Samstag, 21. September 2013
  • Den Kleiderschrank ausgemistet, fünf 20-Liter-Beutel mit Klamotten, Schuhen und Stoffresten stehen bereit. Die drei Lieblings-T-Shirts behalte ich noch: Cutie 2002 von Paul Frank aus HK, Mind The Gap aus London, und das mit dem völlig aufgelösten Blütenaufdruck, mindestens 13 Jahre alt. Dafür gibt es neue T-Shirts und ein Hoodie.
  • Stefan S. auf dem Markt gesehen und sogar von ihm gegrüßt worden, er ist der Kanditat für äh, Moment, ich muss nachschauen – achso, er will Oberbürgermeister werden. Wieso, der andere war doch gerade erst gewählt. Mir gefällt Stefans Anwesenheit im Viertel, jemand der sich kümmert und fremde Leute grüßt. Wählen tu ich ihn deshalb trotzdem nicht. T. und ich hatten damals, als er noch Gewerkschafter war, für ihn Grafik-Design gemacht. Ein leiser, zurückhaltender Mann, jetzt leibhaftig auf dem Markplatz, Flyer verteilend.
  • Selbstgemachtes Popcorn
  • Wieder angefangen zu Stricken. Aus naturbelassener Wolle vom Bio-Schaf wird langsam ein dicker Winterpullover, einen Rollkragen soll er haben. Finger flutschen noch, sogar das Stricken mit fünf Nadeln geht.
  • Ein Tag mit Mama. Zum Tee lese ich ihr aus dem Buch "Kriegsenkel" vor. Wir sind beide berührt. Ich finde Sinnvolles zum Thema schlagende Väter.
  • Ich träume von H., meinem frühen Kollegen aus Praktikumszeiten. Wir hatten damals eine heimliche Affäre. Er war ein aufregender und kreativer Liebhaber. Wie wir im Traum vertraut sind und auf diese besondere Art miteinander reden, mit etwas verschlafenen Stimmen. Hand in Hand spazieren wir durch die Heimatstadt, ohne uns zu verstellen. Gestern, während Mama beim Friseur sitzt, gehe ich durch ein Treppenhaus hoch zu seinem Büro und klingele, das Herz schlägt mir buchstäblich im Hals vor Aufregung, ich würde einfach behaupten, ich sei aus der Puste vom Treppensteigen, wenn das Herz sich nicht beruhigt. Niemand macht auf und ich sehe durch geschliffenes Bleiglas einen leeren Kleiderständer und links durch die Tür auf dem Tisch einen bunten Stapel Arbeitsunterlagen. Mir fällt ein, dass ich hier schon mal so stand, ebenso aufgeregt. Ich würde ihm erzählen, was ich von ihm geträumt habe und er würde mich ins Herz nehmen. Er besitzt noch all unsere Nacktfotos.




Diesmal ist es schlimmer denn je. Ich fühl mich wie das Häschen in der Grube, das saß und schlief. Streit mit der Busenfreundin, der mich zurückführt in die Jugendzeit – zwischen den regelmäßig aufkommenden Wutanfällen meines Vaters, nach denen die Welt sich für ein paar Tage anfühlte wie untergegangen, wieder Wochen des halben Frohsinns mit vorsichtigem Vertrauen, dass das Schlimme nicht wieder passieren würde. Dann plötzlich aus heiterem Himmel, ich ein Kind und ein Mädchen, das Liebes will, seine Wut, seine verheerende Zerstörung des mühsam wieder Aufgebauten. Schreib ich dies, kommen wieder Tränen, so weh tat es. Die Busenfreundin, selbst mit einem cholerischen Vater – wegen eines Witzes, den ich danach noch dreimal extra als Witz ausgezeichnet hatte, aber sie hört nicht auf mich, gerät sie so in Wut, dass einige bitterböse Mails zwischen uns hergehen, die ihren lang mit unsinigen Argumenten und Rechtfertigungen, in der Erregung gespickt mit Fehlern, senden ohne nochmal drüberzulesen, meine Antworten kurz und auf dem Punkt ihrer diesmaligen Schuld, innerlich wütend über die Unterstellung einer bösen Absicht, und dann zum ersten Mal sage, schreibe ich: Du tust mir weh!

Ich brauchte die ganze Woche oder noch mehr, um mich halbwegs von der Attacke zu erholen. Es ist mir unmöglich, ihre Annäherungen zu akzeptieren, sind wir wieder gut, ruft sie mich an, ich bin gerade beim Frühstück und möchte jetzt nicht sprechen, eine SMS zum gemeinsamen Abendbrot, ich komme nicht, schreibe ich zurück, sie auf der Mailbox, sie führe jetzt zum Dalai Lama, was soll ich antworten, der Dalai Lama ist mir egal.

Ich schlafe viel und bemühe mich zu fühlen. Wenn ich davon erzähle, wird mir schlecht, ich träume, dass ich ihr ins Gesicht schlage, immer wieder, sie grinst nur und merkt nichts, wie oft hatte ich diesen Traum mit meinem Vater, unzählige Male drischt meine Faust auf seine Nase, seine Stirn, seine Augen, seine Lippen ein, treten meine Füße in seinen Bauch. Er bleibt bewegungslos.

Ich habe ihm nie gesagt, dass er mir weh tut. Du kannst mir gar nichts, sollte ein Zeichen von Überlegenheit sein. Die es nie gab. Sein Handeln war ungerecht, unangemessen und blieb unverständlich. Ja, die Ungerechtigkeit und die Grundlosigkeit seiner Wut waren am schlimmsten, ich habe doch gar nichts getan! Sieh mich an, ich bin dein Kind, wie kannst du so wütend sein, wenn du mich angeblich liebst?

Die Busenfreundin hat sicher Ähnliches erfahren mit ihrem Vater und möglicherweise ist genau dies, was uns verbindet. Ein grundlos wütender und um sich schlagender Vater, verbal oder tätlich. Umso schlimmer, dass wir uns ebenso verhalten. Dieses Mal hat sie seine Rolle eingenommen, perfekter denn je, und genau deshalb endlich durchschaubar.

Wir werden miteinander reden (müssen), aber jetzt kann ich das nicht.