Topic: gesehen
Neu anfangen. Ich möchte alles wegwerfen, was dem jetzigen Moment nicht dienlich ist. Dieses hier, eine vergessene Kiste mit Briefen vergangener Jahrzehnte. Erschreckend. Aufstörend. Zeilen Verflossener. Liebesschwüre. Euphorien. Viele Umschläge von St., deren teils bemalte Papierbögen ich erst noch herausziehe und lese, später aber unbeachtet auf den Stapel zu den anderen lege. Meine vertrauteste Seelenfreunding zu Studienzeiten. Erörterungen, Befindlichkeiten. Alles viel zu viel. Auch die Fahrerin schrieb regelmäßig nachdem wir uns wiedergefunden hatten, ihre Stimmungen sind schwankend, bei ihr hat ebenso fast alles mit Liebe zu tun, zu den Partnern, den Tieren, und mit ihrer größten, ihrem Halbbruder G.. Als er mit dem Krad starb, war nichts mehr wie vorher. Auch für mich nicht.
Stunde um Stunde sitze ich auf dem Boden vor dem Karton. Mir tut der Rücken weh.
Zeilen der Bestenfreundin, meistens Beiläufiges, das mit dem Zusammenwohnen zu tun hatte, auch recht Einsilbiges aus Urlauben. Die ersten Liebesbriefe von T., große Gefühle, zehn Jahre waren wir zusammen, wunderbar. Berührend die festlichen Grußkarten meiner Eltern, beide seit langem nicht mehr ans Handschriftliche gewöhnt. Zarte Hoffnungen, mit krakeligen Lettern auf blauem Briefpapier Vorgetragenes von J., aber ich liebte T., der mein Herz besaß für so lange Zeit. Papiere längst vergessener Bekannter, E., die ich erst für eine andere E. hielt und mich wunderte, dass wir so intensiv geschrieben hatten, oder X., dessen Name mir jetzt schon wieder entfallen ist. Karten von A., der ich morgens beim Zeitung Austragen immer eine Ausgabe unter dem Kotflügel ihres Autos versteckte. Jede Menge Geburtstagspost.
All das wirft ein Licht auf mich, ein bestimmtes: Ich wurde gemocht und sogar geliebt. Man vertraute mir Geheimes an. Aber ich selbst? Mochte ich mich? Ich habe Fotos gefunden von mir, schlank, fast hager und dunkel gebräunt in Griechenland mit P.. Auf Reisen mit T., Momente in der WG, fröhliche Augenblicke mit meinen Patenkindern und den Kindern der Freundinnen. Hunderte von Bildern gesichtet und nur ein paar wenige behalten. Die auf denen ich mich mag, jetzt, denn es scheint... nein – ich erinnere mich, dass ich mich selbst nicht mochte. Ich stand nicht zu mir. Ich sah jungenhaft aus und hatte herbe Gesichtszüge, die ich nicht hübsch fand. Ich war mir selbst fremder als die andern. Das ist eine seltsame Einsicht.
An diesem Punkt kann jetzt alles zusammenfließen. Hier bin ich, eine Frau, die ich nicht mehr misstrauisch beäuge. Die weiß, was sie will. Immer schon wusste, oder etwa nicht? Den Roten Faden seit jeher fest in der Hand.
Lass mich neu beginnen. Lass mich lieben.
Immer weiter.
Stunde um Stunde sitze ich auf dem Boden vor dem Karton. Mir tut der Rücken weh.
Zeilen der Bestenfreundin, meistens Beiläufiges, das mit dem Zusammenwohnen zu tun hatte, auch recht Einsilbiges aus Urlauben. Die ersten Liebesbriefe von T., große Gefühle, zehn Jahre waren wir zusammen, wunderbar. Berührend die festlichen Grußkarten meiner Eltern, beide seit langem nicht mehr ans Handschriftliche gewöhnt. Zarte Hoffnungen, mit krakeligen Lettern auf blauem Briefpapier Vorgetragenes von J., aber ich liebte T., der mein Herz besaß für so lange Zeit. Papiere längst vergessener Bekannter, E., die ich erst für eine andere E. hielt und mich wunderte, dass wir so intensiv geschrieben hatten, oder X., dessen Name mir jetzt schon wieder entfallen ist. Karten von A., der ich morgens beim Zeitung Austragen immer eine Ausgabe unter dem Kotflügel ihres Autos versteckte. Jede Menge Geburtstagspost.
All das wirft ein Licht auf mich, ein bestimmtes: Ich wurde gemocht und sogar geliebt. Man vertraute mir Geheimes an. Aber ich selbst? Mochte ich mich? Ich habe Fotos gefunden von mir, schlank, fast hager und dunkel gebräunt in Griechenland mit P.. Auf Reisen mit T., Momente in der WG, fröhliche Augenblicke mit meinen Patenkindern und den Kindern der Freundinnen. Hunderte von Bildern gesichtet und nur ein paar wenige behalten. Die auf denen ich mich mag, jetzt, denn es scheint... nein – ich erinnere mich, dass ich mich selbst nicht mochte. Ich stand nicht zu mir. Ich sah jungenhaft aus und hatte herbe Gesichtszüge, die ich nicht hübsch fand. Ich war mir selbst fremder als die andern. Das ist eine seltsame Einsicht.
An diesem Punkt kann jetzt alles zusammenfließen. Hier bin ich, eine Frau, die ich nicht mehr misstrauisch beäuge. Die weiß, was sie will. Immer schon wusste, oder etwa nicht? Den Roten Faden seit jeher fest in der Hand.
Lass mich neu beginnen. Lass mich lieben.
Immer weiter.
trippmadam,
Dienstag, 30. September 2014, 22:55
Ich habe noch einen Ordner voll mit Briefen aus den letzten Schuljahren und dem Studium. Wenn ich darin blättere, sehe ich eine Person, die ganz anders ist, als ich mich zu der Zeit sah. Fröhlicher, freundlicher, und auch mehr geliebt, als es mir damals schien.
akrabke,
Dienstag, 30. September 2014, 23:05
Woran liegt das 'falsche' Selbstbild? Weil Zeit vergangen ist?
trippmadam,
Freitag, 3. Oktober 2014, 08:56
Ich habe dazu eine Theorie, aber die gehört nicht ins Internet.
sturmfrau,
Freitag, 3. Oktober 2014, 14:17
Komisch, mir geht es genau anders herum. Wenn ich alte Briefe, Tagebücher und Bilder ansehe, dann sehe ich jemanden, der sehr einsam war und sehr unlebendig, eingesperrt in einem Käfig von Erwartungen und Zwängen.
Ich bewahre diese Dinge auf, um mich daran zu erinnern, wie weit der Weg ist, den ich bereits gegangen bin, und wie gut es ist, dass man nie zweimal in denselben Fluss steigt. Diese Erinnerung geht aber auch nur wohldosiert. Zu groß ist manchmal der Sog der eigenen Geschichte, der mich beinahe das Heute vergessen lässt.
Sich von Dingen verabschieden ist sicher klug und notwendig, um vorwärts leben zu können. Bei mir scheitert es immer an der Auseinandersetzung, die vorher nötig ist, damit ich nichts falsches wegwerfe.
Ich bewahre diese Dinge auf, um mich daran zu erinnern, wie weit der Weg ist, den ich bereits gegangen bin, und wie gut es ist, dass man nie zweimal in denselben Fluss steigt. Diese Erinnerung geht aber auch nur wohldosiert. Zu groß ist manchmal der Sog der eigenen Geschichte, der mich beinahe das Heute vergessen lässt.
Sich von Dingen verabschieden ist sicher klug und notwendig, um vorwärts leben zu können. Bei mir scheitert es immer an der Auseinandersetzung, die vorher nötig ist, damit ich nichts falsches wegwerfe.