Samstag, 19. November 2016
"Ich weiß manchmal nicht mehr, wie viele Kinder ich eigentlich habe", sagt sie. Bei sowas zerspringt mir fast jedesmal das Herz. Na, sage ich, zwei Töchter – Dudi und mich. Noch immer lege ich jedes ihrer Worte auf die Goldwaage, und für mich ist sie beides, meine Mama und gleichzeitig eine völlig unbekannte Frau, die wirr vor sich hinredet. Ich suche nach Wahrem, zwischendrin, das hört nicht auf. Bist du traurig, wenn ich sterbe, fragt sie und schaut ein bisschen an mir vorbei, obwohl ich ihr beinah in der Nase sitze, um sie ganz nah zu haben.

Swami sagt, es gäbe keine dementen Yogis, als ich ihm meine Befürchtungen mitteile, die Krankheit erben zu können. Manchmal fallen mir Wörter nicht ein. Mir auch nicht, lacht er. Als visueller Mensch habe ich aber neben dem Abbild des Objektes das Schriftbild eines Wortes vor Augen, so lese ich es zur Not einfach ab. Trick 17.

In der letzten Zeit haben die Buddhistin und ich oft anstrengende Diskussionen, die sich wie kurz vor Streit anfühlen. Diese Entwicklung gefällt mir nicht. Wir versuchen einander noble Freunde zu sein, mit jederzeit abrufbaren philosophischen Empfehlungen für alle Notfälle, deren es genug gibt: meine kleine Mutter, ihre 20 Jahre jüngere Geliebte etc., da ich aber dem Vedantischen fröhne und sie dem Buddhistischen anhängt, gibt es weltanschauliche gaps. Mir ist aufgefallen, dass mich der Buddhismus mit Leben ist Leiden auf Dauer echt runterzieht. Jaja, ich weiß doch, Vergänglichkeit ist unschön, und jeder Wunsch zieht weitere Wünsche nach sich, und am Ende springt man irgendwo runter, damit das Ganze aufhören möge. Oder man beginnt zu meditieren und dann weiß man noch genauer, wie unschön eigentlich. Vedanta und Co. hingegen scheinen mir aus dem Schönen zu sprechen, vom Schönen, man ist sozusagen schon in Sicherheit und kann halbwegs gelassen auf das Leid schauen. Das genau scheint mir der Punkt in unseren verzweifelten Disputen zu sein, die Buddhistin erlaubt sich das Gelassensein (noch) nicht, während ich es schon bin. Jedenfalls des öfteren. Was ich mir aber nicht traue zu sagen, um ihr Leid nicht zu schmälern, oder ihr Ego – welches das Leid erst macht. Und so weiter. Das ist alles intellektuelle Kacke, während wir so reden, werden da Ebenen vermischt, die nicht zusammen gehen, und das erkennen wir im Gefecht nicht, erst hinterher liege ich die halbe Nacht wach und versuche, das Knäuel zu lösen; bin viel zu nah dran. Ich habe mir vorgenommen, mich nicht mehr drauf einzulassen, ich werde ihr weiterhin zuhören, die noble Freundin bleiben, aber meinen Kram behalte ich für mich. Es wäre am schönsten, wenn ich einfach gar keine Meinung mehr haben müsste. So direkt zur Synthese leiten, und dann nach mir die Sinntflut.