Freitag, 12. Juli 2024
Ich musste das nachschlagen, das o, vielleicht hätte ich об benutzt. Jetzt, nach ungefähr zwei Jahren des Russischlernens kommen mir bereits ganze Sätze in den Sinn. Mama erzählte immer, dass ich mit drei Jahren noch nicht sprechen konnte, man hatte sich bereits Sorgen gemacht. Dann aber, endlich, sprach ich und zwar in vollständigen Sätzen. Was wir für ein seltsames Kind haben, sagten sie sich vielleicht am Abend.

Vor einer Weile fand der Bildhauer in einem alten Reisemagazin eine schöne Abbildung des Watzmanns im Herbst. Das ist dieser Berg, Sie wissen schon. Einmal war ich mit meinem Vater auf die Spitze geklettert, mit 12 oder so. Wir übernachteten im Watzmannhaus, damals ein einfaches Steinhaus, das mit Stahlbefestigungen dem Wetter trotzte. Es gab frische fettige Kuhmilch, von der wir beide uns übergeben mussten und am Morgen wuschen wir uns im eiskalten Bergwasser, das in einen Holztrog plätscherte.

Das Foto musste von einem Ort aufgenommen worden sein, den ich genau kenne, nämlich hinter einem kleinen Waldstück oberhalb des Lehens, in das wir uns während der Ferien eingemietet hatten. Ein herrliches Anwesen, das meine Kindheit auf beinahe mystische Weise geprägt hat. Der Anblick des äußerst detailreichen Bildes löste in mir den Wunsch aus, wieder einmal dort sein zu wollen, dort zu sitzen und den Blick zu genießen, den diese bestimmte Bank bietet.

Viele Jahre lang ist mein Vater weiterhin zu Ferienzeiten dort eingekehrt, ohne uns, hatte dort mehr Freundschaften als zu Hause und wenn er wieder zu Hause war, beschäftigte er sich mit Berichten und Zeitungen des Ortes, mit Bildbänden und Landkarten. Auch ich kenne immer noch die Namen der Erhebungen, Steige und Auen.

Auf einer Reisewebsite fand ich einen Eintrag des Lehens, wo es Fotos, Beschreibungen der Räumlichkeiten und Buchungsoptionen gibt. Endlich, nach einem Jahr des Zögerns klicke ich mich ein, buche gleich den ganzen Oktober und schreibe eine persönliche Nachricht an die Familie dazu. Nach einigen Minuten klingelt bei mir das Telefon, ah, eine Nummer mit 089, wer kann das sein. Eine tiefe, warme Stimme mit vertrautem Dialekt spricht mich mit meinem Namen an und mir hüpft das Herz aus reiner Freude, es ist der P., der Sohn des alten Herrn. Schnell sind wir im Gespräch über Vergangenes, kichernd, als wären wir immer noch 12 oder (er) 24, geben wir die aktuellen Alterszahlen an, unglaubliche 50 Jahre später, gleichen Erfahrungen ab, und ob es den alten Holztrog noch gibt, und wann unsere Eltern gestorben sind, und ja, damals hatte es noch Kühe und die Großmutter sorgte sich, dass das Gemuhe die Gäste stören könnte. Jetzt ist das Haus runderneuert und ich könne die Ferienwohnung haben, in der wir damals schon gewohnt haben.

Abgemacht.