Dienstag, 13. August 2013
1984 von George Orwell ist eines der Bücher bzw. Filme, die mich am meisten deprimieren. Das Buch hatte ich erstmals in meiner Teenagerzeit gelesen und es ging mir schrecklich nah. Wahrscheinlich hatte ich es nicht mal richtig verstanden, denn ich steckte immer noch zu sehr in meinen kindlichen Bücherwelten, um zu verstehen, wie politisch der Roman ist, wie aktuell – und auf eine sonderbare Art philosophisch, wie ich nun wieder entdecken konnte, als der Film letzte Woche im TV gezeigt wurde. Er ist nicht ganz so ausführlich wie das Buch, die Liebe zwischen Winston und Julia wirkt auf mich nicht ganz so tief, die gehirnwaschenden Folterungen nicht ganz so brutal und zerstörend wie in meiner Erinnerung des Buches, die ich lange mit mir herumgetragen hatte.

Senate House der University of London, Vorlage für das "Ministry of Love"

Das verdrehte Konzept der "Liebe" dort irritierte mich zutiefst und ich hatte keine Ahnung, was Macht bedeutet und warum ein Machthaber andere Menschen täuschen und manipulieren wollen sollten. Mein reines Herz hatte nicht damit gerechnet, auf etwas zu stoßen, das seiner Reinheit so sehr entgegengesetzt ist. Erschütterung ist ein zu kleines Wort für das, was ich empfunden haben mag.

Mittlerweile habe ich die Menschen näher kennengelernt. Gern behaupte ich gegenüber der Busenfreundin, wenn sie mir etwas sehr Geheimes oder gar Schreckliches mitzuteilen hat, dasss mir nichts Menschliches fern sei, nur zu, ermutige ich sie, mir Einblicke in ihre dunkelsten Bereiche zu geben. Meistens sind sie harmlos und insgeheim belächele ich sie. Aber auch ich habe, zumindest in diesem Leben, nichts Schlimmeres erfahren als einen schlagenden, wütenden Vater und eine hilflose Mutter. Später in Kambodscha, im Genozid-Museum Tuol-Sleng in Phnom Penh, sah ich 30 Jahre alte Blutspritzer von Gefolterten an Wänden und Decken (was genau passiert war, damit Blutmengen so hoch oben landen, kann man nur erahnen), Fotos der Hingerichteten, Zeichnungen der Foltermethoden, winzige Gefangenen-Zellen und auf den Killing Fields menschliche Knochen- und Kleidungsreste, die aus dem Boden ragten, mit dem Boden verwachsen waren, über den ich eher wankte als ging und mich gruselte. Dies war echter als echt, das war das Schockierende daran.

Gegenüber all dem führe ich ein äußerst harmloses Leben. Die Auseinandersetzung mit dem Yoga aber und das tiefe Eintauchen seine Philosphie haben mich gelehrt, das Wesen des menschlichen Geistes, seine Wünsche, seine Sehnsüchte, aber auch seine Ignoranz kennenzulernen, indem ich mich selbst als Objekt in den Mittelpunkt meiner (meditativen) Betrachtungen stelle. Was da an Dunkelheit auf mich wartet, ist erschreckend genug – letztlich ist alles Böse der Welt in jeder Person enthalten, ob man's nun toll findet oder nicht.

Während der Yoga beschreibt, wie der menschliche Geist und die Persönlichkeit beschaffen sind, weist er gleichzeitig einen Weg beide zu kontrollieren. – In 1948 kontrolliert O'Brian Winstons Geist und zerstört ihn durch manipulative Lüge, die zu durchschauen Winston am Ende nicht mehr fähig ist. Julia und Winston, die ihre Liebe noch als unzerstörbar beschwört haben, beide werden sie in der Folter verraten (müssen). Grandios, wie George Orwell selbst die größten geistigen Errungenschaften des Menschseins – Liebe, Hingabe, Mitgefühl, Freiheit – durch O'Brian verdrehen und am Ende den Großen Bruder Besitz ergreifen und gewinnen lässt und das in einer von jämmerlicher Armut und Hässlichkeit durchtränkten Szenerie, in der etwas Schönes und Liebes niemals entstehen könnte.

Im Film noch eindrucksvoller als im Buch, weil hörbar und nicht abschaltbar, das ständige Beschalltwerden mit Propaganda. Welche in der Werbepause ungehemmt weiter dudelt, so kommt es mir vor, zwar nicht mit politischen, aber dafür mit kommerziellen Slogans, die genau den gleichen Zwang ausüben auf mich, die ich hier sitze und kaum aus der bösen Welt von 1984 herauszukommen vermag.

Ein angsterregender Roman durch seine überdeutlichen Parallelen, nicht nur zur heutigen Medienwelt.