Mittwoch, 2. Juni 2021
Bis drei Uhr Filme geschaut, Sachen gelesen, Sprachnachrichten angehört. Ein Teil der Geschichte sein zu wollen, ist, in Rhythmen, begeisternd, dann wieder anstrengend. Viel zu müde zum Frühstück mit der Leserin. Vorm Café können wir sitzen, ohne unsere Gesundheit beweisen zu müssen. Ich versuche, der Leserin den Inhalt eines Vortrages wiederzugeben, der mich nachts beschäftigt gehalten lassen -- und auch im Zweifel. Dieser teilt sich stärker mit als meine guten Gefühle gegenüber dem Referenten. Die entstandene Unstimmigkeit hält mich wieder für ein paar Stunden auf.

Aufgehalten und abgelenkt. Ich beschließe endlich, am 19. nicht in die Hauptstadt zu reisen, um das System zu stürzen, was mich sehr entspannt. Ich muss kein Teil der Geschichte sein. Ein Wunsch, der wiederum aus einem Gefühl der Schuld entsteht. Und wieder fällt. In Rhythmen.

Wie sehr ich Geschichten mag und Texte. Nach dem Mittagschlaf (mir waren buchstäblich die Augen zugefallen) beginne ich einen sci-fi-Roman in Englisch. Ich bin mir bewusst, dass mir in der Fremdsprache feine Stimmungen und Farben möglicherweise entgehen, deshalb lese ich sorgsam, schlage unbekannte Wörter trotzdem nicht nach. Die Autorin hat in einem Vortrag ausgeführt, auf welche Weise sich weibliche science fiction von einer männlichen Erzählung unterscheidet: die weibliche läuft (eher) auf der Beziehungsebene ab, die männliche ist technokratisch(er) und hält irgendeine Maschine bereit als Lösung des Problems.

Der Referent, der mir die gestrige schlaflose Nacht beschert hat, streifte u. a. die besondere Qualität der deutschen Sprache, ihre starke Präzision, ihre Fähigkeit, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, ihre Klarheit. Als Muttersprachler (ich will auch nicht mehr gendern) bin ich mir darüber nicht so bewusst, habe kaum Vergleiche, kann mich aber wenigstens vom Englischen durch seine Knappheit begeistern lassen. Also ein Plan, mich wieder mehr mit Sprache zu beschäftigen, dazu sehe ich mich an einem Schreibtisch sitzen und arbeiten. Es gab im letzten Jahr wenige Autoren (oder nennen wir sie doch gleich Schwurbler), die über die Sprache meine Aufmerksamkeit erregen konnten. Allerdings hatte ich eine schöne Bewusstseinserweiterungserfahrung, als ich an einem Tag Sprachnachrichten in verschiedendsten Mundarten gelauscht hatte. Mir ist klar geworden, dass Dialekte oft benutzt (oder missbraucht) und der Lächerlichkeit preisgegeben werden, wenn Hochdeutschsprechende Komödianten diese nachahmen. Zu erfahren, dass schlaue Leute mit philosophischem, wissenschaftlichem oder politischem Weiblick diesen auf bayrisch, hessisch oder gar sächsisch kundtun, fand ich nicht nur charmant, sondern eigenartig schön, berührend und auf eine außerordentliche Weise bedeutsam.