Schwierig, die Eindrücke der letzten Zeit in Wort zu fassen. Über das klare Wasser, zum Beispiel. Das Körperende unten ansehen, die Füße leicht grünlich, und dann nah am Ufer vorbei unter Wasser die Gewächse beobachten, ein bisschen unheimlich das weiche Braun um die starren Zweige, und dort ragt, wohl vom Blitz getroffen, ein riesiger Ast tief ins Wasser, deren kleine Blätter unten schon gelblich leuchten in den Sonnenstrahlen, die direkt über meinem Körper einfallen, der einen umkränzten Schatten ins Grün wirft. Die lange Gerade schwimme ich mit dem Blick in den Himmel, auf dem Rücken, immer unter den Bäumen entlang, das Wasser dort kälter, und direkt zu mir herunter fällt trudelnd ein Samenblatt, dreht sich um und um sich, ich halte still und warte bis es auf dem Wasser gelandet ist.

Über die vielen Gedanken um das rechte Leben, die unterschwellig weiter laufen, wie ein Tonband, die Rolle zurückgespult und wieder von vorn. Dass in Kategorien zu denken, die Krux ist, der Beginn der Abtrennung von allen, immer kleinere Ordnungen und noch kleiner bis alles zerlegt ist, und doch bin ich bloß Mensch und versuche das Glück.

Über die Gespräche mit Mama, über das Sterben, und sie sagt, ihr sollt nicht weinen, darüber muss ich lachen, noch bist du und genieß es da zu sein, ich zähle ihr die Vorzüge der Körperlichkeit auf und gestehe ihr die Freiheit, diese aufzugeben, wann immer sie will. Ich begreife, dass sie lieber Dudis und meine Freundin oder Schwester gewesen wäre und nicht unsere Mutter und manchmal fühlt es sich für mich auch so an und ich musste nachlesen, was besser ist, Altruismus oder Egoismus. Altruismus ist nur eine andere Form von Egoismus, sagen die Yogis. Eigentlich sagen sie von sich, sie seien die größten Egoisten. Denn wer Selbstlosigkeit übt, hat selbst den größten Nutzen. Oder andersrum verschafft sich der Glückseligkeit, der selbstlos handelt. Und so bin ich neben Mama, manchmal fällt sie beinahe vornüber, wenn wir gehen, die Beine wieder schwächer, und ich sag, wenn du fällst, fall ich auch, weil sie wie ein Reissack einfach fällt, von meinem Arm, den sie gegriffen hat, fast zu schwer für mich, am Abend schmerzt mir die ganze Schulter. Sie wäre gern mit uns alt geworden, aber es hat nicht sollen sein, nun ist sie immer noch die Älteste von uns, ich sehe sie an und bin froh, sie gekannt zu haben. Vieles war vielleicht bedauerlich, aber das ist jetzt alles egal geworden, von allein, ich bin mit ihr im Frieden. Ob Dudi das ist, bezweifle ich weiterhin.

Zugleich sind die Mütter und Väter der Freundinnen ähnlichen Alters und Situation, der Vater der Gärtnerin ist am Dienstag gestorben, sie fuhr in die Heimatstadt und schickt eine recht lakonisch formulierte Mail, sie sei zu spät gekommen, am nächsten Mittwoch sei die Beerdigung. Und die Leserin hat auch eine Mutter wie meine und nicht mal alle sieben Geschwister zusammen schaffen es, sich auf einen Pflegeplan für ihre Greisin zu einigen, sie zanken in eigens organisierten Diskussionsrunden und die Leserin ist komplett genervt von dem selbstsüchtigen Gerede der sechs anderen, derweil die Mutter Herzangst bekommt von dichten Adern.

Die Wochen vergehen mit Regelmäßigkeit, keine von ihnen fühlt sich länger an als die andere. Ich arbeite wenig, gebe Gespartes dazu und plane extra luxuriöse Neuanschaffungen, um meine Existenzängste beherrschen zu lernen, ein Fahrrad ohne alles, bloß Rahmen, Sattel, Räder, Bremsen, Kette und Ritzel, keine Schaltung, kein Gedöns. Nächste Woche treffe ich mich mit der Mechanikerin, es wird so eine Art Anamnese, welcher Sattel (da könnte man die Diskussion um empfindliche Vulven mit einbringen), welche Griffe, welche Übersetzung und Rahmengröße, gemufft natürlich. Mindestens tausend, sagt sie, und ich hatte gehofft, ich würde mit viel weniger davonkommen, wo doch nichts groß dran ist an so 'nem Rad.

Und eine neue Arbeitsfläche zu Hause, die Gärtnerin hat einen netten Tischler an der Hand, der soll mir was bauen. Denn die Bürokollegin und ich geben das Büro auf, hauptsächlich weil sie sparen muss, um ihre Pferde weiterhin finanzieren zu können, aber auch mir passt das gut auf meinem Weg zu viel viel weniger von allem. Also auch kein Büro mehr. Ach, wie viel Zeit ging dabei drauf, ihren Berichten über arschige Pferdefreundinnen zu folgen und die supi neuen Ställe, die nach spätestens einem Jahr nicht mehr so toll und praktisch sind, und die ermüdende Suche nach einem neuen Gestüt. Dass die Freude über die Pferde nur noch einen geringen Teil ausmacht gegenüber den Nervereien, merkt sie nicht. Aber ich. Ich habe schon aufgehört, meine Anmerkungen zu wiederholen.

Ich werde dann mit dem neuen Tausend-Euro-Rad täglich an den See fahren, meine tausend Meter schwimmen, und tausend Worte sparen, über Pferde zum Beispiel oder über Komisches aus aller Welt, dem Kapitalismus zum Beispiel, oder Flugzeuge, die vom Himmel fallen – und meinen kleinen Frieden genießen.





Der kleine Frieden, der klingt gut. Handlich.
(Für das Fahrrad dann aber mindestens ein Schloß --?)

Mist, ja, ein Schloss! Noch mehr Gerümpel.