Samstag, 13. August 2022


Sie hat auch mich gepackt, die midjourney-KI. Praktisch auf Zuruf malt sie uns Bilder, die aus dem Unbewussten zu kommen scheinen, zumindest aus dem online-Gedächtnis der user, die das Internet bevölkern. Der Zuruf besteht aus Zeilen von Text, die das zu sehen Gewünschte beschreiben. So lautete eine meiner Zeilen wie folgt: the mind of my mother who suffers from dementia, she sits in her favourite garden and dreams.


Da ist keine Angabe von Farben, Stilen oder besonderen Einzelheiten der Blumenwahl. Die KI schafft es, mich zu überraschen und anzurühren. Wie das Gesicht schwarz verschleiert wird und seine Unschärfe findet, wie die Farbe der Blumen darauf abgestimmt ist, hat eine dringende Schönheit.

Während man auf dem Server weilt, kann man die Aktivitäten und Ergebnisse der anderen beobachten. Es gibt auch einige Blogger, die sich mit den Bildern beschäftigen. Allgemein kann man dort eine Ratlosigkeit bemerken, während sich die user bei midjourney ungehemmt ausbreiten, Gottvolles, Albernes oder Politisches verlangen, sich größenwahnsinnig architektonische Ideen generieren lassen oder ein hübsches Manga-Mädchen. Auch Zeichnungen von Ufos nach Leonardo da Vinci sind beliebt, oder in einem bestimmten Stil Gemaltes, Gezeichnetes oder Fotografiertes.

Im ersten Schritt werden vier kleine Bilder gezeichnet, von denen man sich im nächsten Schritt ein höher aufgelöstes oder eine Variation rechnen lässt. Man kann sich probeweise einloggen und hat 25 Bilder frei. Die sind im Nu verbraten, und ich habe mich auf ein bezahltes Abo eingelassen, das mir ca. 200 Bilder erlaubt. Seit Donnerstag habe ich 150 сделал, also gemacht, auch eines dabei, das meinen im Krieg in Russland verschollenen 19-jährigen Onkel zeigen soll. Er ist bei einer Flussdurchquerung ertrunken. Wo die KI die Idee hernimmt, ein gelbes Bündel Blüten auf seiner Mütze zu drapieren, weiß ich nicht. Sie hat Geheimnisse, das ist deutlich und greift Archetypen auf, die wir durch sie erforschen können. Ein echtes Abenteuer.




Samstag, 5. März 2022
Und trotz alldem entwerfen der Bildhauer und ich (für) die Zukunft. Nach vorn. Ich habe keine Angst. Weder vorm Sterben, noch vorm Misslingen des Plans. Wir sind von Unendlichkeit umgeben, wir sind unsrer Zeh'n nämlich, ein kleines Spiel mit den Zehen, dazu die Stimmlage zwei Oktaven höher. Und die eins, die im Russischen übrigens оди́н ist, Odin, bin ich die einzige, die sich darüber wundert? Odin ist das Eine; ohne ein Zweites.

Wir saßen zu sechst beim Geburtstagsfrühstück des Lehrers, der Bildhauer, die Busenfreundin, der Ex-Kumpel, die (vom Krebs) Genesene, sie zeigt uns ihr haarleeres Haupt, und es ist berührend, wie ihr alle zusprechen, sich nun ohne Haarteil in die Öffentlichkeit zu trauen. Über andere Dinge lachen wir viel, aus Spaß benutzen/zensieren wir Wörter wie Sputnik oder Erdgasverknappung, der Ex-Kumpel referiert wie vor 30 Jahren schon über die richtige Atmung, die ja kaum möglich ist hinter der Maske, haha, es gibt Champagner, der nach fast nichts schmeckt, eine launige Endzeitstimmung, mein Bildhauer krebsrot vor Gekichere und dadurch ausgelöste Schnappatmung, er ist immer noch der beste alle Männer, seit siebeneinhalb Jahren sind wir beieinander.

Seit einigen Wochen bin ich unabwechselnd bei ihm zu Gast, sitze, während er das Mahl zubereitet, auf dem kleinen Schemel in der Küche an der Heizung, stricke, häkele oder knüpfe, dazu bekomme ich Anis-Schnäpse gereicht, die Unterhaltung ist äußerst rege und verrührt auf abenteuerliche Weise Schurbel- mit Realpolitik, Kunst mit Spirituellem, da gibt es kaum Grenzen.

Es gibt aber eine Grenze des Denkens mit mir allein. Ich hatte sie bereits überschritten, oder mich ihr soweit angenähert, dass es weh tat. Ich kann vieles davon begreifen, ich begreife die Gemeinschaft, die dahinter steht, die dem eine Art schrecklicher Geborgenheit verspricht, der ihr angehört, ob freiwillig oder gezwungenermaßen. Anscheinend erinnere ich mich, wohl aber aus einem anderen Leben her. Michael Jacksons We Are The World wurde anlässlich der Haiti-Katastrophe vor Jahren neu aufgenommen, und es sind alle diese Leute dabei. Ihre Beweggründe mitzumachen, sind seltsam unemotional, die meisten benutzen eine Wendung mit to have to.

Michael wie ein Engel, fast enthebt er sich der Schwerkraft, es ist eine Freude, ihm zuzusehen.




Mittwoch, 26. Januar 2022
Jetzt sind die Kopfschmerzen endlich verflogen und ich habe mir Musik angemacht. Seit Freitag beschäftige ich mich mit Kryptowährung, habe einen Browser installiert, der mich fürs Surfen und Werbeanzeigen ansehen mit BAT (basic attention token) bezahlt und dabei umgerechnet 0,41 US$ verdient. Seit Freitag. Ich möchte gar nicht wissen, was das für ein Stundenlohn ist. Kryptowährungen, z. B. bitcoin stehen zur Zeit recht niedrig, und ich bin im Begriff, 1 Ether (ETH) zu kaufen, das sind heute so ungefähr 2250 EUR. Dazu muss man eine wallet installieren -- die ist in diesem neuen Browser mit drin -- und kann dann irgendwie loslegen mit der Kreditkarte. Ging gestern nicht. Später nochmal versuchen.

Ethereum ist eine Kryptowelt, die mir gefällt. Sie fußt auf drei Bereichen: DeFi, NFTs und DAOs. Mich interessieren die NFTs, das sind Non-Fungible-Token, nichtaustauschbare Gutscheine/Wertmarken/Spielsteine. Mittlerweile gibt es digitale Kunst und Musik, die als NFTs gehandelt und mit ETH bezahlt werden. Bilder und Musikstücke können kostenlos angesehen und -gehört werden, aber durch den Kauf ist man Besitzer dieses Stücks Kunst. Das macht bei rein digitalen Daten eigentlich keinen Sinn, aber es reizt meine kleine Zockerseele, ein JPG nicht nur anzusehen oder ein screenshot in meinen Bilderordner zu packen, sondern ein NFT zu besitzen. Der Grund, so etwas zu kaufen wird hauptsächlich mit damit bei Freunden angeben begründet. Genau mein Humor. Man klickt sich so durch Webseiten mit Galerien und Albensammlungen, sieht und hört und trifft eine Auswahl. Oder auch nicht.

Viele Musikstücke oder Bilder (Fotografien oder Collagen beispielsweise) haben mehrere layers mit Varianten, die sich im Tagesverlauf verändern, nachts dunkel, tagsüber hell, oder Musikstücke, die an einem anderen Tag anders klingen. Wie dieses, das ich jetzt gerade höre. (Es ist ein indisch gefärbtes Musikstück; ich mochte die gestrige klassische Version lieber als diese Ambient-Sache.)

Die unsinnige Schönheit von Ethereum weckt einen Strom an Ideen, denen ich gar nicht so schnell folgen kann -- Kunstprojekte, die einzig entstehen, weil das Konzept sie möglich macht; dazu Schaffensfreude ohne Erwartungsdruck. Eintauchen in einen mind ähnlich Verrückter, die 3 ETH für ein GIF mit ein paar MB bezahlen, oder wie auch immer die Formate heißen. Ich sehe mich 2022 als Krypto-Künstlerin, deren Begeisterung übers Jahr nicht nachlässt.




Mittwoch, 2. Juni 2021
Bis drei Uhr Filme geschaut, Sachen gelesen, Sprachnachrichten angehört. Ein Teil der Geschichte sein zu wollen, ist, in Rhythmen, begeisternd, dann wieder anstrengend. Viel zu müde zum Frühstück mit der Leserin. Vorm Café können wir sitzen, ohne unsere Gesundheit beweisen zu müssen. Ich versuche, der Leserin den Inhalt eines Vortrages wiederzugeben, der mich nachts beschäftigt gehalten lassen -- und auch im Zweifel. Dieser teilt sich stärker mit als meine guten Gefühle gegenüber dem Referenten. Die entstandene Unstimmigkeit hält mich wieder für ein paar Stunden auf.

Aufgehalten und abgelenkt. Ich beschließe endlich, am 19. nicht in die Hauptstadt zu reisen, um das System zu stürzen, was mich sehr entspannt. Ich muss kein Teil der Geschichte sein. Ein Wunsch, der wiederum aus einem Gefühl der Schuld entsteht. Und wieder fällt. In Rhythmen.

Wie sehr ich Geschichten mag und Texte. Nach dem Mittagschlaf (mir waren buchstäblich die Augen zugefallen) beginne ich einen sci-fi-Roman in Englisch. Ich bin mir bewusst, dass mir in der Fremdsprache feine Stimmungen und Farben möglicherweise entgehen, deshalb lese ich sorgsam, schlage unbekannte Wörter trotzdem nicht nach. Die Autorin hat in einem Vortrag ausgeführt, auf welche Weise sich weibliche science fiction von einer männlichen Erzählung unterscheidet: die weibliche läuft (eher) auf der Beziehungsebene ab, die männliche ist technokratisch(er) und hält irgendeine Maschine bereit als Lösung des Problems.

Der Referent, der mir die gestrige schlaflose Nacht beschert hat, streifte u. a. die besondere Qualität der deutschen Sprache, ihre starke Präzision, ihre Fähigkeit, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, ihre Klarheit. Als Muttersprachler (ich will auch nicht mehr gendern) bin ich mir darüber nicht so bewusst, habe kaum Vergleiche, kann mich aber wenigstens vom Englischen durch seine Knappheit begeistern lassen. Also ein Plan, mich wieder mehr mit Sprache zu beschäftigen, dazu sehe ich mich an einem Schreibtisch sitzen und arbeiten. Es gab im letzten Jahr wenige Autoren (oder nennen wir sie doch gleich Schwurbler), die über die Sprache meine Aufmerksamkeit erregen konnten. Allerdings hatte ich eine schöne Bewusstseinserweiterungserfahrung, als ich an einem Tag Sprachnachrichten in verschiedendsten Mundarten gelauscht hatte. Mir ist klar geworden, dass Dialekte oft benutzt (oder missbraucht) und der Lächerlichkeit preisgegeben werden, wenn Hochdeutschsprechende Komödianten diese nachahmen. Zu erfahren, dass schlaue Leute mit philosophischem, wissenschaftlichem oder politischem Weiblick diesen auf bayrisch, hessisch oder gar sächsisch kundtun, fand ich nicht nur charmant, sondern eigenartig schön, berührend und auf eine außerordentliche Weise bedeutsam.




Mittwoch, 29. April 2020
Nach einem harmonischen Wochenende, das wir lesend im Bett verbringen (der Bildhauer die Autobiografie des Regisseurs und ich durch Verschwörungstheorien und Maskennähanleitungen blätternd, jeweils lachend oder weinend) wollen wir etwas Kunstbedarf kaufen, denn die Kreativität sitzt uns im Reiseschuh. Boesner hat die Grundfläche ordnungsgemäß verkleinert und dazu Teile mit Bändern abgesperrt. So drängt man sich in engen Wegen, wie gut, dass wir nun auch die Masken tragen. An der mit einer Plastikscheibe gesicherten Kasse nenne ich wie üblich meinen Namen, um dem System eine persönlich adressierte Rechnung zu entlocken, diesen versteht der nette junge Mann beim dritten Mal auch nicht, ich ziehe die Maske runter, damit er meine Lippen lesen kann.

Vorm Bioladen, dem einzigen Geschäft, das ich sonst noch betrete, treffe ich die Exsängerin. Sie ist Lehrerin an einer Schule für Gehörgeschädigte. Dort wird (per se) nicht per Gebärde kommuniziert, sondern das Lippenlesen geübt und praktiziert. Natürlich hat im Unterricht dort niemand Masken auf. Sie erzählt von ihrem kleinen Sohn, der alte Sendungen mit der Maus irritiert mit die halten ja gar keinen Abstand kommentiert.

Die Gärtnerin hatte Geburtstag und lud in den Garten zu Getränk und Leckereien. Zu siebt sind wir; im Garten nebenan wird ebenfalls mit erhöhter Personenzahl gebechert. Die Stimmung ist grummelig-entspannt, wir alle sind irgendwie Kreative ohne besondere Geldsorgen bzw. mit neu eingereichter und bestätigter Grundsicherung, lassen es uns hier mit minimalen Mitteln gut gehen, d. h. wir sind einfach und lassen uns von der Sonne bescheinen.

Es will (noch) nicht regnen, aber diese zarten, bereits anderswo abgeregneten Wölkchen ziehen hoch oben und lassen Himmelsblau durchscheinen. G. hat ein regenarmes Zeitfenster zwischen zwei und drei ausgemacht und dann wollen wir uns am Kaffeebüdchen zum Arbeitsgespräch bzw. Coronakritik einfinden. Er kommt aus dem Finanzbereich und hat zur gegenwärtigen Zeitqualität sein ganz eigenes Narrativ. (Dass dieses Wort einmal in meinem aktiven Wortschatz platzfindet, hätte auch ich nicht für möglich gehalten.)




Mittwoch, 4. März 2020
Das Muttelchen begrüßt mich mich einem einzahnigen Lächeln. Wo hast du denn deine Zähne gelassen, frage ich belustigt. Und sie, die seit Monaten keinen zusammenhängenden Satz mehr von sich gegeben hat, kontert mit sehe ich hässlich aus? Keinesfalls, streichel ich ihr Gesicht und küsse sie, so schöne Haare und so helle Augen hast du! Später beobachte ich sie, wie sie sich mit einer für sie so typischen Bewegung am Hinterkopf rumnestelt, das Haar zu richten.

Es fällt mir immer schwerer sie zu besuchen, aber heute bin ich froh, mich endlich auf den Weg gemacht zu haben. Es hatte viel geregnet und ein Wegstück der Fluss-Auen Richtung Heim laufe ich mit den Gummistiefeln durch knöchelhohes Wasser. Der Stunde, die ich mit dem Mütterlein verbringe, stehen eineinhalb Stunden Spaziergang durch matschiges Bibergebiet gegenüber, und obwohl ich diesen Weg schon tausendmal gegangen bin, finde ich immer wieder Neues – eine Lichtstimmung, abgestorbenes Gehölz oder vom Biber Umgenagtes, Pflanzen im frischen Grün, dazwischen blüht schon etwas und ich lausche den besonderen Geräuschen des Hochwassers, in dem Zweige gluckernde Wirbel hervorrufen, eine der Krähen schießt mit einem rauhen Laut nah an meinem Kopf vorbei und ich rufe ihr Rüpel hinterher. Der Bildhauer will sie sich mit Leckerein gewogen machen, und da ich bei den Fütterungen oft dabei bin, erkennen sie mich vielleicht auch, mit meiner orangeroten Jacke bin ich kaum zu übersehen.

Auf dem Schreibtisch wartet der Fragebogen der Therapeutin, den auszufüllen mir einiges abverlangt. Nicht, dass ich um Worte verlegen bin, aber die Frage nach meinen größten Misserfolgen kann ich nicht beantworten. Misserfolg bedeutet doch, dass man sich ein Ziel gesetzt hat, das man nicht erreichen konnte, aus welchen Gründen auch immer, und darüber in Gram verfällt? Hatte oder habe ich Ziele, die sich nicht verwirklichen lassen? Beruflich? Privat? Mittlerweile kenne ich meine Fähigkeiten allzugut und strebe nichts an, was mich langfristig überfordert. Die (Kunst-)Objekte, an denen ich zur Zeit arbeite, und denen ich das Jahr widmen möchte, reizen mich sehr, aber überfordern mich nicht. Dennoch überraschen sie mich stets mit den Wendungen, die sich ergeben, wenn ich Materialien oder Techniken neu zusammenbringe, anordne, wieder verwerfe – nie weiß ich im Voraus, was daraus wird. Mit der neuen (alten) Nähmaschine umzugehen, bedeutet zum Beispiel, dass eine Naht nicht so wird, nicht so akkurat wie vorgesehen und dann binde ich das Missratene als charmantes Ergebnis mit ein; so macht man das wohl.




Freitag, 21. Februar 2020
Die Gespräche mit der Therapeutin sind fruchtbar. Ich kann aufräumen mit falsch interpretierter Esoterik und befinde mich, hoffentlich nicht zu rückläufig, wieder zwischen Animus und Anima – Konzepten, von denen ich schon vor 40 Jahren gelesen habe. Meine Träume dazu stellen sich mit Regelmäßigkeit ein und sind voller freudiger Symbole. Ich begegne dort tatsächlich meinem Animus, der alles das ist, was ich bin. Wieder fällt einiges zusammen, stimmt plötzlich, kann heilen und es bleibt der Reichtum im eigenen Innern zur freien Verfügung.

Kann ich sagen, die 15 Jahre des Studiums der altindischen Schriften hätten nichts gebracht? Mir scheint da jedenfalls eine Lücke zu klaffen – man übt so vor sich hin (z. B. Selbststudium, Mantrameditation, Atemkontrolle) und der Abstand zum echten Genuss des Vorgefundenen, Eigenen (doch bloß Maya) wird immer größer. Jedenfalls bei mir.

Jetzt bin ich auf dem Weg zu einer distanzierten und dennoch liebevollen Beziehung zum Mütterlein, innerhalb derer ich die Zeiten unserer Begegnungen selbst bestimme und darauf achte, nicht dauernd über meine Kraft zu gehen, sondern mich um meine Sachen zu kümmern. Mit meinem Vater (ich sehe tote Menschen) habe ich ein Einverständnis gefunden und seinen freundlichen Blick zu spüren, hat mich für vieles entschädigt. Jetzt schreibe ich noch ein paar Briefe an verschiedene Menschen (die nicht abgeschickt werden sollen, aber mit denen wir arbeiten können).

Auf dem Weg zur freien Kunst sind meine Einnnahmen noch weiter geschrumpft und damit mein Erspartes noch eine Weile hält, habe ich mir einen Anspruch auf Wohngeld erarbeitet, 191 EUR bekomme ich nun, damit kann ich die Therapie finanzieren und halbwegs entspannt den Bewegungen auf meinem Konto zusehen. Es steht ein schönes Buchprojekt bevor, das ich gestalten kann, wahrscheinlich wird es nach dem Sommer beginnen, wenn Fotos und Interviews fertig sind. Die eigene künstlerische Arbeit gedeiht, der Bildhauer hat mir eine Nähmaschine geschenkt, was für eine Freude, jetzt muss ich nicht alles per Hand arbeiten und kann mich auf die feinere Ausgestaltung der schnell vorgenähten Formen konzentrieren.

Ach. Es wird. Es blüht.




Montag, 2. Dezember 2019
Ich konnte es nicht lassen, trug mich das Wochenende mit dem Gedanken, mich auf einen 450 EUR-Job zu bewerben. Warum nicht ein paar Stunden die Woche werkeln, damit das Gesparte noch länger bewahrt bleibt. Wie wenig ich aber breit bin für Zwecke zu arbeiten, die nicht meine sind, wurde mir klar, als ich website und fb-Profil der Firma studierte und auch das persönliche des Arbeitgebers. Er interessiert sich für Sachen, denen ich nichts abgewinnen kann, die sogar Abneigung in mir erzeugen, Autos, Fußball etc., und so nahm ich bildlich-emotional vorweg, in unguten Zusammenhängen zu sitzen, Bandenwerbung für die lokale Fußballmannschaft druckfertig zu machen und und mich zu wundern, warum ich das überhaupt tue. Eine launige Bewerbung habe ich immerhin entworfen, aber ich muss feststellen, dass meine Motive, mich auf einen mich downgradenden Job zu bewerben, seltsam sind. Wie schon im vorletzten Monat hatte die ehemalige Bürokollegin wieder Arbeitsmöglichkeiten erwähnt und eine Strebsamkeit ausgelöst, genährt aus Sorge und Zukunftsängsten – die doch gar nicht zu mir gehören. Ich teile tatsächlich ihre Ängste nicht, unter denen sie sich regelmäßig verzettelt, in der Vergangenheit stärker, jetzt aus Vernunfts- und Kräftegründen sehr kontrolliert, wobei sie sich immer noch von spontanen soft- und hardware-Käufen verleiten lässt. Ist schon geil so ein iPad mit Stift, wie beides smooth zusammengeht, wäre ich Illustratorin wie sie, besäße ich sowas selbstverständlich auch.

Nach wie vor finde ich es schwierig, unbeirrt meinen Weg zu gehen. Natürlich will auch ich gesehen, erkannt und wertgeschätzt werden. (Das würde ich, versichert mir der Bildhauer.)

Mein Privatstudium, so nenne ich das jetzt mit Selbstbewusstsein, führt mich hinein in Zukunftsbilder, aber auch wieder zurück in meine eigene Kultur-Geschichte. Lese, wie alle paar Jahre, Doris Lessings Shikasta von 1979, ein großartig weitsichtiges Werk, das eine komplette Weltgeschichte umreißt und trotz schmerzvoller Aufarbeitung menschlichen Fehlens eine positive Aussicht entwickelt, die mich in wehmütige Stimmungen versetzt. Ob wir nun wirklich in solch einer Übergangszeit sind – es wird eigentlich immer offensichtlicher, dass das Zeug nicht mehr hält – oder ob es noch über meinen Tod hinaus mit dieser Art von Gesellschaft irgendwie weiter rumpelt, ist nicht zu sagen. In meinen frühesten Träumen und weiter durch all die Jahre tauchen Szenarien totaler Verwüstung auf. Sind es Familienerinnerungen an die Weltkriege des letzten Jahrhunderts oder Erinnerungen an die Zukunft, an eine Zukunft, die zu erleben ich auf die Welt kam?




Donnerstag, 10. Oktober 2019
  • die junge wuschelhaarige Künstlerin, eine neue Bekanntschaft, erfreut mit Unverstelltheit
  • mein aktuelles Objekt Eins von beiden, textile art mit seiner Unzahl an Deutungsebenen
  • die neuen, frechen Illustrationen von K. (der ehemaligen Raumteilerin)
  • der Bildhauer, mir ans Herz gewachsen
  • Ausstellungsmöglichkeiten für Ideen imaginieren/realisieren -> next year
  • nicht mehr ungefragt Ratschläge geben, nötigenfalls auch auf Meinung kundtun verzichten
  • Meinung haben nur nach gründlicher Recherche
  • nicht mehr einmischen (= Selbstschutz)
  • den Wunsch/Drang, etwas erreichen zu wollen/müssen, bei seiner Entstehung direkt beim Schopfe packen
  • Liste des zu Erreichenden kontemplieren, ggf. komplett demaskieren
  • Konflikte aushalten und loslassen, keine Energie in Erklärungen und Lösungsversuche investieren
  • bestimmte Gegebenheiten als unfruchtbar erkennen und nicht weiter verfolgen, wie ja das Loslassen überhaupt von allergrößter Wichtigkeit ist
  • (weniger saufen mit Dudi)
  • das wird wie ein allgemeiner Rückzug aussehen, ist aber (haha) Kunst




Samstag, 1. Juni 2019
  • Erdbeeren mit Sahne zum zweiten Frühstück
  • Draußen schwimmen
  • Gespräche mit der Lieblingsdesignerin
  • Handwerkerfilme mit dem Bildhauer schauen.
  • Thai-Massagen, sehr aua und äußerst wohltuend
  • Die Nachbarin legt im Hof einen Kräutergarten an.
  • Entscheidungen zum kunsttätigen Handeln, erleichternd
  • Gute Arbeiten am Schreibtisch, nebst klingender Münze
  • Die neuen Barfußschuhe
  • Pünktlich erledigte Steuererklärungen für mich und die Greisin
  • Mit dem Cousin das Mütterlein besucht – Du bist ja nun auch groß geworden, ruft sie ihm zu.
  • Unnötige Sorgen wegpuffern – anhand dieser Liste.
Außerdem: Das im vorigen Bild gewegweiste weggewiesene Hemeln an der Weser beherbergt eine kleine Kirche mit anmutig gestalteten Altarfiguren.