Und immer den Blick nach Südost gerichtet, wo zur Zeit die Gewitter herkommen. Die Sucht nach Aufregung ist beinahe stärker als der Wunsch nach Ruhe und Stille. Die Nachbarin unter mir ist der Überzeugung, ich sei nicht still genug und beklagt nächtliches Türenklappern, das angeblich aus meiner Wohnung kommt. Ich nehme an, niemand in diesem Haus schließt sorgsamer die Türen, niemand geht sanfter abgerollt über Holzböden als ich. Vielleicht ist es ihr ein Dorn im Auge, dass ich so viel mit dem Bildhauer kichere, wenn er bei mir übernachtet. Vielleicht möchte sie auch gern wieder einmal getötet werden, wie im vorletzten Jahr, als sie einige von uns Nachbarn darum anflehte. Ein Schock, jemanden bei seiner Psychose zu erleben. Für Wochen war sie in der Psychatrie, ihre Mutter sagt, sie sei seitdem nicht mehr dieselbe.

Die allgemeinen Vorgaben haben also auch schon das Zuhause erreicht. Die Bewegungen, Be- und Anmerkungen, die Hinweise im Stammcafé, wer darf rein, wer wartet draußen, wie viele dürfen rein, wenn drinnen zwei sitzen, z. B. die Leserin und ich in Erwartung eines entspannten Frühstücksgespräches, und hier noch der Anwesenheitszettel, aber die Wasserkaraffe gibt es nicht mehr, dafür Gemurmel hinter Masken mit zweimal Nachfragen. Nervt.

Weiterhin viel Netzgelese und Offstreamgeschaue. Dabei philosophische Perlen gefunden, die nach all dem Stumpfsinn den Intellekt erregen und eine neu entstehende Aufmerksamkeit für gesellschaftspolitische Themen füttern – vielleicht ist es aber auch nicht hilfreich, zu tief dort einzutauchen und in dunklen Ecken menschlichen Fehlens zu stöbern. Die dadurch ausgelösten Ängste im eigenen Innern ertragen lernen, kommt mir wertvoll vor und schrecklich zugleich.

In den Therapiegesprächen geraten allerhand kindliche Wünsche ans Licht. Ich mag dieses mutige Mädchen (das ich war) von acht oder neun Jahren, das mit all seinen edlen Werten, mit seiner Wut und Kraft zu mir in die Zukunft schaut. Die Beantwortung der Frage, ob es von mir, der Erwachsenen, ebenso enttäuscht sein könnte, wie von den meisten Erwachsenen damals, muss auf morgen warten.