Die Küche ist nicht sehr groß, es gibt dennoch einen vorderen und einen hinteren Bereich. Hinten ist der Platz an den zwei kleinen Fenstern, da gibt es die tiefe Bank mit Kissen, auf der man am praktischsten im Schneidersitz oder liegend sich lümmmelt und man schaut zurück in den vorderen Bereich durch den Türrahmen in den Flur. Das Türblatt ist ausgehängt und liegt auf dem Speicher. Wegen der Dachschräge konnte ich die Tür nicht vollständig öffnen und es hatte sich dahinter in der toten Ecke allerlei Krempel angesammelt. Jetzt steht an der kurzen Seite im vorderen Bereich ein niedriger Schrank mit Schubladen, in dem die Nahrungsmittel lagern, darauf Behältnisse mit Getreide, Kaffee und Tee, Ölflaschen, der Altar mit einem silbernen Buddha und einge Gläser. Darüber an die Wand geklebt, eine Postkarte mit Maria und dem Kinde aus dem Mindener Dom.

In den Flur

Auch im vorderen Bereich gibt es eine Bank, nicht so tief wie die andere in der Fensterecke, dafür aber länger. Ich habe den Tisch hierher gezogen und sitze nun unter der Schräge, rechts die kleinen Fenster, hinter denen Ausschnitte der Backsteinfassade des Vorderhauses zu sehen sind, und der Ahorn, der hellgrün noch leuchtet, später dann rotbraun. Weil ich hier vorn sitze, kann ich schräg links in den Flur sehen, da gibt es eine Sammlung perspektivischer Linien, die des alten Holzbretterbodens zum Beispiel, die Schwelle zur Schlafkammer, aus der vom Vorhangtuch gefiltertes Licht in den Flur fällt, die Zarge der Küche in einem schrägen Winkel dazu, die Senkrechten stützen, weiter hinten die Tür zur Wohnstube, zwischen beiden ein Gemälde, die erste Kunst, die ich gekauft hatte, 24 Felder mit Hamburgern in verschiedenen Farben, mit einem schönen lockeren Duktus mehr hingeworfen als gemalt von Stella Hagemann, der ich eine große Karriere vorausgesagt hatte – heute macht sie was anderes.

Direkt vor mir, wenn ich geradeaus sehe, befindet sich die Zeile mit Spüle, Herd und Kühlschrank, drei Einzelstücke, zwischen denen sich Heruntergefallenes sammelt und im besten Fall vertrocknet und ab und zu zusammengefegt werden kann. Darüber stehen auf einem schmalen Bord Gewürze aller Art und weitere Ölflaschen, alles, was ich zum Kochen benötige ist armweit erreichbar. An Saugkaken hängen Gerätschaften, Kochlöffel, Reibe, Gemüsebürsten, Topflappen, Schere, Flaschenöffner. Auf dem Herd Kessel und Kaffeemaschine, auf dem summenden Kühlschrank ein großes Holzbrett zum Schneiden. Weiter rechts an der rauhen Wand ein monocromes Gemälde mit einer Tasse in orange, darangehängt ein Strauß ge- oder eher vertrockneten Thymians.

Durchs Fenster

Auf der kurzen Seite rechts neben den Fenstern eine kleine Leinwand mit einer schnellen orange-roten Acryl-Skizze von T., die offentsichtlich unsere beiden Köpfe von der Seite zeigt, wir küssen, meine Hand an seiner Wange, er hält die Augen geschlossen. Auf dem Brett des rechten Fensters gedeihen Salbei und Johanniskraut, das schon im Winter geblüht hat, zwischen den Töpfen die nachgemacht-chinesische Schlaflampe aus T.s Kindheit. Das linke Fenster ist frei von Gegenständen und lässt sich jederzeit öffnen.

Und hier unter der Schräge sitze ich. Genieße den veränderten Blickwinkel und denke darüber nach, ob ich mich nun am Deutschen Literaturinstitut als Gasthörerin bewerben soll oder nicht. Dienstag ist Bewerbungsschluss.





Was spricht denn gegen eine Bewerbung als Gasthörerin?

Ach. Meine Motive sind mir nicht ganz klar. Was wäre das Ziel? Abenteuerlust vielleicht, raus aus dem Gewohnten für eine Weile. Dagegen der Aufwand, aus einer fernen Stadt kommend, mit einem halben Bein die alternde Mutter betreuen, die wieder aus einer anderen Stadt. Das berufliche Eingebundensein. Das alles.

Trotzdem. Das Abenteuer, die neuen Erfahrungen. Reizvoll.

Wie oft in der Woche müssten Sie nach Leipzig pendeln und wie lange würde das jeweils dauern? Wäre das finanziell problemlos machbar?

Das ließe sich alles irgendwie machen, was mir aber Sorgen bereitet, ist, dass die Euphorie nachlässt, die die Idee mir anfangs bereitet hat. So als hätte sich durch die bloße Vorstellung (aller möglichen Einzelheiten) der Wunsch bereits verflüchtigt. Ich sah mich nochmal als WG-Mitbewohnerin, das Pendeln wäre eher ein vierzehntägiges in Richtung Heimat. Heute vormittag aber bewegte ich mich in der Wohnung herum, verschob Tische und Sichtweisen und mir wurde wieder bewusst, wie sehr ich meine Umgebung und ihre Gewohnheiten liebe, mein Alleinsein und dass ich ja auch von hier aus schreiben kann, wann immer ich will, ich möchte ja auch gar kein Buch schreiben oder Geld damit verdienen, es soll ja nur ein Sprachefinden sein, ein Zumirfinden, ein Beimirsein.

Los! Das ist toll! Und keinerlei Verpflichtung, dann Autorin zu sein.

Etwas lernen. Etwas zu hören zu dem was man macht. Sich auszutauschen. Mal wieder die Gewohnheiten ändern (macht man viel zu selten, finde ich). Ich halte die abflauende Euphorie ja eher für Lampenfieber. Los!

Ok, die Texte sind ausgewählt und in Form gebracht, 20 Seiten sollen es sein, auf das Anschreiben schau ich gleich nochmal drauf, das Zeugnis muss noch kopiert werden, Briefumschlag und Hefter kauf ich im Schreibwarenladen um die Ecke. Dann alles in vierfacher Ausführung ab in die Post.

Ja, genau, ab damit.

So, fertig gedruckt, gelocht, geheftet, unterschrieben und eingetütet. Was für eine Aufregung. Hab ich alles?
Jetzt los zur Post und dann gönne ich mir 'ne Portion Pasta zum Mittag.
Ich bedanke mich für den Beistand, Ihr Lieben.

Sowas von gern geschehen. Ich bin stolz auf Ihnen!