Freitag, 13. Februar 2015
Allein mach ich das nie, im Bett frühstücken. Aber heute. Mit dem Bildhauer zusammen gibt's immer zuerst Kräutertee, wenn ich noch halb schlafe, dann, nach etwas reden oder lesen, Kaffee frisch gemalen und süßen Toast oder Croissants ans Bett. Wenn ich allein bin, steh ich sofort auf und spule das Morgenthema ab, duschen (oder auch nicht), oft raus zum lieben Italiener bei Peccorinobrötchen mit selbstgemachtem Pesto, oder daheim mit ayurvedischem Griesbrei in jeder Menge Ghee gekocht. Aber heute – Sonne scheint rein und löst langsam die depressiven Verspannungen der Nacht, ich weiß nicht, wo das Zeug immer herkommt, wie eine dunkle Wolke schwebt es über meinem Geist, aus Tagesresten, Unerledigtem und Sorge über Mama.

Es ist wirklich quatsch, sich Sorgen zu machen, das begreife ich mehr und mehr, und so kontraproduktiv. Wahrscheinlich haben die Sorgen rein gar nichts mit wahrem Geschehen und Gefühlen der Pflegeperson zu tun. Alles bloß Projektion. Alles meins. Wie schön es dann ist, sich tatkräftig zu kümmern, ein freundliches Telefonat über dies und das, Lebendigkeit streuen, unangestrengt und leicht. Wie im Zen.

– und jetzt aufstehen.




Donnerstag, 4. Dezember 2014
All die Leute, die dauernd rein und raus gehen, seit die Tür nicht mehr zugeht. Mama hat kein Vertrauen, wieso auch. Es ist offensichtlich besser, keine Pflegestufe zu haben, jetzt rede ich schon wie die, das müsste doch heißen, einer Stufe zugeordnet werden, oder wie auch immer. Also ist sie noch viel zu rege und schlau. Ich frage die Gutachterin, ob es nicht ein bisschen finanzielle Unterstützung gibt, schließlich machen wir dies und jenes, waschen, putzen, legen. Und dann verstehe ich erst, es geht allein um Demenz und die direkte Pflege des Körpers, putzen, waschen, legen gehört nicht dazu. Ansprache, Aufmerksamkeit, Mitgefühl oder gar Liebe gehören nicht mit zum Programm, da wird einfach bloß reingekommen, in alle Winkel geglotzt und geschlaubergert.

Dann doch lieber gar nichts. Die dauernd wechselnden Pflegepersonen messen eilig den Blutdruck, pieksen in Finger, um etwas Blut zu bekommen und zu messen, messen für Zahlen, bitte Zahlen her, und haben Sie Ihre Medikamente genommen, das ist alles. Noch bis nächsten Donnerstag, wir laden sie nicht mehr ein, bloß nicht weiter, die nerven.

Mama hat gekämpft wie eine Löwin, mittlerweile wissen alle, wie fit sie ist, und ihre Schwäche von vor drei Wochen war nur eine kurze. Ich finde sie toll. Wir haben viel gelernt über das, was wir wirklich wollen, was Menschen wirklich wollen, um würdig zu leben und irgendwann zu sterben.

Ich übe jetzt, und Dudi auch, mir keine Sorgen mehr zu machen und Vertrauen zu haben, in Mama und die Art, wie sie ihr Leben leben möchte. Vertrauen ins Schicksal. So wird das gehen. Finde ich.




Dienstag, 31. Dezember 2013
Ein vorsichtiger Blick nach vorn. Das Horoskop sagt nach mageren und sehr humorlosen Jahren endlich etwas Entspannung an. Nein, nicht das Brigitte- oder Freundin-Horoskop, sondern das ganz persönliche. Einige vielversprechende Transite und spirituelle Hoch-Zeiten. Supi. Mit der Mantra-Übung schrappe ich stets am Aufgeben vorbei, wenigstens eine Mala pro Tag, sonst reißt die Verbindung und ich kann von vorn anfangen. Ich hab ein bisschen geschummelt, hoffentlich merkt das keiner. Knapp 70.000 zur Zeit.

Vielleicht kann ich doch endlich gedanklich vom Geräuschemann lassen. Solange ich noch nach seinem Namen suche und bei Freunden Fotos entdecke und dann noch anfange, über ihn zu reden und wie bedauerlich und so weiter blabla – wird das nichts.

In Aussicht stehen ein paar Aufträge, die finanziell nicht besonders ins Gewicht fallen, aber Spaß und freudvolle Kontakte bringen. Dass es auf dem Gelände an unseren desktops weiterhin so harmonisch zugeht, wünsche ich mir, jedenfalls kann ich zur Hälfte meinen Anteil daran geben. Ein paar kleine Reisen in die Welt hinaus. Eine befriedete Mutter. Mehr Zeit mit den Patenkindern, dem Großen, dem Sohn meiner Schwester, der ein neues Arbeitskonzept will, dem Mittleren, der bald 18 ist und mit dem ich auf dessen Riesenparty aller Wahrscheinlichkeit nach endlich durchbrennen werde, und dem Kleinmädchen, dessen Liebreiz mir das Herz erweicht, sicherlich.

Und natürlich Gesundheit. Für alle. Verzeihen. Hoffnung (trotzdem).

Dass es nicht nur den Menschen, die mir nahe stehen, gut ergeht, Wohlstand und langes Leben seien auch mit dabei. Mögen alle Wesen vom Leid befreit sein. Weg mit dem Kapitalismus, her mit der Glückseligkeit! Das sind so meine wirren bescheidenen Wünsche für ab morgen.




Freitag, 15. November 2013
Da sitzt man dann da und schaut sich Satellitenbilder von zerstörten philippinischen Inseln an. Auch hier geht das Auseinandernehmen weiter.

Als ich ungefähr 16 war, schnitt sich meine damalige Schulfreundin (die hier im Blog als Die Fahrerin auftaucht) das Haar kurz. Es war die Zeit der Punker und alle hatten diese Stachelfrisuren. Natürlich war das Punkerdasein in der Provinz kein sonderlich rebellisches, sondern bezog sich hauptsächlich auf Kleidung und Haare. Die Freundin blieb weiterhin fleißig und lieb. Ich selbst hatte langes Haar, bis weit in die 80er, liebäugelte aber immer mit ihrem burschikosen Gehabe, natürlich trug sie auch Lederkluft, was mich ganz besonders reizte, und fuhr Motorrad. Wie kühn ich sie fand. Kurze Haare und Motorrad waren meine wahren Ziele, aber ich traute mich nicht.

Dieses Nichttrauen empfinde ich heute als seltam. Es war ja nichts dabei, kurze Haare zu haben, aber es war fast so, als dürfte gerade ich das nicht, eher noch, als wäre es speziell mir verboten, meine geheimen Wünsche erfüllt zu bekommen. Meine Eltern hätten wohl nichts dagegen gehabt, aber es war eine Art Eigenverbot glücklich zu sein. Was das Motorradfahren betraf, hatte ich schlicht kein Geld für Führerschein oder gar ein Krad.

Während des Studiums machte ich es endlich. Ich wohnte noch zu Hause, fuhr morgens in die FH der Landeshauptstadt und abends zurück ins Heimatnest. Haare bitte ganz kurz, wies ich die Friseurin an, wir diskutierten ein bisschen herum und irgendwann war das lange Haar ab. Der Kopf fühlte sich großartig an. Beim Drüberstreichen bürstig, die Stirn frei für neue Gedanken, so hatte ich mir das lange gewünscht. Vom Wunsch zur Ausführung waren immerhin zehn Jahre vergangen!

In den jungen Jahren fing auch das Philosophieren an, die große Suche, erst mit langen Haaren, dann weiter mit kurzen. Ich probierte alles aus, kam über die Esoterik und wieder Abwenden davon der Wahrheit näher, fiel ab und zu wieder der Esoterik anheim und kroch, durch sie benebelt, wie ein waidwundes Reh durch den Wald und sah nichts vor lauter Bäumen. Mein Wunsch war groß, mittlerweile kannte ich mich mit den Konzepten des Ziels aus, moksha, Befreiung (vom Rad der Wiedergeburt), Nirvana und das große Nichts, und die anderen Begriffe, die dieses Konzept sonst noch tragen mag, die samadhis, Einheitsgefühle, ohne Dualität, ohne ein Zweites. In meinen Zwanzigern konnte ich astral reisen, was jetzt nicht mehr geht, im Gesamten war das Feinstoffliche mir eindeutig, ein Wissen aus Erfahrung.

Auf meiner Reise gewann ich den Eindruck, dass vollständige Befreiung ein schwieriges Unterfangen sei, das kühnste überhaupt. (Was man so liest, das ganze Gefasel der spirituellen Lehrer und so.) Es bedeutet, maya zu durchschauen und in einer Welt zu leben, von der das Selbst nicht berührt wird. Ich führe das jetzt nicht genauer aus, immerhin hat die Suche mich den größten Teil meines Lebens beschäftigt, ich kann das nicht mal so eben beschreiben. Ich will nur andeuten, dass ich, was die Erleuchtung betrifft, genau wie bei den Haaren und dem Motorradfahren, sie mir anscheinend die ganzen Jahre ebenso versagt habe, so als wäre ich nicht würdig, nicht fleißig genug, nicht der Typ dazu, und wieso ich überhaupt, wo doch andere viel größere Übende sind als ich, viel länger dabei, mit viel größerem Verlangen, incl. der sadhus, die (halb-)nackt durch Indien laufen.

War ich mir denn über das genaue Ziel klar? Wie würde es sich anfühlen, vollkommen befreit zu sein? Müsste ich mich dafür entkleiden? Würde es den Tod bedeuten? Wäre ich wirklich bereit, dafür zu sterben? Das hatte ich mich damals nicht gefragt, dazu hatte ich viel zu viel Schiss. Genauso wie vor kurzen Haaren und Motorrad fahren, was würden die anderen sagen, ist die jetzt plemplem, jetzt fährt die auch noch Motorrad, tatsächlich fragte mich der Theorieprüfer, "wieso will denn eine kleine Person wie Sie überhaupt Motorrad fahren?"

Eine ähnliche Frage zu meinem großen Ziel könnte gelautet haben, wie und wozu will eine so kleine (hier: unbedeutende) Person wie ich überhaupt Befreiung erlangen? Wieso eigentlich immer das Beste, wenn das Zweite oder Dritte doch reichen würde? Also mittellanges Haar oder Pagenkopf oder so, dazu 50 Kubik. Es scheint so, als hätte ich mich mit dieser unbewusst vor sich hinröchelnden Frage selbst torpediert.

Jetzt hält mich nichts mehr. Ich weiß, wo ich hin will und ich weiß, dass ich es erreiche. Ich bin auf dem Weg, torlose Tore sind bereits durchschritten, und das Rad des Karma läuft langsam aus. So fühlt es sich hier an. Es ist schön. Es ist grandios. Es ist wie endlich über eigenes stoppelkurzes Haar streichen, nur besser.

Und was das Sterben betrifft – darüber reden wir dann wann anders.




Freitag, 7. Juni 2013


Und wie sich das Gelände in den beinahe zwölf Monaten, die wir hier sitzen und beobachten, geändert hat! Gegenüber sind schon Familien eingezogen, ich nehme an, die Wohnungen sind architektonisch supi und alle Bewohner haben passende Wellnessmöbel in weiß und braun. Pflanzen ranken schon von den Galerien, so kann ich von hier sehen, einige Kinderwagen werden über Türschwellen geholpert, weil, so richtig fertig ist das alles noch nicht. Der offene Bereich mit dem Eisengestänge wird wohl erstmal so bleiben, aus historischen Gründen. Da können dann die Kinder spielen und sich verletzen, dann muss man wieder Verbote aussprechen, die werden natürlich nicht eingehalten, wir haben ja damals auch heimlich in Rohbauten gespielt und so weiter. Also bleibt alles wie immer. Hoffentlich bekommt jede Erdgeschosswohnung Grün davor, dann wäre das Feeling von hier endlich etwas naturnaher nach all dem Gebaue, Gestampfe und Gesäge.




Mittwoch, 3. April 2013
Jetzt fangen die schon wieder an, mich zu fragen. Ich sollte doch froh sein um jede Stunde, die ich für diesen Stundensatz arbeiten kann. Ich forsche nach Neuigkeiten, welche Firma hat die andere übernommen, wieso die Chinesen, ja, die Konkurrenzagentur zahlt ihren Freien bloß 25 Euro die Stunde. Eine alte Website, mit Flash, da muss ich mich erstmal wieder einlesen, wer macht heute noch Flash. Ein paar Textänderungen, die das (noch nicht) erneuerte Produkt beschreiben, vielleicht kommen da bloß 120 Euro zusammen – das sind so meine Gedanken. Viel lieber hätte ich Stille.

Dudi und ich haben darüber geredet, wie es wäre, im Alter ins Kloster oder in den Ashram zu gehen. Aber ich bin nicht frei. Später vielleicht. Fühle mich egoistisch mit meinem Wunsch, irgendwann der Welt zu entsagen. Die hat sich einfach aus dem Staub gemacht, würde man über mich reden. Oder wie die Busenfreundin immer vorwirft, ich hätte sie im Stich gelassen.

Ich hab ein Bild gefunden, das noch auf meinem verwaisten myspace-Account rumliegt: Vogel fliegt vom Ashramgarten auf, hinten die Vorberge des Himalaya. Morgennebel. Friedlich.
Morgennebel am Ganges

Oder einfach verschwinden. Das berühmte vom Zigarettenholen nicht mehr zurückgekommen sein. Wo die wohl alle sind? Ob die mit dem Rauchen aufgehört haben?