Montag, 8. September 2014
Jedes einander Zugeneigtsein ist besonders und verändert die Beteiligten. Die einen Anteil daran haben, nämlich den jeweils eigenen. Manchmal weiß ich nicht, ob das wünschenswert ist. Aber ob ich's mir wünsche oder nicht, es passiert so.

Parasole von unten

Wir beide haben Pilze gefunden, große, weiß-braun gescheckte Parasole, die in Gruppen auf der Wiese standen. Pilze befremden mich, sie sehen aus wie nichts anderes auf der Welt und ich halte besonders sie für Formen seltsamster Naturgeister. Aber diese sind lecker und wir bereiten sie zu wie Schnitzel. Dazu den Holzteller voll mit frischen kleinen Haselnüssen, die ich in der Pfanne geröstet habe, damit sie ihre allergenen Stoffe verlieren. Im Hain gab es Unmengen zu sammeln und wieder waren wir reich beschenkt heimgekehrt.

Langsam lernen wir uns kennen. In vielem ist der Bildhauer mir ähnlich, das macht das Miteinandersein einfach. Er leiht regelmäßig Unmengen Bücher aus, im Stapel dieser Woche findet sich einiges über die Steinzeit, Mammuts und Höhlenmalerei. Die Künstler der Zeit waren präzise Beobachter – wie sie mit einfachen Linien die Umrisse der Tiere erfassen und in Bewegung bringen, finde ich äußerst faszinierend. In der Nähe des Bildhauers mit seinen mannigfaltigen Interessen fühle ich mich in Phantasiewelten geborgen, die ich aus der Kindheit kenne.


Wir sprachen über Formen – dass wir, oder Künstler allgemein, Formen erschaffen, die sich wieder und wieder ähneln, ähneln müssen, denn der Ausdruck ist doch begrenzt und immer erkennt man den Stil eines Bestimmten. Gestern waren in der ganzen Stadt Ateliers für Besucher geöffnet, wie jedes Jahr, und wir haben einige besucht. Manche der Schaffenden sind ehemalige Studienkollegen des Bildhauers, sie begrüßen sich mit erprobter Gelassenheit und auch ich treffe ein paar Bekannte. Wie auf einer Zeitreise, mit einem Schlag alle 25 Jahre älter. Ich ebenso, die Reisende selbst. Trotzdem, ihre Formen und Bilder gleichen sich, sie erschaffen sie täglich neu, mit nur geringen Abweichungen. Eine Eiche bleibt eine Eiche und wird nicht plötzlich ein Birnbaum. Erstaunt mich das? Ein Sujet auf ewig? Oder jedenfalls bis zum Tod. Das könne man ihm auch vorwerfen, erwidert der Bildhauer, er mache letzlich auch immer das Gleiche. Mich stört's nicht, denn mir ist, als seien seine Objekte Materialisierungen meiner Meditationen. Bunt, filigran, seltsam und oft tierartig.

Spinnen-Vorratspäckchen

Im Riesenknöterich-Wald

Vielleicht beschäftige ich mich auch zu sehr mit meinem lieben Gegenüber. Die Zeiten, die ich allein verbringe, sind mir weiterhin kostbar und es dauert immer eine Weile, bis ich wieder ganz bei mir bin. Das Bedürfnis, alle Eindrücke aufzulösen, ist stark. Die Pilzhüte, das Haselnussbraun, die hellgrünen bambusähnlichen Stangen des Riesenknöterichs, von denen der Bildhauer ein Bündel zurechtschneidet, der See, in dem sich bauschige Wolken spiegeln, das schon herbstlich anmutende Selbstschneideblumenbeet, dort die Katze mit verschiedenfarbigen Augen und hellbraunem Fell, das Sfumato bis zur Linie der Bergkette, weitere Wolken auf lichtem Grau, das sich im Westen sonnig erhellt – das ist alles sehr sehr viel und am Abend bin ich erschöpft und falle um neun ins Bett.