Langsam wieder aus dem Dunklen auftauchen und wenn ich mich ruhig verhalte, lässt auch das Herzstolpern nach. Jeder sattvische Gedanke löste Schuldgefühle aus – warum zufrieden sein (wollen), wenn es anderen Menschen schlecht geht. Nach einer Erlaubnis zum Glücklichsein fragen, wie absurd. Die Beschäftigung mit den Kriegskindern und den Kriegsenkeln hat mich mehr belastet als ich dachte. In Träumen der letzten Nächte habe ich weinen müssen. Jetzt aufhören, die Welt retten zu wollen. Lange Gespräche mit meiner Schwester Dudi über Vergangenes. Sie redet von moralischer Verpflichtung, während ich in größeren Zeiträumen denke, und trotzdem zeitweilig die Beobachterposition verliere. Das symbiotische Verlangen dieser Familie (dieses Lebens) ist sehr stark, Wahres und Falsches vermischen sich in äußerst irritierender Weise mit undurchschaubaren Spielchen, die wir nur langsam entwirren. Der Herzmuskel nimmt jede Feinheit war, auf jeden meiner Atemzüge und Gedanken reagiert er, jede Ungerechtigkeit registriert er mit einem brennenden Gefühl.





Die Kriegskinder und Kriegsenkel haben mich auch sehr beschäftigt. Und die Erlaubnis zum Glücklichsein, die tut es bis heute. Ich lese Ihren kurzen Text hier und denke immer nur: "Ja. Ja. Ja."

Gerade denke ich, es wäre so einfach, in eine eigene Krankheit zu fallen, um der allseits geforderten Verantwortung zu entgehen, so seht, ich bin selbst krank und habe keine Kraft, euch zu helfen.

Übrigens schön, dass Sie mitlesen, werte sturmfrau.

Immer wieder, und gerne.

Das mit der eigenen Krankheit kenne ich. Ich habe als Kind davon geträumt. Einfach still im Bett liegen und sich um nichts kümmern müssen, während andere für einen da sind. Der Wunsch kommt nicht von ungefähr.

Ich hoffe, dass irgendwann einmal ein "ich will nicht" denselben Stellenwert hat wie "ich kann nicht". Aber vermutlich entfällt die Notwendigkeit der Anerkennung, wenn man selbst so weit ist, sagen zu können, dass man nicht will.

Ja, dass ein ich will nicht so schwer fällt! Die Reaktionen auf enttäuschte Erwartungen finde ich schwer zu ertragen.

Ich auch. Ich finde es überdies erschreckend, mit welcher Sensibilität wir darauf ausgerichtet sind, Erwartungen anderer zu erahnen und sie zu erfüllen.

So als wären deren Erwartungen und wir als ihre Erfüller untrennbar bzw. per se eins. Hier schon mal beschrieben:
http://keinekrabbe.twoday.net/stories/mitgefuehl/

Bewegend! Auch da finde ich mich in vielem wieder. Es ist, als ob diese Marionettenfäden ganz dicht in unser Leben hineingewebt sind und ein Teil des Seins ausmachen. Vermutlich ist es auch so, nur die Frage ist, wie man mit dieser Erkenntnis umgeht.

Ich traf Ende August nach langer Zeit mal meinen Vater wieder, zufällig auf dem Flohmarkt. Die vorhergehende Distanzierung geschah bewusst. Aber da stand er vor mir und redete allerhand Banales, um am Ende hinzuzufügen, er habe demnächst eine Operation. Es sei ihm wichtig, dass ich das wisse. Und da stehe ich dann, mit hängenden Händen und all der Last unserer Geschichte und denke mir: "Was erwartet er jetzt von mir? Angesichts seines bevorstehenden Leids, der Möglichkeit, dass das schiefgeht... Mitgefühl?"

Ja, das habe ich gerade bei Ihnen gelesen. Das Bild mit den Marionettenfäden finde ich sehr passend, ich hatte es noch als Reflex beschrieben und gerade denke ich, es ist eine Art katholische Gehirnwäsche. Nächstenliebe, Mitgefühl – damit kann einiges anstellen, wer sich in einer Machtposition befindet. Was erwartet so ein Mann? Das frage ich meine Mutter auch oft, sie antwortet dann, sie wolle es nur erzählt haben. Loswerden. Sicherlich glaubt man im Erzählen Linderung zu finden, wir schreiben sicherlich auch deshalb in Blogs. Die Adressaten sind erstmal egal (und unbekannt), Hauptsache raushauen.

Und aber: Da ist es ja wieder, Sie fragen sich, was erwartet er von mir. Das hört nicht auf.

Genau. Reflex wieder.

Das ist ein sehr sehr schönes Lied. Kurz vor meinem persönlichen Weltkrieg erinnere ich die Tochter, damals 5 Jahre alt, wie sie zusammen mit der Mutter und einer Tante der Mutter das Lied sang in einer Alles-wird-gut -Bauernhausküche im Vorharz auf dem abendlichen Uraltsofa im November, mindestens acht Strophen auswendig. Das Lied ist ohne Zeit.

Persönlicher Weltkrieg.
So ist das.