Das Muttelchen begrüßt mich mich einem einzahnigen Lächeln. Wo hast du denn deine Zähne gelassen, frage ich belustigt. Und sie, die seit Monaten keinen zusammenhängenden Satz mehr von sich gegeben hat, kontert mit sehe ich hässlich aus? Keinesfalls, streichel ich ihr Gesicht und küsse sie, so schöne Haare und so helle Augen hast du! Später beobachte ich sie, wie sie sich mit einer für sie so typischen Bewegung am Hinterkopf rumnestelt, das Haar zu richten.

Es fällt mir immer schwerer sie zu besuchen, aber heute bin ich froh, mich endlich auf den Weg gemacht zu haben. Es hatte viel geregnet und ein Wegstück der Fluss-Auen Richtung Heim laufe ich mit den Gummistiefeln durch knöchelhohes Wasser. Der Stunde, die ich mit dem Mütterlein verbringe, stehen eineinhalb Stunden Spaziergang durch matschiges Bibergebiet gegenüber, und obwohl ich diesen Weg schon tausendmal gegangen bin, finde ich immer wieder Neues – eine Lichtstimmung, abgestorbenes Gehölz oder vom Biber Umgenagtes, Pflanzen im frischen Grün, dazwischen blüht schon etwas und ich lausche den besonderen Geräuschen des Hochwassers, in dem Zweige gluckernde Wirbel hervorrufen, eine der Krähen schießt mit einem rauhen Laut nah an meinem Kopf vorbei und ich rufe ihr Rüpel hinterher. Der Bildhauer will sie sich mit Leckerein gewogen machen, und da ich bei den Fütterungen oft dabei bin, erkennen sie mich vielleicht auch, mit meiner orangeroten Jacke bin ich kaum zu übersehen.

Auf dem Schreibtisch wartet der Fragebogen der Therapeutin, den auszufüllen mir einiges abverlangt. Nicht, dass ich um Worte verlegen bin, aber die Frage nach meinen größten Misserfolgen kann ich nicht beantworten. Misserfolg bedeutet doch, dass man sich ein Ziel gesetzt hat, das man nicht erreichen konnte, aus welchen Gründen auch immer, und darüber in Gram verfällt? Hatte oder habe ich Ziele, die sich nicht verwirklichen lassen? Beruflich? Privat? Mittlerweile kenne ich meine Fähigkeiten allzugut und strebe nichts an, was mich langfristig überfordert. Die (Kunst-)Objekte, an denen ich zur Zeit arbeite, und denen ich das Jahr widmen möchte, reizen mich sehr, aber überfordern mich nicht. Dennoch überraschen sie mich stets mit den Wendungen, die sich ergeben, wenn ich Materialien oder Techniken neu zusammenbringe, anordne, wieder verwerfe – nie weiß ich im Voraus, was daraus wird. Mit der neuen (alten) Nähmaschine umzugehen, bedeutet zum Beispiel, dass eine Naht nicht so wird, nicht so akkurat wie vorgesehen und dann binde ich das Missratene als charmantes Ergebnis mit ein; so macht man das wohl.





Wahrscheinlich haben Sie schon einiges zum Thema Demenz gelesen. Falls diese beiden Bücher nicht dabei waren, kann ich sie Ihnen empfehlen:

"Das Herz wird nicht dement" von Udo Baer und Gabi Schotte-Lange sowie "Die magische Welt von Alzheimer" von Huub Buijssen.

Hilfreich und gut gemacht ist auch der kostenfreie Demenz-Podcast: https://demenz-podcast.de

Ja, das habe ich tatsächlich schon.
Jetzt kümmere ich mich mal eine Weile um mich –
geht pfeifend ins off...

Verständlich. Mir fielen diese beiden Bücher und die zweite Folge des Demenz-Podcasts zum Thema Kommunikation ein, weil Sie schrieben, dass es Ihnen immer schwerer falle, Ihre Mutter im Heim zu besuchen und es neulich auch eine so tränenreiche Begegnung war.

Bewährt hat sich die - leicht zu erlernde - Methode der Integrativen Validation nach Nicole Richard, die auch Angehörigen im Umgang mit Menschen mit Demenz hilft, weil es viele Situationen erleichtert.

Eine professionelle Pflegerin oder Betreuerin mag sich bestimmt Techniken aneignen, die die Kommunikation mit einer demenzkranken Person erleichtern, wie z. B. der hochgelobten Validation. Wie aber mit der eigenen Mutter umzugehen ist, deren Leben immer kleiner und kleiner wird, ist etwas völlig anderes. In meinem Blog erlaube ich mir, meine Gefühle und Erlebnisse zu beschreiben und zwar auf eine Weise dir mir hilft – es geht hier allein um mich.

Selbstverständlich geht es hier nur um Sie. Bestreitet keiner.
Ich gehe allerdings davon aus, dass auch noch andere Ihr Blog mitsamt Kommentaren lesen. Ich stieß heute beispielsweise in einem Kommentar bei der Kaltmamsell auf einen Link, den ich sehr interessant fand, sie jedoch reagierte sehr erbost auf den freundlich-sachlichen Kommentar.

Von der Validation nach Naomi Feil - ich vermute, die meinen Sie - halte ich übrigens nicht so viel.

Ihnen alles Gute!

Ja, dort habe ich auch gelesen, möchte mich aber nicht einmischen, bin auch nicht erbost.
Leider kann ich Ihnen keine Diskussion über Techniken (jedweder Art, Namens, Zieles) bieten, ich versuche aber, Wahrhaftigkeit, Verständnis, Mitgefühl und Liebe zu folgen. Ich bin froh, wenn ich einen wachen Moment mit meiner Mutter erheische, habe aber ansonsten aufgehört, irgendetwas zu versuchen: ich kann sie in ihrer magischen Welt lassen, will ihr aber nicht mehr folgen.
Meine Leserschaft kann ich nicht überblicken, sie ist jedenfalls ziemlich klein :) Danke für Ihre Kommentare, liebe Arboretum.