Neuerdings finde ich die Nachbarn sehr laut. Das Vorschulkind im Hof Richtung nordwest, aus dessen Mund, sobald es ihn öffnet, Laute herausströmen, also eigentlich immer; im Fünf-Minuten-Takt weint und schreit es auf mit dieser Kopfstimme, zankt sich mit Schwester und Eltern, und jedesmal bleibt mir das Herz stehen, und ich möchte aufspringen, hinlaufen und befehlen, das Kind doch mal nachhaltig zu beruhigen und nicht stundenlang auf Hochtouren laufen zu lassen. Aber wie ich’s auch drehe, ich wäre die intolerante Nachbarin, die Kindern keinen Spaß gönnt, wo sollen sie denn sonst spielen, wenn nicht im beschützten Hinterhof der architekturverwöhnten Mittelschicht, ihr Gartenteil hat sicher einen Preis gewonnen, ich solle doch bitte aufs Land ziehen, wenn’s mir zu laut ist in der Stadt, und wieso ich mich überhaupt einmischte in ihre Erziehung. Ach, ich hätte gar keine Kinder?

Des Nachts gegen zwei werde ich von weiblichem Aufgekreische und Gerumpel aus südwest geweckt, lass mich in Ruhe, kann ich nur raushören aus den schrillen Tönen, die den Hof füllen, es steigt und fällt das Gezanke, wie ich es nur zu gut kenne von damals, wieder rumpelt es, es werden Türen geschlagen, man hört große Verzeiflung heraus, die andere, leisere, ebenfalls weibliche Stimme versucht zu reden, zu beschwichtigen, das nährt nur weiter das Schreckliche der Situation, in einem anderen Haus erwacht weinend ein Kind, die Nachbarin unter mir im ersten Stock schließt ihr Fenster und rollt die Läden herunter, und so geht es eine halbe Stunde, bis alles wieder, genauso abrupt wie es begonnen hat, still ist.

Hätte ich mir gewünscht, dass die Nachbarn, alarmiert vom allmonatlichen Streiten meiner Eltern, die Polizei rufen? Hätte ich gewollt, dass ein Amt uns Schwestern herausnimmt? Wie ich als Kind zwischen meinen Eltern stand und aufhören, hört doch auf schrie, auch sie beide in ihren Grundfesten verzweifelt, zerrüttet, verhasst, und ich wusste nicht warum. Ich weiß es auch heute nicht. Ich kann nur annehmen, was aus ihren enggewordenen Herzen als Schrei entweicht, und wenn ich heute die kleine Mutter sehe, wie lieb sie ist, wie lieb die Pflegerinnen sie behandeln, Küsschen hier und ein zärtliches Streicheln da – sie ist jetzt eine vollständig andere Person und nichts erinnert mehr an die ausgestandenen Dramen, an ihr hexengleiches Gezeter und die Schläge ihres Mannes, die Dudi und mich trafen und alles blieb geheim, man durfte nicht drüber reden, das Nest nicht beschmutzen, was war das für ein Nest, das schon beschmutzt war, ehe es gebaut ward, ich weiß es ehrlich nicht –