Da das hier immer so in Zyklen abläuft, kann ich nie sagen, ob ich endgültig durch bin durch Sachen. Oft sind es nur kleine Schritte, die sich dann wieder ähnlich anfühlen wie andere kleine Schritte, welche das Gehen langweilig machen. Nach einem rauhen Wochenende mit meiner Schwester Dudi und intensiven Aussprachen ist es nun wieder stiller hier in meinem Refugium. Das Arbeitszimmer befindet sich jetzt im Zustand einer Werkstatt, wenn dann wieder Aufgaben am Rechner zu erledigen sind, räume ich Garne und Werkzeuge in ihre Schubladen, wische Flusen fort und stelle den Bildschirm auf den leeren Tisch.

Unsere geschwisterliche Zweckgemeinschaft, die einen regelmäßigen Besuch Dudis bei mir und hauptsächlich bei der kleinen Mutter vorsieht, geht uns beiden gehörig auf die Nerven. Unsere Gespräche wirken aufgebracht und unzufrieden, wir treffen uns ja nicht, weil wir uns so gerne treffen. Obwohl wir uns natürlich liebhaben, das kann man aber auch per Telefon, alle einzwei Wochen. Ich beschwere mich, dass sie sich komplett gehen lässt, mental, emotional, auch körperlich, so als wäre ich Herd für alle gesammelten Probleme der letzen 60 Jahre. Ja, sie wird 60 nächste Woche, und auch sie hat das Gefühl, ihr liefe die Zeit davon. Es ist eng in ihrer Nähe, und ich kann nicht klar denken, so als wäre alles vollgestopft mit Bedürfnisbefriedigung auf niedrigstem Niveau – Essen gehen oder shoppen, Gedankenkreise um den doofen Mann, aus Erschöpfung schlafen müssen, Filme schauen. Diese Geistesenge macht mich aggressiv, um das zu mildern, bin ich einfach muffelig, willst du jetzt den ganzen Tag so weitermuffeln, weht es mich mitten auf der Fußgängergrünphase roh an und ich sage, ich will nur einfach rüber. Sie geht so langsam, das macht mich fertig.

Am Ende des überaus dramatischen Auseinandersetzens erkennen wir, dass es uns beiden nicht gut tut, weiterhin in dieser Art und Weise zusammenzukommen und wir beschließen, das ganze erstmal auszusetzen. Dass sie mir bei der Sorge ums Mütterlein keine Hilfe ist, sondern dass sich meine Sorge/Wohltat komplett auf sie verschiebt, ist nun uns beiden deutlich, wir konnten ehrliche und auch traurig-trennende Worte finden. Haben aber gleichzeitig keine Ahnung wie es weitergehen kann. Dudi im Hotel um die Ecke? Ich weg im Urlaub/Kloster, während sie bei mir ist? Keine Ahnung.

Am gleichen Wochenende sahen wir im TV diesen Hannah Arendt-Film. Ich wusste fast nichts von der großen Denkerin. Frau Arendt wird gespielt von Barbara Sukowa, an ihrer Seite Axel Milberg als Ehemann mit angeklebten Augenbrauen. Wie ich diesen Film verschlinge mit allen Sinnen! Wie sich plötzlich, fast körperlich, Räume öffnen, mir wieder klare Gedanken zuströmen, wie sich endlich der Dudi'sche Nebel hebt! – Im Anschluss finde ich noch das Gespräch Arendt/Gaus, das wie frisches Quellwasser mein Innerstes ausspült (so müssen Menschen nämlich miteinander reden) und ich bin wieder ich. Wie ich das unpersönliche Denken liebe und das reine Betrachten aus der Ferne. Hier bin ich zuhause. Ich hatte es bloß vergessen.





Der Text von vor einem Jahr ist erschreckend inhaltsgleich:
https://charlesbee.blogger.de/stories/2706969/
Auch hier waren rastloses Gequake und fehlende Abgrenzung Thema.