Dieses Wochenende bin ich bei meinem Bildhauer. Wir wechseln uns ab; wer des anderen Gast ist, braucht sich um nichts zu kümmern. Bekommt Leckereien aus der Küche gereicht, in der geschnibbelt und gekocht wird. Ein Gläschen Wein? Wärmflasche? Jetzt sitze ich im Wohnzimmer auf dem Sofa mit Blick auf die neueren Gelben Objekte und den Schreibtisch mit Gegenständen, die teils benutzt, teils bewundert werden können, wie Schnitzmesser, Schnüre, Astgabeln oder besonders geformte Steine und Versteinerungen. Gestern hatte ich mein Telefon zu Hause vergessen, Panik, ich muss doch erreichbar sein, falls Mama stirbt. Am Vormittag hat sie mich wieder nicht gehen lassen, sie klebt so an mir, gesteht mir ihre Liebe und ist sehr weinerlich dabei, es ist nur sehr schwer auszuhalten, diese Liebe, von der ich nicht weiß, wem sie wirklich gilt. Mit dem Argumentieren sollte ich aufhören: Nächste Woche kommt Dudi dich besuchen. Dann macht ihr wieder was Schönes. Sie könne sich nicht erinnern, kontert sie, hoffentlich sei die nicht so spröde wie ich. Spröde, lache ich halbwegs verzweifelt. Das Wort hängt mir lange nach.

Ich rufe dann im Heim an und gebe des Bildhauers Nummer durch, ein lustiger Dialog, weil ich für einen Moment seinen Nachnamen vergessen habe. Den nutze ich naturgemäß selten, wir siezen uns schon lange nicht mehr. Gerade kommt er rein und dreht die Tulpen zurecht, macht den Globus an und guckt, als ob er wüsste, dass ich über ihn schreibe.

Am Morgen träumte ich: In der Agentur, die mittlerweile von der Lieblingschefin komplett übernommen ward, entdeckte ich in einer Truhe einen Stapel Schneidematten, sie waren ein einziges Mal benutzt worden, um mit Kunden zu basteln, eine schmeichelhafte Werbeaktion. Ich empfinde das als große Verschwendung, eine Schneideunterlage ist für mich ein besonderer Schatz, der einiges kostet. Der Arbeitstisch ist mit Materialien überfrachtet, regelrecht zugemüllt. Ich rege mich total auf wegen all dem Kram. Ich brauche ja bloß ein Stück der hellblau karierten Reinzeichenpappe, die ich nicht finden kann.

Indes melden sich die Enkel des Kaisers auf meinem Handy, sie wollen Mama eine Weile nehmen, damit ich mal wieder ausschlafen kann. Ich weiß nicht genau, ob ich ihnen trauen kann, immerhin sind sie nur die Enkel und nicht der Kaiser selbst.

Ich schaue bei mir zuhause vorbei. Dort war ich anscheinend eine Weile nicht. Das Schlafzimmerfenster ist vorgekippt, und auf dem Fensterbrett steht ein größerer Blumentopf, aus dem etwas Grün sprießt, das Krautbüschel steht schief und ich will es geraderücken, da ist noch etwas anderes, vertrocknetes im Topf. Mit dem Finger pule ich dran herum, etwas braungraues, zerzaustes, strohig – zum Vorschein kommt der Kopf meiner Katze! Sie ist tot, unwiderruflich, ihre Augen nur noch vertrocknete schwarze Schlitze. Was für ein schrecklicher Anblick! Wie konnte ich meine geliebte Katze vergessen? Sie muss vor Wochen in dieser Wohnung verhungert sein, in der Blumenerde zum Sterben eingegraben. Wie ich das vor den anderen Menschen, die zu Besuch sind, verheimlichen kann, überlege ich wirr. Ich könnte den Topf (mit Katze) in den Biomüll werfen ... nur langsam wache ich auf und werde mir erleichtert klar, nur ein Traum.

Ihn zu deuten, ist einfach. Sorgepflicht vernachlässigt, vergesslich geworden gegenüber der Verpflichtung. Einer meiner größten (wenn auch eingebildeteten) Fehler gegen mein Liebstes.

Was denn mein Liebstes sei? Das weiß ich ja.

Am Mittag fahre ich mein Handy holen. Im Hof ergeht sich die schwarze Katze. Seit Monaten habe ich sie nicht gesehen, wir laufen aufeinander zu, Freunde, Freude, bücke mich zu ihr, winterdick, mein Gesicht dann voller nasser Nasenstüber, ich wühle und rieche in ihrem kurzen, festen Fell, das einige weiße Haare bekommen hat, sie maunzt, gurrt und schnurrt, versichert, wie lebendig sie ist – und ich erzähle ihr auch alles.