Dienstag, 7. Mai 2013

Quittenblüte





Buschwindröschen Wiesenschaumkraut (sagt die Montez [aus einem inneren Zwang heraus], hat Mama vielleicht auch gesagt) in Mamas Garten.





Sowas ähnliches wie Flugmangos.




Donnerstag, 11. April 2013
Wie sehr ich das Meer doch mag. Hier kann ich ungestört einem meiner Lieblingsgedanken hinterherhängen. Warum das Meer eine ebene Oberfläche hat, warum es keine bestimmte Form hat und warum es durchsichtig ist. Es füllt jede Ritze und Spalte und obendrüber leuchtet es und man sieht nichts vom schroffen Geschehen darunter. Die Idee, Unebenes per Auffüllung zu glätten, finde ich seltsam berauschend.

Und auch andere Süchte plagen mich. Auf dem Netbook habe ich einige Spiele gefunden, die Leserin hatte angekündigt, mir auf der Fahrt nach Marbach Streitpatience beizubringen. Das Netbook bietet ein Solitärspiel, das ich dank eines Glühbirnenbuttons, der Empfehlungen für den nächsten Zug anzeigt, recht schnell verstehe. Und spiele. Ich weiß nicht, wie oft ich es seit Sonntagnachmittag gespielt habe. Jedenfalls Stunden. Es kommt meinem Sinn für sammeln und ordnen entgegen, auch so eine Art von Ausgleichen und einebnen bis alles stimmt.

Heute gab es auf dem Gelände einen Umtrunk an Stehtischen. Ich beobachtete mich selbst dabei, wie ich meine Bierflasche wie im Zwang mittig auf die gedachte Schnittlinie zweier übereinanderlappender Servietten stellen musste. Ich hatte mal einen Kollegen, mit dem ich oft das Gestaltungsspiel wie würdest du das Feuerzeug auf die Zigarettenschachtel legen spielte. Linksbündig, mit Einzug, quer, oberkantig – der Möglichkeiten gab es unzählige und damit haben wir uns (neben Sex, aber das ist eine andere Geschichte. Verwunderungswürdig, wie selten ich noch das Thema beschreibe und wie oft ich vergessen habend es ignoriere.) oft die Zeit vertrieben.

Zwei befreundete Schatten

Die Bestefreundin, mit der ich am Meer weilte, ist ebenfalls Gestalterin. Während des Studiums wohnten wir zusammen, gleich in der Nähe der FH mit Blick auf die Große Fontäne. Mit der Freundin verbinden mich viele Gemeinsamkeiten und wir haben bis heute diese bedingungslose Harmonie, vielleicht nenne ich das Gefühl einfach mal Liebe. Sie lebt eine Art alternative Variante zu meinem Leben, einiges von ihrem Leben hatte ich mir vielleicht gewünscht, mich dann aber anders entschieden. Sie hat zwei Kinder mit einem chinesischen Mann, die irgendwie auch meine Kinder sind – Ideenkinder, Kinderideen. Wie auf nebeneinander laufenden Schienen, die ab und zu durch verschiedene Orte und Gegenden führen, aber immer wieder zusammenkommen, gibt es Begebenheiten, die sich ähneln oder aber wie zwei Seiten einer Münze wirken, die Eine füllt die Erlebnislücken der Anderen und entzerrt allzu große Ausschläge. Unser beider Erleben wirkt als Ganzes vollständiger und tiefer und beantwortet Fragen, die die Einzelne vielleicht nicht beantworten könnte.

Unsere meist sehr ausführlichen Gespräche glätten und machen verstehen, wie die Welt beschaffen ist. Wir verstehen uns auch ohne Worte und wissen alles voneinander. Ich bin so froh darüber.




Dienstag, 2. April 2013
Mit dem Skateboard konnte ich durch die Zeit reisen. Überall Schlupf- und Wurmlöcher, hier was geflickt, dort was gepflanzt, vor und zurück und tatsächlich kam am Ende alles hin, nicht wie in diesen unlogischen Sci-fi-Filmen, wo die Timelines durcheinander geraten und die familienangehörenden Kinogänger sich noch Stunden die Köpfe zerbrechen und dann aufgeben.

Meine Familienangehörigen haben es auch nicht leicht. Wir sind nur noch drei (Frauen) und hatten die Diskussionsrunde vom Wohnzimmer ins nahe böhmische Restaurant verlegt, wo es fast ausschließlich Fleischgerichte gibt, Ente und Prager Schinken und so. Ich versuche, mich mal nicht so anzustellen und nehme wie immer Lachs auf Kartoffelpuffer mit zusätzlich Kartoffelpuffer und einen Roten, ich habe das Gefühl, ich müsste mich besaufen. Wie immer wühlen wir im Vergangenen, schwierige Themen, eigentlich kann ich das alles schon lange nicht mehr hören, aber es besteht noch Bedarf seitens der Damen. Meine Schwester redet sich wund.

Anteil nehmen. Wie lange geht das noch oder schon, oder was. Ich kenne ihre Geschichten in- und auswendig, natürlich, ich habe ja mein halbes Leben mit ihnen zusammengelebt und auch jetzt erzählen wir uns immer noch (fast) alles. Als ich noch nicht richtig sprechen konnte, habe ich sie Dudi genannt, meine große Schwester, die sich anfühlt, als wäre sie meine kleine Schwester. Heute aber tat Mama so, als wäre sie meine kleine Schwester, das hab ich nun von meinen sermons, die ihnen Heil versprechen durch bloße Gedankenkontrolle, es hört ja sowieso keine zu und Dudi behauptet fest, das kann ich nicht.

Mama war eifersüchtig gewesen, dass ich mich mit C., meiner alten Schulfreundin, getroffen hatte, bevor ich zur Familie stieß, das sagte sie aber nicht. Es war sehr rührend, sie auf ihrem wunderbar rot bezogenem alten Sessel zu beobachten, von dem sie emsig die Flusen absammelte, und Dudi, die auf dem Sofa lag und drängte, endlich das Geheimnis zu lüften, weil Mama am Samstag plötzlich großartig anfing sich zu weigern, sich in der Stadt zum Mittag zu treffen.

Ich weilte kurz bei C., bei der es herrlich spießig war. Seit 30 Jahren mit dem gleichen Mann zusammen, Segelflugzeuge modellbauen im Keller, und ich: keine Sorge, ich hatte viele Männer und viel Herzeleid dazu, das war auch nicht einfacher. Wir betrachten alte Fotos, meingott, wie jung wir waren und saßen so halb im Garten mit Mantel und Degen… äh, Decken und tranken Cappuccho von ihrer neuen Kaffeemaschine.

Derweil Mama daheim durchdrehte. Also, sie nun auf ihrem herrlichen roten Sessel und so langsam enthüllt sich ihre kindliche Bezogenheit auf mich, und ich komme mir vor wie Vatti... na, sagen wir, ihr Freund, der sie nicht gebührend beachtet hatte und fremde Frauen besucht, während sie auf ihn oder mich oder wen wartet. Ein Durcheinander ist das, wer soll sich in diesen wirren Rollen überhaupt zurechtfinden? Und angeblich ist ja Dudi mal meine Mutter gewesen in einem anderen Leben und ihr Sohn mein Kind. Klein versinkt Mama im Rot des Sessels, das Fusselknäuel in ihrer Hand ist mittlerweile beachtlich, zusätzlich scheint noch die Nachmittagssonne auf das Gestaube und dann muss ich doch rüber und ihr einen Kuss geben, nicht wie ihr Macker, aber doch wie ihre große Schwester, meine Tante Ch., von der ich den dritten Namen habe undsoweiter. Ich finde sie ein bisschen niedlich in ihrer Eifersucht, über die zu sprechen ihr so schwer fällt.

Dudi ist sowie die ganze Zeit muffig, sie kommt extra immer aus dem fernen Nachbarland gereist, eher aus Pflicht als aus Liebe und möchte natürlich auch ihren Senf loswerden. Meinegüte, das dauert lange, bis ich schnalle, dass ihr Geld nicht jetzt, sondern erst in einem Jahr alle ist und wenn sie bis dahin keine Arbeit… und könnten wir und hätten wir nicht usw. Worüber reden wir hier eigentlich, brause ich auf. Vielleicht sind wir in einem Jahr tot oder sowas ähnliches oder ich bin tot und setz' mich dann auch nicht hin und frage sie, was ich machen soll.

Es ist anstrengend.

Ich klappe das Netbook auf, das ich eigentlich zum Schreiben mitgenommen habe, aber dazu komme ich natürlich nicht, hol die Tabellenkalkulation raus und rechne vor, ob Mama sich das überhaupt leisten kann. Der Gärtner! Ein ordentliches Quentchen Geldes fließt regelmäßig in die Beschickung des Gartens. Rasenmähen, Hecken- und Baumschnitt, Mulchstreu (und mein Johanniskraut hat er auch ausgerupft, empöre ich mich). Die Töchter. Das Heizöl. Die bescheuerten Steuernachzahlungen 2005-2008. Trotzdem, sie kann ihr Leben bezahlen. Dudi scheint das nicht ohne Neid hinzunehmen. Mama von ihrem roten Lehnsessel aus behauptet, die ganze Diskussion hätte einen Stachel in ihrem Herzen hinterlassen. Dudi dreht durch, was denn jetzt für'n Stachel? Und ich muss wieder zum Sermon ansetzen, dass das Leben ja nun mal voller Stacheln wäre, und sie solle sich nicht so anstellen, schließlich wären wir ja auf ihrer Seite.

Nach drei Tagen Dauerreden und jede Menge Ostereier gönne ich mir die Heimfahrt in meine kleine heile Welt, mit dem Skateboard direkt in die Gegenwart, die ich mit reiner Gedankenkraft frei von Problemen halte, durch das schöne Licht des Sonnenuntergangs, und mein Gesicht fühlt sich an wie Sonnenbrand wegen des Stündchens Gartenarbeit. Wenn nur ich allein auf der Welt wäre…