Von Nord kommt der Sturm und lässt Fenster und Kamin brummen. Jetzt soll eine Zeit des Rückzugs sein. Nächste Woche begebe ich mich wieder nach Bursfelde. Im letzten Jahr war ich dreimal dort einquartiert, einmal mit G., einmal mit dem Bildhauer und ein weiteres Mal mit beiden. Mit G., die in einer Sufi-Tradition meditiert, führe ich die kleine Meditationsgruppe weiter, die ich mit der Buddhistin begonnen hatte. Mit dieser habe ich fast das ganze Jahr keinen Kontakt mehr gehabt. Ich kann nur ahnen, was sie bewogen hat, unsere Kameradschaft zu beenden, und ich merke, dass mich unsere Stille erleichtert. In der Rückschau erkenne ich, wie sehr wir aneinander vorbeigeredet haben in dem Sinne, dass meine spirituelle Absicht mit ihren psychosozialen Selbstoptimierungsbemühungen unvereinbar waren. Diese Gespräche waren sehr anstrengend und haben mich oft schlaflos zurückgelassen, weil ich keine Lösung finden konnte. Weil es keine Lösung gab.


Das Kloster Bursfelde liegt einsam an der Weser auf der Höhe von Göttingen. Die romanische Kirche feierte im letzten Jahr ihr 925-jähriges Bestehen, und da weder Krieg noch geografisches Geschiebe des Urstromtales dem Gebäude etwas anhaben konnten, ist es, bis auf hölzernes Dachgestühl und Glasfenster, wohl im Originalzustand. Alte Fresken wurden freigelegt, es gibt eine Ost- und eine Westseite unterschiedlicher Bauphasen, einen Innenhof und anliegendes Gelände mit Pilgerherberge, Fischteich, Obstbäumen, Blumenbeeten und Schafsweiden. Der Pastor wohnt mit seiner Familie in einem Nebengebäude, auf das man schaut, wenn man sich unterm Dach völlig selbstbestimmt einmietet in der sogenannten Oase, mit schönen Zimmern nebst Dachbalken und hübschen Holzmöbeln, dazu eine vollausgestattete Küche für Selbstversorger, in der der Bildhauer uns schon manchen Apfelkuchen gebacken hat.

Hinter der Wiese fließt die Weser, gleichmäßig und unerschöpflich. Beim letzten Abendgang an ihr Ufer hegte ich oft einen Gedanken, ob der Fluss weiterfließt oder, ökologisch wassersparend, über Nacht abgedreht würde, so als wäre fließendes Wasser ohne Nutzung oder Betrachter reine Verschwendung. Tatsächlich bewegt mich auf eine unergründliche Weise die Idee, dass ein Fluss überhaupt fließt, als ein eigenes Wesen, das sich dort durchs Bergland windet.

Im Seitenschiff des östlichen Gebäudeteils markiert ein großer handgewebter Wollteppich einen Meditationsbereich. Dort habe ich Stunden gesessen, mich selbst belauscht oder die Atmosphäre und den ganz eigenen Klang der Kirche – es ist eine Art Raum-Rauschen, das das Körpergefühl erweitert und ehrfürchtig macht. Das Glockenläuten hingegen erzeugt neben seinen Klangwellen ein hölzernes Rumpeln mit einer Ahnung des Gewichts, das auf den Glockenstuhl einwirken muss. Wenn dann alles ganz Stille war, kein pilgernder Besucher sich lauthals über die Historie des Ortes ergehen muss, dann habe ich ab und zu ein hauchwinziges Beben im Boden spüren können. Ein Moment größter Intimität mit dem Ort und der Stelle, an der mein Körper ihn berührt. Ich saß dort mehrmals am Tag lange mit großer Mühelosigkeit und leichtem Herzen.