Topic: innen
Das ist jetzt das soundsovielte Bild vom See, ich weiß. Ich brauchte Weite um mich herum, nachdem ich am Nachmittag vom buddhistischen Retreat mehr oder weniger geflüchtet bin, mit dem Fahrrad war ich am Morgen ins südliche Industriegebiet zum vietnamesischen Kloster gefahren, die ganze Strecke, der Morgen war noch neu, die Buddhistin sagte für den Freitag ab, nachdem sie die Nacht migränekotzend keine Ruhe finden konnte. Sie hatte vorgeschlagen, gemeinsam das Retreat zu besuchen, der Mittwochabend war einem Vortrag gewidmet und ab Donnerstag bis Sonntag sollte viel geübt werden, Sitz- und Gehmeditationen, unterbrochen von Mittags-, Tee- und Abendbrotpausen.
Ich bin erschüttert über die Welle der Ablehnung, die mich von innen überschwemmte, während wir so etwas Simples taten wie
Ich versuchte, mich an den Lehrer zu halten. Ein Mönch aus Wien, Heimat Sri Lanka, gekleidet in eine dieser braunroten Roben, deren genaue Umwicklung ich zu ergründen suchte, wann immer der Mann sich bewegte und sie zurechtzupfte. Eine schöne Farbe, ebenso das Rot der großen Vase, gefüllt mit duftfreudigen Lilien, auf die am Vormittag ein Sonnenstrahl schien – ein Sonnenstrahl fiel, ein Sonnenstrahl lag. Verschobene Achtsamkeit.
Der kleine Raum unterm Dach ist Teil einer übertrieben verwinkelten architektonischen Idee, die hier in Beton ihre 70er-Jahre-Ausführung verbringt, um eine recht imposante Kapelle herumgebaut, die von großen goldenen Buddhas und Bodhisattvas nur so funkelt, unterstützt von extrem kitschigem Zubehör, Lampenbäumen zum Beispiel, auf Altären liegen Apfel- und Orangenpyramiden, Kinderschokolade, Rocher und diese schrecklichen weißen, viel zu süßen Kugeln der gleichen Firma. Man findet sogar eine Tüte Chipsfrisch und ab einem gewissen Zeitpunkt (meiner Genervtheit) frage mich mich, was genau passieren würde, wenn ich einen Riegel entnehmen würde. Würde der böse Buddha dort hinten in der Ecke auf mich springen, mir seine rote lange Zunge um den Hals legen und mit seinem Schwert den Kopf abhacken? Oder würde die gütige Version mir voller Mitgefühl zuraunen, sie wisse genau wie Zuckersucht sich anfühlt.
Anfangs noch wohlwollend, fiel uns die Lieblosigkeit im Kloster erst langsam ins Auge. Das Grundstück mitten im Industriegebiet wurde sicher äußerst günstig erworben, trotzdem würde der geneigte Besucher vielleicht einen kleinen Garten ersehnen, statt dessen ist das gesamte Areal mit diesen zickzackförmigen Betonsteinen gepflastert und als Parkplatz ausgewiesen, in den Pausen sitzen die Buddhistin und ich auf Waschbetonbänken zwischen Autos in der Sonne, schauen auf eine große goldene Figur, in gleicher Fluchtlinie ein fetter Mobilfunkmast mit rotem Lichtpunkt, oder ergehen uns in die nahe Umgebung Richtung Bahnlinien, komm, lass uns mal den Müll anschauen, schlägt die Buddhistin vor, da liegen Styroporplatten und verwitterte Möbel schon seit Jahrzehnten. Oder wir laufen durch die nahe Plattenbausiedlung und sie erzählt mir von ihrer Jugend in ebensoeiner.
Am Ende eines anderen steinigen Brachgeländes direkt neben dem Kloster finden wir plötzlich einen Palettengarten mit Salat, Kräutern, Kürbissen und einer riesigen Zucchini, die jemand auf zwei Styroporstückchen gelegt hat, damit sie trocken bleibt. Hinterm Stahlcontainer eine Hängematte mit Stockflecken und wir fragen uns, ob dieses winzige Bisschen Natur wohl zum Kloster gehört, ein Übergangslager für vietnamesische Kriegskinder, immer noch auf der Flucht wie unsere Elten.
Im Gebäude selbst begegnen uns gelangweilte Mönche und dieser typisch asiatische Schmutz, der üblicherweise per Wischmob von einer Ecke zur anderen transportiert wird und im Laufe der Jahre eine unansehnliche Speckschicht in bodennahen Ecken hinterlassen hat. Durch die Baderäume zieht ein blöder Geruch und die Türen quietschen bis in die hintersten Winkel, überhaupt diese ganzen Winkel, ich brauche eine Weile, bis ich mich zurechtfinde, zum Essraum geht man durch komische Flure ohne Funktion, die mit Kram vollgestellt sind, und der fensterlose Essraum selbst erstaunt mit fleckigen Plastiktischdecken in Neonlicht – allein die zubereiteten Gerichte sind lecker, soßiges Gemüse, Reis, frischer Salat und kleine Frühlingsrollen mit süß-saurer Chilisoße, deren Behältnisse wir zusammen mit Maggiflaschen in einer Kiste neben dem Gelände finden.
Soviel Hässlichkeit, der ich schlichtweg Unachtsamkeit unsterstelle, zerrt zusätzlich an meinen Nerven. Beim Sitzen spüre ich jetzt auch den linken Ischiasnerv und die Idee, das Retreat bald zu verlassen, gewinnt an Farbigkeit. Zum Mittag rufe ich die Buddhistin an, frage nach ihrer Migräne und deute an, dass ich heute beenden werde, weil ich von äußerst unschönen Gefühlen geplagt mich außerstande sehe, konzentriert dem Geschehen zu folgen und was das Ganze überhaupt soll. Ich sehne mich nach friedlichem Yoga, nach etwas Hatha für die steifen Gelenke, nach ayurvedischem Essen ohne Chemiesoße und nach profunder Philosophie, die meinem Wissensstand entspricht. Und ich sehne mich nach Erhabenheit, die aber will mir der Buddhismus ohnehin nicht schenken, kommt er doch ohne eine Gottesvorstellung aus, grübelt doch die Vipassana-Mediation in eigenem Gedanken- und Gefühlssud ohne Ausweg und die Samata-Meditation über dem Atem. Den bindu finde ich hier nicht.
Als ich ich mich am Nachmittag davonstehle, empfinde ich Scham. Die Perle dieses Geschehens werde ich aber sicherlich zu finden wissen. Einen Umweg fahre ich, zum See, der Blick auf sieben Hektar Wasserfläche soll mich trösten mit der Erinnerung an einen schönen Sommer unter einem luftigen Himmel.