Mala-Verkaufsstand in Rishikesh (Foto geklaut genommen von einer meiner Mitreisenden 2012, mir selbst ward ja bekanntlich die Kamera geklaut abhanden gekommen.)

Swami VB bespricht in seinen gita lectures kurz einen gravierenden Unterschied zwischen westlicher und östlicher Philosophie. Während die eine auf bloßen Spekulationen beruht, nämlich die westliche, lehrt die andere aus persönlicher Erfahrung. Die westlichen Philosophen stochern mit reiner Verstandesarbeit im Vagen, dazu gibt es fette Portionen eigens erdachter Terminologie in großartig verschachtelten Sätzen, ein bisschen Logik und Rhetorik dazu, fertig ist das Konstrukt. Eher verwirrend statt glücklich machend. Die europäische Philosophie hat sicherlich nicht dazu beigetragen, das (eigene) Leben besser zu verstehen. So habe ich es jedenfalls immer empfunden.

Vedanta und Samkhya hingegen, beides Grundlagen yogischer Übungstraditionen, breiten Philosopien aus, die nachvollziehbar und somit erlebbar sind. Landkarten, die zwar nicht der Weg sind, aber exakte Wegweiser durchs Menschsein. Es werden körperliche und vor allem geistige Konstituenten aufgezählt, von klein bis groß, von fein bis grob, die dem Übenden zeigen, wo er sich befindet, womit er sich herumschlägt, woraus die Hindernisse bestehen, die seinen Weg erschweren und Hilfsmittel, die ihm aus dem Schlammassel helfen und ihn frei machen. Kraft entsteht, Ordnung und Klarheit werden (wieder) hergestellt. Jeder Übende kann mit Körper, Seele und Geist prüfen, was die alten Traditionen versprechen.

Das ist weit mehr, als die bloße Verstandesarbeit, mit der die westlichen Philosophen ihre Welt zu begreifen suchen. Zumal sich der westliche Denker auch noch von der restlichen Welt getrennt fühlt als der vermeintlich Fremden. Die yogischen Übungen werden dem Suchenden zeigen, dass er selbst die Welt ist und jenes Juwel, das er in Wahrheit sucht.

Als ich das erste Mal bei Swami VB in Indien war, 2005, schrieb ich bloß zwei Texte. Unvollständige. (Mehr ging wohl nicht, ich war zu sehr vom Geschehen eingenommen, oder vom Nicht-Geschehen.)

Ich stell mir vor, wie St. [meine Reisebegleitung] auf all den Toastscheiben sitzt, die je nach Erleuchtungsgrad sich langsam aufblähen, etwas Zwischenraum freigeben und ihm so zur Levitation verhelfen.

Am [frühen] Morgen nach dem Mantrasingen gegen sechs wird Hatha-Yoga geübt. Yoga ist nett zu dem Körper. Ich entdecke, dass wir uns außer Sex oder Berührungen selbst gut sein können, in dem wir uns in die Übungen begeben, und so wie die Asanas für den Körper gut sind, so ist die Meditation für den Geist gut. Es ist seltsam, dass ich überhaupt in solchen Begrifflichkeiten denke und mich bewege.

Wir tun nichts anderes, als wäre es der natürlichste Zustand überhaupt. Morgens Andacht, danach Körperübungen, später bei Toast Levitation üben, erbauliche Schriften lesen, dabei einen Tee schlürfen und die Sonne ins Hirn leuchten lassen. Bald ist schon Mittag, es gibt ein Gericht mit Linsen oder Bohnen, Gemüse, Reis, dünnes Brot, etwas Yoghurt mit kleinen Dingen drin. Meistens schlafen wir danach sofort ein, denn Erleuchtung ist ein klein bisschen anstrengend. Wenn man nicht aufpasst, ist dann schon Teezeit, und dann noch ein klein bisschen nicht aufpassen oder besonders aufpassen und es gibt ein Abendmahl. Der Tag wäre nicht perfekt, wenn nicht abends von acht bis zehn Swamiji noch eine lecture abhalten würde.

Es ist erstaunlich, wie man einen ganzen Tag mit dem verbringen kann, was andere Menschen möglicherweise als Nichtstun bezeichnen würden. Hm, wer sind diese anderen Menschen eigentlich?


und:

St. hat sein Mantra bekommen. Nun liegt er auf dem Bett und hört die Cassette mit dem sich unaufhörlich wiederholenden Mantra. Es ist zärtlich. Swamiji spricht und betont es zärtlich. Er singt es beinahe. Es ist genau so zärtlich wie die Körperübungen. Dieses Mantra beseitigt emotionale Hindernisse im Geistfeld, so hab ich das verstanden.

Es ist [in] Sanskrit. Es gibt unter den Schülern einen, der ausschließlich Sanskrit spricht. Wenn Swamiji mit ihm redet, finde ich alle meine feinstofflichen Wasauchimmers äußerst angeregt. Sanskrit ist eine universelle Sprache, die aus den Menschen heraus strömt, wenn sie in ihrem Ursprung leben. So wie ein Baby Mama sagt. A entsteht, wenn man einfach den Mund öffnet und M, wenn man ihn wieder schließt. Genauso kommt Sanskrit direkt aus der glücklichen Seele geflossen.

Ich wundere mich seit einer Woche, wie klar die Lehre ist, und wie sehr sie dem entspricht, was ich bereits in mir geahnt und gewusst habe. Yoga ist ein exaktes System solchen Wissens. Es betrifft das Sehnen, den Verstand und ebenso den Körper. Ich finde mich in Begrifflichkeiten wieder, über deren Präzision ich zutiefst erstaunt und glücklich bin. Es gibt für jeden Zustand, für jede Regung des Geistes und der Seele, einen fest umrissenen Begriff, an dem sich der Schüler orientieren kann. Es ist alles bereits vor mir gedacht und gefühlt, und dann benannt worden.

Das Mantra, in das St. initiiert wurde, ist somit kein wirklich persönliches Mantra, sondern eines, das hilft, seinen momentanen Geisteszustand zu lindern und dann aufzulösen. Solche Geisteszustände sind insofern universell, als dass sie jeden Trauernden und Sehnenden erfüllt. St.s Trauer und Sehnen sind natürlich sehr persönlich, denn er fühlt sie ja in seinem Herzen. Es fühlt seine einzigartige Trauer, die von ihm durch und durch gefärbt ist, die ihn gefärbt hat, und trotzdem ist es einfach 'Trauer'.


Das lass ich erstmal so. Mein spiritueller Sommer nimmt seinen Lauf, ich höre und lese weiterhin Philosophie und habe eine neue mantrische Übung bekommen, voraussichtlich – ich kenn mich ja – wird sie zwei Jahre dauern, vielleicht auch schneller.