Ich versuche weiterhin, die Ereignisse positiv zu sehen und habe seit Tagen erstaunlich gute Laune. Allerdings las, sah und hörte ich bei vertiefenden Recherchen in offstream, alternativen Nachrichten und auch Esoterik Dinge, die mich, sagen wir mal, aufrührten. Es ist nicht möglich, sich ein einigermaßen korrektes, geschweige denn wahres Bild zusammenzureimeninformieren. Jede Zahl, jede Tatsache wird durch Berechnungen, Prognosen und Meinungen so entstellt, dass es mir Herz und Verstand verdunkelt.

Ich halte mich also an Fakten. Die Sonne scheint. Der Himmel ist blau ohne eine Wolke. Die kalte Luft rötet Gesicht und Hände, der Rest des Körpers befindet sich unter warmer Kleidung. Immer mehr Grün erfüllt den Blick, auch Gelb, Weiß und Rosa. Wir sind jeden Tag draußen, der Bildhauer und ich. Hirsche äsen ungestört auf Feld und Wiese. Viele andere Wildtiere sind zu sehen, Greifvögel, Storche, Hasen, Dachse. Ich halte die Kontaktsperren für Irrsinn. Der niedersächsische Ministerpräsident ist der einzige, der zu bedenken gibt, dass sich die Leute zu Hause auf den Keks gehen werden oder Schlimmeres. Ich würde gern das Mütterlein wieder sehen und überlege, ob ich irgendeine Ausnahmesache geltend machen kann – damit sie mich nicht völlig vergisst.

Das Café hat seit dieser Woche zu und so lade ich die Leserin zum wöchentlichen Frühstück bei mir. Ich hatte sie gebeten, Klopapier mitzubringen und besitze nun vier Rollen. Ich biete Kaffee und gesunde Lebensmittel, wir besprechen die Lage und auch ihre berufliche Situation, deren aus der besonderen Historie des Buchladens erwachsene Schwierigkeiten wir schon seit Monaten, vielleicht auch Jahren versuchen zu erhellen. Ich finde, sie ist eine hervoragende Denkerin, und an unseren Gesprächen mag ich die Bedächtigkeit, die ruhigen Denkpausen und das Ins-Unreine-Reden, das wir erst später strukturieren. Was sie im Laden halte, frage ich. Allein die Bücher, das spezielle Sortiment, das sie anböten, und die Möglichkeit, jederzeit etwas zu lesen und nachzusehen. Sie könne sich ihre Wissbegier sonst gar nicht leisten. Das gefällt mir, es sind weder das Geld, noch die Kolleginnen. Es sind einfach die Bücher.

Vetter und Basen melden sich innerhalb weniger Tage. J. ist ziemlich aus dem Häuschen, was er aber nicht als Panik gedeutet haben möchte. Was uns unterscheidet, wird mir klar, ist, dass ich nichts zu verlieren habe, er aber alles in die Erhaltung des Riesenhauses unseres Großvaters inmitten der Heimatstadt verwickelt ist. Ich möchte nicht tauschen. Er erzählt, dass im Dom, anscheinend Gang und Gäbe, der Probst eine Messe für sich (den Probst) allein gehalten hat. Niemand war sonst da.

Wie ich oft mit dem Mütterlein dort im Dom die Marienstatue besuchte. Wie wir eine Kerze anzündeten, und uns betend auf der Bank niederließen. Und wie sie sich nach einer Weile zu mir drehte und leise fragte, wollen wir gehen? Sie war immer die Erste, die fragte.