der mit drei Frauen eingezogen war. Der Runde eigen war ein hohes Mitteilungsbedürfnis, natürlich. Auf mich wirkten die Töchter, Söhne, Nichten und Neffen erwachsen, erwachsener als ich, die ich seit Tagen wieder mit Tränen kämpfe, wegen der schlichten und überwältigenden Einsicht, dass ich nicht mehr weiß, wie meine Mutter einmal war, und dass ich sie schrecklich vermisse, und unsere lebhaften Gespräche über Gott und die Welt, und tatsächlich auch Gott.

Einer der Männer, mit einem bedruckten T-Shirt, cool und abgeklärt, hinweisend auf eine Band, die für Demente spielt und alles wäre sehr fröhlich und würde sogar die Lethargischsten wieder aufwecken und nicht so ein Trauergesang, den er hier im Heim schon erlebt hätte, meine Güte, das sind meine schönsten Stunden mit Mama, wenn wir gemeinsam Frühlingslieder singen, er erklärte, wie er geschmeidig die Zügel des Dramas doch in der Hand hielte, man solle sich mit Geduld und Humor der dementen Person widmen undsoweiter, und in mir brodelte es, und ich dachte bloß, ich kann’s einfach nicht mehr hören. Dieses Sich-Zusammenreißen, das Zurückhalten von Trauer und Schmerz, das mach dieses so und jenes so, verdammt, das ist ja gerade das Schlimme, dass man die ganze Zeit nur noch auf eine Weise funktioniert, damit die Mutter keinen Schreck kriegt, weil ja hinter ihrem Rücken alles zerfällt, und nur sie soll nichts davon merken.

Ich blieb still, nickte oder lächelte nur hier und da zu den Geschichten, die teils mit diesem seltsamen Lächeln vorgetragen wurde und dahinter sitzt die Verzweiflung, hinter ihren Rücken.

Die Frau mit der Schwester, so nennen Dudi und ich sie, weil wir uns keine Namen merken können, es gibt auch noch die Frau mit der Mutter, zu der gerade Dudi eine nähere Bekanntschaft hegt, und dann noch die Frau mit dem Mann, das ist diese wunderbare Dame, auch im Beirat tätig, klar und stark, mit Meinung. Sie sitzt neben mir und sagt sanft zu mir, Sie sind heute Abend aber sehr still und schon laufen mir die Tränen aus den Augen, und dann bin ich die letzte des Gesprächskreis und haue unter noch mehr Tänen alle meine Sachen raus, wie Mama mir abhanden kommt und wie sehr ich sie vermisse, ihre Anteilnahme an meinen Geschichten und trotz des Weinens habe ich doch meine Stimme unter Kontrolle und kann alles sagen bis zur Neige –

Danach kommen gerade die drei Frauen, die mit dem Mann, der Schwester und der Mutter auf mich zu und trösten mich, das ist so süß wie Honig, die mit der Mutter weint nun auch wieder, und es werden Hände gehalten und Schultern berührt und es wird alles gut gesagt. Und es tröstet wirklich.