Jemand hat ein Badethermometer am Steg befestigt, 24 Grad Wassertemperatur. Ich schwimme meine Runde, nach dem Regen ist das Wasser so klar wie den ganzen Sommer nicht, 24 Grad, das ist weder kalt noch warm, sondern fühlt sich an wie etwas, das sicher trägt, ein unauffälliges Medium, mit dem der Körper sich nahtlos verbindet. Gelassenheit.
In den letzten Wochen scheint in mir ein Widerstreit geschlichtet, den ich herumtrage, seit ich mich ernsthaft mit Yoga-Philosophie beschäftige. Wer Yoga immer noch für eine Art Gymnastik aus dem Osten hält, die von betuchten Mittelschichtsdamen betrieben wird, irrt (immer noch). Schlicht gesagt, ist er ein Hilfsmittel auf dem Weg zu erfülltem Menschsein und Sieg über den Tod unter Nutzung des gesamten menschlichen Potentials, mental, seelisch und körperlich. Dass Hatha-Yoga, der Teil, der sich mit den Körperübungen beschäftigt, im Westen so falsch verstanden wird, muss man erstmal so hinnehmen. Als die ersten Yogis in den Westen (meint die USA) gingen, (z. B. Yogananda oder Swami R., der Guru meines Lehrers Swami VB) waren sie sich klar darüber, dass sie nicht mit dem gesamten Paket rüberkommen, sondern die zunehmend körperfixierten AmerikanerInnen nur austricksen konnten, indem sie (erstmal) einen neuen Kult für den Körper installierten, so erzählt es jedenfalls Swamiji (VB). Kichernd berichtet er von seinen ersten Vorträgen vor einem verständnislos dreinblickenden Publikum, das in Erwartung entspannender Yoga-Classes (womöglich in sexy Yoga-Outfits gekleidet [Ausschmückung von mir]), nun gar nicht nicht damit gerechnet hat, von einem Mönch philosophisch belehrt zu werden.
Beim Versuch ein passendes Foto zu finden, das diesen Eintrag begleitet, ist mir einzig dieses würdig erschienen: DJ Nicki legt auf, Rishikesh März 2005.
Mein Dilemma bestand aus Mitgefühl vs. Leidenschaftslosigkeit, beides (Lebens-)Haltungen, die im Yoga empfohlen werden. Ich empfinde die englischen Begriffe noch gegensätzlicher: Compassion vs. Dispassion (vairagya in sanskrit, interessant übrigens wie es dem Namen der Pille ähnelt, die Leidenschaft hervorrufen soll). (Weil ich die bhagavad gita oder die yoga sutras zuerst in englisch kennengelernt habe, sind sie mir in der Fremdsprache geläufiger.) Mitgefühl haben, ohne selbst emotional beteiligt zu sein, bedeutete das für mich – wie soll das überhaupt gehen? Und war Leidenschaftslosigkeit nicht gleichbedeutend mit Desinteresse und Langweile? Was ist mit der Liebe? Sex ohne Leidenschaft? Ich glaube, ich habe mich die letzten acht Jahre mit den beiden tatkräftig herumgeschlagen. Auch wenn es nach Außen in Gesprächen oder Handlungen nicht darum ging, stets blieb ich doch Beobachterin der inneren Vorgänge des mind, bis mich im Angesicht der Ausweglosigkeit Leidenschaftlichkeit davontrug und klares Denken unmöglich machte.
Dispassion mit Gleichmut zu übersetzen, ist mir bisher nicht eingefallen. Während in Leidenschaftslosigkeit Kälte mitschwingt, ist Gleichmut eine freundlichere Übertragung. Gleichmut, ich kenne dich doch! Die Momente, wenn ich den wirren (und sie selbst aufregenden) Geschichten der Busenfreundin zuhöre – und mich nicht aufrege, mich nicht ereifere, Schlaues beizusteuern und vermeintlich Hilfreiches, das ihre Situation entspannen könnte. Sitzen und zuhören – und mitfühlen. Erstaunlicherweise geht nur beides zusammen: Mitgefühl und Gleichmut. Gleiches erfahre ich auch im Umgang mit der Mutter. Es gefällt mir nicht, ihrem Altwerden zuzusehen, genausowenig wie eigene ähnliche Prozesse wahrzunehmen. Aber – es gibt dafür keine Lösung! Ich und niemand anderes hat die Macht, Vergänglichkeit zu stoppen, und sie ist es, die mir so Angst macht.
Ich kann nur zusehen. Ihren klein gewordenen Rücken, ihre dünnen Arme und die runzelige Haut, die Kraftlosigkeit in den Beinen, ich kann sie stützen, wenn wir gehen, ich kann sie zum Lachen bringen, wenn sie verzagt. Vielleicht ist Leidenschaft mit Angst besetzt oder entsteht sogar aus der Angst – und nicht aus Freude, vielleicht habe ich das die ganze Zeit falsch verstanden. Ohne Leidenschaft keine Lust, ohne Lust keine Liebe und ohne Liebe alles öd, dacht' ich. Welche Schönheit Mitgefühl besitzt, hatte ich nicht begriffen. Dass Mitgefühl nicht Leidenschaft ist, sondern im Mitgefühl Gleichmut sein muss, damit ich nicht daran verbrenne, hatte ich nicht begriffen. Es war das Verbrennen, vor dem ich solche Angst hatte. Das Vergehen.
Bei 24 Grad brennt nichts. Der Körper schwimmt in einer weichen neutralen Flüssigkeit, die ihn trägt und stützt. Geschmeidig arbeiten Muskeln und Sehnen zusammen mit dem Knochengerüst und den Sinnen, Beobachtung, der Atem fließt aus und ein und obendrüber fliegen Wolken dahin, ihr Aussehen verändert sich ständig, das ist ihre Natur. Gelassenheit.
Zum Lesen: Paramhansa Yogananda: Autobiografie eines Yogi
In den letzten Wochen scheint in mir ein Widerstreit geschlichtet, den ich herumtrage, seit ich mich ernsthaft mit Yoga-Philosophie beschäftige. Wer Yoga immer noch für eine Art Gymnastik aus dem Osten hält, die von betuchten Mittelschichtsdamen betrieben wird, irrt (immer noch). Schlicht gesagt, ist er ein Hilfsmittel auf dem Weg zu erfülltem Menschsein und Sieg über den Tod unter Nutzung des gesamten menschlichen Potentials, mental, seelisch und körperlich. Dass Hatha-Yoga, der Teil, der sich mit den Körperübungen beschäftigt, im Westen so falsch verstanden wird, muss man erstmal so hinnehmen. Als die ersten Yogis in den Westen (meint die USA) gingen, (z. B. Yogananda oder Swami R., der Guru meines Lehrers Swami VB) waren sie sich klar darüber, dass sie nicht mit dem gesamten Paket rüberkommen, sondern die zunehmend körperfixierten AmerikanerInnen nur austricksen konnten, indem sie (erstmal) einen neuen Kult für den Körper installierten, so erzählt es jedenfalls Swamiji (VB). Kichernd berichtet er von seinen ersten Vorträgen vor einem verständnislos dreinblickenden Publikum, das in Erwartung entspannender Yoga-Classes (womöglich in sexy Yoga-Outfits gekleidet [Ausschmückung von mir]), nun gar nicht nicht damit gerechnet hat, von einem Mönch philosophisch belehrt zu werden.
Beim Versuch ein passendes Foto zu finden, das diesen Eintrag begleitet, ist mir einzig dieses würdig erschienen: DJ Nicki legt auf, Rishikesh März 2005.
Mein Dilemma bestand aus Mitgefühl vs. Leidenschaftslosigkeit, beides (Lebens-)Haltungen, die im Yoga empfohlen werden. Ich empfinde die englischen Begriffe noch gegensätzlicher: Compassion vs. Dispassion (vairagya in sanskrit, interessant übrigens wie es dem Namen der Pille ähnelt, die Leidenschaft hervorrufen soll). (Weil ich die bhagavad gita oder die yoga sutras zuerst in englisch kennengelernt habe, sind sie mir in der Fremdsprache geläufiger.) Mitgefühl haben, ohne selbst emotional beteiligt zu sein, bedeutete das für mich – wie soll das überhaupt gehen? Und war Leidenschaftslosigkeit nicht gleichbedeutend mit Desinteresse und Langweile? Was ist mit der Liebe? Sex ohne Leidenschaft? Ich glaube, ich habe mich die letzten acht Jahre mit den beiden tatkräftig herumgeschlagen. Auch wenn es nach Außen in Gesprächen oder Handlungen nicht darum ging, stets blieb ich doch Beobachterin der inneren Vorgänge des mind, bis mich im Angesicht der Ausweglosigkeit Leidenschaftlichkeit davontrug und klares Denken unmöglich machte.
Dispassion mit Gleichmut zu übersetzen, ist mir bisher nicht eingefallen. Während in Leidenschaftslosigkeit Kälte mitschwingt, ist Gleichmut eine freundlichere Übertragung. Gleichmut, ich kenne dich doch! Die Momente, wenn ich den wirren (und sie selbst aufregenden) Geschichten der Busenfreundin zuhöre – und mich nicht aufrege, mich nicht ereifere, Schlaues beizusteuern und vermeintlich Hilfreiches, das ihre Situation entspannen könnte. Sitzen und zuhören – und mitfühlen. Erstaunlicherweise geht nur beides zusammen: Mitgefühl und Gleichmut. Gleiches erfahre ich auch im Umgang mit der Mutter. Es gefällt mir nicht, ihrem Altwerden zuzusehen, genausowenig wie eigene ähnliche Prozesse wahrzunehmen. Aber – es gibt dafür keine Lösung! Ich und niemand anderes hat die Macht, Vergänglichkeit zu stoppen, und sie ist es, die mir so Angst macht.
Ich kann nur zusehen. Ihren klein gewordenen Rücken, ihre dünnen Arme und die runzelige Haut, die Kraftlosigkeit in den Beinen, ich kann sie stützen, wenn wir gehen, ich kann sie zum Lachen bringen, wenn sie verzagt. Vielleicht ist Leidenschaft mit Angst besetzt oder entsteht sogar aus der Angst – und nicht aus Freude, vielleicht habe ich das die ganze Zeit falsch verstanden. Ohne Leidenschaft keine Lust, ohne Lust keine Liebe und ohne Liebe alles öd, dacht' ich. Welche Schönheit Mitgefühl besitzt, hatte ich nicht begriffen. Dass Mitgefühl nicht Leidenschaft ist, sondern im Mitgefühl Gleichmut sein muss, damit ich nicht daran verbrenne, hatte ich nicht begriffen. Es war das Verbrennen, vor dem ich solche Angst hatte. Das Vergehen.
Bei 24 Grad brennt nichts. Der Körper schwimmt in einer weichen neutralen Flüssigkeit, die ihn trägt und stützt. Geschmeidig arbeiten Muskeln und Sehnen zusammen mit dem Knochengerüst und den Sinnen, Beobachtung, der Atem fließt aus und ein und obendrüber fliegen Wolken dahin, ihr Aussehen verändert sich ständig, das ist ihre Natur. Gelassenheit.
Zum Lesen: Paramhansa Yogananda: Autobiografie eines Yogi
akrabke | 31. Juli 2013, 14:37 | 0 Kommentare
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