Samstag, 23. Januar 2021


Dieses Bild meiner Eltern macht mich froh. Dudi bemerkte, dass wir da noch gar nicht geboren waren, wie seltsam das sei. Ich sehe zwei Menschen, die praktisch erst vorhin den Krieg überstanden haben, sich jetzt ihrer Liebe und Zuneigung gewiss waren. Dieser Spaziergang in der Stadt hat nichts mit uns Schwestern zu tun, und deshalb ist es so schön.




Als ich sie am Sonntagmittag besuche, liegt sie mit starrem Blick, bewegungslos. Sie reagiert nicht auf mich, nicht als ich sie berühre, nicht als ich mein Gesicht in ihr Blickfeld halte. Die Pflegerin ist lieb und warmherzig und lässt mir alle Freiheiten. Bedankt sich, dass ich da bin. Natürlich nehme ich die Maske sofort ab, nicht mal einen Kittel wie am Freitag soll ich tragen.

Ich komme an. Finde Ruhe. Ihr Atem klingt angestrengt, das Abhusten des Schleimes gelingt ihr nicht mehr. Vorgestern noch hat sie wenigstens meine Hand gedrückt, und als ich ihren Mund erfrischt habe und nachfragte ist das gut? nickte sie. Am Samstag waren ihre Reaktionen kaum noch spürbar und nun sind ihre Augen auf die weiße Wand gerichtet ohne einmal zu blinzeln. Ich habe Angst, aber ich fühle mich ihr gewachsen. Ich fange an zu singen, bete alle Gebete, die uns gemeinsam etwas bedeutet haben, immer im Kreis, singen, beten, noch ein Gebet, dann wieder Gesang. Ich falle nicht ins Weinen, wundere mich, dass meine Stimme ohne Zittern ist. Trotzdem ist dies eine tieftraurige Situation. Meine Stimme, die Verse können jetzt langsamer, ruhiger werden.

Plötzlich, ich habe erst Sorge, dass es ihr zu viel ist, holt sie mit einer flinken, fast eleganten Bewegung ihren Arm unter der Bettdecke hervor und klappt diese zur Seite. Diese wunderbare Geste werde ich nicht vergessen. Nun kann ich ihre Hand nehmen, die sie aber auch heute nicht mehr drückt. Ich rede ihr zu, wie schön sie aussieht, wie gut sie es macht, es ist fast, als versuchte ich sie zu überreden loszulassen, wiederhole die Gebete, Gesang und meine Ermutigungen, es sich leicht zu machen, und den Engeln zu folgen, die ich allesamt als anwesend empfinde/erhoffe, und extra herbeigebetet habe, um uns durch diesen Tag zu führen.

Es dauert alles, alles hat bis hierher so lange gedauert. Ich bin müde und ich spüre, wie mich mein Mut verlässt. Die Pflegerin hatte ich nach geistlichem Beistand gefragt, es wurde verneint, die Pastoren kämen zu diesem Zweck nicht mehr raus.

So öle ich wie gewohnt meinem Mütterlein Gesicht und Hände (zum letzten Mal), teile ihr meinen Entschluss zu gehen ohne Zögern mit, küsse sie zum Abschied und flüstere ihr Gute Reise, Mama ins Ohr, verlasse das Zimmer, gehe durch den langen Flur, verlasse das Haus, verlasse ihr Leben.

Am Abend klingelt das Telefon – ich bin schon lange bereit.




So nimm denn meine Hände
und führe mich
bis an mein selig Ende
und ewiglich

Ich kann allein nicht gehen
nicht einen Schritt
Wo du wirst gehen und stehen
da nimm mich mit

In dein Erbarmen hülle
mein schwaches Herz
und mach es gänzlich stille
in Freud und Schmerz

Lass ruhn zu deinen Füßen
dein armes Kind
es will die Augen schließen
und glauben blind

Wenn ich auch gar nichts fühle
von deiner Macht
du führst mich doch zum Ziele
auch durch die Nacht

So nimm denn meine Hände
und führe mich
bis an mein selig Ende
und ewiglich