Die Bienen sind geschlüpft und tummeln sich vor dem Fenster. Niedlich! Auch ist es wieder Zeit für ein wenig Heuschnupfen, es ist gar nicht der Hasel, sondern wohl die Erle. Mama kann noch den Erlkönig auswendig und sagt ihn mit reger Betonung auf. Da spürt man Angst und Eile, siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Wie der Vater dann mit ihrer Stimme beschwichtigt – wir finden diese Verse schön. Und vorher hatte ich noch gefragt, ob sie sich erinnern könne, dass sie seit dem Tod meines Vaters ein paar Jahre allein gelebt hat. Nein, weiß ich nicht mehr. Sie sagt diesen Satz oft, ganz ohne Bedauern und in vollem Vertrauen, dass sie sich für ihre Vergesslichkeit vor mir nicht schämen muss.

Anselm Grün beleuchtet in seinem Buch „Gut mit sich selbst umgehen“ Formen und Gründe von Grausamkeit gegen sich selbst. Diese mag z. B. als Abwertung des eigenen Bemühens, als strenge Askese oder auch als Hörigkeit auftauchen. In vielen finde ich mich wieder und oft genug höre ich nicht auf mein eigenes Gefühl, sondern versuche Erwartungen anderer zu erfüllen, der Eltern oder der Lehrer, welche möglicherweise in Besitz der absoluten Wahrheit sind. Hoffe ich zumindest. Wenn ich nur der absoluten Wahrheit folgte, würde ich nämlich Freiheit, moksha, erreichen.

Das stresst mich grad. Am besten alles aufgeben. Dauernd rechtfertige ich mich. Ich tue so, als besäße ich unendliche Kräfte. Als könnte ich Mama vor unangenehmen Gefühlen retten, oder dafür sorgen, dass die nachtodlichen bardos sie nicht allzu grausam anfallen –

Und so weiter. In den letzten Monaten ist mir so vieles klar geworden. Wenn das Verstehen intellektuell geschieht, bleibt nicht so viel in Erinnerung, als würde ich es fühlend begreifen. Ich habe das Gefühl nun als eine Art Sinnesorgan erlebt, als ganzkörperliche Erfahrung der Wahrheit. Dauert oft länger als sehen oder hören und geht mit weiteren Erscheinungen einher, wie z. B. Grübeln, das sich allerdings als Markstein von Unwahrheit herausstellt. Denn was genau hatte ich bisher durch Grübeln klären können?

Oder so. Die Aussage dieses Textes ist mir jetzt entwischt. So wie manchmal, wenn die Gedanken sehr nervig um ein Thema kreisen, ich mir befehle, denke jetzt daran! Wenn ich dann versuche, richtig und effektiv darüber nachzudenken, hört das Denken sofort auf. Denk jetzt an Mama, geht dann nicht mehr. Ich mache dann statt dessen was anderes.