Sonntag, 28. April 2013
Von hier aus ist es nicht weit ins Grüne. Die Straße entlang, über die Kreuzung, dort beginnt schon der Weg hinunter an den Fluss. Zwar hört man noch die Stadtgeräusche, die hört man eigentlich immer, weiter draußen fahren S-Bahn und Güterzüge, die bei Südwind laut ins Fenster wehen. Ich nehme den Weg zu den Teichen, die Jacke muss ich geschlossen halten, die Hände habe ich in den Hosentaschen, so frisch ist es, aber der Himmel ist blau und durchs wilde Gebüsch kann man schon fast nichts mehr sehen vom Braun des Winters, so grün und bunt blüht es schon. Zum Fkk-Teich und zurück sind es zweieinhalb Stunden zu Fuß, an Pferde- und Gänsewiesen vorbei, an kleinen Teichen mit Schilf und Birken, Schwänen und Reihern, an alten Bäumen, Sümpfen und Moosen. Verschiedene Gerüche nehme ich wahr, manches moderig, manches duftet schon süßlich und voll, Hummeln und Bienen sind unterwegs, um davon zu kosten.

Richtung See

Als ich in den Pfad zur Wiese biege, scheint der Platz leer, doch näherkommend sehe ich ein paar Nackte sich ins Gras kauern, erkenne den mit Schirmmütze und Schnäuzer, dünn wie Gandhi, die Frau mit den weißen langen Haaren und die Dicke mit ihrem Elektrorollstuhl, den sie weiter hinten abgestellt hat. Ich gehe auf den Steg und sehe ins klare Wasser hinunter, Fische mit rötlichen Flossen schwimmen auf. Der eisige Wind ist hier nicht zu spüren, die Sonne, vom Wasser reflektiert, brennt im Gesicht und ich beschließe, mich auszuziehen und eine Weile in der Sonne zu liegen. Ein Viertelstündchen.

Dann kommt einer der Nackten heran. Ich setze mich auf, das Wasser hat bestimmt nicht mehr als zehn Grad oder so. Es ist ja immer so eine Sache – wenn man selbst sitzt und jemand Nacktes steht in der Nähe rum, da muss man aufpassen, wo man hinsieht. Gehen Sie rein?, stelle ihm bzw. seinem Gemächt die Standardfrage. Natürlich. Dreht seinen Rücken Richtung See, nimmt das Geländer in die Hände, steigt die Stufen hinab und ohne Zaudern versinkt sein Körper im Gewässer. Ich beobachte ihn dabei.

Nach ein paar Zügen erklimmt er die Leiter und ist wieder bei mir auf dem Steg, wir plaudern ein wenig über Eisschwimmen und den langen Winter, und ob ich nicht auch mal, nein, ich traue mich noch nicht, ach, wenigstens den Fuß mal eintauchen, dann kommt die Weißhaarige noch dazu – mit ähnlicher Gelassenheit gleitet auch sie langsam ins Nass und trocknet sich, zurück auf den Holzplanken, mit einem kleinen Handtuch ab, das auch ein Fensterleder sein könnte.

Mittlerweile bin auch ich aufgestanden, mir wird kalt, so sehr liegt der Wind auf uns, und kleide mich an, unterbreche mit meiner Verabschiedung die beiden in ihrem regen aber belanglosen Gespräch über Temperatur und Wassertiefe, und mache mich auf den Weg zurück nach Hause.




Die Küche ist nicht sehr groß, es gibt dennoch einen vorderen und einen hinteren Bereich. Hinten ist der Platz an den zwei kleinen Fenstern, da gibt es die tiefe Bank mit Kissen, auf der man am praktischsten im Schneidersitz oder liegend sich lümmmelt und man schaut zurück in den vorderen Bereich durch den Türrahmen in den Flur. Das Türblatt ist ausgehängt und liegt auf dem Speicher. Wegen der Dachschräge konnte ich die Tür nicht vollständig öffnen und es hatte sich dahinter in der toten Ecke allerlei Krempel angesammelt. Jetzt steht an der kurzen Seite im vorderen Bereich ein niedriger Schrank mit Schubladen, in dem die Nahrungsmittel lagern, darauf Behältnisse mit Getreide, Kaffee und Tee, Ölflaschen, der Altar mit einem silbernen Buddha und einge Gläser. Darüber an die Wand geklebt, eine Postkarte mit Maria und dem Kinde aus dem Mindener Dom.

In den Flur

Auch im vorderen Bereich gibt es eine Bank, nicht so tief wie die andere in der Fensterecke, dafür aber länger. Ich habe den Tisch hierher gezogen und sitze nun unter der Schräge, rechts die kleinen Fenster, hinter denen Ausschnitte der Backsteinfassade des Vorderhauses zu sehen sind, und der Ahorn, der hellgrün noch leuchtet, später dann rotbraun. Weil ich hier vorn sitze, kann ich schräg links in den Flur sehen, da gibt es eine Sammlung perspektivischer Linien, die des alten Holzbretterbodens zum Beispiel, die Schwelle zur Schlafkammer, aus der vom Vorhangtuch gefiltertes Licht in den Flur fällt, die Zarge der Küche in einem schrägen Winkel dazu, die Senkrechten stützen, weiter hinten die Tür zur Wohnstube, zwischen beiden ein Gemälde, die erste Kunst, die ich gekauft hatte, 24 Felder mit Hamburgern in verschiedenen Farben, mit einem schönen lockeren Duktus mehr hingeworfen als gemalt von Stella Hagemann, der ich eine große Karriere vorausgesagt hatte – heute macht sie was anderes.

Direkt vor mir, wenn ich geradeaus sehe, befindet sich die Zeile mit Spüle, Herd und Kühlschrank, drei Einzelstücke, zwischen denen sich Heruntergefallenes sammelt und im besten Fall vertrocknet und ab und zu zusammengefegt werden kann. Darüber stehen auf einem schmalen Bord Gewürze aller Art und weitere Ölflaschen, alles, was ich zum Kochen benötige ist armweit erreichbar. An Saugkaken hängen Gerätschaften, Kochlöffel, Reibe, Gemüsebürsten, Topflappen, Schere, Flaschenöffner. Auf dem Herd Kessel und Kaffeemaschine, auf dem summenden Kühlschrank ein großes Holzbrett zum Schneiden. Weiter rechts an der rauhen Wand ein monocromes Gemälde mit einer Tasse in orange, darangehängt ein Strauß ge- oder eher vertrockneten Thymians.

Durchs Fenster

Auf der kurzen Seite rechts neben den Fenstern eine kleine Leinwand mit einer schnellen orange-roten Acryl-Skizze von T., die offentsichtlich unsere beiden Köpfe von der Seite zeigt, wir küssen, meine Hand an seiner Wange, er hält die Augen geschlossen. Auf dem Brett des rechten Fensters gedeihen Salbei und Johanniskraut, das schon im Winter geblüht hat, zwischen den Töpfen die nachgemacht-chinesische Schlaflampe aus T.s Kindheit. Das linke Fenster ist frei von Gegenständen und lässt sich jederzeit öffnen.

Und hier unter der Schräge sitze ich. Genieße den veränderten Blickwinkel und denke darüber nach, ob ich mich nun am Deutschen Literaturinstitut als Gasthörerin bewerben soll oder nicht. Dienstag ist Bewerbungsschluss.